Alltagsalternativen

ÖKOSTROM VON UNTEN: GENOSSENSCHAFTEN

ALBWERK: Von der Strommuehle zur Dividendengemeinschaft


1. Emanzipatorischer Umweltschutz - umgesetzt im Energiebereich
2. Pro & Contra
3. Pro & Contra II
4. Pro & Contra IV
5. Kritik von Ilka Schröder (MdEP der Grünen), Antwort von Detlef Gebauer
6. sfv-rundmail: 15.12.00 ,Ökostromhandel' hält nicht was er verspricht
7. sfv-rundmail: 19.12.00 Persönlicher Atomausstieg - wirtschaftlich sinn- und folgenlos!
8. sfv-rundmail: 20.12.00 Rechthaberei beim Thema Ökostrom?
9. sfv-rundmail: 21.12.00 Schwarzes Schaf, Wolf im Schafspelz, harmloses Schaf im ,Ökostromhandel'
10. REINSTROM ArbeitsGemeinschaft: Grüner Strom für die Region Göttingen
11. Tradition mit Fortschritt - den Energiemarkt durch Kooperativen beleben
12. ALBWERK: Von der Strommuehle zur Dividendengemeinschaft
13. Kurzinterview "Wir haben guenstige Strukturen"
14. Heizwerk SIEDERLERSTRASSE, Nürnberg
15. Biomasseprojekt LIEBERHAUSEN
16. Energiegemeinschaft Windfang
17. Energiegemeinschaft Windfang: Windkraftanlage Hamburg-Ochsenwerder
18. Agrarenergie RODING
19. Windkraftgenossenschaft LÜBECK

Aus der "Contraste"

Der Geislinger Stromversorger Albwerk, eine erfolgreich agierende traditionelle Elektrizitaetsgenossenschaft, konnte das Jahr 1999 mit einem Ueberschuss von mehr als fuenf Millionen DM abschliessen. Trotz der Wahlfreiheit der Privatkunden zaehlen 303 Haushalte mehr zu seinenKunden als 1998, naemlich 34.433 Haushalte. Die 162 stimmberechtigten Mitglieder, die zur letzten Generalversammlung gekommen waren, stimmten dem Jahresabschluss mit einer Bilanzsumme von 96,5 Millionen Mark einhellig zu.

Christian Jung, Red. Genossenschaften - Zwei Arbeiter verruecken noch einige groessere Flusskiesel. Kaum bis zu den Waden reicht ihnen das Wasser der Fils. Niedrigwasser. Das Gefaelle, das unterhalb des kleinen Wehrs beginnt und sich an dem Krafthaus vorbeischiebt, soll wieder moeglichst natuerlich aussehen. Denn morgen wird das Wasserkraftwerk "Muenstermuehle" eingeweiht.
Trotz Niedrigwasser: Gleichmaessig brummt die Kaplanturbine im Innern des Krafthauses. Eine Million kWh soll sie kuenftig jaehrlich fuer das Albwerk erzeugen. Viel und doch nicht viel. Zur Relation: 1999 setzte das Albwerk 441 Mio. kWh Strom ab. Fast alles eingekaufter Strom. Von der EnBW, der RWE, zu weniger als vier Prozent auch vom Kernkraftwerk Obrigheim, an dem sich das Albwerk in den 60er Jahren geringfuegig beteiligt hatte. Von der Leistung faellt das neue Kraftwerk da kaum ins Gewicht.

Oekologisches Aushaengeschild
Die "Muenstermuehle" bei Kuchen war denn auch in erster Linie als oekologisches Aushaengeschild konzipiert worden, wie der Direktor des Albwerks, Hubert Rinklin, bestaetigt. Inzwischen sei man aber auch aus oekonomischer Sicht gluecklich ueber die Entscheidung. Das neue Einspeisungsgesetz fuer oekologisch erzeugte Energie mache das Projekt auch oekonomisch zu einem Erfolg.
Vorbild fuer die "Muenstermuehle" war ein Wasserkraftwerk, das ein Privatmann nicht weit entfernt in Eigenregie errichtet hatte. Das speist seinen Ueberschussstrom seither in das Albwerk-Netz ein. Der Erbauer (Herr Fragner) wurde vom Albwerk fuer die Planung und Bauleitung der "Muenstermuehle" gewonnen.
Auch deshalb wirkt das Projekt "Muenstermuehle" wie eine Erinnerung an die Pionierzeit des Stroms und die Anfaenge des Albwerks. In den 1890er Jahren kam es zu einer Gruendungswelle von Elektrizitaetskraftwerken in Wuerttemberg. Bald gab es in jeder groesseren Gemeinde ein Werk - teils in kommunalem, teils in privatem Besitz. Und entlang der Flusslaeufe drang die Elektrizitaet bereits auch in die kleineren Orte vor. Hier waren die Mueller die eigentlichen Pioniere. In der Erzeugung von Strom sahen sie ein Zusatzgeschaeft. Ausserdem litt ihr Gewerbe unter der Konkurrenz der Muehlengrossindustrie, die damals aufkam.

