Gewaltfrage

GENTECHNIK UND HERRSCHAFT: EINE KRITIK AUS EMANZIPATORISCHER PERSPEKTIVE

Blick in eine bessere Zukunft?


1. Einleitung
2. Agrogentechnik - eine kleine Einführung
3. Kritik der Kritik
4. Durch die Herrschaftsbrille: Emanzipatorische Kritikpunkte an der Agrogentechnik
5. Blick in eine bessere Zukunft?
6. Perspektiven I: Ziele entwickeln und benennen
7. Perspektiven II: Organisierung
8. Weiterführene und ergänzende Texte

Solange die Gesellschaft durch entsprechende Regeln auf Sicherung und Ausbau von Macht und Profit ausgerichtet ist, werden alle technischen Entwicklungen ebenso wie das praktische Handeln in Politik und Wirtschaft auch diesen Zielen dienen. Nur in einer herrschaftsfreien Welt können die Motive des Herrschaftsausbaus und deren Mittel wie Diskurssteuerung, Kontroll- und Durchsetzungsmittel, Waffen usw. wegfallen. Es würde ‚nur’ noch geforscht nach dem, was aus der Sicht der Menschen von Vorteil ist. Was zur Zeit Herrschaft und Profit dient, fällt weg. Dafür wird an vielem Interesse entstehen, was zur Zeit kaum verfolgt wird, weil es eben keinen Profit und keine Machtausdehnung bringt. Kleine, hocheffiziente Windräder für jedes Hausdach oder Mini-Blockheizkraftwerke mit automatischer Faulschlammgärung aus Vakuumtoiletten der umgebenden Wohnungen zum Beispiel: Die würden den Strommarkt überflüssig machen und damit den Ort, wo der Profit realisiert werden kann. Kloputzautomaten, bessere direkte Kommunikationsmethoden in Wohnblöcken, auf der Straße, im Kiez oder im Dorf. Bessere Umgangsformen mit Konflikten. Mobilitätssysteme ohne die riesigen Schäden des Autowahns. Usw.

Exkurs zur Frage von Herrschaft und Technik
Technikentwicklung und Projektrealisierung finden auch in herrschaftsfreien Zeiten statt. Sie nehmen aber eine andere Richtung, weil sie auf anderen Logiken basieren. Realisiert wird, an was Menschen interessiert sind – und zwar von sich aus, nicht aus dem Zwang zur Verwertung oder dem Willen zur Beherrschung heraus. Weil sie ihr Wissen nicht von anderen abschotten können, ist jede Erfindung oder Entwicklung potentiell für alle gut. Und weil das unmittelbar einleuchtend ist, wird auch das Interesse steigen, dass Wissen sich austauscht und verbreitet – was wiederum fördert, dass horizontale Kommunikationssysteme entstehen. Denn: Nur unter Profit- und Machtgesichtspunkten ist es vorteilhaft, wenn Wissen gehortet, patentiert oder geheimgehalten wird. Das steigert den Preis oder Herrschaftsnutzen. Wo aber die Verwertungslogik fehlt, kann einE ErfinderIn nur alles für sich behalten, Konstruktionspläne verbrennen oder was auch immer. Davon hat sie/er nichts. Ist das Wissen aber frei, wird jedeR ErfinderIn schnell Verbesserungsvorschläge erfahren und wiederum bei anderen abgucken können. Es ist besser für jede Person, wenn sich jede andere Person auch voll entfalten und maximal viele gute eigene Gedanken entwickeln kann.
Was herauskäme, wäre ein grandioser Schub an Technikentwicklung für ein besseres Leben. Und das schnelle Ende der Entwicklung von Technik für mehr Profite. Statt großen, zentralen Kraftwerken oder Windparks, die ja wegen des dann erzwungenen Stromvertriebs über den Markt vor allem aus Profitinteressen entstehen, wird es viele kleine, oft technisch sehr fortschrittliche Lösungen geben, deren Ziel es ist, dass die Menschen es gut haben: Warm in den Räumen, schlaue Geräte am Stromnetz, arbeitssparende und hoch-effiziente Entsorgung von Fäkalien und Abfällen usw. Um Totalausfälle zu vermeiden, lohnt sich ein Verbund zwischen den verschiedenen Organisationseinheiten, deren Grenzen ohnehin nicht scharf gezogen sind – warum sollte daran jemand Interesse haben?
Alles basiert in einer herrschaftsfreien Welt auf Interessen der Menschen selbst. Sie werden eine Mobilität entwickeln, die ihren Wünschen entspricht: Reisen zu können (viele Menschen haben Lust auf Mobilität, daher werden Methoden des Vorankommens entstehen), ohne Lebensqualität zu verlieren (viele Menschen werden Lust auf lärm- und gestankarmes Leben haben, Kinder und Erwachsene wollen vor der Haustür spielen, daher wird die heutige Form der mit Zwang durchgesetzten Auto-Mobilität keine Chance haben). Was wird entstehen? Schwebebahnen? Das ist schwer vorherzusagen. Wir sind von dieser Welt weit entfernt. Nur eines dürfte klar sein: Eine herrschaftsfreie Welt ist keine anti-technische Welt. Ganz im Gegenteil: Die Produktivkraft wird extrem steigen, wenn die Menschen für ein besseres Leben tätig werden. Auch wenn sie (was zu erwarten ist) viel mehr das bessere Leben auch genießen werden – sie werden viel produktiver, einfallsreicher und kommunikativer agieren. Weil es ihnen hilft! Der Egoismus in Form des Willens zu einem besseren Leben, treibt die Produktivität und den Erfindungsreichtum der Einzelnen an, führt aber ebenso zu viel Kooperation und zum Wunsch, dass sich andere auch entfalten, weil ich das von ihnen Erschaffene nutzen, kopieren oder weiterentwickeln kann.

