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PROTOKOLL EINER UNGEWÖHNLICHEN GERICHTSVERHANDLUNG

1. Instanz: Fragen verboten, Angeklagten rausgeschmissen, dann hart verurteilt!


1. 1. Instanz: Fragen verboten, Angeklagten rausgeschmissen, dann hart verurteilt!
2. Dann die Berufung: 8 spannende Verhandlungstage mit (fast) gleichem Ende

So, jetzt können wir den Prozess endlich so führen, wie es sich gehört.
Staatsanwältin Sehlbach-Schellenberg am 4.9.2008, nachdem rechtswidrig alle Fragen zur Sache verboten waren, der Hauptzeuge nicht mehr kommen brauchte und der über die Hintergründe des Genversuchsfeldes genau informierte Angeklagte aus seinem eigenen Prozess entfernt wurde.

Vorgeplänkel: Kogel abgeladen, Thema Gentechnik unerwünscht
Der Wechsel in den Zuständigkeiten zeigte sich sofort im Stil. Amtsgerichts-Vizepräsident Oehm als zuständiger Richter fällte schon vor dem Prozess einen ersten Beschluss mit Richtungsangabe: Er lud den Versuchschef Prof. Kogel wieder ab. Sollte der geschützt werden, um nicht allzu viel schwindeln und über seine "wissenschaftliche" Arbeit, Konzernverbindungen usw. preisgegeben zu müssen. Zwar begründete Oehm die Abladung mit einer Auslandsreise des Zeugen - aber die erwähnte spätere Ladung entpuppte sich als nur als theoretische Möglichkeit. Der Hauptzeuge musste in erster Instanz nie vor Gericht erscheinen. Außerdem verweigerte Oehm beiden verbliebenden Angeklagten eine Pflichtverteidigung mit der Begründung, über Gentechnik und die damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen solle gar nicht geredet werden. Das sollte er mit spektakulären Mitteln auch im Gerichtssaal durchsetzen ...

Im Original: Ladung, Kogels Abladung und andere Beschlüsse

Der Ladungsplan für Dienstag, den 26. August nennt die Versuchs-Durchführenden und die vor Ort eingesetzten PolizeibeamtInnen (siehe rechts).

Doch per Beschluss vom 24.7.2008 lud das Gericht Prof. Kogel wieder ab. Gegen den Beschluss legte ein Angeklagter Widerspruch ein. In den Beschlüssen dazu und zum Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidiger teilte der Richter unter anderem mit, dass das Thema Gentechnik unerwünscht sei in dem Prozess:

Aus dem Beschluss vom 28.7.2008: erste Seite (oben) und zweite Seite (unten)


Widerspruch eines Angeklagten
Sehr geehrte Damen und Herren,
gegen die Teile 1 und 4 Ihres Beschlusses lege ich hiermit Beschwerde/Einspruch/Widerspruch ein und begründe das wie folgt:
zu 1)
Ich beantrage weitergehende Information darüber, warum Prof. Kogel nicht als Zeuge erscheinen muss. Diese Erklärung, dass er eine Auslandsreise vorhat, überrascht und ich bitte um Aufklärung:

  • Ist der Termin nicht mit den Hauptzeugen abgestimmt worden?
  • Seit wann ist die Auslandsreise von Prof. Kogel bekannt bzw. seit wann von diesem in Planung?
Die Fragen sind von Bedeutung, weil das Nichterscheinen des Hauptverantwortlichen des Genversuchsfeldes die Sinnhaftigkeit der gesamten Beweisaufnahme in Frage stellt, und ob unter diesen Gesichtspunkten der Beschluss, dass Herr Kogel nicht erscheinen muss, nicht eine unzumutbare Erschwernis für eine sinnvolle Prozessführung darstellt.

zu 2)
Gegen die Ablehnung der Beiordnung eines Verteidigers lege ich Beschwerde mit Bezug auf meinen Antrag auf Beiordnung ein. Die im dortigen Schreiben vom 12.7.2008 angeführten Gründe sind nicht gegenstandslos geworden.
a. Zum meinen dort angeführten ersten Punkt gibt der Unterzeichner Dr. Oehm als Beschlussgrund an, es käme in dem Verfahren "nach derzeitiger Bewertung nicht auf Erwägungen zum Recht der Gentechnik an". Das ist angesichts dessen, dass es in der Hauptsache um ein Genversuchsfeld geht, eine ebenso überraschende wie an dieser Stelle völlig unbegründete Rechtseinschätzung. Tatsächlich wird das Gegenteil der Fall sein und es entsteht die Frage, wieso eine vorhersehbare Aussetzung und der Neubeginn des Prozesses nach einer veränderten Bewertung so leichtsinnig in Kauf genommen werden soll, wo doch dem Richter schon jetzt klar ist, dass sich die Frage der Gentechnik doch geradezu aufdrängt.
Bedeutender für meine Beschwerde ist aber gerade diese Bewertung durch Richter Dr. Oehm. Denn in seinem Begriff "Bewertung" steckt gerade ein Vorgang der Rechtseinschätzung, der sich auf einem bislang weitgehend unbearbeitetem Rechtsgebiet bewegt und zudem von den ersten vorliegenden erstinstanzlichen Strafurteilen (z.B. aktuell laufende Strafprozesse am Amtsgericht Bad Freienwalde) abweicht. Hier werden regelmäßig die gentechnischen Fragestellungen unter dem Aspekt der Prüfung des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) geprüft. Wenn Dr. Oehm bereits im Vorhinein festzustellen meint, dass dieses in Gießen nicht in Frage kommt, so zeigt das gerade, dass er hier ohne weitere Erörterung Entscheidungen in neuen Rechtsbereichen trifft. Gerade das und die Auseinandersetzung mit diesen zur Zeit intransparenten Entscheidungsgründen deutet die Kompliziertheit der Rechtslage an - nicht deren Unkompliziertheit. Es ist ja kein Zeichen von Unkompliziertheit, wenn ein Richter aus Angst vor der Komplexität einer Rechtsmaterie mit einem (möglicherweise zudem rechtsbeugerischen) Durchgriff geltendes Recht als nicht beachtlich erklärt.
Nicht zuletzt wird zu prüfen sein, ob hier nicht bereits der Verdacht einer Befangenheit vorliegt. Eine ständige Überprüfung im Prozessverlauf wird erforderlich sein, wenn der Beschluss in dieser Form Bestand behalten sollte.
b. Zu meinem unter 2. aufgeführten Argument hat Richter Dr. Oehm in seinem Beschluss vom 24.7.2008 nichts ausgeführt. Ich halte es daher weiter aufrecht.

Der Prozess war begleitet von Aktionen und Voranstaltungen:


Am Abend spitzte sich die Situation dann erstmals direkt zu. Die Rückblicke sollen den Berichten auf Indymedia entnommen werden, die wie ein Tagebuch das Geschehen rund um alle Prozesstage aufzeichneten. Hier sind jeweils Auszüge zu finden. Die ungekürzten Texte befinden sich unter den angegebenen Quellen.

Tagebucheintrag, 25.8.2008 ++ Extra-Seite zum Vorfall und zur Klage gegen den Polizeieinsatz vom 25.8.2008
Am den 25.08., den Abend vor dem Gentechnikprozess gegen Patrick Neuhaus und Jörg Bergstedt, hielt Jutta Sundermann einen kritischen Vortrag über Gentechnik, dessen Folgen, Risiken und wie mensch damit umgehen kann. Dieser war inhaltlich überzeugend gehalten, wobei er leider nur mäßig besucht war, was aber auch daran gelegen haben könnte, dass kein Gentechnikbefürworter sich als Gesprächspartner für eine öffentliche Diskussion beteiligen wollte. Nach Ende des Vortrags spazierten drei ZuhörerInnen zum nahegelegenen Amtsgericht, in dem am nächsten Tag der Prozess laufen sollte. Kurze Zeit später traf dann auch die Polizei dort ein, welche eine Personalienfeststellung durchführen wollte. Die betroffenen Personen gaben die Personalien aber nicht bereitwillig heraus, denn sie stiegen auf Bäume oder liefen kleine Erhöhungen entlang. Nach und nach kamen 6 weitere Polizeifahrzeuge. Es trafen auch noch drei Bekannte der betroffenen Personen ein. Wenige Minuten später eskalierte die Situation als die Polizei einen Rucksack wegnahm. Daraufhin erklomm eine Person die Fassade des Amtsgerichtes und es gab Platzverweise für die Beteiligten. Zudem beschimpfte die Polizei die anwesenden Leute. Die Feuerwehr kam dann auch noch, um die Person wieder von der Fassade zu holen. Abschließend wurden drei Menschen in Gewahrsam genommen. Eine davon sollte ED-behandelt werden, was aber am Versagen der technischen Geräte der Polizei und den unkooperativen Verhalten dieser Person scheiterte. Sie wurde in der Nacht wieder frei gelassen. Die zwei anderen verbrachten die Nacht in polizeilichen Gewahrsam, worunter auch ein Angeklagter war, der am nächsten Tag einen Gerichtstermin hatte.

Dann der Tag der ersten Verhandlung - und wieder geht es nicht unterbrechungsfrei los.

Tagebucheintrag 26.8.2009, vormittags
Wie immer: Riesenmengen Polizei in und um das Gebäude. Die sind gelangweilt, durchsuchen einiges und finden in einer Fahrradtasche 0,3 mg Haschisch. Aufregung, gleich jemanden abgeschleppt zur Wache ...
Die intensiven Kontrollen verzögerten den Einlass, zumal sich die Angeklagten brav hinten anstellten. Was den Richter erzürnte, aber als er gerade beschloss, die Nicht-Vordrängler hereintragen zu lassen, waren die durch die Schleuse und betraten den Gerichtssaal. Der war überfüllt und viele zeigten deutliche Sympathie mit Feldbefreiungen - durch Worte, T-Shirts und mehr. Bevor es dann losging, war es auch schon wieder zuende, denn der über Nacht eingesperrte Angeklagte monierte seine fehlenden Akten und bekam eine Stunde Pause, um diese zu holen. Gegen 10 Uhr ging es dann los - auf dem Tisch der Angeklagten viele Akten und zwei Computer.

  • 10.07 Uhr: Verlesung der Anklage
  • 10.10 Uhr: Angeklagte werden gefragt, ob sie sich einlassen zur Sache. Beide lehnen ab. Der Richter ist offenbar überrascht. Die Zeitplanung ist jetzt andersherum durcheinander. Die freie Zeit soll mit Filmgucken verbracht werden.
  • 10.20 Uhr: Unterbrechung für Aufbau der Fernseher. In Pause wird geklärt, dass doch keine Leute mehr reinkonnten. Nochmal protestiert, soll nochmal geklärt werden
  • 10.35 Uhr: Es gibt technische Probleme mit Beamer. Das nutzen die Angeklagten und spielen auf einem ihrer Laptops andere Feldbefreiungsfilme vor, z.B. zur Feldbefreiung in Gatersleben. Danach gibt es Musik von der Angeklagtenbank: ein Anti-Gentech-Song. Auch mal was Neues in einem laufenden Verfahren.
  • 10.45 Uhr: 2 HR-Filme vorgeführt, dann der Überwachungsfilm und 1 weiterer HR-Film. Wie sollte es anders sein: Der Überwachungsfilm zeigte auch öffentliches Gelände und es gab mal wieder keine Hinweisschilder (bekannter Streitpunkt aus einem anderen Verfahren). Folglich ...
  • 11.15 Uhr: Erklärung eines Angeklagten, dass Überwachungsvideo illegal war
  • 11.17 Uhr: Die erste Zeugin KKin Keller tritt in den ZeugInnenstand, danach weitere PolizeibeamtInnen

Der Verhandlungstag selbst gab dann zum Thema Agor-Gentechnik nicht viel her. Bbis 17.30 Uhr traten nur PolizistInnen als ZeugInnen auf. Deren Vernehmumgen boten zwar die üblichen absurden Geschichten und Falschaussagen aus dem Hause "Ferniestraße" (Lage des Polizeipräsidiums). Allerdings ging das am eigentlichen Thema des Prozesses. Der war ja nicht dazu gedacht, einmal mehr zu beweisen, wie Polizei agiert, manipuliert und dabei immer wieder so deppert vorgeht, dass es auffällt. Fast war der Tag zuende, als dann doch ein später Höhepunkt und Schock zum Ausklang des Prozesses den tristen Ablauf durchbrach. Mehr zufällig führte eine Verenhmung doch zu Fragen zur Gentechnik. Und was geschah: Richter Oehm verbot, über das Thema zu reden!


