Stiftung Freiräume

IWF/WELTBANK IN PRAG 2000

Prag ist vorbei, seit einem Monat


1. Einleitung
2. Prag – ein Resümee
3. Prag ist vorbei, seit einem Monat
4. S26 in Prag war ein voller Erfolg: Die Straßen von Prag gehörten uns!!
5. Bericht aus der Aktionswoche
6. Der Sturm nach dem Sturm
7. Soli-Arbeit danach 
8. Links

Die Auseinandersetzung um Neoliberalismus, oder wo sie stattgefunden hat, um Kapitalismus, hat wieder nachgelassen.

Die Mailingliste ist wieder leer. Inhaltsleere. Über die Prag2000-Mailingliste geht kaum noch mehr als Mails, die aus irgendeiner englischen Mailingliste rauskopiert wurden. Wer die Sprache unserer großen Brüder nicht spricht, vielleicht nicht studiert hat und in all den ganzen Seminaren gelernt hat, englische Polittexte zu verstehen, hat im Informationsfluß so seine Probleme. Eine Auseinandersetzung mit allem, was in Prag stattgefundenhatte, eine Auswertung, eine Reflexion der Bedeutung der eigenen Arbeit, ist nirgendswo wahrnehmbar. Auf dem Buko war auch keine ernsthafte Aufarbeitung.„DAS ist jetzt hier nicht der Zeitpunkt“, hieß es.
Prag hat bei mir einige Fragen aufgeworfen. Egal, zu was ihr welche Position ihr bezieht, was mich wundert, ist, das keine Diskussion stattfindet. Oder zumindest nicht öffentlich wahrnehmbar. Klar habe ich irgendwo geredet, aber ich bin Teil einer kleinen Gruppe in einer großen Stadt und wäre es nicht sinnvoll, Diskussionen gemeinsam zu führen.
Was, Du meinst, eigentlich ist doch alles irgendwie schon diskutiert worden und eigentlich war ja bis auf die Polizei alles ganz nett und so. Schön, seh ich anders. Und auch ich schreib erst jetzt, weil ich genauso schlecht, langsam, und diskussionsunfähig bin wie ihr.
Ich will mal anfangen, wie ich und einige meiner Bezugspersonen einige Situationen in Prag erlebt habe. Ich kam da so vielleicht ne knappe Woche vorm 26. an und hab dann irgendwann rausgefunden, wo das Convergence-centerist und das das so was wie der Haupt-Treffpunkt sein soll. Auf den Plenasz eigte sich in meinen Augen auf sehr krasse Art und Weise, wie Kommunikation nicht laufen sollte bzw. wie die Strukturen hierfür teilweise auch als Machtmittel eingesetzt wurde. Als ich ankamen, waren die meißten der anwesenden Menschen aus den USA. Nicht wenige Menschen aus meinem Umfeld hatten Fragen oder auch Ideen, mit denen sie sich einbringen wollten, doch sie hatten das Gefühl, an einer bestimmten Sorte Wichtigtuer-Aktivist nicht vorbeizukommen. „Ich bin aus Seattle und wir haben die WTO gestoppt, also, was willste.“. Auf den Plenas war englisch dann häufig die einzige Sprache, später noch eine übersetzung ins spanische und Menschen, die diese Sprachen nicht sprachen, hatten desöfteren große Probleme, einem Plenum zu folgen. Tschechisch schien eine ziemlich exotische Sprache gewewsen zu sein in Prag, zumindest im Konvergenzzentrum. Die Art, wie die Plena moderiert waren, könnte echt als Vorbild dienen:für ModeratorInnen von Agenda21-Gruppen, denen das Buch „Moderation für Führungskräfte“ zu hippymäßig war. Wichtige Diskussionspunkte wurden an den Schluß des Plenums geschoben, dann wurde genau zu der Minute, die zu Plenumsbeginn als Plenumsschluß festgelegt wurde, das Plenum abgebrochen bzw. schnell zu Ende moderiert und dann sämtliche Anwesenden regelrecht aus der Halle geschoben.So fanden einige Diskussionen nicht statt, Durch die Zeiten, die den einzelnen Plenumspunkten gegeben wurde, wurde sehr klar gesetzt, das die Frage, an welcher Demonstration sich wer wie beteiligt, als der wichtigste Punktschlechthin gesehen werden soll. Ich fand die Aktionen am 26. größtenteils gut, aber ich denke, es hätte sehr viel Sinn gemacht, stärker zu diskutieren, wie wir die IWF-Deligierten schon auf dem Weg zum Konferenzzentrum hätten stoppen können, und ich habe die Diskussion auch in meiner Bezugsgruppe geführt, aber im Plenum schien mensch dafür keinen Raum zu bekommen. Es mag sicherlich Gründe für das Konzept des S26 gegeben haben, aber wenn einfach nur gesagt wird, das die Seattle-boys mit ihrem Konzept in Washington scheiterten und nun was anderes ausprobieren wollten, finde ich mich in diesem Argumentationsstrang nicht besonders gut wieder. Es mag vielleicht auch richtig sein, das ich mich in den Monaten vorher stärker hätte einbringen können, aber ich hatte halt andere Sachen zu tun und wenn es dann nicht trotzdem möglich ist, eine superstarke Schwergewichtsetzung auf die Demos in Frage zu stellen,hätte ich es ehrlicher gefunden, wenn dann auch gesagt worden wäre „dies ist unser Konzept und ihr habt danach zu tanzen“.