Im Original: Markt, Macht, Wissenschaft
Aus Bookchin, Murray (1992): "Die Neugestaltung der Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (mehr Auszüge)
Es ist wichtig, die Entwicklung einer Technik, die die moderne Angst vor dem Mangel beseitigen kann, eine Nach-Knappheits-Technik sozusagen, zum Bestandteil des revolutionären Projektes zu machen. Eine solche Technologie muss jedoch in den Kontext einer sozialen Entwicklung gestellt werden und darf nicht als "Vorbedingung" menschlicher Emanzipation unter allen Bedingungen und für alle Zeiten aufgefaßt werden. (S. 134 f.) ...
Soll die Technik natürliche Zyklen ablösen, die das Verhältnis von atmosphärischem Kohlendioxyd und Sauerstoff regeln, soll sie einen Ersatz für die sich zersetzende, das Leben vor tödlicher Sonnenstrahlung schützende Ozonschicht bieten; soll sie den Boden durch hydroponische Lösungen ersetzen? Alles dies, wenn es denn möglich wäre, würde ein hoch diszipliniertes System gesellschaftlichen Managements erfordern, das mit Demokratie und politischer Mitwirkung des Volkes völlig unvereinbar wäre. (S. 169 f.)

Aus Niels Boeing, "Rip, Mix & Fabricate" in: "Anarchistische Welten" (2012, Nautilus in Hamburg)
Die geschlossene Technosphäre ist eine wachsende Ansammlung von Blackboxes, die wir nicht durchschauen sollen. ...
Wir müssen uns die Technik, auch in ihrer Gestalt als Technosphäre, aneignen und vom Kapitalismus ablösen und können umgekehrt durch ihre Aneignung sogar dazu beitragen, den Kapitalismus auszuhöhlen. Wir können diese Aneignung forcieren, wenn wir ein analytisches Werkzeug finden, das uns den systematischen Zugang zur Technik so erweitert, dass sich daraus neue, konkrete Handlungsmöglichkeiten ergeben. ... (S. 191f.)
Hingegen Technik als Verschwörung des Kapitals oder Ausgeburt menschlicher Gewalttätigkeit zu begreifen und deshalb abzublocken, überlässt die Umgestaltung der Welt weiterhin den Technokraten. Die übernehmen wir besser selbst. (S. 197f.)