Gerichtsprotokoll vom 26.8.2008, S. 20 (Vernehmung der Uni-Dezernentin Kraus)

Tagebucheintrag 26.8.2009, 17.30 Uhr
Während der Befragung der Chefin des Dezernats für Rechtsfragen und Zentrales, Susanne Kraus, unterbrach der Richter, als ein Angeklagter wissen wollte, wer die zuständigen Funktionsträger bei dem Gengersteversuch waren (z.B. Beauftragter für die Biologische Sicherheit) und welche gesetzlich vorgeschriebenen Ausbildungen für diese Tätigkeit stattgefunden haben. Aus den Aufzeichnungen (Tonmitschnitt und Abschrift) lässt sich der folgende Wortwechsel zwischen Richter und Angeklagtem festhalten (... kennzeichnet unwichtige Nebensätze, Wiederholungen oder nicht erfasste Satzteile; ansonsten blieben Fehler im Satzbau bei der Abschrift der Tondatei erhalten):
  • Oehm: "Herr Bergstedt, ...Gentechnik ... spielt keine Rolle bei der Frage, ob hier eine Sachbeschädigung vorliegt ... Hausfriedensbruch auch nicht ... ich habe mir das selbst lange angehört ... aber wir sind an einem Punkt angekommen, wo ihre gentechnischen Fragestellungen mit der Frage der Sachbeschädigung nichts zu tun haben ... Grenze vom Thema zu weit überschritten ..."
  • Der Angeklagte kritisierte daraufhin, dass der Richter ohne jegliche Sachprüfung im Prozess schon von vorneherein sagt, dass Gentechnik keine Rolle spielt - und dass mit dem Verbot von Fragen zum Thema gleichzeitig unmöglich gemacht werde, eine gegenteilige Auffassung zu vertreten.
  • Oehm: "Die Frage, die gentechnischen Grundlagen für das Institut spielt keine Rolle für die Frage, ob die Angeklagten es waren, ob die es waren, die daran beteiligt waren, auf das Genfeld einzudringen und Pflanzen zu zerstören. Ob dieser Gentechnikversuch wirksam genehmigt war, ob die Mitarbeiter geschult waren usw., spielt für die strafrechtliche Bewertung dieses konkreten Sachverhaltes nach derzeitiger Belehrung - ich lass mich gerne belehren - keine Rolle. Denn sie wollen wahrscheinlich darauf hinaus, dass hier Notstandshandlungen, Widerstandshandlungen vorliegen ... nicht den Hauch eines Ansatzpunktes. Und deshalb sind Fragestellungen dieser Art - und da bin ich mir sicher, dass wir jedenfalls derzeit unterschiedliche Auffassungen haben, ... sind Fragestellungen dieser Art nicht zulässig."
  • Dafür erntete er Kritik, dass er allein sei mit seiner rechtlichen Auffassung. Es sei zwar unterschiedlich, ob RichterInnen den rechtfertigenden Notstand für gegeben halten, aber: "Es gibt keine Richterinnen und Richter mehr, die sagen, bei Prozessen dieser Art werden Dinge wie der § 34 überhaupt nicht beachtet. In allen anderen Prozessen wird das geprüft. ... Da sind Sie wirklich der Zeit hinterher." Außerdem verwies der Angeklagte auf einen Vermerk der Staatsanwaltschaft in den Gerichtsakten. Dort hatte ein Staatsanwalt handschriftlich notiert: "Die Frage der Zulässigkeit des Genversuchs spielt allenfalls am Rande (Strafzumessung) eine Rolle". Damit sei die Staatsanwaltschaft auch der Meinung, die Frage müsse geprüft werden.
  • Richter Oehm weist auch die Meinung der Staatsanwalt ab: "Das ist die Auffassung der Sta, aber sie wissen sicherlich auch, dass die mit drei Richtern besetzte Beschwerdekammer des Landgerichts ... diesen Beschluss nicht beanstandet hat."
  • Wieder wiedersprach der Angeklagte: "Daraus kann man nicht ableiten, dass es von vorneherein klar ist, dass man selbst dadurch, dass man die Fragen dazu nicht mehr stellen darf, auch nicht eine andere Thematisierung geben kann."
  • Nun kam ein Satz aus dem Munde von Richter Oehm, der nicht nur deutlich machte, dass er eine recht eigenartige Rechtsauffassung vertrat, sondern diese politisch motiviert war: "Nein, ich werde Ihnen sicherlich keine Plattform für eine politische Kundgebung gegen die Gentechnik geben." Damit unterstellte er dem Angeklagten, was er nun selbst vollzog: Juristische Auslegung aus politischen Interessen. Irgendwelche Gesetzestexte, Urteile oder Kommentare zu Gesetzen konnte er für seine Auffassung, dass Fragen zur Gentechnik nicht gestellt werden dürften, nicht benennen. Die bis dato von den Angeklagten gestellten Fragen mit Bezug zur Gentechnik waren ausnahmslos auf den konkreten Versuch bezogen. Doch ein Richter, der wörtlich aussagt, die Frage, ob das Genfeld überhaupt wirksam genehmigt worden sei, sei nicht Gegenstand des Prozesses, stellt damit auch klar, dass es ihm selbst nicht um das Rechtliche, sondern um eine politische Verhandlungsführung geht - die er anderen gleichzeitig verwehrt.

Der große Streit blieb an diesem Abend noch aus. Aber er wirkte unvermeidlich. Ein Angeklagter formulierte einen Befangenheitsantrag zum Frageverbot. Das aber provozierte nur die nächste Seltsamkeit. In seiner Ablehnung des Befangenheitsantrags bezog sich Richter Oehm auf einen Text, in dem angekündigt wurde, das Verfahren politisch zu führen. Genau das wollte Oehm verhindern, obwohl es nicht verboten ist. Spannend war: Der Text, den Oehm zitierte, stammte aus einer Mail - die andere Seite las also auf der Gentechnikkritikliste aus Gießen (GENug) mit.

Im Original: Die zitierte Mail

Anlage zur Ablehnung des Befangenheitsantrag (Gerichtsakte, Bl. 78)

Berichte in Medien:

2. Verhandlungstag am Freitag, 29.8.2008 ab 8.30 Uhr
Dann der zweite Tag. Wegen des sich andeutenden Frageverbotes entschlossen sich die Angeklagten, eine weitere Presseinformation zu verschicken, in dem sie die Frage aufwarfen, "ob überhaupt Fragen zur Rechtmäßigkeit des Genversuchs zugelassen werden. Am vergangenen Prozesstag lehnte Richter Oehm das vollständig ab."

Im Original: Presseinformation vor dem 2. Verhandlungstag
Presseinformation vor dem zweiten Verhandlungstag (als PDF)
Runde 2: Prozess um Genfeldbefreiung vor Höhepunkt

Am Freitag, den 29.8., geht der Prozess um eine Attacke auf das Gießener Gengerstefeld in die zweite Runde. Pfingsten 2006 hatten vier „FeldbefreierInnen“, wie sie sich selbst nannten, ein teures Versuchsfeld der Universität Gießen erheblich beschädigt. Sie nutzten dabei eine peinliche Lücke in den bereits einige Tage vorher eingerichteten Sicherheitssystemen von Wachschutz und Polizei, wie der erste Verhandlungstag am Dienstag ergab. Fast konnte der Eindruck entstehen, die Polizei hätte bei der Zerstörung des Feldes gezielt helfen wollen – aufgrund etlicher Fehler erleichterte sie zumindest die Feldbefreiung.
Die entscheidenden Fragen aber stehen erst für den kommenden Prozesstag an, denn wegen verschiedener Verzögerungen durch lange ZeugInnenvernehmungen, den harten Polizeieinsatz vor dem Prozessbeginn und technische Pannen konnten bislang keine MitarbeiterInnen an dem Genversuch selbst vernommen werden. Das wird am Freitag anders, denn bereits für den Prozessbeginn um 8.30 Uhr ist der Leiter der Versuchsstation, Dr. Langen, geladen. Völlig unklar ist jedoch, ob überhaupt Fragen zur Rechtmäßigkeit des Genversuchs zugelassen werden. Am vergangenen Prozesstag lehnte Richter Oehm das vollständig ab. Eine juristische Begründung für sein weitreichendes Verbot von auf Gentechnik bezogenen Fragen an die ZeugInnen gab er nicht. Auf besonderen Protest der Angeklagten stieß seine Feststellung: „Ob dieser Gentechnikversuch wirksam genehmigt war, ob die Mitarbeiter geschult waren usw., spielt für die strafrechtliche Bewertung dieses konkreten Sachverhaltes nach derzeitiger Bewertung keine Rolle.“ Da er zudem jede Thematisierung unterband, konnte auch eine Kritik an dieser Position mit Begründungen zu Genversuchen und zur Rechtswidrigkeit des konkreten Gerstenfeldes nicht geäußert werden. Die Angeklagten kritisierten den Richter, dass seine Position völlig fremd sei in der bisherigen Rechtsprechung: "Es gibt keine Richterinnen und Richter mehr, die sagen, bei Prozessen dieser Art werden Dinge wie der § 34 überhaupt nicht beachtet. In allen anderen Prozessen wird das geprüft. ... Da sind Sie wirklich der Zeit hinterher." In der weiteren Debatte äußerte der Richter zudem, dass er den Angeklagten „keine Plattform für eine politische Kundgebung gegen die Gentechnik geben“ wolle. Die in diesem Satz liegende Unterstellung, dass es den Angeklagten nur um politische Aussagen ginge, führte zum ersten Befangenheitsantrag des Prozesses.
Der nun kommende zweite Prozesstag darf also mit Spannung erwartet werden. Dürfen die Angeklagten den MitarbeiterInnen am Gentechnikversuch unangenehme Fragen stellen? Darf ein Richter die Frage, ob eine beschädigte Sache überhaupt legal war, einfach aus dem Prozess verbannen? Was aber wird rauskommen, wenn er die Frage zulässt? Steht am späten Freitag fest, dass in Gießen illegal Gentechnik betrieben wurde?
Start des zweiten Prozesstages ist um 8.30 Uhr im Saal 100 des Amtsgerichtes Gießen. Verzögerungen zu Beginn aufgrund des massiven Polizeiaufgebotes und der umfangreichen Vorkontrollen sind zu erwarten.


Der Prozess bestätigte dann die schlimmsten Befürchtungen. Richter Oehm verbat alle Fragen zur Gentechnik. Die GenpfuscherInnen von der Uni Gießen und ihr gefährliches, rechtswidriges Treiben durfte nicht durchleuchtet werden.

Tagebucheintrag, 29.8.2008
Der Tag begann in etwas veränderter Zusammensetzung und gut vorbereitet auf eine intensive Auseinandersetzung, ob in einem Prozess um Gentechnikaktionen über Gentechnik geredet werden darf. Mit den Angeklagten saß ein Anwalt Döhmer auf der Anklagebank, der sich mit Infos der Angeklagten schnell ins Thema (u.a. Rechtfertigender Notstand) eingearbeitet hatte. Zunächst sah es auch so aus, dass sich die Kontrahenten aufeinander zu bewegten. Dem Richter wurden mehrere Urteile von FeldbefreierInnenprozessen (vor allem Akteneinsicht) und andere Fälle, in denen rechtsfertigender Notstand geprüft wurde, überreicht. Zudem wurden Texte verlesen und über Rechtsauslegungen diskutiert. Ein konkretes Ergebnis hatte das erst mal nicht, aber die Stimmung war eher ähnlich der des ersten Tages. Von Seiten des Richters wurde mehrfach betont, dass der Prozess auch für ihn ein interessantes juristisches Niveau hätte usw. Öffner der Debatte war der Befangenheitsantrag gegen den Richter wegen seines Satzes am Ende des ersten Prozesstages. Hierzu wurden Erklärungen abgegeben und immer wieder debattiert (was der Staatsanwältin irgendwann zu lange dauerte, aber Richter Oehm machte erstmal weiter). Bevor es dann zur Hauptsache ging, zelebrierte ein Angeklagter die Kunst der offensiven Prozessführung: Er stellte zwei Beweisanträge zum Zeitpunkt der Mahnwache am 2.6.2006 und zu den Aussagen des Staatsschützers KOK Schöller vom ersten Prozesstag und wies ihm dabei eine Falschaussage nach. Die Unterlagen übergab er auch gleich der Staatsanwaltschaft, um (wie er sagte) damit zu beweisen, dass diese Behörde zwar nun Kenntnis von einer Straftat eines Polizeibeamten habe, aber nichts tun werde – wie immer.
Dann kam Dr. Gregor Langen, der am Ort des Gengerstenfeldes arbeitet und für den Versuch der Beauftragte für die biologische Sicherheit war. Dass er sich mit Gerste überhaupt nicht auskannte, war etwas peinlich – aber das kam eher zufällig raus. Zunächst fragte Richter Oehm einiges, auch Kleinigkeiten zur Sicherheit des Versuches. Es entstand weiter der Eindruck, die am Ende des ersten Prozesstages verkündete Untersagung aller Fragen zum Thema Gentechnik könnte etwas aufgeweicht sein. Dann fragte die Staatsanwältin – nur wenig. Dann kam die Anklagebank. Zuerst Rechtsanwalt Döhmer. Er fragte Dr. Langen, was das konkret bedeutet, für Sicherheit zuständig zu sein. Dr. Langen wusste darauf wenig zu sagen. Am Beispiel des Vogelschutznetzes schilderte er dann, dass er zuständig sei, zu prüfen, ob das auch richtig hängt. Dann fragte Döhmer, ob Insekten durch das Vogelschutznetz fliegen konnten zu den Gerstenpflanzen. Und nun geschah das Unglaubliche: Richter Oehm untersagte diese Frage. Fassungslosigkeit auf der Anklagebank und bei ZuschauerInnen. Da wird überall über Bienen und Gentechnik debattiert - und hier, wo es um Gentechnik im Kern geht, sind selbst Fragen verboten, die völlig offensichtlich mit dem Genfeld zu tun haben, um das es geht. ...
hier die genauen Worte der Beteiligten (... kennzeichnen Wiederholungen, Versprecher u.ä.) D. (Rechtsanwalt Doehmer), Oehm (Richter) und L (Dr. Langen, Beteiligter am Genversuch).

