Gewaltfrage

TEXTE AUS GEGENSTANDPUNKT

Amerika ruft den „War against Terrorism“ aus Europa sagt: „Ja, aber...!“


1. Terrorkrieg – die Gegengewalt der Ohnmacht
2. Amerika ruft den „War against Terrorism“ aus Europa sagt: „Ja, aber...!“
3. Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora vom 8. Oktober 2001

1. Als am 11.09. das Pentagon und das World Trade Center getroffen bzw.zerstört wurden, da galt in Deutschland und dem Rest Europas eineSprachregelung, die neben „Entsetzen“ und „Betroffenheit“ über dasAusmaß der Zerstörung und die Anzahl der Opfer in erster Linieden „Schulterschluss mit unseren amerikanischen Freunden“ betonte. Schröderin seiner ersten Regierungserklärung am „Tag danach“: „Ich habe ihm[Bush] auch die uneingeschränkte - ich betone: die uneingeschränkte– Solidarität Deutschlands zugesichert. [...] Ich habe noch gesternAbend mit dem französischen Staatspräsidenten Chirac und MinisterpräsidentJospin, mit dem britischen Premierminister Blair [...] gesprochen. Wirsind uns in der Bewertung einig, dass diese Terrorakte eine Kriegserklärungan die freie Welt bedeuten.“ Diese Einmütigkeit der Europäerin der Solidarität zu ihrem Seniorpartner ist ja auch kein Wunder:Weltweit stehen die USA als Garanten ihrer Weltordnung für die politischeund ökonomische Geschäftsgrundlage gerade, von der vor allemauch die europäischen Mitmacher profitieren. Eine solche Weltordnungerfordert einen beträchtlichen Aufwand an Gewalt, eine Aufgabe, fürdie in erster Linie die USA zuständig sind. Immer, wenn es um die- im US-Verständnis - „Drecksarbeit“ geht, versteht sich aber geradeDeutschland auf die Kunst, dazu eine Position der vornehmen Distanz einzunehmenund sich als eine Macht zu präsentieren, die natürlich allesviel geschickter und „mit friedlichen Mitteln“ in Ordnung gebracht hätte.
Dieses Deutschland, das in Wahrheit Trittbrettfahrer amerikanischerOrdnungsstiftung ist, präsentiert sich dann als eine mäßigendeKraft, deren „Angebote“ den betroffenen Staaten doch viel eher einleuchtenmüssten - „Angebote“, die natürlich auch nichts anderes beinhalten,als sich mehr an den politischen Intentionen Deutschlands auszurichtenund ihm neue Geschäftsmöglichkeiten zu eröffnen. Auf dieseArt und Weise haben sich Deutschland und die EU - unter dem SchutzschirmAmerikas - in aller Welt ausgebreitet und sich zum ernsten KonkurrentenAmerikas hochgearbeitet.
Darum ist auch sehr verständlich, dass sich Schröder undBlair als Mitbetroffene der Anschläge bezeichnen und ihre „Solidarität“beteuern: Wenn die Abschreckungsfähigkeit Amerikas beschädigtwird, die auch die Grundlage für die Machtentfaltung und ökonomischeKraft der Juniorpartner darstellt, dann sind auch letztere geschädigt.Der seitens Amerikas ausgerufene „War against Terrorism“ ist also auchihre Sache.
2. Mit der ganzen souveränen Arroganz der Weltsupermacht interpretiertdie amerikanische Politik einen Angriff auf die USA als eine „Kriegserklärungan die“ gesamte „freie Welt“, bei dem es nicht bloß um eine Schädigungder amerikanischen Macht gegangen sein soll, sondern gleich um einen Anschlagauf die heiligsten Werte der zivilisierten Menschheit wie Freiheit, Gerechtigkeitund „unseren way of life“ überhaupt.. Das will der deutsche Kanzlernicht bestreiten; vielmehr fordert er als Konsequenz aus dieser Deutungder „Attack on America“, dass dann die Antwort eine des westlichen Bündnissessein muss und nicht ein amerikanischer Alleingang, bei dem die NATO-Partnerlediglich assistieren dürfen. Selbstverständlich weigert sichDeutschland nicht, beim „Krieg gegen den Terrorismus“ unter Führungder USA mitzumachen. Aber gerade unter Berufung auf die von Washingtoneingeforderte Zuständigkeit der NATO gemäß Artikel 5, derden Bündnisfall wegen eines Angriffs von außen auf das NATO-MitgliedUSA vorsieht, gestattet sich der Kanzler ein paar gutgemeinte Bedenklichkeitenunter befreundeten Bündnispartner.