Historischer Rueckblick
Auch im Gebiet um Geislingen gab es damals einige Muehlen, die Strom produzierten. So zum Beispiel in Kuchen und in Altenstadt. Trotzdem sah es fuer die weitere Verbreitung der Elektrizitaet nicht gut aus: Vor allem auf der Geislinger Alb, wo es keinen Flusslauf gab und damit auch keine Muehlen. Und in Geislingen selbst, dem Hauptort der Region, in dem die Politik eine Entscheidung gegen den (elektrischen) Strom faellte. Der Gemeinderat stimmte 1899 fuer die Einfuehrung der Gasbeleuchtung und den Bau einer Steinkohlengasfabrik. Selbst das Erreichte war in Gefahr: Hohe Investitionen fuer die Leitungen bei noch geringem Absatz - Strom war damals noch Luxus - brachten einige der Strommuehlen in Bedraengnis, so die Muehle in Altenstadt. Um 1910 war die Region drauf und dran, den Anschluss an das Elektrizitaetszeitalter zu verpassen. Was tun? Von der Elektrowirtschaft war nichts zu erwarten. Geldgeber der Branche waren die Banken und die erwarteten keine Rendite fuer das duenn besiedelte und topographisch anspruchsvolle Gebiet, in dem das Verlegen elektrischer Leitungen teuer war.

Wachsender Fremdbezug
Die Loesung lag in der Genossenschaftsidee. Dafuer machte sich der Altenstaedter Schultheiss Schneider stark, der Hauptinitiator des Albwerks. Bei der Landbevoelkerung warb er fuer die Idee, eine genossenschaftliche Elektrizitaetsversorgung aufzubauen und dafuer Anteile zu kaufen. So wie das frueher schon Raiffeisen fuer die Landwirtschaft getan hatte. Und er verhandelte mit den Landgemeinden, die ja die Konzessionen geben mussten.
Im Fruehjahr 1910 wurde das Albwerk als Elektrizitaetsgenossenschaft gegruendet. Als Genossen mit an Bord waren auch 16 Landgemeinden. Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung standen als Grundsaetze obenan.
Zu Anfang geriet das Unternehmen in eine ernste Finanzierungskrise, da der Kauf der Muehlen, der Bau eines Dampfkraftwerks und die Errichtung der Leitungsnetze und Transformatorenstationen viel Geld kosteten. Die Krise wurde ueberwunden und bereits 1911 schloss das Albwerk erste Stromlieferungsvertraege mit anderen Elektrizitaetswerken. Damit begann ein Prozess, der durch den Ersten Weltkrieg beschleunigt wurde: Die Eigengewinnung von Energie trat gegenueber dem Fremdbezug in den Hintergrund. Das machte das Werk ueber die Jahre faktisch von einer Produktions- zu einer Einkaufsgenossenschaft.
Damals verschwanden viele Betriebe durch Uebernahmen und Fusionen. So in den Wirtschaftskrisen, aber auch in der NS-Zeit, als es zu einer starken Monopolisierung in der deutschen Elektrizitaetswirtschaft kam. Wiederholt erwies sich jetzt die Unternehmensform der Genossenschaft mit der Rueckkopplung an die Genossen als Mittel, die Unabhaengigkeit zu behaupten.