  • D fragt, ob Wildschutz/Vogelschutznetz Aufgabe des Biosicherheitsbeauftragten L war. Dann im Wortprotokoll:
  • L: Ich war vor Ort, als dieser Zaun ... aufgestellt wurde ... ich habe sicherzustellen, dass der Zaun tatsächlich aufgestellt wird ...
  • D: Sie sagen, dass der Zaun zum Beispiel eine bestimmte Dichte haben muss, damit keine Vögel durchkommen.
  • L: Das waren aber Abstimmungen vom Regierungspräsidium ... die haben ja auch diesen Auflagenbescheid ... ein Mitarbeiter des Regierungspräsidiums war vor Ort und hat diese Maßnahmen gutgeheißen.
  • D: Die Vorstellung, dass die Dichte des Netzes mit Ihnen was zu tun hat ... ist richtig. Als Biosicherheitsbeamter.
  • L: Ja, auch.
  • D: Weil, Sie haben ja gesagt, wir müssen sicherstellen, dass da keine Vögel rein können ...
  • L: Nein, Idee dabei ist, Auflage war, dass nach der Aussaat das Vogelnetz errichtet wird ... und zum anderen sollte dieses Vogelnetz da sein, wenn die Ähren abreifen ...
  • D: Wenn ich das richtig sehe, ist das Vogelnetz ein Kontaminationsschutz.
  • L: Ein Ausbreitungsschutz.
  • D: Das Nächste ist jetzt für mich die Frage zu dem Bereich der Biosicherheit gehört zum Beispiel auch die Frage, inwieweit denn dieses Netz durchlässig war für Insekten.
  • Oehm: Diese Frage gehört nicht mehr zum Gegenstand der Anklage und nicht mehr in den Bereich der Frage, ob hier Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorliegen. Ob da Insekten durch das Netz fliegen können oder nicht, ist für die Fragestellung, die sich hier im strafprozessoralen Rahmen ergibt, unbedeutend.
Eine Zuschauerin schüttelte den Kopf. Richter Oehm war offenbar am Ende. Hinter dem juristisch souveränen Richter kam ein krass autoritärer Charakter zum Vorschein. Seine kinderfeindlichen Sprüche paarten sich mit einer merkwürdigen Neigung, nur Frauen anzugreifen – tatsächlich wurde kein einziger Mann aus dem Saal gewiesen, aber viele Frauen. Aber für einen autoritären Patriarchen in der Fratze des juristisch beschlagenen Halbgottes mit Anflügen von Gnade und Milde (beides Formen von Macht) sind diese charakterlichen Mischungen nicht selten. Jedenfalls: Er ließ die Person wegen Kopfschütteln aus dem Saal werfen und erteilte Hausverbot. Protest von der Angeklagtenbank, Anwalt Döhmer beantragte, den Vorgang formal zu Protokoll zu nehmen mit einer Begründung. Nach einigem Hin- und Her und massiven kinderfeindlichen Sprüchen (er behauptete ständig, das sei ja wie bei Kindern und die würde man dann auch auf die Straße schicken zum Spielen usw.) wollte er dann seinen Spruch zu Protokoll geben und begann zu diktieren, dass offenbar Leute den Saal füllten, die „keine Erziehung genossen haben“. Ein Zuschauer sprang empört auf und verließ unter Protest den Saal. Andere schlossen sich an. „Gut, dass Sie freiwillig gehen“, hörte mensch den Richter in seiner nun ungezügelt arrogant-autoritären Art weitermachen. Doch die Situation eskalierte weiter. Der Richter wies weitere Rauswürfe an, die überforderten Gerichtsdiener zerrten an Menschen, zogen eine Frau halbnackt aus, Stühle gerieten durcheinander. Immer wieder versuchte der Verteidiger den Richter irgendwie zu mäßigen, aber da ging nicht mehr viel. Die beiden Angeklagten saßen dagegen ruhig auf ihren Stühlen – genau wissend: Hier ist ein erfolgsverwöhnter Richter aus seiner Fassung gefallen und ein widerlicher Charakter wurde offenbar, den er sicherlich nicht zeigen wollte. Erstaunen löste aus, welche Nichtigkeiten den Ausbruch bewirkten. Auch die Staatsanwältin verlor schnell ihre ohnehin mehr gespielte Souveränität, stellte sich peinlich-unterwürfig hinter den Richter und unterstellte, dass die Eskalation „nicht zufällig“ stattgefunden hatte, sondern inszeniert war. Gründe dafür nannte sie nicht, später sagte sie einem nachfragenden Angeklagten sogar noch: „Ich habe es nicht nötig, mich mit Ihnen zu unterhalten“.
Es dauerte eine Weile, bis sich die Wogen gelegt hatten. Der Verteidiger kündigte eigene Beiträge zum Protokoll an, weil die Protokollierungen durch den Richter so nicht stehen bleiben könnten. Als er diese dann vortragen wollte, setzte er ihnen eine Einleitung vorweg, dass er solch einen Auftritt eines Richters nicht einmal bei seiner Tätigkeit als Verteidiger in Peking erlebt hätte. Auch ein Angeklagter verlas eine Erklärung ...
Danach wurde der Verteidiger gefragt, ob er weiter Fragen stellen wollte an den Versuchsbeteiligten Dr. Langen, der die ganze Zeit regungslos auf seinem Zeugenstuhl gesessen hatte. Er hatte Fragen und begann: „Können da Insekten durch das Netz fliegen?“ Richter Oehm reichte es. Er beendete die Verhandlung und lud zum nächsten Termin: Donnerstag, 4. September 2008.

Tonabschrift zur Frage nach dem Blütezeitpunkt an den Zeugen Dr. Langen:
Oehm: „Wann hätte die denn angefangen zu blühen?“
„Also die Aussaat ist ja relativ spät schon erfolgt, aber die Gerste holt das praktisch noch mal ein. Also normalerweise wäre die
Ernte halt, also abgereift ist eine Gerstenpflanze Ende Juni, Anfang Juli. Das ist normal die Erntezeit.“
Oehm: „Und die Blüte?“
„Auf jeden Fall noch lange nicht zu dem Zeitpunkt, wo halt diese Teilzerstörung stattgefunden hatte.“
Oehm: „Das ist ein dehnbarer Begriff.“
„Äh – also Sie meinen diese Zeit selber, bis die dann anfangen zu blühen. Also ich bin kein Landwirt. Aber ähhh, also ich denke, die hätten Ende Mai/Anfang Juni geblüht. Das ist ein bisschen schwierig, weil das für die Gerste nicht der typische Aussaatzeitpunkt war. Da waren wir ja schon relativ in der Vegetationsperiode.“
Oehm: „Und sie meinten: Blütezeit Ende Mai oder Anfang Juni. Jetzt sind wir aber am 2. Juni.“
„Ja, wie gesagt, dadurch dass wir spät ausgesät haben, ...“
Oehm: „Wenn Sie es nicht wissen, dann ...“
„Ja, ich sach ja, kann ich so schlecht abschätzen.“


Nach wenigen Stunden war der Prozess vorbei. Die Situation vom Ende des ersten Prozesstages hatte sich weiter zugespitzt. Wie es weitergehen würde, war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar. Niemand ahnte trotz der Zuspitzungen, dass Richter Oehm nach diesem zweiten Tag beschloss, kurzen Prozess zu machen - ohne die Angeklagten im Gerichtssaal! Das war umso erstaunlicher, als am Ende des ersten Prozesstages die Prozessbeteiligten noch einen Versuch starteten, Schärfe aus dem Verlauf zu nehmen.

Tonbandabschrift einer Aussage des Richters am Ende des zweiten Prozesstages:
Denn nach dem Vorfall, am Ende der Verhandlung am 29.8.2008, hat der Richter wörtlich gesagt:
Das Kompliment der Fairness des Gerichts und der Staatsanwaltschaft, dass der Herr Bergstedt geäußert hatte und auch in seinem Befangenheitsantrag sich widerspiegelt, kann ich genauso gut wiedergeben. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass hier auf irgendeine Art und Weise versucht würde, das Gericht anzugreifen oder sonst was zu machen.

Eigentlich hätte sogar die Staatsanwaltschaft eingreifen müssen, denn es ist auch ihre Aufgabe, durchzusetzen, dass Fragen gestellt werden können, die wichtig sind z.B. zur Strafbemessung, Absehen von Strafe usw.

Aus den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)
127: Pflichten des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung
(1) Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, dass das Gesetz beachtet wird. Er sorgt durch geeignete Anträge, Fragen oder Anregungen dafür, dass nicht nur die Tat in ihren Einzelheiten, sondern auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und alle Umstände erörtert werden, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, das Absehen von Strafe, die Nebenstrafe und Nebenfolgen oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, des Verfalls oder sonstiger Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) bedeutsam sein können. Nr. 4 c ist zu beachten.


Nur zwei kleine Details zur Sache Gentechnik waren bei der Vernehmung des eigentlich dafür wichtigen Zeugen Langen herausgekommen. Zum einen berichtete der Mitarbeiter Kogels, dass das wichtigste Forschungsziel, die Untersuchung der Auswirkungen auf Bodenpilze, trotz der Schäden erreicht worden sei. Das widersprach sehr glatt dem Eintrag im Internet zum Versuch:


Angebliche Versuchsergebnisse, dokumentiert auf www.biosicherheit.de am 15.6.2009

Die zweite Erkenntnis war, dass Langen für seinen Posten des Beauftragten für die biologische Sicherheit eine völlige Fehlbesetzung war. Auf die Frage des Richters, wann die Gerste blühen würde, musste er passen und entschuldigte sich damit, dass er ja kein Landwirt. Für Oehm war die Erkenntnis, dass der Sicherheitsbeauftragte nicht einmal wusste, wann die gv-Pollen fliegen würden, ein Anlass, weitere Fragen zu vermeiden und sie auch anderen zu verbieten.

3. Verhandlungstag am Donnerstag, 4.9.2008 ab 8.30 Uhr

Wer den versöhnlichen Abschluss des Richters am zweiten Verhandlungstag noch in Erinnerung hatte, stand am Anfang des dritten Tages fassungslos da. Denn von der ersten Sekunde an ließ Richter Oehm keinen Zweifel, an diesem Tag alles, am besten den ganzen Prozess abzuwürgen, um keine weiteren Peinlichkeiten rund um die Genversuchs-Institute der Uni ans Tageslicht zu befördern. Die ersten derben Ausraster legte der Richter bereits hin, als die Angeklagten noch gar nicht im Raum waren. Dabei hatte sich Oehm für seine harte Linie etwas Neues ausgedacht. Offenbar war es ihm zu anstrengend, ständig das Publikum zu beschimpfen und einzelne Personen aus dem Saal zu werfen. Denn die Strafprozessordnung verlangte, dass er jedesmal seine autoritären Ausfälle mit einem Beschluss formal absichern musste. Da dachte er sich für den dritten Verhandlungstag etwas Besonderes aus: Er entwarf einen Ankreuzbogen, auf dem er nur noch durchstreichen oder ankreuzen musste, was jeweils zutraf: "laute Zwischenrufe", "provozierende Gesten", "verächtliches Lachen" oder "demonstrativ abfälliges Kopfschütteln". Damit warf er gleich zu Beginn einige ZuschauerInnen aus dem Saal.

Im Original: Formblatt für Rauswürfe

Vorder- (oben) und Rückseite (unten) des Rauswurf-Formblattes - für eine Rausgeworfene ausgefüllt!


Das aber war noch harmlos. Kaum waren die Angeklagten erschienen, legte sich Oehm mit einem der Angeklagten an - und ließ das Geschehen gezielt eskalieren bis zum Rauswurf. Das heißt: Er entfernten einen Angeklagten aus dessen eigenen Prozess. Das ist nach der geltenden Strafprozessordnung (§ 231 b) gar nicht zulässig. Doch diesen passenden Paragraphen kannte Oehm wohl gar nicht, als er seinen Rauswurf durchzog. Erst später, beim Schreiben des Urteils, bemerkte er seinen Irrtum und versuchte, die fehlende Rechtsgrundlage nachträglich einzufügen - ein durchsichtiges Manöver.

