Gewaltfrage

STELLVERTRETUNG UND REPRÄSENTATION ALS FEINDE DER SELBSTBESTIMMUNG

Petitionen: "Bitte, bitte" an die Mächtigen


1. Beispiele und Zitate
2. Ein Hoch dem Parlamentarismus
3. Mehr Stellvertretung!
4. Petitionen: "Bitte, bitte" an die Mächtigen
5. Links

Aus: Ein Stück gelebte Demokratie

Text: Gregor Mayntz
Fotos: Deutscher Bundestag
Aus: Blickpunkt Bundestag 9/2004
Quelle: zivildienst 8/2006 (S. 22 ff.)

Jeder Bürger hat das Recht, sich mit einer Petition an den Petitionsausschuss des Bundestages zu wenden.
Das Petitionsrecht zählt zu den Grundrechten und ist seit 1949 im Grundgesetz verankert. Es ist ein Stück gelebte direkte Demokratie.

Täglich neue Aufgaben
Bitten der Bürger - das ist aus der Sicht der Abgeordneten im Petitionsausschuss ein Phänomen: Je mehr sie davon lesen und bearbeiten, desto mehr scheinen es zu werden. Denn der Strom der Petitionen reißt nie ab. Bei rund 15.000 Eingaben im Jahr ist das kein Wunder. Der Ausschussdienst der Bundestagsverwaltung sichtet die Petitionen vorab, bewertet diese und unterbreitet den Abgeordneten Vorschläge dazu. Mancher Abgeordnete nimmt sich je nach Arbeitsrhythmus, jeden Tag einige Anliegen vor.
Mancher widmet einmal in der Woche viele Stunden dieser ganz speziellen Aufgabe - kaum aber ist der Stapel wieder auf dem Weg, landet ein neuer dort. Insofern liegt ein wesentlicher Unterschied zur Arbeit in anderen Fachausschüssen des Bundestages auf der Hand: Man arbeitet nicht Monate oder Jahre an einem Gesetzesprojekt, erlebt und gestaltet dessen Detailregelungen vom Entwurf bis zur Beschlussfassung. Man ist stets und ständig mit neuen Anliegen befasst.

Bunt und vielfältig wie die Wirklichkeit
Die vom Ausschuss beratenen Petitionen sind daher so bunt und vielfältig wie die Wirklichkeit in Deutschland. Aber ein wenig fachliche Arbeitsteilung ist auch hier üblich. So übernimmt jeder Politiker verschiedene Sachgebiete: Der eine kümmert sich etwa schwerpunktmäßig um Petitionen aus dem Bereich des Verteidigungs- und Außenministeriums, der andere bearbeitet Petitionen aus dem weiten Feld der Zuständigkeiten des Innenministeriums, wieder ein anderer widmet sich vor allem den Eingaben mit Gesundheits- und Sozialthemen. Daneben sind natürlich auch alle Petitionen für den einzelnen Abgeordneten interessant, die aus seinem eigenen Wahlkreis, seiner eigenen Heimatregion stammen.
Jede Petition bekommt eine eigene Akte, in der sämtliche Schritte nachvollzogen werden können: Stellungnahmen der betroffenen Ministerien, zusätzliche Informationen des Petenten, Vorschläge des Ausschussdienstes, Einschätzungen der Berichterstatter. Im Zeitalter von Bits und Bytes stehen die Vorgänge parallel zur Papierform auch noch einmal zeitnah im Intranet des Bundestages. Aber nicht jeder Politiker oder Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung hat Zugriff darauf - nur diejenigen Büros, die wegen ihrer Funktion an das "Petkom"-System des Ausschusses angeschlossen sind. So kann sich jedes Mitglied des Petitionsausschusses schnell über den Stand der Bearbeitung jeder einzelnen Petition informieren.

