Gewaltfrage

BERUFUNGSVERHANDLUNG ZWEITER ANLAUF: PLÄDOYERS DER ANGEKLAGTEN

Spezielle Rahmenbedingungen dieses Verfahrens


1. Plädoyer allgemein, Anfang
2. Rahmenbedingungen eines jeden Gerichtsverfahrens
3. Spezielle Rahmenbedingungen dieses Verfahrens
4. Plädoyer allgemein, Ende
5. Symbolisch: Polizeigewalt am 2.3. und 11.4. in/vor dem Landgericht
6. Anklagepunkt „Wahlplakate“
7. Anklagepunkt "Farbschmierereien an der Gallushalle"
8. Anklagepunkt "Körperverletzung" (vermeintlicher Fusstritt)
9. Anklagepunkt "Hausfriedensbruch" (Gaile Lügen)
10. Anklagepunkt "Körperverletzung" (Puffs Daumen-Kino)
11. Anklagepunkt "Beleidigung" (Gülle prügelt)

  • Ablehnung Beiordnung ... trotz komplexen Verfahrens. Das hat sich eindeutig im Verlauf bewiesen – der Prozess steht für einen riesigen Komplex an Ermittlungen, komplizierten Hintergründen und Motiven der Ermittler, auch Intrigen, öffentlichen und politischen Verwirrungen usw. Zudem weiß ich nicht, welche Chancen wir ausgelassen, welche Fehler gemacht haben wegen des Fehlens von AnwältInnen? Keine Ahnung ...
  • Akten bei allgemeiner Einlassung gar nicht vorhanden, beim ersten Anklagepunkt nur zu diesem Punkt und da auch nicht vollständig, danach zwar im Kern kopiert vorhanden, aber in die Gesamtakten immer nur Einsicht im laufenden Verfahren
  • Unglaubliche Zeitbelastung für die Angeklagten: 6-Tage-Woche ... ein Tag Vorbereitung, ein Prozesstag, ein Tag Nachbereitung. Grund ist auch die Komplexität des Verfahrens mit vielen Querverweisen zwischen Anklagepunkten sowie komplizierten Hintergründen – und das Fehlen rechtsanwaltlichen Beistands. Dass dieser Prozess einfach gelagert sei, weswegen der Beiordnungsantrag ja abgelehnt wurde, werden zwar die Zuständigen weiter behaupten (was sollen sie auch sonst tun, alles andere würde ja eine Wiederholung nötig machen), aber glauben tut das, da bin ich mir sicher, niemand mehr. Ich konnte wie viele andere auch deutlich beobachten, wie auch der Richterin in der zweiten Hälfte des Prozesses öfter Daten, Anklagepunkte usw. durcheinandergerieten.
  • Ein bisschen fies fand ich den Umgang mit dem Aussetzungsantrag am ersten Verhandlungstag. Dieser Antrag wurde dort abgewiesen mit der klar erkennbaren Ankündigung, dass in diesem Prozess Platz wäre für die Aufarbeitung der Vorgänge. Sonst hätte der Aussetzungsantrag ja inhaltlich gegriffen, dass zunächst andere Dinge geklärt werden müssen. Dieses Versprechen ist gebrochen worden. Zwar sind mehr ZeugInnen als in der ersten Instanz zugelassen worden, die Hintergründe der Lügen und Manipulationen aber konnten gerade nicht aufgearbeitet werden. Als nämlich aus den ZeugInnenaussagen deutlich wurde, dass Angehörige der Polizei tatsächlich Falschaussagen machen, um ihre Polizeiführung zu decken, die offensichtlich auch öffentlich gelogen hatte, wurde der Beweisantrag genau dazu abgeschmettert. Das widerspricht den Aussagen des ersten Prozesstages und liegt nun als Makel gerade auf dem Anklagepunkt, der politisch am umstrittendsten war und bei dem deshalb auch die Frage von Verurteilung, Freispruch oder Hemmung des Verfahrens von besonderer Bedeutung ist.
  • Befangenheitsantrag
  • Ebenso habe ich nur wenig Wissen, wie das Gericht bzw. die drei Personen des Gerichts politisch eingebunden und vorgeprägt sind, unter welchen Zwängen sie stehen, welche Erwartungen an sie schon herangetragen wurden. Dass zwei von drei Personen des Gerichts, die ja alle eine Stimme haben bei der Urteilsfindung, parteipolitisch gebunden sind, bedeutet nicht zwingend etwas – beruhigend ist es aber auch nicht gerade und zeigt, wie wenig Gewaltenteilung tatsächlich vorhanden und auch strukturell gar nicht möglich ist.
  • Nach wie vor haben Teile der Medien Stimmung für eine erneute Verurteilung gemacht, beide zu Beginn in Kommentaren, die Gießener Allgemeine auch immer wieder in den Berichten der ersten Prozesstage.
  • Schikanen während des Prozesses ... gesperrte Räume FH, Kommentar von Tamme, Raum in Uni weg, dann Schlösseraustausch im Cafe Ö.
  • Brauche ich mir nicht lange auszumalen, wie die Scharfmacher dieser Stadt und Region auf eine Verurteilung drängen ... ob sie nun Haumann, Bouffier oder sonst wie heißen. Ich bin außerordentlich skeptisch, ob das Gericht davon unbeeindruckt und frei ist.
  • Die Ressourcen des Staates sind zudem fast unendlich. Neue Prozesse können aufgemacht, Straftaten erfunden werden. Festnahmen, Gewalttätigkeiten, Beschlagnahmen ... keine Institution und kein Recht schützt Menschen vor dem Übergriff des Staates selbst, der in dieser Gesellschaft namens Demokratie die Hauptquelle und –ursache von Gewalt, Unterdrückung, Armut, Ausgrenzung und vielen anderen Formen unmenschlicher Bedingungen ist. Er tut das unverhohlen, denn Demokratie und Rechtsstaat predigen nicht einmal die Gewaltlosigkeit und Gleichberechtigung, sondern reklamieren das Monopol auf Gewalt und Autorität für den Staat. Wir leben in einer Republik, in der es eine Straftat ist, sich mit einer Zeitschrift, die um den Unterarm gerollt ist, vor dem Schmerz oder der Verletzungsgefahr des Polizeiknüppelns zu schützen – dieses kleine Detail beleuchtet, wie die Rahmenbedingungen insgesamt geordnet sind.

