Alltagsalternativen

ALTERNATIVEN ZU KNAST UND STRAFE

Streit und Konflikte offensiv organisieren - Gewalt abbauen statt bestrafen


1. Sinn und Unsinn von Strafe
2. Alles beenden, was Herrschaft und gewaltförmiges Verhalten fördert
3. Streit und Konflikte offensiv organisieren - Gewalt abbauen statt bestrafen
4. Herrschaftsfreie Gesellschaft
5. Auf dem Weg ...

Viele Formen von Gewalt entstehen aus Konflikten heraus, die nicht gelöst werden und eskalieren. Gewalt kann daher verhindert werden, wenn innerhalb der Gesellschaft und aller Gruppen, in denen Menschen zusammen agieren, offensiv Formen und Orte des Streitens organisiert werden. Wo Konflikte auftreten, sollten diese weder unterdrückt oder in die Privatsphäre abgedrängt noch künstlich harmonisiert werden, sondern offensiv in gleichberechtigte und kommunikative Formen gebracht werden. Das hat sogar noch einen weiteren guten Grund: Konflikte können ein Antrieb für den Prozess zu neuen Ideen sein, wenn sie sich entfalten hin zu einer Streitkultur, in der nicht mehr der Sieg über die KontrahentInnen, sondern Erfahrungsaustausch, gegenseitiges Verstehen, eigenes Weiterdenken oder die Entwicklung von Lösungen zum Ziel werden. Solche Streitorte zu schaffen und das offene Streiten einzufordern, kann eine Entwicklung in gewaltförmige Konfliktaustragung verhindern.11 Sie ist nicht nur Aufgabe der Streitenden, sondern auch der Umstehenden eines Streits.

Direkte und soziale Intervention im Vorlauf der Gewalt
Wenn alles Beschriebene geschehen ist, wird trotzdem noch gewaltförmiges Verhalten bleiben. Die Menge ist deutlich reduziert - wie stark, ist reine Spekulation. Aber die Aussicht der Verringerung reicht als Begründung, diese herrschaftsfreie Gesellschaft zu wollen. Dennoch bleiben Möglichkeiten, auch die verbleibende, also nicht durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen verursachte Gewalt zu stoppen, ohne wiederum Herrschaft und Strafe aufzubauen, denn diese würde wieder alles verschlimmern.
Das stärkste Mittel der Intervention ist die direkte Kommunikation der Menschen untereinander. Dieses gilt zum einen in der Debatte über Gewalt, Diskriminierung und Herrschaft insgesamt, zum anderen aber auch im Umgang mit potentiellen TäterInnen. Die allgemeine Debatte erhöht ständig die Sensibilität für die Anbahnung von Gewalt, um eine Intervention nach Möglichkeit schon im Vorfeld zu ermöglichen. Tatsächlich haben fast alle Gewalttaten einen deutlichen Vorlauf, z.B. Schlägereien den verbalen Streit, Morde die langsame Eskalation von Wut und Hass sowie Vergewaltigungen vorausgehende Grenzüberschreitungen, die vom Umfeld übersehen oder geduldet werden. Der Vergewaltiger, der ein ihm unbekanntes Opfer in den Busch zieht, ist ebenso die Ausnahme wie der Mörder, der willkürlich ihm unbekannte Personen mordet. Ausnahmen in beiden Fällen gibt es nur beim Militär12. Fast alle Gewalt geschieht unter Bekannten oder zumindest nicht innerhalb anonymer Situationen. Daher besteht immer die Möglichkeit, mittels direkter Intervention eine weitere Eskalation zu verhindern - in der Regel vor der Anwendung von Gewalt und meist auch noch vor starken Übergriffen. Die soziale Intervention thematisiert das. Intervention setzt Übung und Reflexion voraus, zudem Sensibilität für die Situationen. Die Menschen interessieren sich füreinander und mischen sich in ihre Angelegenheiten ein, wenn sie herrschafts- oder gar gewaltförmiges Verhalten zu entdecken meinen. Der Irrtum ist eingeschlossen, aber auch den schafft die direkte Kommunikation eher aus dem Weg als formalisierte Verfahrensweisen.
Wenn Menschen sich immer wieder direkt ansprechen und hinterfragen, sinkt die Menge der tatsächlichen Gewalttaten weiter. Die direkte Kommunikation hat dabei nicht nur die Chance, einen konkreten Prozess zu stoppen, sondern auch eine grundlegenden Veränderung bei der angesprochenen bzw. auch weiteren beteiligten Personen zu erreichen. Kommunikation führt zu Reflexion und eigenem Hinterfragen. Wenn im Vorfeld oder nach einem Übergriff die/der TäterIn von vielen anderen Menschen angesprochen und eine klärende, hinterfragende, kritische bis harte Debatte erbeten oder eingefordert wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Verhalten ändert, ungleich höher als bei Strafe.
Die Unterscheidung zwischen direkter und sozialer Intervention ist fließend. Mit den beiden Begriffen soll deutlich gemacht werden, dass beide Prozesse eine Rolle spielen - zum einen das direkte Einmischen in der Situation und gegenüber den direkt Beteiligten, zum anderen die allgemeine Auseinandersetzung mit Gewalt und Dominanz, das Training von Intervention und das Drängen hin zu nicht herrschaftsförmigen Verhaltensweisen überall, u.a. dort, wo gewaltförmiges Verhalten noch auftritt. Soziale Intervention umfasst auch das Thematisieren allgemein herrschaftsförmiger Verhältnisse oder gewaltfördernder Rahmenbedingungen, auch wenn kein konkreter Fall von Gewalt aufgetreten ist oder sich anbahnt. Beide Formen, die direkte und die soziale Intervention verändern eine Gesellschaft und konkrete Situation hin zu einer Abnahme von Herrschaft und Gewalt.