Durch Verfassung vorgeschrieben
Der Petitionsausschuss gehört zu den wenigen Gremien des Parlaments mit Verfassungsrang. Er ist nach dem Ausschuss für Wahlprüfung, Geschäftsordnung und Immunität sogar der "zweite" in der Reihenfolge der Fachausschüsse, also ganz oben angesiedelt. Dennoch, räumt Josef Philip Winkler, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen freimütig ein, "gehört er nicht unbedingt zu denen, die bei den meisten Abgeordneten auf der Liste der gewünschten Ausschüsse unter den ersten drei auftauchen".
Auch er selbst habe es sich nicht ausgesucht, als er von seiner Fraktion gebeten worden war, in den Petitionsausschuss zu gehen. Inzwischen aber hat sich seine Einstellung gründlich geändert: "Ich würde ihn jetzt nicht mehr hergeben!' Das hat nicht nur damit zu tun, dass Winkler inzwischen Obmann seiner Fraktion im Petitionsausschuss geworden ist und damit einen guten Überblick über alle wichtigen anhängigen Verfahren hat. Vor allem ist es das direkte Erfolgserlebnis", das die Mitglieder im Ausschuss bei ihrer täglichen Arbeit haben können.

Mal ein paar Nickeligkeiten
Winkler, von Hause aus Krankenpfleger, schaut sich besonders gern Gesundheitspetitionen an. "Ich nehme nicht jede offizielle Stellungnahme als gottgegeben hin!' Oft kennt er die Materie aus eigener Anschauung, kann also aus doppelter Perspektive (Praktiker des Gesundheitswesens und Teil des Gesetzgebers) die Anliegen der Petenten verfolgen. Und das in einem Klima, das sich gründlich von der Arbeitsatmosphäre in anderen Gremien unterscheidet: Es gebe zwar "ab und zu mal ein paar Nickeligkeiten", doch überwiegend arbeiteten die Abgeordneten über Fraktionsgrenzen hinweg unproblematisch zusammen.
Es gehe auch den Oppositionskollegen nicht darum, andauernd die Regierung vorzuführen (dazu beträfen zu viele Petitionen Regelungen, die aus Zeiten stammten, in denen die jetzige Opposition noch die Regierung stellte), sondern es gehe allen gemeinsam darum, das Beste für den Petenten herauszuholen, wenn sich einmal herausgestellt habe, dass hier etwas geschehen müsse. "Es ist faszinierend, die Ausübung eines Grundrechtes so hautnah mitzuerleben, selbst daran mitzuwirken", unterstreicht Winkler. Hier treffe das Recht des Bürgers auf die Pflicht des Bundestages. Winkler: "Eine angenehme Pflicht."
Gabriele Lösekrug-Möller, die Obfrau der SPD-Fraktion im Petitionsausschuss, ist ebenfalls nach dem zufälligen Einzug in dieses Gremium aus Überzeugung dabeigeblieben. Als Nachrückerin war sie vor fünf Jahren in den Bundestag gekommen - und von ihrer Arbeitsmöglichkeit im Petitionsausschuss besonders angetan.

Nah am Loben
Gibt es einen Grund für den Umstand, dass der Petitionsausschuss nicht so weit oben auf der parlamentarischen Beliebtheitsskala angesiedelt ist? Lösekrug-Möller hat eine Vermutung: "Man kann mit den Petitionsakten nicht den Glanz entfalten wie mit anderen Initiativen." Der überwiegende Teil der Arbeit vollziehe sich nicht öffentlich. Das Publikum erfahre erst davon, wenn das Verfahren abgeschlossen sei und der Petent zuvor sein Einverständnis zur Veröffentlichung gegeben habe.
Wenn der Petitionsausschuss also nicht im Rampenlicht stehe, so doch "ein bisschen näher am Leben", wie die SPD-Politikerin erfahren hat. "Das macht uns vielleicht etwas bescheidener", fügt sie nachdenklich hinzu. Denn diese Abgeordneten seien tagtäglich konfrontiert mit den Unvollkommenheiten des Systems, mit der Erkenntnis, dass noch so gut gemeinte Gesetze für einzelne Betroffene alles andere als gut sein können.
Zu den restlos von der Arbeit des Ausschusses überzeugten Mitgliedern gehört auch Günter Baumann, der Obmann der CDU/CSU-Fraktion. Dabei wusste er anfangs kaum etwas damit anzufangen. Nur, dass sich offenbar kein Kollege darum reißt: "Du darfst in den Innenausschuss, aber dafür musst du auch in den Petitionsausschuss", lautete der Kommentar, als 1998 über die Ausschussbesetzung entschieden wurde. Aber ich habe nach ganz kurzer Zeit gemerkt: Das macht Freude!"
Das Hauptaugenmerk des Ausschusses liegt auf der Erreichung von Gerechtigkeit. Insofern unterscheidet sich auch die Arbeit des Petitionsausschusses von der in anderen Gremien. Es wird nicht zuerst danach geschaut, was finanziell machbar ist, und dann überlegt, wie die Prioritäten gesetzt werden könnten.
Andererseits kann der Petitionsausschuss allein natürlich keine Gesetze ändern oder Ministerien anweisen, Aber er kann Empfehlungen in unterschiedlich dosierter Intensität aussprechen oderjeden Minister bei Bedarf "vorladen". Manches lässt sich auch beizeiten auf dem"kleinen Dienstweg" in Gang bringen. Nicht zuletzt: Die Erkenntnisse aus ihrer Arbeit können die Abgeordneten in ihren Fraktionen zur vorbeugenden Pannenabwehr einsetzen. Sie kennen die Tücken der Lücken aus dem Effeff. Und so wird der Petitionsausschuss am Ende doch zur Renommieradresse: Dessen Angehörige sprechen nicht über Theorie, sie kennen die Praxis. Und wenn sie ihren Kollegen Ratschläge in der Gesetzgebung geben, dann sind sie nicht allein: Mitunter stehen Dutzende, Hunderte oder gar Tausende von Petenten hinter ihnen. So bekommt ihr Wort Gewicht, wird ihre Arbeit wertvoll für beide Seiten - für den Bürger und die Volksvertretung.