Tagebucheintrag, 4.9.2008
Der Prozess war noch gar nicht losgegangen, da hatte er schon zwei Hausverbote gegen Zuhörende (wieder nur Frauen) verhängt. Dann attackierte er, ohne dass an diesem Tag noch irgendwas vorgefallen sei, einen der Angeklagten für dessen Kritik am Richter am vorhergehenden Verhandlungstag. Konkret wurde dessen Aufforderung an den Richter, keine weiteren kinderfeindlichen Sprüche abzulassen, kritisiert. Für den Fall weiterer Kritik am Richter drohte er dem Angeklagten mit Ausschluss von der Verhandlung. Sich selbst bezeichnete Richter Oehm als sachlich und ruhig. Das wiederum bezeichnete der betroffene Angeklagte angesichts der ständigen kinderfeindliche Ausfälle gegen das Publikum als Lüge. Woraufhin der Richter unterbrach und danach den Angeklagten aus dem Saal wies. Auch dessen Verteidiger ging, so dass nur noch ein Angeklagter im Raum verblieb. Dem wurde - wie ja schon in den Verhandlungstagen vorher - verboten, Fragen zum Genfeld zu stellen. Sein Antrag, die Rechtmäßigkeit des Feldes zu prüfen, wurde als nicht zum Verfahren gehörig ebenfalls abgewiesen.

Im Beschluss benannte der Richter als Auslöser für den Ablauf, der zum Rauswurf führte, dass "der Angeklagte ... den erkennenden Richter in der Hauptverhandlung vom 29.08.2008 angeschrien" hätte. Woher kommt diese Behauptung? Hatte der Richter nicht am Ende des zweiten Verhandlungstages, wo dieser Vorfall stattgefunden haben sollte, selbst gesagt, er hätte "nicht den Eindruck, dass hier auf irgendeine Art und Weise versucht würde, das Gericht anzugreifen oder sonst was zu machen"? Woher der plötzliche Gesinnungswandel? Hatte Oehm sich einfach etwas ausgedacht, um den Prozess zu sprengen?
In der Auseinandersetzung um das vermeintliche Anschreien bezeichnete Oehm den Moment noch etwas genauer, in dem das Anschreien stattgefunden haben soll. Dieser Moment war unmittelbar nach dem Verbot der Fragen zum Genversuchsfeld und den kritischen Reaktionen aus dem Publikum. Sowohl der Tonbandmitschnitt wie auch das Gerichtsprotokoll haben das Geschehen aufgezeichnet:

Im Original: Kritische Phase am 2. Verhandlungstag
Tonbandabschrift der vom Richter ausgewählten Stelle (2. Tag)
Döhmer: „Das nächste ist jetzt für mich die Frage zu dem Bereich der Biosicherheit gehört zum Beispiel auch die Frage, inwieweit denn dieses Netz durchlässig war für Insekten.“
Oehm: „Diese Frage gehört nicht mehr zum Gegenstand der Anklage und in Bereiche hinein, die mit der Frage, ob hier Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vorliegen, nichts ... (unverständlich). Ob da Insekten durch das Netz fliegen können oder nicht, ist für die Fragestellung, die sich hier im strafprozessoralen Rahmen ergibt, ohne Bedeutung.“
Döhmer: „Wir haben doch gerade erörtert, dass er Sicherheitsbeauftragter ist ...“
Oehm: „Es geht nicht darum, wie sicher das Netz war - nein!“
Döhmer: „Es spielt selbstverständlich eine Rolle, welche Gefahren von diesem Feld ausgingen.“
Oehm: „Nein“
Döhmer: „Dann müssen Sie die Frage bitte aufnehmen und als unzulässig zurückweisen.“
Oehm: „Bevor ich das mache, würde ich von Ihnen gerne wissen, ob Sie an den Zeugen noch Fragen außerhalb des gentechnischen ...“
Döhmer: „Weitere Fragen hab ich selbstverständlich.“
Oehm: „Fragen, die sich außerhalb des gentechnischen Bereiches ...“
Döhmer: „Ja, praktisch die Fragen in dem gleichen Bereich, wie Sie sie gestellt haben und wie die Staatsanwaltschaft sie gestellt hat.“
Oehm: „Wären Sie denn bereit, die Fragen zu benennen?“
Döhmer: „Ja, also als erstes hab ich die Frage, ...“
Oehm: „Ich meine nicht, was Sie noch fragen wollen, was mit Gentechnik zu tun hat, sondern was Sie noch fragen wollen, was nicht mit Gentechnik zu tun hat.“
Zuschauerin: „Was soll das sein, was nichts mit Gentechnik zu tun hat?“
Döhmer: „Das hätte ich auch gerne ...“
Oehm: „Der nächste, der redet da hinten und despektierlich den Kopf schüttelt, wird wegen Missachtung des Gerichtes unverzüglich aus dem Saal entfernt.“
Bergstedt: „Sie können unmöglich Kopfschütteln verbieten. Das geht nicht.“
Oehm: „Die letzte Warnung.“
Döhmer: „Kopfschütteln ist ...“
Oehm: „Meine Herrschaften, die Dame in den dunklen Haaren und dem grauen Oberteil verlässt bitte den Saal. Ja, die da ...“ Unruhe im Saal, Stuhlgeschiebe. Oehm: „... und Hausverbot für den Rest des Tages“. Weiter Unruhe.
Oehm (laut): „Wer von Ihnen möchte noch auf die Straße zum Spielen gehen oder können wir uns verhalten wie erwachsene Menschen“
Bergstedt: „Jetzt hören Sie mit Ihren ganzen kinderfeindlichen Scheiß endlich auf.“
Oehm: „Herr Bergstedt, bleiben wir doch auf der sachlichen Ebene.“
Bergstedt: „Nein, Sie sind nicht mehr sachlich.“
Angeklagter pn: „Sie sind auch nicht sachlich.“
Döhmer: „Wollen wir erst mal eine kurze Pause machen, vielleicht fünf Minuten.“
Oehm: „Nein, ich würde gerne von Ihnen wissen, Herr Döhmer, welche Fragen jenseits der Gentechnik ...“

Längere Zeit danach, am Ende des zweiten Verhandlungstages, sagt Oehm dann den schon zitierten Satz:
Das Kompliment der Fairness des Gerichts und der Staatsanwaltschaft, dass der Herr Bergstedt geäußert hatte und auch in seinem Befangenheitsantrag sich widerspiegelt, kann ich genauso gut wiedergeben. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass hier auf irgendeine Art und Weise versucht würde, das Gericht anzugreifen oder sonst was zu machen.

Der Protokollauszug beweist, dass die offizielle Protokollperson den Ablauf wenig aufrütteln befand. Ohne Hinweis auf Besonderheiten wie Anschreiben" schreibt sie zu der vom Richter ausgewählten Stelle (2. Tag)


Gerichtsprotokoll vom dritten Verhandlungstag am 4.9.2008 (S. 1 f.) zur Anfangssituation



Es war das Recht des Angeklagten, die Behauptung des Richters, er sei vom Angeklagten angeschrien worden, zurückzuweisen. Doch genau das nutzte der Richter nun, um den Vorgang zu eskalieren und zum Ziel des Rauswurfes zu kommen. Sein Rauswurfbeschluss weiter: "Gleichwohl hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 04.09.2008 erneut eine Ungebühr begangen. Er hat das Verhalten des Vorsitzenden sogleich als unverschämt bezeichnet. Auch diese Ungebühr hat die Ordnung der Hauptverhandlung gestört. Der erkennende Richter hat den Angeklagten deshalb erneut ermahnt und ihm gleichzeitig angedroht, ihn im Falle erneuter Ungebühr aus dem Sitzungszimmer zu entfernen. Dessen ungeachtet hat der Angeklagte sogleich wiederum eine Ungebühr begangen, welche die Ordnung der Hauptverhandlung gestört hat. Er rief, die Ausführungen des Vorsitzenden seien schlichtweg gelogen."

Das Gesamte glich einer Inszenierung. Der Ausgangspunkt eines vermeintlichen Anschreiens am davorliegenden Verhandlungstag war frei erfunden, was dem Richter am Ende dieses Tages ja auch noch selbst klar war, als er sagte, er habe "nicht den Eindruck, dass hier auf irgendeine Art und Weise versucht würde, das Gericht anzugreifen". Auch die weiteren Auseinandersetzungen waren keine Ungebühr, erst recht war nicht zu befürchten, "daß die Anwesenheit des Angeklagten den Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde" wie es nach § 231b der StPO einzig als Begründung in Frage kommt, ohne den Angeklagten zu verhandeln. Denn nichts dieser Art war bisher vorgefallen und auch im Beschluss des Richters findet sich kein Hinweis auf eine schwerwiegende und dauerhafte Störung.

StPO § 231b
Wird der Angeklagte wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt oder zur Haft abgeführt (§ 177 des Gerichtsverfassungsgesetzes), so kann in seiner Abwesenheit verhandelt werden, wenn das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für unerläßlich hält und solange zu befürchten ist, daß die Anwesenheit des Angeklagten den Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde. Dem Angeklagten ist in jedem Fall Gelegenheit zu geben, sich zur Anklage zu äußern.

Dennoch beschloss Richter Oehm den Rauswurf. Dass Oehm erst nach dem zweiten Verhandlungstag diese Entscheidung traf, ließ sich nicht nur aus dem bereits zitierten Lob für Verteidiger und Angeklagte am Ende des zweiten Tages ableiten, sondern auch aus anderen Beschlüssen. So konnten zwei Polizeibeamte am ersten Tag wegen Urlaub bzw. Krankheit nicht erscheinen. Ihre Vernehmung wurde eigentlich nur verschoben, fand aber nach der Säuberung des Gerichtssaales von kritischen Prozessbeteiligten gar nicht mehr statt. Erst recht gilt das für den den Hauptzeugen, Versuchsleiter Prof. Kogel. Der wurde wegen eines angeblichem Auslandsaufenthalt nicht wie geplant am ersten Verhandlungstag vernommen. Etliche Fragen, z.B. zur Schadenshöhe, konnten von anderen ZeugInnen nicht geklärt werden. Immer wieder verwiesen sie darauf, dass sie das von Prof. Kogel erfahren hätten. Dennoch: Seine Vernehmung fand nicht mehr statt - wahrscheinlich einer der Gründe des ganzen Manövers. Die ForscherInnen der Uni Gießen mit ihren dubiosen Versuchen und Fördermittelumgangsformen sollten geschützt werden. Außerde kündigte Richter Oehm am Ende des zweiten Verhandlungstages gegenüber dem Verteidiger eine Erklärung an, wie er zur Frage des § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) stehe. Die Erklärung erfolgte ebenfalls nie mehr.

Der Angeklagte wehrte sich gegen seinen Rauswurf mit einer Erklärung, in der er dem Vorwurf der Ungebühr widersprach. Stattdessen unterstellte er dem Richter, den Rauswurf zu inszenieren: "Der Richter hat sechs Tage gebraucht, um sich diesen Vorwurf zu überlegen." Als naheliegenden Grund kritisierte er: "Es spricht alles dafür, dass hier ein abgekartetes Spiel gefahren wird. Die Universität Gießen hält ihren Strafantrag aufrecht und wird als Gegenleistung vom Richter davor beschützt, unangenehme Fragen gestellt zu bekommen. Wenn nun der Ausschluss derer aus dem Saal vollzogen werden soll, die fraglos - und das weiß auch der Richter - in der Lage sind, die üblen Machenschaften der Uni-Gentechniker zu entlarven, dann dient das genau dem: Es soll vertuscht, verschwiegen und damit natürlich auch Recht gebeugt werden." Auch der Verteidiger des Angeklagten äußerte sich und warf dem Richter vor, "sich mehrfach despektierlich gegenüber der zahlreich vertretenen Öffentlichkeit" geäußert zu haben.

Im Original: Dokumente zum Rauswurf
Gerichtsbeschluss
Der Angeklagte Jörg Bergstedt wird wegen ordnungswidrigen Benehmens bis auf weiteres aus dem Sitzungszimmer entfernt.

Gründe:
Die Entfernung des Angeklagten Bergstedt aus dem Sitzungszimmer beruht auf § 177 GVG.
Der Angeklagte hat den erkennenden Richter in der Hauptverhandlung vom 29.08.2008 angeschrien. Das war eine ungebührliche Handlung, welche die Ordnung der Hauptverhandlung gestört hat. Der erkennende Richter hat den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 04.09.2008 deshalb ermahnt, solches und andere Ungebühr, die geeignet ist, die Ordnung der Hauptverhandlung zu stören, künftig zu unterlassen.
Gleichwohl hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 04.09.2008 erneut eine Ungebühr begangen. Er hat das Verhalten des Vorsitzenden sogleich als unverschämt bezeichnet. Auch diese Ungebühr hat die Ordnung der Hauptverhandlung gestört. Der erkennende Richter hat den Angeklagten deshalb erneut ermahnt und ihm gleichzeitig angedroht, ihn im Falle erneuter Ungebühr aus dem Sitzungszimmer zu entfernen. Dessen ungeachtet hat der Angeklagte sogleich wiederum eine Ungebühr begangen, welche die Ordnung der Hauptverhandlung gestört hat. Er rief, die Ausführungen des Vorsitzenden seien schlichtweg gelogen. Bei seiner Anhörung zu einer möglichen Entfernung aus dem Sitzungszimmer hat er sogar noch den Vorwurf der Rechtsbeugung erhoben.
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung der Hauptverhandlung ist es deshalb nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nunmehr erforderlich, den Angeklagten aus dem Sitzungszimmer zu entfernen, um weitere von ihm ausgehende Störungen zu unterbinden.
Mildere Maßnahmen kommen auch angesichts der Bedeutung dieser Anordnung für den Angeklagten und seine Verteidigung gegen die Anklage nicht in Betracht. Der Angeklagte ist ersichtlich weder mit weiteren Ermahnungen noch durch die Verhängung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft zur Einhaltung der Ordnung der Hauptverhandlung zu bewegen.
Einer zusätzlichen Verhängung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft gemäß § 178 GVG bedarf es nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts angesichts der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer nicht mehr.