Ich bin ständig im Blickwinkel der Verfolgungsbehörden ... was auch immer passiert, ich bin der Täter für alles ...
  • Hatte viele Beispiele genannt ... ein weiteres ergibt sich aus den Akten. Anklagepunkt Gallushalle-Verschönerung – wie selbstverständlich werde ich dort als Beschuldigter im Bogen aufgenommen ohne jeglichen Hinweis, warum (Akte, u.a. Blatt 22 bei Gallushallenvorgang).
  • Neue falsche Verdächtigungen z.B. von Puff und Gülle hier im Prozess.
  • Ein schönes Beispiel war die Mail der Stadt Grünberg zum Anklagepunkt 12 (Kosten für Reparatur) gegen meinen Mitangeklagten. Wie selbstverständlich wird dort der Name J.B. als Verursacher der Graffities in den Text eingefügt.

Gründe für Kriminalisierung
Wenn ich hier behaupte, all die Vorwürfe seien konstruiert, d.h. ausgeschmückt bis komplett erfunden, so stellt sich die Frage, warum das so passiert sein könnte. Dazu habe ich eine umfangreiche Einlassung über die Rahmenbedingungen gemacht, warum es zu dieser massiven Erfindung von Straftaten, der Fälschung von Berichten und Beweismitteln und der öffentlichen Hetze kam. Die will ich nicht wiederholen, ich nennen als Stichpunkte:
  • Kreative Aktionsmethoden mit öffentlicher Wirkung ab 2002
  • Genervte Law-and-Order-Politiker mit ihrem Traum, Gießen zur Vorzeigestadt autoritärer Sicherheitspolitik zu machen
  • Öffentlicher Druck
  • Unfähige Ermittlungsbehörden, v.a. hilfloser Staatsschutz
  • Druck von Innenministerium, Scharfmacher auch in Stadtpolitik und Polizeiführung
  • Chaotische Ad-hoc-Aktionen wie Festnahmen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen usw., für die dann plötzlich Gründe her mussten.

Sprachproblem zu Wahrheit, Objektivität
Problem Wahrheit – Wahrnehmung ... Sprachverwirrungen zwischen uns Angeklagten und vielen ZeugInnen, die wir benannt haben einerseits sowie der Welt des Schwarz-weiss, Gut-Böse und Ja-nein, die in Gerichtsverfahren gilt.

Zu den einzelnen Anklagepunkten
Kern des Plädoyers ist der Nachweis, dass die Tatvorwürfe nicht zutreffen, dass Aussagen falsch waren, dass Akten manipuliert wurden und dass die Anklage ein absurdes, allerdings interessensgeleitetes Konstrukt ist. Zudem sollen aber auch formale Zweifel eingebracht und erhärtet werden gegen eine Strafbarkeit des konkreten Verhaltens.

  1. Rechtswidrigkeit des Polizei- oder Ordnungshandelns
    Bei mehreren Anklagepunkten ist offensichtlich, dass den – zudem erfundenen – Vorwürfen rechtswidrige oder unverhältnismäßige Polizeieinsätze vorweggingen, die auch die Situationen auslösten, in denen es dann zu Widerstandshandlungen u.ä. gekommen sein soll. Diese Handlungen werden als solche bestritten, sie wären aber auch nicht strafbar eben weil die Polizeiaktionen wegen fehlender oder nicht mitgeteilter Festnahmegründe, wegen illegaler Angriffe auf legale Demonstrationen, wegen Verstoss gegen das Gebot der Unverhältnismäßigkeit oder aus anderen Gründen nicht rechtmäßig waren.
  2. Verfahrenshemmnisse: Manipulierte Akten, gelöschte Fotos, Beeinflussungen bei Strafanzeigen, verspätete Atteste und vieles mehr durchziehen die Akten, die der Anklage zugrundelagen. Auch das steht einer Verurteilung formal im Wege.

Ansonsten werden auf die weiteren Punkte nun im Detail eingeben. Wesentliche Teile der verwendeten Zitate aus den Vernehmungen stammen aus den Mitschriften unabhängiger Prozessbeobachter, die uns ihre Mitschriften freundlicherweise zur Verfügung stellten.

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