Genossenschaftliche Holding
Zurueck zur Gegenwart des Albwerks: Heute ist zu dem Stromgeschaeft ein Elektrofachhandel getreten, der sich im Erdgeschoss des Verwaltungsgebaeudes befindet, und der Bereich Technische Dienstleistungen.
Letzterer umfasst unter anderem Elektoinstallationen, Brandschutzanlagen, Einbruchmeldeanlagen, Telefon- und Datentechnik. Die komplette Stromsparte wurde in diesem Jahr aus der Genossenschaft ausgegliedert und in eine gemeinsame Gesellschaft mit der EnBW-Regional AG eingebracht. Die Alb-Elektrizitaetswerk Geislingen-Steige eG haelt 74,9% der Anteile an der neuen Gesellschaft, in die die EnBW-Regional AG (Anteil 25,1%) ihre Netze und Kunden im Raum Laichingen einbringt.
Was bedeutet diese Entscheidung, die im Mai von einer ausserordentlichen Generalversammlung der Genossen bestaetigt wurde, fuer das Genossenschaftskonzept? Wie ist die Verbindung mit der EnBW einzuschaetzen, die im letzten Jahr immerhin 71 % des Albwerk Strombedarfs lieferte und durch deren 110 kV Leitungen der Strom in das Versorgungsgebiet des Albwerks fliesst? Und wie sieht die Zukunft des Unternehmens im liberalisierten Strommarkt aus?

Hohe Kundenbindung
Der Direktor, der Genossenschaft, Hubert Rinklin, setzt weiter auf die Rechtsform Genossenschaft, auch in der Stromsparte. Fuer die nahe Zukunft plant das Albwerk eine Oeffnung fuer neue Genossen. Bisher gab es 1.100 bis 1.200 Genossen. Da lange Zeit das Eigenkapital konstant blieb, wurden neue Mitglieder nur bei Rueckgabe alter Anteile zugelassen. Die gebietsmaessige Erweiterung um den Raum Laichingen will das Werk nutzen, um in einem ersten Schritt 1.500 bis 2.000 neue Genossen aufzunehmen. Geplant ist die Vergabe von Anteilen zu je 1.000 Mark. Bei dieser ersten Zuteilung sollen alte Anwartschaften aus dem bisherigen Versorgungsgebiet und neue Mitglieder aus Laichingen gleichermassen beruecksichtigt werden.
Laichingen eingeschlossen hat das Albwerk 50.000 Kunden. Die Oeffnung der Genossenschaft ist Rinklin zufolge das beste Kundenbindungsprogramm. Die Teilhabe an der hohen Kundenbindung war Rinklin zufolge auch das Hauptinteresse der EnBW an dem Deal. Die Identifikation der Bevoelkerung mit ihrem Energieunternehmen sei bei Genossenschaften nunmal groesser. Genau das werde sich als ein Pluspunkt herausstellen, wenn - wie allgemein erwartet - der jetzige reine Preiskampf auf dem liberalisierten Strommarkt durch einen Dienstleistungswettbewerb abgeloest werde.
Auch bei der Einfuehrung neuer Preissysteme zeige sich die gute Kundenbindung. Zwei Drittel der Kunden entschieden sich fuer diese - ein ausgesprochen guter Wert in der Branche. Gefahren durch die Zusammenarbeit mit der EnBW sieht Rinklin nicht. So habe das Albwerk das alleinige Recht, Fuehrungspersonen in der neuen Gesellschaft zu bestimmen. Auch hinsichtlich des Strombezugs habe man sich in keiner Weise gebunden.

Sprung zum Stromhaendler
Die groessten finanziellen Auswirkungen kamen durch die Liberalisierung bisher bei den grossen Sondervertragskunden wie WMF in Geislingen oder Heidelberger Druckmaschinen in Amstetten. Da werde inzwischen, so Rinklin, bis zur Schmerzgrenze verhandelt.
"Aber unter den Einstandspreisen oder zu Dumpingpreisen verkaufen wir nicht," fuegt er hinzu. Inzwischen hat das Unternehmen den Sprung zum Stromhaendler gemacht. Viermal so viel Strom wird bereits gehandelt, als im eigenen Netz abgesetzt. Dieser wird ausserhalb des eigenen Versorgungsgebiets gekauft als auch wieder verkauft. Zu 16,3% hat man sich an der KOM-Strom AG beteiligt. Die Leipziger Stromhandelsgesellschaft ist der sechstgroesste deutsche Stromhaendler. Der Zugang zur Stromboerse, zu bestimmten Informationen, und Alternativen zum Bezug ueber EnBW und RWE waren die Motive. Aus den Anfaengen einer Produktionsgenossenschaft mit Strommuehlen hat sich somit laengst eine Dividendengenossenschaft mit Verzinsungen von zuletzt 14% bis 18% entwickelt. Insofern umweht die Einweihung der "Muenstermuehle" fast ein Hauch von Nostalgie. Apropos wehen: Auf dem Albtrauf werden von norddeutschen Konsortien neue Windraeder errichtet. Direktor Rinklin will nun durchrechnen lassen, ob sich eine Beteiligung lohnt.

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