Wie man eine Petition schreibt
Die Petition - das ist nach dem Stimmzettel eines der wichtigsten Mittel für den Bürger, im eigenen Interesse Einfluss auf die Politik und die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu nehmen. Es ist ein Recht, das jedem zusteht, also nicht nur Deutschen, die wählen dürfen, sondern auch Ausländern. Nicht nur Erwachsenen, sondern auch Kindern.
So wird es für den Bundestag zu einer Art Seismograf: Wie wirken die Gesetze wirklich? Hat das Parlament an alles gedacht? Oder bewirken Vorschriften Ungerechtigkeiten im Einzelfall? Die Petition ist somit nicht nur eine Möglichkeit des Bürgers, sich über das Handeln der Behörden zu beschweren. Die Petition stellt auch den Praxistest für alle politischen Entwürfe dar.

Schriftlich und unterschrieben
Damit der Bundestag durch die Petitionen aus der Bevölkerung ein möglichst direktes und absolut ungefiltertes Bild gewinnt, sind die formalen Anforderungen an eine Petition so klein wie eben möglich gehalten. Im Grunde reichen zwei Voraussetzungen: Die Petition muss schriftlich abgefasst, und sie muss eigenhändig unterschrieben sein.
So einfach ist das. Aber damit es danach auch zügig weiter geht, sollte sich der Petent, also der Schreiber der Petition, selbst klar werden über das, was er erreichen will, und ob der Bundestag ihm dabei helfen kann. Insofern ist es natürlich sinnvoll, wenn die Petition sich auf eine Angelegenheit bezieht, an der der Bundestag auch etwas ändern kann. Wer sich also beispielsweise über seine Kanalanschlussgebühr geärgert hat, ist mit seinem Anliegen besser bei seiner Stadt oder seiner Gemeinde aufgehoben. Da kann das Bundesparlament nichts machen. Das gilt auch für Gerichtsentscheidungen. Die Justiz ist in Deutschland unabhängig. Also muss man sich als Betroffener an den Instanzenweg halten und kann nicht erwarten, dass hier der Bundestag im Einzelfall tätig wird.

Bundes- und Ländersache
Nicht immer ist für den politischen Laien ersichtlich, ob die Angelegenheit, auf die er sich in seiner Petition beziehen will, vor allem im Bereich der Bundes- oder der Länderzuständigkeit angesiedelt ist, ob sie beispielsweise eher das Wirtschafts- oder das Sozialministerium betrifft. Keine Sorge: Um die präzise Zuordnung kümmern sich nach dem Eingang die fachkundigen Mitarbeiter. Aber wenn auf den ersten Blick eine Landesbehörde ein Landesgesetz ausgeführt hat, kann man sich den Umweg über den Bundestag sparen und sich direkt an den Petitionsausschuss des jeweiligen Landtages wenden - es sei denn, im Hintergrund steht doch wieder ein Bundesgesetz, das bei der Ausführung in den Ländern Probleme bereitet.