Aber vielleicht stimmt es ja auch, das ich dem Plenum da einfach zuviel Macht gegeben hätte und es vielleicht einfach hätte ignorieren sollen, um mehr Zeit und Kraft für eigene Ideen ztu haben und dann auch am Plenum vorbei organisieren können. Das ist wohl selbstkritisch betrachtet einer der Punkte, die bleiben: nichts aufs Plenum machen sondern eigene Kommunikationsstrukturen schaffen. Darüber, das das heißt,das Menschen, die mangels Erfahrung in Polit-Gruppen nicht in der Lagesind, Kommunikationsstrukturen aufzubauen, wohl auch weiterhin nichts zu merlden haben werden und dann wohl außen vorbleiben, denke ich an dieser Stelle mal lieber nicht nach.
Dann vielleicht mal n Absatz zum Thema Koordination. Es gab ja dieseKritik von einer Person aus Saasen unter anderem daran, das sich so vieleder Leute bzw. Gruppen nicht am Frankfurter Bündnis beteiligt habenund ihre Arbeit nicht transparent und offen genug war. Erstmal teile ichdiese Kritik nicht, ich gestehe es jeder Basisgruppe zu, ihr Ding alleinezu wuppen und sich nicht dafür vor irgendwem öffnen zu müssen.Für eine Aktion, in die so viele Menschen so viel Zeit stecken, findeich es jedoch insgesamt recht merkwürdig, das es mit Diskussionenin der Vor- und Nachbereitung recht mau aussah/-sieht. Ich will das garnicht den Gruppen vorwerfen,die was gemacht haben, sondern eher feststellen,das den meißten scheinbar ausgereicht hat, Broschüren von irgendeinemvorher nicht bekannten Studentenverband zugeschickt zu bekommen und dannvielleicht wenn überhauipt im kleinen Kreis zu diskutieren und dannvorwiegend zu mobiliesieren und nach den Aktionen sich dem nächstenThema zu widmen, Urlaub zu machen, über die Organisationsunfähigkeitvon Cops in kleinen Ländern Witze zu machen oder Gefangenensoliarbeitzu leisten. Der Punkt, wo ich sagen würde, die Bewegung ist gut, wäredann, wenn es in den Basisgruppen einen Drang nach Austausch, nach Kommunikationüber die eigene Reflektion über die Gruppe hinaus gäbe,den Wunsch, eine Kommunikationsstruktur aufzubauen, in der Strategien reflektiertund Inhalte diskutiert werden.
Stattdessen, selbst von den Menschen, die Quasi Hauptberuflich fürPrag mobilisert haben, nicht mal ein kleiner Auswertungstext, einepersönliche Einschätzung, einen Versuch, uns Weiterzuentwickeln.Scheinbar kein größeres Bedürfnis nach einem bundesweitenAuswertungstreffen. Wer mir jetzt was vom Buko erzählt, war nichtda oder hat ne andere Vorstellung von Diskussion als ich. Der Buko war,was Prag-Auswertung betrifft, n ziemlicher Witz. Im Nachhinein habich das Gefühl, das Prag einfach nur eine riesengroße Inszenierungwar. Alle sprachen die Kritik am Event-Hopping zwar mit, ich seh jedochlängst nicht so viel Kontinuität in der politischen Arbeit, wieich es für notwendig halte. Vielmehr scheinen alle erstmal ruhig gewordenzu sein und alle scheinen auf das nächste Event zu warten. Ichhalte Events für eine Bewegung auf jeden Fall für wichtig, ichglaube auch, das gerade Prag sehr viele jüngere Menschen recht starkgeprägt hat, eine nicht geringe Zahl an Leuten hat hier ihren erstenRiot erlebt, und klar, Zusammenhänge brauchen Geschichten, um sichals Bewegung zu begreifen. Doch ich will keine Bewegung, die sichzwei Mal im Jahr n Flugticket kauft, um sich irgendwo zu inszenieren. Ichfinde die entstandene Bewegung wichtig, aber ich will mit ihr wo hin, ichwill linksradikale Politik stärken, und da reichen mir ein paar Eventsnicht aus, ich will eine Diskussion zwischen verschiedenen Bewegungen,ich will einen antikapitalistischen Alltag und ich will eine Bewegung,die Machtverhältnisse angreifen. Genau deswegen finde ich die Diskussionen,die in der Anti-Expo-Bewegung gelaufen sind, verdammt wichtig und wir werdensie weiterzuentwickeln haben.