Schröder verdeutlichte am 19. September in seiner Regierungserklärungdie nach dem ersten Schock und Entsetzen über den Anschlag auf dieWeltführungsmacht wiedergewonnene nationale Einsicht, dass man mitden Amerikanern in einem Boot sitzt, aber auch als deren Konkurrent: „Beidiesen Entscheidungen lassen wir uns einzig von einem Ziel leiten, dieZukunftsfähigkeit unseres Landes inmitten einer freien Welt zu sichern..“
Zunächst also - nach der natürlich allfälligen Solidaritätsadresseund der Betonung der Freundschaft - die Feststellung, dass Deutschlandseine eigenen Interessen hat, auf die Schröder in allen - vor allemnatürlich den existentiellen - Fragen pocht. Und für die gesamte„freie Welt“ macht sich Schröder gleich mit-zuständig. Und weiter:„Natürlich: Jedes Recht korrespondiert mit Pflicht. Aber umgekehrtgilt: Auch mit einer Bündnispflicht korrespondiert ein Recht. Unddas heißt: Information und Konsultation.“ Schröder besteht alsodarauf, dass Deutschland sich bei aller Freundschaft und Dankbarkeit zuAmerika nicht zum bloßen Erfüllungsgehilfen eines amerikanischenFeldzugs degradieren lassen will, dessen Ziele und Mittel - und damit auchdessen eventuelle Folgen für alle Mitmacher - alleine die USA bestimmen.Mit „Information“ und „Konsultation“ fordert er eine Mitbestimmung fürDeutschland und Europa ein. „Zu Risiken, auch im Militärischen istDeutschland bereit, zu Abenteuern nicht. Diese werden von uns dank derbesonnenen Haltung der amerikanischen Regierung auch nicht verlangt undsicher auch nicht verlangt werden.“ Im ersten Satz traut der Bundeskanzlerdem amerikanischen Präsidenten Abenteurertum zu, er kann sich alsoamerikanische Reaktionen vorstellen, die Deutschland vor das Problem stellen,mit den Konsequenzen eines von Amerika geführten Krieges leben zumüssen. Das könnte die deutsche Sicherheitslage negativ beeinflussen,ohne dass Deutschland darüber mitbestimmt. Schröder unterstelltAmerika - unmittelbar nach der Beteuerung seiner „Solidarität“ - einenziemlich starken Drang zu „Abenteuern“, die durch deutsche Mitwirkung vermiedenwerden müssen. Zugleich weiß ein Schröder aber auch, dasser von den Beschlüssen Amerikas abhängig ist, dass er aus eigenerKraft eine solche „besonnene Haltung“ Amerikas nicht herstellen kann. Mitder Feststellung im zweiten Satz, dass von Deutschland auch gar keine Abenteuerverlangt seien, tut er so, als sei die gerade so eingeforderte MitbestimmungDeutschlands bereits gegessen. Unterstellt ist hierbei, dass das Kräfteverhältniszwischen den USA und Europa eindeutig verteilt ist: Wenn Amerika einen„Kreuzzug gegen den Terrorismus“ nicht nur beschließt, sondern auchbeginnt und durchführt, dann kann es das weitgehend aus eigener Machtvollkommenheittun. Für Gewaltaktionen jeder Größenordnung besitzen dieUSA die entsprechenden Gewaltmittel selbst und sie sind für die vonihnen