Einzelpetition: die klassische Form
Die "klassische" Form ist die Einzel-Petition. In sie stecken die Abgeordneten, ihre Zu- und Mitarbeiter ihre ganze Energie. Daneben gibt es noch die Sammel- und die Massenpetitionen. Die Sammelpetition besteht im Wesentlichen aus einem bestimmten Anliegen, dem sich per Unterschrift oder Unterschriftenliste mehrere oder viele Bürger angeschlossen haben. Die Massenpetition besteht zwar aus vielen einzelnen Schreiben, die jedoch alle gleichen oder fast gleichen Wortlautes ist.
Diese werden zwar registriert, doch im Gegensatz zur individuellen Petition bekommt hier nicht jeder Absender oder jeder, der eine Unterschrift geleistet hat, auch eine individuelle Nachricht des Petitionsausschusses. Das würde die Kapazitäten des Parlaments sprengen: Ohnehin sind nach Medienkampagnen oder anderen öffentlichen Aufrufen mitunter viele Mitarbeiter tagelang nur damit beschäftigt, Zehntausende von Briefumschlägen zu öffnen und die Zeitungsausschnitte oder Unterschriftenlisten zu zählen und zu stapeln. Trotzdem: In der Statistik werden auch 2.000, 20.000 oder 200.000 gleich lautende Briefe an den Petitionsausschuss wie eine einzelne Petition behandelt.

Das Petitionsverfahren beginnt
Was passiert nach dem Eingang beim Petitionsausschuss? Zunächst einmal wird geschaut, ob es wirklich eine Petition ist - und nicht nur eine Meinungsäußerung. Wenn dann auch noch Adresse und Unterschrift stimmen, bekommt die Petition eine Nummer, unter der sie registriert und im weiteren Verfahren immer wieder gefunden werden kann. Nun geht es an einen Mitarbeiter im Ausschussdienst, der sich mit dem angesprochenen Thema gut auskennt und eine fachliche Bewertung vornimmt. Oft fordert der Ausschussdienst vorab auch eine Stellungnahme des zuständigen Bundesministeriums an.
Danach kommen die Schreiben an eine erste Wegscheide: Reagiert das Ministerium im Sinne des Petenten, oder ist dem Anliegen auf andere Weise entsprochen, erhält der Absender einen positiven Bescheid. Ist der Ausschussdienst der Auffassung, dass keine Abhilfe möglich sein wird, geht ein negativer Bescheid auf den Weg. Kommt binnen sechs Wochen keine Einwendung des Petenten zurück, ist das Petitionsverfahren abgeschlossen. Daneben gibt es noch Fälle, in denen der Ausschussdienst den Einsendern die Fach- und Rechtslage erläutert.
Sollte nach Meinung der Mitarbeiter im Bundestag etwas geschehen, geht die Petition mit einem Vorschlag zur weiteren Behandlung an die Abgeordneten und deren Büros. Und zwar immer an zwei Politiker - einen aus den Regierungs-, und einen aus den Oppositionsfraktionen. Sie schauen sich die Vorlage an und machen ihrerseits Vorschläge. Diese gehen an den Ausschuss, und wenn der darüber befunden hat, befasst sich der Bundestag als ganzes damit, Danach erhält der Absender Post vom Ausschussvorsitzenden, der ihm darin mitteilt, dass sich der Deutsche Bundestag seiner Sache angenommen hat und wie die Petition weiter behandelt werden soll: ob sich etwa der Ausschuss weiter in der Sache engagiert, oder ob ein Erfolg so unwahrscheinlich ist, dass die Angelegenheit abgeschlossen werden sollte. Einmal im Jahr erstattet der Ausschuss dem Bundestag einen Bericht, der auch als Drucksache veröffentlicht und beraten wird.

Formulare für Petitionen
Auf der Internetseite des Bundestages gibt es nähere Angaben und einige gestaltete Seiten, damit man auch nicht seine Unterschrift, sein Anliegen und seine Adresse vergisst, wenn man die Petition einschickt an den

Deutschen Bundestag
Petitionsausschuss
Platz der Republik 1
11011 Berlin
www.bundestag.de (Parlament/Ausschüsse)

*Zitiert im Buch "Demokratie. Die Herrschaft des Volkes. Eine Abrechnung

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