Mach dein Maul auf.
Schreib ne Mail.
Das ist nicht die Aufgabe derjenigen, die das immer tun.

Florian
PS:Wir sehen uns alle bei der nächsten WTO-Konferenz. Meine Mami hat mir das Flugticket für mein bestandenes Vordiplom geschenkt

IWF und Weltbanktagung in Prag

Bericht zu Prag aus der Zeitschrift "Ö-Punkte", Heft Winter 2000/01
AutorInnen: Themenredaktion "Weltwirtschaft"

Vom 23.9 bis 28.9 fand in Prag die 55. Jahrestagung von IWF und Weltbankstatt. In den letzten Monaten war der Gipfel ( oder die Proteste dagegenbzw. die Vorbereitungen der Proteste) in verschiedenen „linken“ Zusammenhängenund zum Teil auch in den Medien präsent. Dabei hat sich dieKritik an IWF und Weltbank weniger an den Inhalten und Themen dieses Treffensorientiert, sondern sich eher gegen die grundlegende Ideologie und Politikder beiden Institutionen gerichtet. Klar ist, egal wo und in welchemRahmen sich diese Institutionen treffen, geht es im Grundsatz immer umdas Gleiche: Durchsetzung eines weltweiten Kapitalismus, die Schaffungund Aufrechterhaltung von Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnissen., Anpassung der sog. Dritten Welt an westliche Normen und und und...
Demzufolge ging es dem Großteil der DemonstrantInnen auf derStraße auch in erster Linie um die Abschaffung von IWF und Weltbank.Verschiedene NGO-VertreterInnen kritisierten zwar bei einem Treffen aufder Prager Burg die Struktur ( Sie forderten eine größere Gleichberechtigungvon Ländern der sog. Dritten Welt) und die Rolle der Institutionen( eine ihrer Forderungen war die Beschränkung des Einflusses ),ihreExistenz wird dabei aber nicht mehr grundlegend in Frage gestellt. Das Ziel sind Reformen.
Um bestimmte Entwicklungen und Prozesse beurteilen zu können,finden wir es aber auch wichtig, sich wenigstens zum Teil mit den konkretenInhalten des/der Gipfel zu beschäftigen. Deswegen kurz ein paar Faktenzu dem diesjährigen Treffen:
Insgesamt haben ca. 18000 Finanzexperten, Minister und Zentralbankgouverneureteilgenommen. Der Gipfel stand unter dem Motto „Armutsbekämpfung“( was wohl wie eh und je die Bekämpfung von Armen bedeutet). Kernstückdieser Armutsbekämpfung sollen das sog. HIPC (heavely indepted poorcauntries) Programm sein. Bis zum Jahresende soll entschieden werden, welchen20 Ländern im Rahmen dieses Programmes insgesamt 70 Milliarden US-DollarSchulden erlassen werden. Das hört sich ja erst einmal großzügigan, ist es aber nicht.
1. müssen die ausgewählten Länder für diesen Schuldenerlassbestimmte Bedingungen erfüllen. U.a. eine transparente Regierungsführung,Privatisierung von Staatsbetrieben z.B. der Stromversorgung, Streichungvon Subventionen, Abbau von Schutzzöllen, Reformen des Bankwesens...
2. soll der Schuldenerlass erst in einem Zeitraum von 8-15 Jahren realisiertwerden, abhängig davon wie brav die Länder die Bedingungen erfüllen.
Neben diesem Punkt gab es auch eine Diskussion über eine Reformvon IWF und Weltbank. Bezüglich des IWFs ging es um eine „Rückbesinnungauf die ursprünglichen Aufgaben“ ( Überwachung der Finanzmärkteund der Wechselkurse ), bei der Weltbank um eine Verschlankung der Strukturen.Die Diskussion verlief bis zum ungewollten Tagungsende ohne Ergebnisse. Selbst für KitikerInnen hatte Weltbankpräsident James Wolfensohn auch ein paar nette Worte . Diese durften auf Einladung des tschechischenPräsidenten Vaclav Havel auf der Prager Burg bei einer Podiumsdiskussionihre Kritik an den Mann bringen. „Meine Sicht der Demonstrationen ist nichtvöllig negativ. Ich begrüße die weltweit zunehmendeBesorgnis über Themen wie Gleichheit und Armut.“( Zitat Wolfensohn)Laut seiner Meinung ist „die Kürzung der öffentlichen Entwicklungshilfeein Verbrechen“. Das 20 Prozent der Länder über 80 Prozent desSozialproduktes verfügen sieht Wolfensohn als ein großes Problem,da der Welt dadurch eine soziale Katastrophe drohe, also auch fürdie reichen Industriestaaten, nämlich durch „Aufruhr Bürgerkriegeund Flüchtlingsströme“. Radikale KritikerInnen waren hiernatürlich nicht erwünscht, an der Diskussion haben hauptsächlich NGO- VertreterInnen teilgenommen.