ausgerufenen Kriege nicht unbedingt auf die militärische Unterstützungihrer Juniorpartner angewiesen. Lieber wäre ihnen allerdings, wenndie Bündnispartner sie in ihrem Krieg unterstützen, denn auchdie überlegene amerikanische Macht tut sich viel leichter, wenn sieauf die politische Rückendeckung und die Benutzung z. B. Deutschlandsals „logistischer Drehscheibe“ zählen kann. Das weiß natürlichauch ein Schröder ganz genau und fordert für seine UnterstützungMitbestimmungsmöglichkeiten bei den Amerikanern ein.
3. Nach viel Betroffenheit und Entsetzen und „Schulterschluss mit Amerika“machen sich in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend kritische Einwändebreit. Da werden Professoren und sonstige Experten mit hämischen Befundenvorgeführt, dass die USA sich diese Anschläge doch aufgrund ihrervielfältigen, weltweiten Machtentfaltung selbst zuzuschreiben hätten.Was sich erst anhört wie die Suche nach objektiven Gründen fürdie Feindschaft, aus der solche Anschläge erwachsen, entpuppt sichschnell als moralische Begründung für euro-imperialistische Einsprüche:Wer nämlich die ganze Zeit nur erzählen will, dass die Amis dochauch Dreck am Stecken haben, wer also nur diverse Missetaten gegeneinanderaufrechnen will, den interessieren in Wahrheit nicht objektive Gründe,sondern nur Schuldfragen. Und die interessieren ihn auch nur – besser gesagt:er erfindet sie sich -, weil er sich selbst als Schiedsrichter darübereinsetzen will, und zwar als ein Schiedsrichter, der moralisch sowohl überdie Terroristen als auch über Amerika um einiges erhaben ist. Dasist Anti-Amerikanismus aus einer nationalen Gesinnung heraus: Damit wollenEuro-Nationalisten Amerika eine Teilschuld zuschreiben und ihm die Berechtigungabsprechen, aus den Anschlägen Ausmaß und Mittel für diefällige Reaktion abzuleiten.
Einen Gipfel dieses deutschen Anti-Amerikanismus’, besser: eines vonDeutschland maßgeblich bestimmten Euro-Nationalismus, markiert derfrisch vom Altenteil reanimierte Peter Scholl-Latour. Der klagt mit seinergeballten Expertenkompetenz für nahe und ferne Reisfelder das flächendeckendeVersagen amerikanischer Außenpolitik inkl. Ihrer Geheimdienste anund spricht Amerika die Lösungskompetenz für das Programm „FreieWelt kontra Terrorismus“ ab. Er hält die amerikanisch dominierte Weltordnungfür abgewirtschaftet und deswegen europäische Weltordnungskompetenzfür überfällig. Die Lösung heißt für ihn:endlich ein einiges Europa sowie die zugehörige strategische Atombewaffnung.Der Gedanke ist imperialistisch eindeutig: Die Weltordnung von Kapitalismusund Demokratie braucht eine starke Macht zur Absicherung derselben. DieseMacht soll zukünftig nicht mehr amerikanischer, sondern europäischerHerkunft sein. Dafür ist natürlich auch nach innen einiges fällig:wenn Scholl-Latour „das Ende der Spaßgesellschaft“ fordert und gegendie „Amerikanisierung der Welt“ hetzt, dann plädiert er für diefür ein solches Programm notwendige Kriegsbereitschaft im deutschenVolk und anderswo in Europa. Natürlich schießt er damit überdas derzeit seitens der europäischen Politik formulierte Ziel hinaus.Andererseits aber denkt er nur das konsequent zu Ende, was mit dem Programmder Einigung Europas und den damit verbundenen Weltordnungsansprüchenlängst angelegt ist.
Siehe hierzu auch die GegenStandpunkt-Artikel „Die Osterweiterungder EU. Ein weiterer Schritt der EU auf dem Weg zum Euro-Imperialismus“(1/98), „35 Jahre EG - „Wirtschafts- und Währungsunion“ - „PolitischeUnion“ Was ist „Europa“, was hat es vor? Vom Staatenbündnis zur Staatsgründung(Teil I & II 1/92, 3/92)
Gegenstandpunkt bei Radio Lora www.gegenstandpunkt.com

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