Stiftung Freiräume

PSYCHOLOGIE UND ERZIEHUNG

Abhängigkeit und Gehorsam


1. Einleitung
2. Über die psychologischen Hintergründe von Erziehung
3. Abhängigkeit und Gehorsam

Ob Eltern die Ansätze des Kindes zur Autonomie unterstützen, hängt von ihrer Fähigkeit ab, diese als solche zu erkennen. Wenn sie selbst als Kinder in ihrem autonomen Begehren gedrosselt wurden, können sie denselben Drang in ihren eigenen Kindern weder erkennen noch akzeptieren. Ihre Kinder erwecken das Leid und die Wut, die sie sich nicht eingestehen können. Aus diesem Grund werden sie ihre Kinder als eigensinnig einstufen, um die Erinnerung an ihre eigene Unterdrückung zu blockieren. Für ihre Kinder bedeutet das, daß sie von den Quellen ihrer eigenen Lebendigkeit abgeschnitten werden. Um sich "lebendig" zu erhalten, müssen sie abhängig werden von der Steuerung ihrer Eltern. Und Eltern wundern sich dann, wenn ihre Kinder ihnen lästig werden, wenn sie nichts ohne die Eltern anfangen können, nicht aus dem Auge gelassen werden dürfen. Ohne es zu wollen, haben sie sich zur ständigen Quelle der lebenserhaltenden Sti mulation ihrer Kinder gemacht.
Diese Abhängigkeit ist der Grundstein des Gehorsams, den unser Sozialisierungsprozeß verlangt. Mit diesem werden Empa thie und Autonomie, die von der Empathie ausgehen gedrosselt. Damit fängt der Selbsthaß an.

Grün, Arno (2006): Verratene Liebe – Falsche Götter. München: dtv (S. 38-39)

Liebe bedeutet, die Individualität eines anderen Wesens erken nen und schätzen zu können; Freude zu haben am Wachsen des anderen. Aber wie ist das möglich, wenn man selbst im eigenen Wachstum, in seiner Lebendigkeit unterdrückt wurde? Was be deutet es, von einem so geschädigten Menschen geliebt zu wer den? Und wenn wir alle auf verschiedene Weise von unserer Entwicklung zum eigenen Sein abgehalten wurden, sind wir dann nicht alle, unterschiedlich gewiß, geschädigt? Was heißt es dann, daß wir alle Liebe wünschen, alle glauben, geliebt werden zu wollen und auch Liebe geben zu können?
Grün, Arno (2006): Verratene Liebe – Falsche Götter. München: dtv (S. 39)

In dem Ausmaß, in dem unser Sozialisierungsprozeß von Gehorsam bestimmt ist, können Menschen dazu erzogen werden, sich nicht für ihre eigene Lebendigkeit zu lieben. Statt dessen lernen sie, sich für korrekte Ausführungen von Verhaltensrollen zu lieben. Indem sie dadurch ihre eigene Fähigkeit, auf empathische Art wahrzunehmen, verlieren, verlieren sie auch die Fähigkeit, den Schmerz und das Leid anderer nachzuempfinden.

Grün, Arno (2006): Verratene Liebe – Falsche Götter. München: dtv (S. 165)

Der Frieden kann nicht zustande kommen, wenn wir ihn nicht in uns besitzen. Der Versuch, ihn durch äußere Maßnahmen herbeizuführen, ist immer gescheitert. Die Herrschaftsstrukturen "vererben" sich, denn der Unterdrückte identifiziert sich mit ihnen, verinnerlicht sie als halluzinatorische Gegenmacht zu der Hilflosigkeit, die er für Schwäche hält. Deshalb kann er auch seinen eigenen menschlichen Wert nicht erkennen.

Grün, Arno (2006): Verratene Liebe – Falsche Götter. München: dtv (S. 145)

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