Erklärung des Angeklagten zum drohenden Rauswurf (Auszüge)
Der Richter Oehm hat am heutigen Tag in meine Richtung eine Drohung ausgesprochen, in der er Ordnungsmaßnahmen bis zum Ausschluss von der Verhandlung angedroht hat. Als Begründung stellte er die Behauptung auf, dass ich mich in dem vorangegangenen Hauptverhandlungstermin ungebührlich verhalten hätte. Damit gemeint war ein Satz von mir, der lautete: "Hören Sie auf mit ihren kinderfeindlichen Sprüchen". Dieser Satz stellt keine Ungebühr dar, weil er schlicht Tatsachen beschreibt. Es ist keine Ungebühr, ein unglaubliches Verhalten eines Richters zu rügen. ...
Ich widerspreche, dass ich ungebührliches Verhalten gezeigt habe. Der Richter hat sechs Tage gebraucht, um sich diesen Vorwurf zu überlegen.
Wir haben hier bereits einen sogenannten Beauftragten für Biologische Sicherheit erlebt für einen Gengerstenversuch, der in der Vernehmung ausgesagt hat, dass er von Gerste keine Ahnung hat. Wir haben einen Staatsschützer erlebt, der in der Verhandlung in einem wichtigen Punkt gelogen hat.
All das bleibt sanktionslos. Aber völlig ohne jegliches Augenmaß werden selbst Körperbewegungen abgestraft, nur weil der Richter in einer gottähnlichen Position verharren will, in dem er Kritik als eine Art Richterlästerung hart bestraft.
Es spricht alles dafür, dass hier ein abgekartetes Spiel gefahren wird. Die Universität Gießen hält ihren Strafantrag aufrecht und wird als Gegenleistung vom Richter davor beschützt, unangenehme Fragen gestellt zu bekommen. Wenn nun der Ausschluss derer aus dem Saal vollzogen werden soll, die fraglos - und das weiß auch der Richter - in der Lage sind, die üblen Machenschaften der Uni-Gentechniker zu entlarven, dann dient das genau dem: Es soll vertuscht, verschwiegen und damit natürlich auch Recht gebeugt werden.
Ich habe selbst zu Feldbefreiungen bereits einmal geschrieben:
Gentechnik ist eine Technologie, die aus dem Interesse an Profit und Kontrolle heraus vorangetrieben wird. Geforscht wird an Kombinationsmöglichkeiten mit profitablen Spritzmitteln oder am sog. Terminator-Gen, das verhindert, dass LandwirtInnen das Saatgut selbst weitervermehren können. Solche Techniken dienen nicht den Menschen, sondern Konzerninteressen. Es gibt keinen Grund, die „Biosicherheit“ solcher Genmanipulationen zu erforschen, weil die ganze Technologie bei solchem Vorzeichen dem Leben und den Menschen nicht hilft. Doch obwohl das so ist, wird sie mit den Mitteln des autoritären Staats durchgesetzt: Sofortvollzug und Polizeibewachung. Wo aber das Leben und die Selbstbestimmung der Menschen unter die Interessen von Profit und Macht gestellt werden, da ist es wichtig, aufzustehen und „Nein“ zu sagen! Und nicht nur das: Auch das „Nein!“ zu einer Praxis des Lebens zu machen – einem Leben jenseits von Anpassung, Ducken und Gleichgültigkeit. Meinen Kopf und meine Hände habt Ihr noch nicht unter Kontrolle – Ihr könnt ihn nur einsperren!
Heute würde ich den letzten Satz verändern: Meinen Kopf und meine Hände habt Ihr noch nicht unter Kontrolle – Ihr könnt ihn nur aussperren!

Presseerklärung des Verteidigers, der nach dem Rauswurf seines Mandanten unter Protest den Gerichtssaal verließ:
Seit dem 26.08.2008 findet vor dem Amtsgericht in Gießen ein Strafprozess gegen zwei Genfeldbefreier statt. Sie sollen laut Anklage am 02.06.2006 in Gießen ein gentechnisches Versuchsfeld der JLU Gießen erheblich beschädigt haben.
Am 29.08.2008 und 04.09.2008 fanden zwei weitere Hauptverhandlungstage statt. Die Verhandlung wird durch Herrn Vizepräsidenten des Amtsgerichts Gießen Dr. Oehm als Strafrichter geleitet.
In der Verhandlung vom 29.08.2008 äußerte er sich mehrfach despektierlich gegenüber der zahlreich vertretenen Öffentlichkeit. Einzelne Zuschauer bezeichnete er als „Kinder“, die sich nicht benehmen könnten. Anderen Zuschauern hielt er vor, „keine Erziehung“ genossen zu haben. Eine Zuschauerin, die angesichts des weiteren Verhandlungsverlaufs den Kopf schüttelte, lies er wegen ungebührlichen Verhaltens schließlich gewaltsam aus dem Gerichtssaal entfernen. Diese Zuschauerin wurde dabei teilweise entkleidet und beschwerte sich über sexistische Übergriffe, worauf sie lautstark aufmerksam machte.
Am 04.09.2008 erschien eine Zuschauerin, die ein weißes Tuch vor dem Mund trug. Zu dieser Zeit waren die beiden Angeklagten wegen intensiver Einlasskontrollen noch nicht anwesend. Herr Dr. Oehm fuhr die Zuschauerin sofort an, sie solle die „Vermummung“ entfernen. Die Zuschauerin nahm daraufhin nach kurzem Zögern das Tuch herunter und sagte sachlich und ruhig, dass sie dieses trage, weil Herr Dr. Oehm ihr in der letzten Sitzung verboten habe, sich zu äußern. Daraufhin schloss Herr Dr. Oehm auch diese Zuschauerin von der Verhandlung, die noch gar nicht begonnen hatte, aus.
Der Angeklagte gab Widerrede. Er wurde inzwischen ebenfalls von der weiteren Verhandlung ausgeschlossen. Die Verteidigung erklärte schriftlich, dass sie die weitere Verhandlung ohne einen der beiden Angeklagten und die ausgeschlossenen Zuschauer durch ihre Anwesenheit nicht legitimieren wolle. Sie verließ den Gerichtsort.
Im Beschluss vom 03.09.2008 führt Dr. Ohm zu den Verfahrenstatsachen folgendes aus:
„... Der Ausschluss von der weiteren Fortdauer der Hauptverhandlung beruht auf $ 177 GVG. Die Zuschauerin O. hat bereits im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren Zuschauern die Hauptverhandlung vom 26.08.2008 durch provozierende Gesten (demonstratives Zuhalten des Mundes) und vom 29.08.2008 durch verächtliches Lachen und demonstrativ abfälliges Kopfschütteln gestört. Jeweils vorangegangene Ermahnungen wegen ähnlicher Störungen waren fruchtlos geblieben. Deshalb musste sie jeweils des Verhandlungssaales venmiesen werden und, weil sie diesen Verweisen nicht freiwillig Folge leistete, durch die Anwendung unmittelbaren Zwanges aus dem Sitzungssaal entfernt werden. Am 29.08.2008 leistete sie, unterstützt von einer weiteren zuschauenden Person, so erheblichen Widerstand, dass es der Mitwirkung mehrerer Wachtmeister über mehrere Minuten hinweg bedurfte, um die Anordnung durchzusetzen. Dieses Verhalten der Zuschauerin O., gerade auch die Steigerung ihres jeweils geleisteten Widerstandes und die dadurch begründete Gefahr von Verletzungen der eingesetzten Wachtmeister, rechtfertigt die Erwartung, dass sie auch bei neuerlichem Einlass zur Hauptverhandlung deren Gang wiederum erheblich stören wird und erneut zwangsweise aus dem Saal entfernt werden muss. Deshalb ist sie von der Fortdauer der Hauptverhandlung auszuschließen, um die Ordnung in der Hauptverhandlung sicherzustellen. ...“ (Es folgt die rechtliche Begründung)
Der im Beschluss festgestellte Sachverhalt ist im höchsten Maße „strittig“. Viele Zuschauer haben Mitschriften des Geschehens gefertigt, die eindeutig im Widerspruch zu den tatsächlichen Ausführungen im Beschluss vom 03.09.2008 stehen. Ein Beispiel:
„Während der Hauptverhandlung kam es zu einer Diskussion zwischen der Verteidigung und dem Gericht. Es ging um die Frage, inwiefern gentechnische Fragestellungen an den Zeugen Herrn Langer (Sicherheitsbeauftragter des Genfeldes, Biologe an der JLU Gießen) zulässig seien. Daraufhin äußerte sich eine Zuschauerin mit Kopf schütteln. Der vorsitzende Richter, Herr Dr. Oehm, verwies die Zuschauerin des Saales, da sie durch ihr unmanierliches Verhalten die Verhandlung stören würde. Die Zuschauerin weigerte sich den Raum zu verlassen und wurde daraufhin gewaltsam des Saales verwiesen. Der Verteidiger rügte anschließend den Ausschluss der Öffentlichkeit, da ein Kopfschütteln noch keinen hinreichenden Grund für einen Ausschluss darstelle. Danach kommentierte der Richter, dass es ihm erlaubt sei Personen aus dem Sitzungssaal zu entfernen, die seinen Anweisungen keine Folge leisten. Herr Dr. Oehm äußerte dann noch an die Zuschauer gewandt, dass er sich dies unmanierliche Verhalten von Personen, die keine Erziehung genossen hätten, nicht gefallen lassen muss. Nach diesem Ausspruch verließen mehrere Zuschauer freiwillig den Saal, wobei mehrere ihre Empörung über diesen Ausspruch äußerten. Eine weitere Zuschauerin wurde daraufhin angewiesen den Saal zu verlassen. Die Zuschauerin weigerte sich den Saal zu verlassen, wobei sie sich mit den neben ihr sitzenden Zuschauern einhakte um nicht gewaltsam aus dem Saal entfernt werden zu können. Durch diesen Widerstand dauerte es mehrere Minuten und bedarf mehrerer Justizbeamten bis die Zuschauerin aus dem Saal gebracht werden konnte.“
Dieses Protokoll stammt von einer am 29.08.2008 im Sitzungssaal anwesenden und juristisch vorgebildeten Zuschauerin. Der Name dieser Zuschauerin ist der Verteidigung bekannt.
Die Verteidigung protestiert mit dieser Presseerklärung gegen die Verhandlungsführung des Herrn Dr. Oehm. Sachliche Gründe für ein solches Vorgehen gab es nicht. Die Maßnahmen haben eine Einschüchterung der Öffentlichkeit, deren Aufgabe es ist, die Justiz zu kontrollieren, zur Folge. Eine gesetzliche Grundlage für die eskalierende Verhandlungsführung des Gerichts ist nicht zu erkennen.
Tronje Döhmer, RA Gießen

All das fand im rechtsfreien Raum stattfand. Rauswurf und Weiterverhandlung ohne Angeklagte ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen möglich. Die Prüfung dieser Voraussetzungen hatte Richter auch gar nicht vorgenommen. Offenbar kannte er den § 231b der StPO gar nicht, nach der sein Handeln nicht zulässig war. Gleichgültig zog er den Prozess vor leerer Anklagebank durch, während die arrogante Staatsanwältin die umfangreichen Rechtsbrüche auch noch erleichtert kommentierte: "So, jetzt können wir den Prozess endlich so führen, wie es sich gehört."
Der Verteidiger des rausgeworfenen Angeklagten begründete seinen eigenes Verlassen in einer Presseerklärung: "Die Verteidigung erklärte schriftlich, dass sie die weitere Verhandlung ohne einen der beiden Angeklagten und die ausgeschlossenen Zuschauer durch ihre Anwesenheit nicht legitimieren wolle. Sie verließ den Gerichtsort." :



Nun war aus drei Personen auf der Angeklagtenbank nur noch eine geworden. Dieser verbliebene Angeklagte versuchte zunächst, weiterzumachen und dem einzigen noch geladenen Zeugen Dr. Langen Fragen zu stellen, aber sie wurden verboten. Er war zwar körperlich anwesend, aber eine Chance hatte er nicht. Er stellte einen Antrag zur Gefährdung von Bienen durch das Genversuchsfeld. Vergebens - abgelehnt als nicht zur Sache gehörend. Zwar körperlich anwesend, aber handlungsunfähig gemacht durch das Gericht, verließ auch er schließlich den Gerichtssaal.
So ging es dann ohne Angeklagte und Verteidiger weiter - und zwar schnell. Die einzig noch verhandelte Beweisaufnahme diente nur dazu, die peinliche Falschaussage des Staatsschutzbeamten Schöller auszubügeln. Dafür wurde er nochmals geladen und von Richter und Staatsanwältin angewiesen, das er sagen sollte, er hätte die Frage missverstanden, damit er aus seinem Falschaussageverfahren wieder herauskommen konnte.