So viel zur Tagung von Seiten der IWF und Weltbankfunktionäre,jetzt noch eine ( unvollständige ) Zusammenfassung der Ereignisseund der Kritik der etwas anderen Seite am Global action day am 26 Septemberin Prag. Von einem gemeinsamen Treffpunkt aus, teilten sich ca 10000 DemonstrantInnen in drei verschiedene Demozüge auf und gingen vonverschiedenen Seiten Richtung Kongreßzentrum.
Die tschechische Polizei hatte sich auf den Schutz des KZ beschränkt.Alle Zufahrtswege waren durch ein großes Polizeiaufgebote u.a. mitPanzern abgesperrt. Für die Delegierten war die Prager U-Bahnreserviert, durch die sie auch unbeschadet ins Kongresszentrum gelangten.Den ganzen Tag über wurde versucht die Polizeisperren zu durchbrechen,was an kleineren Straßen auch hin und wieder jedenfalls ansatzweisegelang. Von der Polizei wurden diese Versuche natürlich mit Wasserwerfernund Knüppeleinsätzen beantwortet. An den Protesten waren dieunterschiedlichsten Aktionsgruppen beteiligt. Von einer Sambagruppe,mit viel Musik, Tanz und Kostümen, einem großen Ya Basta! Block,der mit Hilfe von Gummireifen versucht hat die Polizeiketten zu durchbrechenbis zu ca. 1000 Leuten, die mit Steinen und sonstigen Hilfsmitteln ausgestattetdie Polizei angriffen, diversen Sitzblockaden und mehreren kleineren Spontanaktionen,waren die unterschiedlichsten Aktionsformen vertreten. Aber im Gegensatzzu Seattle haben sich an den Protesten keine großen Gewerkschaftenund andere etablierte Gruppen beteiligt. GegenAbend sollte für die TeinehmerInnen des Gipfels eine Party (??) inder Prager Oper stattfinden. Der Zufahrtsweg dorthin war aber blockiert,so daß sie ins Wasser viel. Nachdem die Delegierten das Kongresszentrumverlassen hatten, fing die Polizei an, massiver gegen die DemonstrantInnenvorzugehen. Es gab noch zahlreiche Verhaftungen. Jede/r der/die nach DemonstrantInaussah, mußte damit rechnen verhaftet zu werden. Allein amTag nach dem S 26 gab es 422 Festnahmen, insgesamt wurden über 900Menschen inhaftiert. Gefangene berichteten nach ihrer Freilassung von brutalen Mißhandlungen durch die tschechische Polizei, die sich fastnur gegen AusländerInnen richteten.
Hier ein paar Fälle aus einer Pressemitteilung des Ermittlungsausschusses(EA)in Prag vom 28.9.:
  • Eine norwegische Frau befindet sich in einer Zelle des Gefängnisses Olsanska mit angebrochenem Bein - ihr wird ärztliche Hilfe verweigert.
  • Ein deutscher Mann befindet sich in einer Zelle mit gebrochenem Arm - ihm wird ebenfalls ärztliche Hilfe verweigert.
  • Einem deutschen Mann wurden durch absichtliches Zuschlagen einer Tür vier Finger der dazwischen eingeklemmten Hand gebrochen.
  • 30 Personen verschiedener Nationalitäten wurden gezwungen innerhalb des Gefängnisses Olsanska unter freiem Himmel zu schlafen. Sie wurden mit CS-Gas innerhalb des Gefängnisses attackiert und außerdem geschlagen.
  • 7 Personen wurden mit festgebunden Händen über dem Kopf gezwungen 20 Stunden lang zu stehen.
  • Die Köpfe einiger Frauen wurden auf Tische geschlagen.
  • Mehrere Personen verschiedener Nationalitäten wurden durch zwei Reihen Polizisten getrieben, die mit Knüppeln bewaffnet auf die Gefangenen einschlugen.