Aus Richter, Horst-Eberhard: "Niederlage des Intellekts", in: Freitag, 23.7.2004 (S. 3)
Schon Francis Bacon hatte zum Anbeginn der neuzeitlichen Naturwissenschaft als deren Ziel die grenzenlose Herrschaft des Menschen genannt. Ein Fortschritt der Erkenntnis bis zu dessen Selbstvergöttlichung hatte Descartes vorgeschwebt. In puncto Allmacht hat dieser Fortschritt dem Menschen nunmehr die furchtbare Chance vermittelt, seine Herrschaft als grenzenlose atomare Zerstörung der Natur und des eigenen Geschlechtes auszuüben.
Das ist zustande gekommen, weil sich die westliche Menschheit dem geheimen Machtwillen der Naturwissenschaft wie einer neuen Religion unterworfen hat. Die gläubige Ergebenheit des Mittelalters ist also nicht - wie oft behauptet - einer aufgeklärten Mündigkeit gewichen, sie hat vielmehr in einer mit der Naturwissenschaft eng verbundenen Ersatzreligion neuen Halt gesucht und gefunden. Das hat der Computer-Wissenschaftler Joseph Weizenbaum so prägnant wie kein anderer beschrieben: "Ich meine wirklich, dass die Naturwissenschaft, in den westlichen Ländern jedenfalls, heute alle Merkmale einer organisierten Religion hat. Da gibt es Novizen, das sind die Studenten an den Universitäten. Da gibt es Priester, das sind die jungen Professoren. Dann gibt es Monsignores, das sind die älteren. Es gibt Bischöfe und Kardinäle, und es gibt Kathedralen. Meine eigene Universität, das Massachusetts Institute of Technology (MIT), ist eine Kathedrale in der Naturwissenschaft. Es gibt sogar Päpste, und auch - das ist sehr wichtig - Häretiker. Die Häretiker werden bestraft, genau so wie die Häretiker einer alten Religion. Sie werden ausgestoßen. Und wenn man schließlich als Häretiker anerkannt ist, dann wird auch behauptet: Der war doch nie ein richtiger Wissenschaftler! Das alles gibt es. Und dann gibt es die große Masse der Gläubigen. In diesem Sinn besteht überhaupt kein Unterschied zwischen Naturwissenschaftsglauben und dem Glauben an die Lehre der katholischen Kirchen im Mittelalter."
Von der Masse ihrer Gläubigen bestärkt, sind Naturwissenschaftler und Ingenieure nun unentwegt dabei, alles Machbare auch zu machen beziehungsweise machen zu lassen. Max Born, Freund Einsteins und wie dieser Physik-Nobelpreisträger, erklärt unumwunden: "Die politischen und militärischen Schrecken sowie der vollständige Zusammenbruch der Ethik, deren Zeuge ich während meines Lebens geworden bin, sind kein Symptom einer vorübergehenden sozialen Schwäche, sondern notwendige Folge des naturwissenschaftlichen Aufstiegs - der an sich eine der größten intellektuellen Leistungen der Menschheit ist."