Tagebucheintrag, 4.9.2008
Als es nach der Mittagspause und der erzwungenen Nicht-Verhandlung in die Plädoyers ging, hatte auch der zweite Angeklagte die sinnlose Anwesenheit in einem Maulkorbprozess beendet, und nun konnten Richter und Staatsanwältin allein ihre Pseudoverhandlung durchziehen. Die Staatsanwältin Sehlbach-Schellenberg war sich nicht zu dumm, selbst die ungewaschenen Socken eines der Angeklagten als Indiz zu nutzen, schließlich eine schlechte Sozialprognose zu machen und 6 Monate Haft ohne Bewährung zu fordern.
Richter Oehm überraschte dann nicht darin, dass er dieses Strafmaß 1:1 übernahm für beide Angeklagten, sondern er baute in seine Begründung unverschämt einfach Sachen ein, die im Prozess nie vorkommen und die er als Thema sogar verboten hatte. So verkündete er, dass für den Versuch Forschungsfreiheit galt (darüber durfte vorher aber nicht geredet werden) und dass er ja der guten Sicherheitsforschung diente (was die Angeklagten genau bezweifelten, aber keine Fragen dazu an die Versuchsdurchführenden stellen durften). Ansonsten befand er, dass einer der Angeklagten der Rädelsführer und deshalb hart zu bestrafen sei (darüber wurde auch kein einziges Mal im Prozess gesprochen) und der andere nur ein verblendeter Mitläufer, der aber wegen vieler Vorstrafen auch hart anzufassen sei.



Das Urteil war wie der Prozess. Hart, ideologisch und ohne Nähe zum geltenten Recht.

Angesichts dessen, dass es für beide Angeklagten die erste Haftstrafe ist, interessiert auch das: Haftstrafen ohne Bewährung werden immer seltener ... Artikel in der Süddeutschen Zeitung am 12.3.2009

Den Anfang der Begründung im Urteil bildeten Ausführungen zum Feld. Sie zeigten die Folgen, wenn ein Richter Fragen und Beweiserhebungen zum Gegenstand des Prozesses weitgehend verbietet. Mangels Information sind nur wenige Sätze zu finden - und von dem Wenigen einiges falsch:

Im Original: Falsche Feststellungen
Aus dem Urteil vom 4.9.2008 (S. 13)

Nein: Es waren nicht 120 Pflanzen pro Quadratmeter, sondern 300-320 Pflanzen pro 0,8qm!


Nein: Das Vögel und andere größere Tiere abgehalten werden sollten, ist inzwischen widerlegt. Gesprochen wurde im Prozess auch nur über Vögel. Die größeren Tiere hat sich Richter Oehm ausgedacht oder aus anderer Quelle beschafft. Allerdings ist die Information auch falsch. Die Akten zum Versuch bei der Überwachungsbehörde und bei der Universität selbst weisen aus, dass ein Mäuseschutz nicht existierte.


Stimmt nicht. Aber das zu überprüfen, war von Richter Oehm untersagt worden. Es war u.a. Ziel der Fragen und Anträge von Verteidigung und Angeklagten. Aus den Akten zum Versuch bei der Überwachungsbehörde aber ist bekannt, dass z.B. ein Mäuseschutz nicht existierte. Der aber war vorgeschrieben. Damit entsprach der Versuch nicht den im Genehmigungsbescheid erteilten Sicherheitsauflagen.

Nach weiteren Ausführungen zum Beispiel über bisherige Strafen der Angeklagten begann dann die Achterbahnfahrt des Urteils. Richter Oehm füllte die durch seine Frageverbote, Antragsablehnungen und den Ausschluss eines Angeklagten entstandenen Lücken mit freier Phantasie, Vorurteilen und nachträglichen Konstrukten.

Erster Punkt: Die Rolle der Tatverdächtigen bei der Aktion. Darüber ist im gesamten Prozessverlauf nicht gesprochen worden. Es wäre für das Gericht ein Leichtes gewesen, die weiteren Tatverdächtigten als ZeugInnen zu laden, da deren Verfahren schon endgültig eingestellt waren. Das Gericht verzichtete aber auf eine Sachaufklärung über die Aussagen - und traf trotzdem ideologisch motivierte, frei erfundene Feststellungen im Urteil. Dort wurde nun behauptet, dass die Tat im Umfeld der Projektwerkstatt geplant worden und der Angeklagte Bergstedt die Triebfeder der Aktion gewesen sei. Gestützt wurde das im Urteil ausgerechnet auf Aussagen des Staatsschützers, der im Prozess mit einer glatten Falschaussage auffiel - im Urteil aber dennoch als Quelle die von den Polizeizeugen am häufigsten genannte war.
Über Vorbereitungsaktivitäten und die Aktionsplanung wurde im Verfahren ebenfalls mit keinem Wort gesprochen. Der Fernsehbeitrag des HR, der im Verlauf des ersten Verhandlungstages angeschaut wurde, gab dazu keine Informationen. Richter Oehm zeigte Urteilsphantasie. Offenbar aus höherer Eingebung wusste er, dass Idee und Organisierung aus dem "Umfeld der Projektwerkstatt" kam und die Aktion gut vorbereitet war. Ja, er fand sogar heraus, dass solche Aktionen auch zukünftig stattfinden sollten. Das mag zwar sein - aber im Prozess wurde darüber nicht gesprochen.
Weiter ging es mit dem Motiven der Angeklagten. Auch darüber durfte in der Verhandlung nicht gesprochen werden, weil diese ja im Zusammenhang mit der Gentechnik standen - und die war als Thema untersagt. Trotzdem machte Richter Oehm Aussagen über Motive und Aktivitäten der Angeklagten, u.a. auch darüber, dass diese auch heute noch in dem Themenbereich arbeiten. Woher Oehm diese Informationen bezog, blieb auch hier unklar. Im späteren Urteilstext wertet er diesbezüglich die Fernsehbeiträge des HR aus dem Jahr 2006 aus, dabei war dort aber nur einer der Angeklagten und auch nur sehr kurz interviewt worden. Krampfhaft versuchte Oehm auch hier, die selbstproduzierte Lücke zu füllen. Denn ihm ist klar: Er hätte das klären müssen, wollte aber alle Fragen verbieten.

Im Original: Frei erfundene Feststellungen
Gerichtsprotokoll vom 26.8.2008 (S. 7)


Urteil vom 4.9.2008, S. 13 (oben), S. 24 (darunter) und zweimal auf S. 37 (unten)



Im Gerichtsprotokoll sind keinerlei diesbezügliche Aussagen der Polizei protokolliert. Der erwähnte KOK Birkenstock verweigerte sogar explizit jede Aussage zu Überlegungen im Vorfeld.

Zu Motiven

Urteil vom 4.9.2008, S. 14 (oben) und S. 25 (unten)


Urteil vom 4.9.2008 (S. 26)


Urteil vom 4.9.2008, S. 13/14 (oben) und S. 35 (unten)




Der dritte Punkt dreht sich um die Schadenshöhe. Oehm stellte die Schadenshöhe mit 20.000 € fest (siehe rechts: Urteil vom 4.9.2008, S. 17). Aber: Woher hatte er diese Zahl? Vom Hörensagen! Der Zeuge, der die Zahlen hätte angeben können, wurde nicht geladen, um ihn zu schützen: Prof. Kogel, der Versuchsleiter.
Bei der Schadenshöhe konnte sich Richter Oehm nur auf die Aussagen der ZeugInnen berufen, die auch in der Verhandlung waren. Alle aber kannten, da sie selbst nicht am Versuch beteiligt waren, die Schadenshöhe nur vom Hörensagen und bezogen sich als Quelle auf Versuchsleiter Prof. Kogel. Der aber sollte ja nicht geladen werden. Daher verletzte Richter Oehm hier die Regel der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit, d.h. er verzichtete ohne Not auf die Sachaufklärung und stützte sich auf Aussagen vom Hörensagen (Verstoß gegen § 250 StPO). Zudem waren die Summen, die den ZeugInnen von Prof. Kogel übermittelt wurden, sehr unterschiedlich. So sagten zwei PolizeibeamtInnen aus, dass ihnen die Summe 500.000 Euro benannt wurde, während die Uni-ZeugInnen von 55.000 Euro sprachen. Eine Sachaufklärung fand nie statt, weil der Zeuge, von dem diese Aussagen stammten, nicht geladen wurde.

Aus der Vernehmung von Susanne Kraus (Abschrift des Tonbandmitschnittes):

Kraus: "... wir haben versucht, das ein Stück weit herzuleiten. Die 352000 Euro sind ja über vier Jahre dann auch angelegt. Und es gibt wohl in jedem Jahr zwei Fragestellungen wissenschaftlicher Art zu untersuchen und die eine Fragestellung, die kann jetzt aufgrund der Zerstörungen nicht mehr weiter verfolgt werden. Aber da kann ich Ihnen im Detail nichts zu sagen.“
Oehm: „Wurden Ihnen diese Zahlen zugeliefert oder haben Sie diese Zahlen selber errechnet.“
Kraus: „Die hat man mir zugeliefert. Ich habe mit Herrn Kogel telefoniert.“
Oehm: „Das wäre meine nächste Frage. Wie ist denn der Herr Kogel ... er soll, so hat es ein Polizeibeamter ausgesagt, etwas von 400000 bis 500000 Euro Schaden gesagt haben gegenüber der Polizei.“
Kraus: „Da kann ich nichts zu sagen. ..."


Staatsanwältin (zur Formulierung, die Schadenssumme sei großzügig geschätzt): „Großzügig ... ich würde zunächst mal unter großzügig verstehen, es ist eine nach oben vorgenommene Schätzung. Ist dem so?“
Kraus: „Ja also möglicherweise stellt es die Obergrenze dar, diese 20000.“
Staatsanwältin: „Okay. Dann muss ich noch mal fragen ... die Untergrenze?“
Kraus: „Die haben wir nie besprochen. Da kann ich nichts zu sagen.“
Staatsanwältin: „Wer hat Ihnen von den Wissenschaftlern bei der Ermittlung der Schadenssumme geholfen?“
Kraus: „Das ist Herr Prof. Kogel, der Versuchsleiter.“
Staatsanwältin: „Also in diesem Zusammenhang.“
Kraus: „Ja, wir haben telefoniert darüber. Wir hatten ja keine Rechnungen, das hat ja das Ganze erschwert.“


Ganz ähnlich wurde die Vernehmung von Kraus im Gerichtsprotokoll wiedergegeben. Außerdem räumte sie ein, dass gar keine Förderungen gestrichen wurden, also kein finanzieller Schaden entstand.

Richter Oehm sah, dass die Vernehmung der Abteilungsleiterin für die Buchhaltung nicht reichen würde. Kraus hatte ganz klar Kogel als Quelle benannt. Das bastelte Oehm zurecht: Im Urteil erfand er, dass die Zeugin Kraus sich bei ihren Zahlen auf den Zeugen Dr. Langen statt auf Kogel berufen hätte. Das war dreist erfunden, den selbst nach dem offiziellen Gerichtsprotokoll sagte Langen: "Lt. Aussage Prof. Kogel belief sich der Schaden auf 55.000 €" - Langen wusste es also nur vom Hörensagen. Aber auch als Lüge hätte der Trick von Oehm nicht ausgereicht, denn auch Langen berief sich auf Kogel - und nach § 250 StPO muss eine Person dann, wenn es möglich ist, auch direkt vernommen werden. Die Ladung von Kogel war jederzeit möglich, aber nicht gewollt.

Im Original: Schadenshöhen-Spekulationen
Gerichtsprotokoll vom 26.8.2008 (S. 18 f.) zur Befragung der Zeugin Kraus:



Aus der Vernehmung von Dr. Langen (Wortprotokollierung):
Dr. Langen: "... Aber es geht ja um Schäden, sprich um die zusätzlichen Analysen und Arbeitszeiten, die entstanden sind.“
Oehm: „Kann man das irgendwie quantifizieren?“
Langen: „Man kann die Rechnungen natürlich raussuchen, was an zusätzlichen Arbeiten notwendig geworden ist. Aber wie gesagt, ich selber bin ja nicht mit der Durchführung der Versuche betraut.“

Urteil vom 4.9.2008 (S. 22 f.)