Hier sind nur die drastischsten Fälle exemplarisch aufgezählt.Der EA erhielt unzählige weitere Meldungen über Schlägeund Tritte gegenüber gefangenen DemonstrantInnen. Zudem wurde denGefangenen der ihnen zustehende Telefonanruf verweigert. Die Wenigstenerhielten Essen oder etwas zu Trinken.
Für die zu erwartenden Kosten der anstehenden Prozesse hat dieRote Hilfe
ein Soli-Konto eingerichtet. Rote Hilfe e.V., Konto-Nr. 191100-462,BLZ: 44010046, Postbank Dortmund, Stichwort: „ Prag 2000“, Weitere Infosfindet ihr unter: Ex-Anti-Expo-Seite www.projektwerkstatt.de/hoppetosse/expo/prag

Persönliche Anmerkungen zur Karawane, den Prag-Aktionen und des Nachspiels, das diese haben

(per Email)

(1) Ich bin erst in Freiberg zur Karawane dazugestoßen, deshalb beziehen sich alle Aussagen auf die Zeit danach. Ich stimme ... vollkommen zu, daß die Karawane absolut unfähig war, politisch zu handeln. Egal, was vorher abgesprochen war, die Mehrheit der Leute tat immer das, was die Polizei von ihnen wollte (z.B. von der Straße auf den Parkplatz ausweichen, sich einzeln kontrollieren lassen am Grenzübergang, einen Teil der Karawane, d.h. Leute und Wägen, zurücklassen etc.) und der Rest zog nach. Ab dem Grenzübertritt hatten die meisten Leute sowieso keine Lust mehr, unterwegs zu sein, sie wollten nur noch so schnell wie möglich nach Prag. Sowie es dunkel wurde und das Kartenlesen Mühe bereitete, verließ mensch sich ganz auf die Polizei, und nahm immer den Weg, den sie einem zeigte. Noch übler als die politische Handlungsfähigkeit fand ich die Solidarität der Leute untereinander. Ein paar Leute wollten nur ihr egoistisches Ziel, möglichst schnell nach Prag zu kommen, erreichen und nahmen dabei keinerlei Rücksicht auf Leute, die nicht mehr konnten, was essen mußten und darum Pause machen wollten. Sie machten dermaßen Stimmung für ihr Ziel, daß sich selbst auf Plena ihre Meinung durchsetzte. Die Plena waren eh viel zu kurz, nicht alle konnten teilnehmen etc. Als mal Pause gemacht wurde, stürzten sich alle wie die Heuschrecken auf das Essen, so daß wiedermal für die Leute, die nicht den Nerv hatten, sich durchzukämpfen, nichts übrigblieb. Am Sa um 4 Uhr morgens kamen wir in Prag an, wieder waren es die müden Leute, die ein Interesse daran hatten, die das Mannschaftszelt aufbauten, während die anderen völlig überdreht mit viel Alkohol unsere Ankunft in Prag feierten. Um 9 Uhr desselben Morgens wurden wir durch Trompetenklänge geweckt und das Zelt über unseren Köpfen abgebaut, ein paar Leute verkündeten, daß auf dem Plenum beschlossen worden sei, daß alle um 9 aufstehen und zusammen in die Stadt runterfahren. Ich bin sicher, daß über die Hälfte der Leute nichts davon mitbekommen hatte. Die Karawane ist somit ein typisches Beispiel dafür, wie unter besonderen Bedingungen Ideale komplett über Bord geworfen werden, bis nur noch das Prinzip „survival of the fittest“ gilt. Ich werde diese Kritik auch noch an die Karawaneliste selbst schicken, sobald ich die Adresse rausgefunden habe.