Aus Thilo Bode (2003): "Die Demokratie verrät ihre Kinder" (S. 146 ff.)
Es wird entscheidend für die Zukunft der Menschheit sein, ob Konzerne Technologien entwickeln, die zur Lösung der großen globalen Probleme beitragen. Die aktuell entwickelten und vorangetriebenen Technologien sind jedoch nicht problemorientiert, sondern profitorientiert. Technischer Fortschritt ist kein autonomer Prozeß, er ist ein Resultat von Marktanreizen und politischen Entscheidungen. Welches Risiko einer neuen Technologie dabei eine Gesellschaft zu tragen bereit ist, kann nicht wissenschaftlich, sondern muß politisch entschieden werden.
Unternehmen entwickeln neue Technologien und Produkte, die mit kaufkräftiger Nachfrage auf entsprechenden Märkten rechnen können. Andernfalls lohnen sich die Entwicklungs und Investitionskosten nicht. Deshalb entwickeln die bedeutenden Pharmakonzerne keinen Impfstoff gegen Malaria, obwohl diese Impfung Hunderten Millionen von Menschen in tropischen Ländern das Leben retten würde, sondern erforschen bevorzugt neue Potenzmittel für Kundschaft in den Industrieländern. Dort ist Kaufkraft, in Malariagebieten nicht. Anders bei Alds. Obwohl sich über 30 Mil110nen HIV Infizierte in der Dritten Welt teure Medikamente zur Behandlung der Infektion nicht leisten können, reicht die kaufkräftige Nachfrage in der Ersten Welt aus, um die Entwicklungskosten zu decken.
Die Marktlogik fördert Technologien, die sich in der Gestalt von Produkten, Waren oder handelbaren Dienstleistungen niederschlagen, also verkauft werden können. Kostengünstige Alternativen, etwa Prozesse, die sich aus bereits bekannten, nicht patentierbaren Verfahren zusammensetzen und nicht "verkauft" werden können, also nicht marktfähig sind, kommen dadurch nicht zur Anwendung. Biologische Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft kann als Alternative zu schädlingsresistentem, gentechnologisch manipuliertem Saatgut ebenso wirkungsvoll sein, zugleich ohne die schädlichen Umweltbelastungen und zu geringeren Kosten für die Landwirte. Derartige Methoden sind für Konzerne Jedoch nicht attraktiv sie versprechen keinen Markt. Gemäß dieser Logik versuchen die Saatgutkonzerne mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, die sogenannte Grüne Gentechnologie in der Landwirtschaft der Dritten Welt durchzusetzen.
Die Produkte der Grünen Gentechnologie bestehen aus transgenem, patentiertem Saatgut, das entweder durch ein in die Erbanlagen eingebautes Bakterium gegen Schädlinge resistent ist oder durch Erbgutveränderung unempfindlich gegen bestimmte chemische Unkrautvernichtungsmittel gemacht wurde. Ein derartiges Saatgut ist zwar marktfähig, weil es sich als "Produkt" verkaufen läßt, ist jedoch mitnichten das beste Mittel, die Landwirtschaft in der Dritten Welt zu entwickeln. Diese Technologie setzt nicht am Kernproblem der bäuerlichen Landwirtschaft in armen Ländern an. Diese hat keinen Mangel an geeignetem Saatgut; im Gegenteil, Bauern in der Dritten Welt haben über Jahrhunderte besonders gut angepaßte Sorten entwickelt. Die Hindernisse für eine Entwicklung der Landwirtschaft liegen in zu niedrigen Erzeugerpreisen, den Bodenbesitzverhältnissen, mangelnder Infrastruktur und auch mangelndem Know how. Diese Ursache anzugehen wäre die richtige Strategie. Doch den Saatgutkonzernen gelingt es, mehr und mehr EU Gelder, die zur Förderung der Landwirtschaft in der Dritten Welt bestimmt sind, für Grüne Gentechnologie abzuzweigen. Die hervorragenden Methoden der Schädlingsbekämpfung in der organisch biologischen Landwirtschaft, die darüber hinaus die Bodenfruchtbarkeit steigern und die Sortenvielfalt erhalten, sind aber für das Agro Business nicht rentabel. Mit der unseriösen Behauptung von der Notwendigkeit der Grünen Gentechnologie im Kampf gegen den Welthunger ködert die Industrie lokale Politiker und die Entwicklungshilfeinstitutionen der Industrieländer. Die Finanzstärke der Konzerne und die Anfälligkeit lokaler und nationaler Administrationen für Geldzuwendungen tun das ihrige, um traditionellen und mindestens ebenbürtigen Technologien wenig Durchsetzungschancen zu lassen.
Die Grüne Gentechnologie ist in Industrieländern attraktiv, weil sie die Kosten der Schädlings und Unkrautbekämpfung reduziert. Sie ist jedoch keine zukunftsfähige Technologie, weil sie die Probleme der hochindustrialisierten Landwirtschaft eskaliert: den hohen Energieverbrauch und damit die Emission von Treibhausgasen, die um 50 Prozent höher als in der ökologischen Landwirtschaft liegen, die Verarmung der Arten und Sortenvielfalt, die Verschmutzung des Grundwassers mit Pestiziden und die Oberdüngung von Ober-flächengewässern durch Phosphateinträge. Ein Patentrecht, das die Patentierung von Gensequenzen untersagt, Energiepreise, die die Kosten der globalen Erwärmung reflektieren, das Verbot von Massentierhaltung, die Reinhaltung des Grundwassers, und ein den Regenwald nicht zerstörender Futtermittelanbau würden ein unterschiedliches Modell der Landwirtschaft hervorbringen. Die grüne Gentechnologie bräuchte man unter diesen Voraussetzungen nicht.
Ihre Existenz zeigt kraß, daß der Markt nicht die für die Problemlösung besten Technologien hervorbringt, sondern diejenigen, die den Rahmenbedingungen am besten entsprechen. Und das sind meistens nur die zweit oder drittbesten Lösungen. Besonders schlimm ist, daß der Staat, der nicht der Marktlogik gehorchen müßte, keine anderen Anreize setzt. Anstelle Forschung und Entwicklung nicht unmittelbar marktfähiger, aber besserer Alternativen zu fördern, belohnt er auch noch die Konzerne. Der Bund fördert wissenschaftliche Forschungsvorhaben mit rund zwei Milliarden Euro pro Jahr. Davon gehen 750 Millionen in den Bereich "Lebenswissenschaften". Ein Drittel davon ist der grünen Gentechnologie gewidmet. Auf Forschungsvorhaben der ökologischen Landwirtschaft entfallen nur 0,5 Prozent des Budgets, etwa vier Millionen Euro.



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