Gerichtsprotokoll vom 29.8.2008, S. 4 und 5 (Bl. 72 und 73 der Gerichtsakte)



Völlig ohne Bezug zur Beweisaufnahme behauptete Richter Oehm im Urteil, dass zwei Masterarbeiten nicht fertig gestellt werden konnten. Die entsprechende Information stammte auch hier nur vom Hörensagen des Zeugen Dr. Langen. Die Protokollierung der entsprechenden Vernehmung:

Oehm: „Waren denn schon Masterarbeiten begonnen worden?“
Dr. Langen: „Wie gesagt, die Studenten waren schon – die waren noch nicht angemeldet worden bei der Universität als Thema, aber die Studenten hatten schon auf dem Versuchsfeld gearbeitet, ja.“
Oehm: „Brachte das denn Verzögerungen im Studienabschluss mit sich?“
Dr. Langen: „Das könnten Ihnen die Studenten nur selber sagen. Ich vermute, eher nicht, da wir ja quasi rechtzeitig die Notbremse gezogen haben.“


Weiter in diesem Stil: Während der Vernehmungen waren, wie geschildert, alle Fragen mit Bezug zum Genversuch oder zur Gentechnik verboten worden. Damit war auch die Prüfung unmöglich, ob ein rechtfertigender Notstand gegeben war. Auch Anträge dazu wurden abgelehnt. Dabei waren Richter Oehm am Beginn des zweiten Prozesstages ausführliche Fachtexte und Urteilssammlungen überreicht worden, um ihn zu überzeugen, dass die Voraussetzungen des § 34 StGB zumindest geprüft werden müssen. Oehm blieb stur und untersagte das. Im gesamten Gerichtsprotokoll tauchen Fragen und Erörterungen zur Sicherheit oder Rechtmäßigkeit des Versuchs nicht auf.
Offenbar dachte der Richter nach dem Prozess nochmal nach und bemerkte, dass er rechtlich falsch lag. Darum schrieb er im Urteil doch zwei Seiten dazu - voller Aussagen und Annahmen, über die im Prozess nie gesprochen wurde und nicht gesprochen werden durfte. Die Behauptungen über die möglichen milderen Mittel hatte Oehm nieüberprüft. Die Angeklagten hatten genau dazu umfangreiche Anträge vorbereitet, die beweisen sollten, dass diese Mittel eben gerade nicht zugänglich waren. Oehm verbot das Thema - präsentierte aber im Urteil trotzdem die vermeintlichen Ergebnisse einer nicht stattgefundenen Beweiserhebung einschließlich der Hauptaussage, es gäbe "weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgründe". Das Urteil war auch hier frei erfunden ...

Im Original: Zum § 34 StGB im Urteil
Urteil vom 4.9.2008, S. 33 bis 35




Die Ausführung waren falsch:
  • Behauptung, der Gengerstenversuch wäre über eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu verhindern gewesen.
    Diese Möglichkeit ist einfach zu widerlegen, denn die öffentliche Meinung ist bereits jetzt ganz überwiegend (Umfragen zeigen 75 bis 80 Prozent) gegen die Agro-Gentechnik. Dennoch findet sie statt. Eine Änderung der öffentlichen Meinung ist als nicht nötig, da diese bereits gegen Gentechnik eingestellt ist. Die Gentechnik wird bereits entgegen der öffentlichen Meinung und ohne Rücksicht auf diese angewendet.
  • Behauptung, die Angeklagten hätten die Angestellten der Universität zum freiwilligen Verzicht auffordern müssen
    Das ist geschehen. Diesen Irrtum hätte Richter Oehm durch Zulassen entsprechender Fragen und Laden entsprechender Zeugen einfach vermeiden können - er wollte es aber ja nicht. Es hat mehrere Versuche gegeben, die Universitätsmitarbeiter zur Aufgabe des Versuches zu bewegen, u.a.
    • Unterschriftensammlung
    • Aufruf seitens des AStA und verschiedener Gruppen
    • eine von GentechnikkritikerInnen, u.a. späteren FeldbefreierInnen organisierte Diskussionsveranstaltung zwischen VersuchsbetreiberInnen und GentechnikkritikerInnen. Dort kam es zu einer intensiven Debatte auch mit dem erschienenen Versuchsleiter Prof. Kogel, die diesen aber nicht von der Durchführung des Versuches abbrachte .
  • Behauptung, dass der Weg durch die Gerichtsinstanzen offen war
    Für eine Verhinderung des Versuches war dieser Weg nicht mehr eröffnet. Das Versuchsfeld war von der Universität Gießen unter hohem Zeitdruck durchgesetzt worden, nachdem eine Finanzierungszusage einging. Der Genehmigungsbescheid enthielt die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Er wurde am 3.4.2006 erlassen. Gerste wird üblicherweise bereits im März ausgesät. Jeglicher Gang durch die Instanzen hätte daher nicht mehr rechtzeitig ein Ergebnis gebracht. Im übrigen wurden formale Mittel ausgeschöpft - erwartungsgemäß ohne oder ohne erhofftes Ergebnis - in jedem Fall aber auch für den konkreten Versuch im Jahr 2006 viel zu spät.
  • Behauptung, es wäre einfach nur nötig gewesen, zur Polizei zu gehen
    Diese Bemerkung zeigt eher, dass Richter Oehm versucht, die Aktionsform der Feldbefreiung ins Lächerliche zu ziehen. Dem Vorschlag fehlt jegliche reale und auch rechtliche Basis.

Aus allem schloss Richter Oehm, dass die Angeklagten "keinesfalls" selbst agieren durften. Mit dieser Bemerkung negierte er die Existenz des § 34 StGB. Denn dieser Paragraph beschreibt ja gerade die Bedingungen und damit den Fall, wann solches vom Recht gedeckt ist. So aber kehrte Oehm auch im Urteil wieder zu seiner im Prozessverlauf gezeigten Auffassung zurück, dass es auch denktheoretisch keinen Fall geben durfte, bei dem direktes Handeln gesetzlich zugelassen sein kann. Ein Richter wie Oehm, von der eigenen Allmacht und der des autoritär agierenden Staates überzeugt, muss den § 34 StGB hassen, relativiert er doch die Totalität der Geltungskraft von Gesetzen ein klein wenig. Das war Oehm schon zuviel, weshalb er so tat, als gäbe es den Paragraphen nicht.

Dann, im weiteren Verlauf des Urteilsschreiben, hatte Richter Oehm offenbar ein Problem - mit dem Rauswurf eines Angeklagten und der Weiterverhandlung vor leerer Angeklagtenbank. In seinem Rauswurfbeschluss hatt er als Gründe ausschließlich eine vermeintliche Kritik des Angeklagten am Richter aufgeführt, sonst nichts. War ihm später der § 231b StPOaufgefallen, der für den Fall, dass ohne den Angeklagten weiterverhandelt wird, die Gefahr einer schwerwiegenden Störung der Hauptverhandlung verlangt? Jedenfalls erfand er eine abenteuerliche Story - die sich in seinem Beschluss noch gar nicht fand. So mutierten die letzten vier Seiten des Urteils zum Höhepunkt der Inszenierung von verlogenen, autoritären Machtspielchen in Robe und Uniform, die alle Kriterien einer kriminellen Vereinigung erfüllen dürfte. Oehm behauptete, der Angeklagte hätte das Publikum gesteuert und so den Abbruch des Prozesses herbeiführen wollen. Das konnte er durch den Ausschluss heldenhaft verhindern. Doch warum hatte er das noch nicht bemerkt, als er die Begründung zum Rauswurf verfasste? Oehms eigener Rauswurfbeschluss ist der Beweis, dass sein späteres Urteil nichts war als eine freie Erfindung!

Im Original: Der Rauswurf im Urteil
Urteil vom 4.9.2008, S. 39 ff.





Die Formulierungen im Urteil waren frei erfunden - insgesamt und im Detail.
  • Zweimal formulierte Richter Oehm, dass der Angeklagte im Falle seiner Wiederzulassung die Verhandlung "erneut ... schwerwiegend" stören würde. Woher er das ableitete, verriet er nicht. Zudem stellte er mit dem Begriff "erneut" die Behauptung auf, dieses wäre vorher bereits mindestens einmal geschehen. Falsch und unter anderem auch im offiziellen Gerichtsprotokoll an keiner Stelle auffindbar.
  • Völlig neu war im schriftlichen Urteil die Behauptung, der Angeklagte sei für Verhaltensweisen des Publikums verantwortlich. Offensichtlich hatte Oehm gemerkt, dass das Verhalten des Angeklagten selbst keinen Anlass für den Rauswurf und Weiterverhandeln nach § 231b StPO bot. Also schob er ihm die Verantwortlichkeit für das Verhalten anderer unter - mit den wirren Formulierungen, der Angeklagte "steuere" andere Menschen.

Während die Staatsanwaltschaft mit ihrer Verhandlung ohne Angeklagte negative Rechtsgeschichte schrieben und in Plädoyer bzw. Urteil mit absurden Urteilshöhen und -gründen prahlte, ging Richter Oehm weiter unbarmherzig gegen alles vor, was auch nur nach Ablehnung des Geschehens aussah. Da musste schon mit Rauswurf rechnen, wer auch nur abfällig lächelte zum rechtswidrigen Geschehen ...

Im Original: Der Rauswurf im Urteil
Gerichtsprotokoll vom dritten Verhandlungstag am 4.9.2008 (S. 1 f.) und vom 3. Verhandlungstag am 4.9.2008 (S. 11, unten)


Dann war die Gerichtsverhandlung zuende. Die Presseberichte dieses dritten Verhandlungstages verschwiegen die Beleidigungen und Beschimpfungen seitens Richter Oehm ebenso wie die festgestellte Falschaussage des Staatsschützers. Stattdessen wurde das Publikum mehrerer Störungen oder ungebührlichen Verhaltens bezichtet, während dem ausgeschlossenen Angeklagten seine Kritik am Richter, dieser hätte bezüglich der Abläufe am zweiten Verhandlungstag gelogen, vorgeworfen wurde. Ob dieser Vorhalt stimmt oder nicht, interessiert in den Medien nicht - einen Richter zu kritisieren, ist unabhängig von der Berechtigung der Kritik nicht statthaft. Sondern eine Art Gotteslästerung?

Die Frankfurter Rundschau könnte - unwissentlich - ein zusätzlicher Auslöser des plötzlichen Abbruchs gewesen sein, denn sie teilte dem Richter mit, einen größeren Beitrag zu planen, wenn der Prozess noch weiterlaufen würde. Für einen Richter, der derart offensiv Recht bricht, um die Gentechnik-Mafia zu schützen, der mit Beleidigungen das Publikum und mit Drohungen Angeklagte und Verteidiger bedrängt, wäre eine größere öffentliche Aufmerksamkeit problematisch gewesen. Daher könnte das Wissen darum, dass die FR mit einem größeren Bericht einsteigen wollte, ein zusätzliches Motiv für den rigorosen Abbruch gewesen sein. Belohnt wurde er, denn die FR, deren Anfrage bereits von einer guten Portion Naivität gegenüber politisch gerichteter Justiz zeugt, berichtete nicht - wie es angemessen wäre - jetzt erst recht über den skandalösen Verlauf, sondern berichtet gar nicht mehr über die Abläufe im Gerichtssaal, sondern nur in wenigen Zeilen über das Urteil.

Bei GentechnikkritikerInnen lösten die offenen Rechtsbeugungen und das Urteil hingegen offenes Entsetzen aus.