(2) Das Aktionskonzept und die Durchführung am 26.9. liefen erstaunlich gut. Noch am Tag davor hatten wir uns das Kongreßzentrum angeschaut, es lag auf einem Berg, war wie eine Festung ausgebaut und es gab einfach zu viele Zufahrtswege. Auf den Plena herrschte ein heilloses Chaos, weil alles in fünf oder sechs Sprachen mindestens übersetzt werden mußte. Aus diesen Gründen gingen wir davon aus, daß das Konzept, das Kongreßzentrum zu blockieren, nicht funktionieren würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Das Kongreßzentrum wurde von 3 Demoteilen umkreist und blockiert, es gab etliche offensive Angriffe, so daß die Delegierten eine ganze Zeitlang Ausgangsverbot hatten. Die Polizei konzentrierte sich auf wenige Örtlichkeiten, eben das Kongreßzentrum, die Oper, den Wenzelsplatz etc. d.h. die Innenstadt war nahezu frei und Aktionen an vorbeifahrenden Bonzenkarren und McDoofs etc. gut möglich. Z.T. waren auch Sachen gesmasht, wo ich mir nicht sicher war, ob das gut war, so z.B. kleine, unbekannte Banken. Insgesamt denke ich, war Prag tatsächlich ein weiteres seattle-ähnliches Ereignis, welches kurzfristig viel Medienpräsenz erreicht, nicht viel verändert, dessen Strategie weiterhin überdacht werden muß.

(3) Während der Aktionen am Dienstag wurde noch das Convergence-Center geräumt. Am Abend begann die Polizei, willkürlich Leute zu verhaften, an Straßenbahnhaltestellten anzuhalten, alle links aussehenden Leute zu verhaften, z.T. zusammenzuschlagen. So gings weiter am Mittwoch-Morgen nach einer friedlichen Hotelblockade mit 30 Leuten und anscheinend die ganzen weiteren Tage, was ich dann aber nur aus zweiter Hand weiß. Wie mir aus einem persönlichen Bericht und aus der Mailingliste bekannt ist, ging die Polizei gegen die über 800 Verhafteten mit äußerster Brutalität vor. Leute bekamen nichts zu essen, mußten im Freien schlafen, mußten sich ausziehen, wurden geschlagen etc. Nicht selten trugen sie schwere Verletzungen davon, z.B. gebrochene Arme. Die Rechte, die Gefangene auch in tschechischen Knästen haben, und über die wir im Vorfeld gut informiert wurden, wurden übergangen (Recht auf DolmetscherIn, auf Anruf beim AnwaltIn etc.). Ich hab selbst noch am Di eine übelsten Übergriff der Polizei beobachtet, nämlich wie sie einen Gefangenen mit dem Gesicht nach unten durch die Scherben eines entglasten McDoof gezogen haben. Wir haben es hier mir einer etwas anderen Lage zu tun als sonst. Im Normalfall läßt sich leicht sagen, man müsse über seine Rechte bescheid wissen und solle sich nicht einschüchtern lassen. Doch was tun, wenn diese Rechte mal kuzerhand einfach nicht beachtet werden? Ich bin echt furchtbar wütend und fühle mich einigermaßen hilflos. Es ist, glaube ich, das erste Mal, daß ich merke, auf was für dünnen Beinen Menschenrechte stehen, überall. Dabei sind Menschenrechtsverletzungen ja auch in Deutschland an der Tagesordnung, z.B. bei Abschiebungen. Man merkts halt wiedermal erst dann, wenn man selbst nur knapp davongekommen ist.

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