Direkte und soziale Intervention nach der Gewalt
Gegenüber der von Gewalt durchzogenen, autoritär aufgeladenen Jetztzeit wird durch die beschriebenen Mechanismen ein großer Teil gewaltförmigen Verhaltens aus der Gesellschaft verschwinden. Aber dennoch: Übrig bleibt eine schwer abschätzbare Menge an Gewalt, die trotz Intervention im Vorfeld oder spontan bzw. mit einer unbemerkten Vorphase stattfindet. Jedoch stellt die verbleibende Gewalt nicht das Gesamte in Frage, denn die Verminderung von Gewalt ist als Grund ausreichend. Jede Gewalt ist aber inakzeptabel, schafft Opfer und TäterInnen - erstere mit ihren daraus folgenden Belastungen und Ängsten, letztere oft ebenfalls mit psychischen Folgen. Nötig ist aber der Umgang mit der verbleibenden Gewaltförmigkeit - und zwar erneut mit dem Ziel, Wiederholungen zu verhindern und die Gewalt weiter zu verringern. Kommunikation ist die einzige Chance für diesen weiteren Prozess.
Direkte Intervention ist die unmittelbarste Reaktion auf das Geschehen. Die Betroffenen und andere Menschen bauen eine direkte Gesprächsebene auf, vor allem zum Opfer, zu den TäterInnen und eventuell solchen, die nicht gehandelt haben. Zielsetzung der Kommunikation mit TäterInnen ist die Reflexion und die deutliche Distanzierung von der Anwendung der Gewalt und Unterwerfung - selbst wenn sie Motive hat, die verständlich wirken, z.B. Stress, Hass oder Frustration. Besondere Aufmerksamkeit bedarf dabei die herrschaftsförmige Gewalt, d.h. die Gewalt, die zwecks Herstellung oder Aufrechterhaltung eines nicht gleichberechtigten Verhältnisses ausgeübt wird. Herrschaftsausübung oder der Versuch dazu sollte immer direkte Intervention der Umstehenden hervorrufen. Wer als TäterIn mehrfach kommunikativ angesprochen wird, ist deutlich eher geneigt, das eigene Verhalten zu hinterfragen und eventuell zu ändern wie in Folge von Strafe.
Soziale Intervention thematisiert im Gegensatz zur beschriebenen direkten Intervention die Rahmenbedingungen, die Gewalt und Herrschaft fördernden Strukturen, Nichtverhalten bei Umstehenden usw. und kann zusätzlich wichtig sein.

Prozess der Verringerung von Gewalt ist das Ziel
Wenn all die beschriebenen Mechanismen greifen, wird immer noch eine Restmenge gewaltförmigen Verhaltens übrig bleiben. Für diese gilt immer die direkte und soziale Intervention und damit ständig die Hoffnung, dass Gewaltförmigkeit immer mehr zurückgedrängt wird. Doch sie wird nie verschwinden. Die Verringerung und die Perspektive des ständigen Prozesses der Verringerung sind das Ziel emanzipatorischer Veränderung von Gesellschaft. Darum bedarf es der Aussicht auf das völlige Ende der Gewalt nicht, um diese Gesellschaft zu wollen. Eine offene Gesellschaft wäre nicht nur der Verzicht auf Sicherheit und totale Kalkulierbarkeit, sondern auch das Ende des Versuchs, das überhaupt zu wollen. Denn Sicherheit gibt es in keiner Gesellschaft. Doch in autoritären Strukturen wird suggeriert, dass es sie geben könnte. Gleichzeitig wird Angst gemacht mit dem Ziel, aus beiden Propagandaelementen die Akzeptanz von Autorität abzuleiten. In einer offenen Gesellschaft geht es um die Rahmenbedingungen und die Reaktionen auf Gewalt und Herrschaft, nicht um Verbote und Garantien.
Strafe und Knast schaffen eine ständige Spirale zu mehr Gewaltförmigkeit, während direkte und soziale Intervention sowie das Herausnehmen autoritärer Aufladung aus der Gesellschaft das Gegenteil schaffen - den ständigen Prozess zu weniger Herrschaft und Gewalt. Zwischen diesen beiden Polen ist die Entscheidung zu treffen. Zur Zeit läuft alles in Richtung von mehr Autorität, mehr Kontrolle und damit auch mehr Gewalt in der Gesellschaft. Verschleiert wird das mit einer Propaganda, die die Gewalt als Ursache und nicht als Folge autoritärer Politik verkauft. Doch diese ist von Interessen gelenkt, die damit Verschleiern, dass Ausbau von Herrschaft und die Sicherheit der Herrschenden das Ziel sind, nicht das gute Leben der Menschen und ein vermeintliches Beschützen.
Die aktuelle Politik zu demaskieren und den Mut zu haben, wider dem Zeitgeist eine straffreie Welt zu fordern, ist ein wichtiges Aktionsfeld der Emanzipation, der Diskussion, des Protestes, der kreativen Aktion, der Debatte um Utopien und der Experimente mit konkreten Projekten. Auch die meisten, sich als „links“ definierenden Gruppen sind davon zur Zeit weit entfernt.

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