Im Original: Kommentare zum Urteil
Presse-Mitteilung der Angeklagten am 5.9.2008
Gentechnikkritiker zu sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt ++ Richter schließt Angeklagten von der Verhandlung aus
Ein Prozess gegen zwei Gentechnikkritiker aus Reiskirchen und Berlin endete gestern mit einem Paukenschlag: Sechs Monate ohne Bewährung – so das Urteil, das Richter Dr. Oehm am Nachmittag des 4. Septembers im Saal 100 des Amtsgericht Gießen verkündete.
Die Angeklagten, engagiert in politischer Bewegung, hatten am 2. Juni 2006, zusammen mit zwei weiteren AktivistInnen, ein Versuchsfeld mit gentechnisch veränderter Gerste der Universität Gießen gestürmt und teilweise zerstört. „Der Versuch ist überflüssig, bedient Konzerninteressen und hat keine rechtliche Grundlage“, sagt Patrick Neuhaus, einer der Verurteilten. Gentechnik sei nicht da, um Menschen zu helfen, sie verschärfe soziale Ungleichheiten.
Die Urteilshöhe stelle ein Novum dar. „In Frankreich, wo sich zahlreiche BürgerInnen an freiwilligen Feldbefreiungen beteiligten, wurden mehrfach AktivistInnen freigesprochen“, berichtet Jörg Bergstedt, der zweite Angeklagte. Auch sie hatten sich darauf berufen, aus einem Rechtfertigenden Notstand heraus zu handeln. „Aber in Deutschland“, so Bergstedt, „gibt es offenbar kaum Richter, die den Mumm haben, für Forschungseinrichtungen und Konzerne unbequeme Urteile zu sprechen.“
„Skandalöse Verhandlungsführung“
Das Urteil sei nur das Sahnehäubchen innerhalb einer „skandalösen Verhandlungsführung“, wie Patrick Neuhaus erklärt: Am 2. Prozess hatte Richter Oehm untersagt, Zeugen Fragen zu stellen, die sich ansatzweise auf Gentechnik bezogen. „Eine Prüfung, ob der Versuch oder die Versuchsgenehmigung überhaupt rechtmäßig waren, wurde damit unmöglich“, erklärt Neuhaus. In anderen Feldbefreiungs-Prozessen hätten Gerichte solche Fragestellungen regelmäßig miteinbezogen. Richter Oehm hatte mehrfach ZuschauerInnen, die sich nicht mit den richterlichen Entscheidungen einverstanden zeigten, als „Kinder“ oder „Menschen, die keine Erziehung genossen haben“ beschimpft und gewaltsam aus dem Saal entfernen lassen. In einem Beschluss begründete Oehm einen Rauswurf damit, dass die Person „verächtliches Lachen und demonstrativ abfälliges Kopfschütteln“ gezeigt habe.
Doch damit nicht genug: Am gestrigen Prozesstag schloss der Richter den Angeklagten Bergstedt von der Verhandlung aus, nachdem dieser das autoritäre Verhalten von Oehm kritisiert hatte. Tronje Döhmer, der Verteidiger von Bergstedt, verließ daraufhin den Saal, um die Verhandlung nicht durch seine Anwesenheit zu legitimieren. In einer am gleichen Tag veröffentlichten Pressemitteilung erklärt der Anwalt: „Eine gesetzliche Grundlage für die eskalierende Verhandlungsführung des Gerichts ist nicht zu erkennen.“ Nach der Mittagspause verzichtete auch der nicht ausgeschlossene Angeklagte, darauf, dem Prozess weiter beizuwohnen.
„Diese totale Verunmöglichung der Verteidigungsmöglichkeiten ist beispiellos“, sagt Neuhaus und erhebt schwere Vorwürfe: „Das ist auch nicht zufällig passiert.“ Das Gericht habe bewusst die Strategie verfolgt, die selbstbewusst auftretenden und gut informierten Angeklagten einzuschüchtern und notfalls per Ausschluss mundtot zu machen.
Fazit
Für die Verurteilten steht hinter dem Vorgehen von Richter Oehm das Ziel, die Verantwortlichen für den Gengersten-Versuch an der Uni Gießen vor Kritik zu schützen. „Wie ist sonst zu erklären, dass nicht einmal der Versuchsleiter, Prof. Kogel, geladen wurde?“, fragt Bergstedt.
Die Angeklagten haben bereits angekündigt, das Urteil anzufechten. „Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen“, sagt Neuhaus. „Die Kritik an Gentechnik und ihren sozialen Folgen lässt sich nicht ausgrenzen – weder auf der Straße, auf den Versuchsfeldern, noch im Gerichtssaal.“


Gendreck-weg-Aktive solidarisieren sich mit den Verurteilten (Quelle)
... Das Verfahren verlief mehr als absurd. Richter Oehm verbot z.B. Fragen an die Zeugen zur Rechtmäßigkeit dieses Versuchsfeldes und Fragen zum Thema Gentechnik. In einem Prozess, in dem es um Gentechnik geht, lässt das Befangenheit des Richters vermuten und verunmöglicht es den Angeklagten herauszuarbeiten, welche Probleme und Gefahren diese Technologie birgt.
Bisher ist eine solche Rechtsauffassung einmalig, denn in allen bisherigen Prozessen wurde die Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Genfelder zumindest zugelassen. Einer der Angeklagten wurde wegen des Äußerns von Kritik sogar aus der Verhandlung verwiesen und die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen.
Nach drei Prozesstagen wurden die beiden Angeklagten zu jeweils sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. „Diese harte Verurteilung soll Menschen davon abhalten, sich gegen Gentechnik einzusetzen. Bedenkt man, dass wenige Konzerne grade die Kontrolle über unser aller Nahrungsmittel erlangen wollen ist Widerstand dagegen sicherlich legitim“ so Jutta Sundermann. „Wir lassen uns von diesem Urteil nicht einschüchtern und werden weiterhin Aktionen gegen Gentechnik machen“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verurteilten haben Rechtsmittel gegen das Urteil angekündigt.
Die Initiative Gendreck-weg solidarisiert sich mit den Gießener Feldbefreiern und verurteilt den Versuch der Justiz, den Widerstand gegen Gentechnik mit derart hohen Strafen anzugreifen.

Leserbriefe am 13.9.2008 im Gießener Anzeiger
Rechtsverständnis wurde tief erschüttert
Am zweiten Prozesstag war ich bei der Verhandlung anwesend. Nach meinem Befinden wirkte Richter Dr. Oehm ohnmächtig und wahrte nicht die professionelle Distanz zwischen eigenen Affekten und Emotionen und der beruflichen Rolle, in der er stand. Der Umgang mit Zuschauern erschien mir daher ebenso eher als Teil eines Machtspiels und ließ aus meiner Sicht menschliche Souveränität vermissen. Auch ich habe mich als Zuschauerin auf meinem Stuhl bewegt, habe einmal die Sitzreihe gewechselt, weil die Akustik für meine Ohren zu schlecht war. Auch ich habe unwillkürlich mit dem Kopf geschüttelt, als Oehm die Frage der Verteidigung nach der Maschenweite des Schutzzaunes wegen möglichen Insektenkontaktes mit transgener Gerste energisch abwehrte und weitere Fragen an den Zeugen und gentechnischen Sicherheitsbeauftragten untersagte. Ich wurde jedoch - ich möchte sagen leider - aufgrund meines Kopfschüttelns nicht zwangsweise aus dem Saal verbracht; vielleicht deshalb, weil ich dem impliziten Menschenbild des Herrn Oehm eher entspreche, die Insignien von alternativem Lebensstil, wie asymmetrische Frisuren, braune Pullover, Piercings mir spontan nicht anzusehen waren? Bei den anderen Frauen - es wurden ausschließlich Frauen gemaßregelt - führte das gleiche Kopfschütteln zum Rauswurf. Aus meiner Sicht wirkte Oehms Verhalten deutlich eskalierend und ließ für mich die Souveränität eines Richters, der auch die Würde der Justiz als Verfassungsorgan eines demokratischen Staates repräsentieren soll, vermissen.
Die Art der Verhandlungsführung, die generelle Untersagung, Fragen zum Thema Gentechnik, wie nach der Angemessenheit des Kontaminationsschutzes, zum Gegenstand der Zeugenbefragung zu machen, hat mein Rechtsverständnis tief erschüttert. Die Art der Prozessführung durch den Richter und das Verhalten der Staatsanwältin Frau Sehlbach-Schellenberg waren aus meiner Sicht von einer zutiefst emotionalen und affektgeladenen Haltung geprägt, die beide zwischenmenschlich auf die Zuschauer und die Angeklagten projizierten. Diese innerpsychischen Prozesse könnten nach meinem Dafürhalten unbewusst und daher teilweise handlungsleitend gewesen sein.
Auf mich wirkte dieses alles unprofessionell, und es entbehrte der Souveränität, der es eigentlich bedarf, wenn es vor Gericht um ein so heikles Thema wie Gentechnik geht. Sowohl Oehm als auch die Staatsanwältin wirkten auf mich von Beginn an affektgeladen und ließen aus meiner Sicht die innere professionelle Distanz zum Thema und zu den Angeklagten vermissen. Dass Oehm mehrfach das Wort „Kinder“ heranzog, um das ihn störende Verhalten im Gerichtssaal zu beschreiben, befremdete mich sehr. Welches Bild von Gesellschaft, Macht und Individuum, welches Verständnis von Autorität bildete sich da ab? Für mich taten sich Abgründe auf. Ich empfand starke Angst und fühlte mich eingeschüchtert.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass ich in unmittelbarer Nähe eines Versuchsfeldes der Universität Gießen wohne. Mit vielen Bürgern, Verbänden, Parteien und Kirchen bin ich Menschen wie diesen beiden Angeklagten zutiefst dankbar, dass sie im Frühjahr dieses Feld besetzt hatten und dadurch die Aussaat von gentechnisch verändertem Mais verhindert werden konnte. Alle vorangehenden Bemühungen auf politischer und juristischer Ebene, dies zu verhindern, waren nämlich erfolglos geblieben, obwohl die Mehrheit der Menschen sich gegen Gentechnik wendet. Mein Dank gilt den Angeklagten und ihrer hoffentlich ungebrochenen Würde.
Ulrike Schaab, Groß-Gerau

Missbilligende Mimik war nicht erlaubt
Dem Prozess gegen die beiden Genfeldbefreier J. B. und P. N. wohnte ich bei.
Zu Beginn der Verhandlung am 4. September hatte ich den Eindruck, als ginge es nicht um Feldbefreier eines Genfeldes sondern um hochgefährliche Gewalttäter: Vor dem Gerichtsgebäude war ein Aufgebot an Polizisten und Staatsschützern, die mit Schlagstöcken und Pistolen bewaffnet waren, aufgebaut. Ich erhielt eine Eintrittskarte, die ich beim Verlassen und Wiederbetreten des Gerichtssaals vorzuzeigen hatte. Auch im ganzen Gebäude und im Gerichtssaal wimmelte es von schwer bewaffneten Polizisten.
Das stand in massivem Widerspruch zu anderen Aussagen der Staatsanwältin und des Richters; denn sie hatten die Taten als so wenig schwerwiegend eingestuft, dass sie, trotz bestehender Bedürftigkeit, den Antrag der Beklagten auf einen Pflichtverteidiger abgelehnt hatten. Das Amtsgericht Gießen, unter Vorsitz des Richters Oehm, verurteilte die zwei Angeklagten zu jeweils sechs Monaten Haft ohne Bewährung. Ihnen war vorgeworfen worden, ein Freilandversuchsfeld der Universität Gießen mit gentechnisch veränderter Gerste teilweise zerstört zu haben. Nur zu naheliegend wäre es hier gewesen, sich auf Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes zu besinnen, wo das Recht auf Widerstand verbrieft ist:
Niemand kann gegenwärtig voraussagen, welche Allergien und andere Leiden der Gießener Bevölkerung zukünftig zugemutet werden, wenn der Wind Partikel dieser Pflanzen in ihre Atemwege, auf ihre Haut oder auf ihre Nahrung transportiert.
Denn das ist der qualitative Unterschied zwischen dem vorausgegangenen Labor- und dem Freifeld-Versuch, den die Gießener Jamaika-Koalition, sinnigerweise am 8. Mai 2008 (Jahrestag der Befreiung vom Faschismus), nach einer flammenden Fürsprache des Grünen-Fraktionsvorsitzenden und gegen den Protest der Linken beschloss.
Auch Richter Oehm zeigt in der Urteilsverkündung Verständnis für die Kritik an der Gentechnik und für die Angst vor deren Risiken. Gleichwohl verbot er den Angeklagten, vor Gericht die Zulässigkeit des Genversuchs zu thematisieren.
Besucher, die solche Widersprüche mit Unmutsäußerungen wie Kopfschütteln bedachten, wurden zudem kurzerhand des Saales verwiesen. Missbilligende Mimik und Unverständnisbezeugungen waren schlichtweg nicht er laubt.
Die derzeitigen Machtverhältnisse in unserem Bundesland scheinen auf die Gewaltenteilung deutlich auszustrahlen. Schließlich werden Richter und Staatsanwälte nicht vom Volk, sondern von der herrschenden Politik gewählt.
Andrea Jacob, Grünberg


Andere feierten das Urteil und zeigten so, wem der Richterspruch diente: Die Gentechniklobbyisten, hier in Gestalt des BDP, jubelten: "Endlich Gerechtigkeit – Feldzerstörer zu Haftstrafen verurteilt!". Die BUND-gesteuerte Infoseite zu gentechnikfreien Regionen entblödete sich nicht, ausgerechnet diesen Jubelartikel selbst mitzuverbreiten. Einmal mehr zeigten sich Umwelt-NGOs als HelferInnen und einig mit der Gentechnik-Mafia - in ihrer erbitterter Feindschaft zu unabhängigen AktivistInnen.

Im Original: Jubel über das Urteil
Aus einer Presseinformation des BDP, 5.9.2008 ++ Veröffentlichung dieses Textes auf Agrarheute ++ in Österreich und dort im Infodienst für Kommunen ++ auf Gabot.de ++ Verband Biologie
"Jedes Jahr wird ein Großteil der Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland zum Schaden für Züchter, Wissenschaftler und Landwirte zerstört. Ein halbes Jahr Haftstrafe ohne Bewährung ist eine angemessene Strafe für die mutwillige Zerstörung fremden Eigentums. Dieses Urteil war längst überfällig.“ So begrüßt Dr. Ferdinand Schmitz, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter, das vorgestern verkündete Urteil des Amtsgerichts Gießen gegen zwei Feldzerstörer.

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