Gießen autofrei

MEINUNGEN ÜBER DEN 11.9.2001

Offener Brief an alle Menschen dieser Welt


1. Offener Brief an alle Menschen dieser Welt
2. Heidelberger Flugblatt
3. Aufruf aus Leipzig „Jetzt aufstehen - Stoppt den Krieg“
4. Auswahl aus sehr, sehr vielen Mails auf der Hoppetosse-Mailingliste
5. Sie versuchen es noch einmal
6. Kreuzzug gegen den Terrorismus?
7. Seid Ihr sicher?
8. Interview mit den "Ärzten"
9. Gegen Repression und Polizeiterror
10. Die USA unter Feuer...
11. Leichen pflastern ihren Weg: Imperialistische Generalmobilmachung
12. Declaración de Cochabamba ++ Erklärung von Cochabamba
13. Solidarität mit den Opfern! Kampf den Kriegstreibern!
14. Terror  der  Wirtschaft ++ Wirtschaft  des  Terrors
15. Den eigenen Mördern Steuern zahlen
16. gegen eine vermeintlich antideutsche relativierung von auschwitz (von der gruppe sinistra)
17. Seid Ihr sicher? (aus der FAU)
18. DIE RÜCKKEHR DER ASSASSINEN
19. Japan-RAF oder CIA ?
20. WELTHANDEL UND WORLD TRADE CENTER
21. IST DAS DER COUP D ETAT ??? Pearl Harbour oder Reichstagsbrand?
22. Die USA unter Feuer...
23. Leichen pflastern ihren Weg: Imperialistische Generalmobilmachung
24. PEOPLES´ GLOBAL ACTION (PGA)
25. Sozialismus oder Barbarei - EXTRA
26. Brot, Bomben und Lügen
27. Vorher geschrieben ... „Weil wir gehasst werden“ -  Terrorismus und USA
28. Zivilisation?
29. Islam und Antikapitalismus
30. Mehr Meinungen und Texte

Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe.
(Walter Benjamin)

Was ist geschehen?
Kaum einer, der diese Zeilen liest, hat nicht all die heftigen Bilder gesehen, die die Welt bewegen und bereits zur militärischen Mobilmachung in etlichen Staaten auf unserem Planeten führen. Das Mitgefühl für die Opfer und Hinterbliebenen des Anschlags ist eine Selbstverständlichkeit des Herzens und nicht Anlaß dieses Schreibens. Getrieben von tiefster Sorge um den Weltfrieden und aus Angst vor einer Vervielfältigung des Schreckens schreiben wir diese Zeilen.
Das Geschehene und Gesehene ist schrecklich. Doch ebenso fürchterlich oder schlimmer erscheint die sich abzeichnende Reaktion. Zu einem Zeitpunkt, als noch keinerlei Erkenntnisse über die Hintergründe und Täter vorlagen, erklärte der amerikanische Präsident bereits einen langen und umfassenden Krieg. Ein Krieg für wen und gegen wen? Die Verhältnismäßigkeit der Mittel scheint über die Heftigkeit der Emotionen völlig verloren zu gehen.
Nüchtern und sachlich betrachtet steht der bisher schrecklichste Terroranschlag der Geschichte zur Diskussion. Dieser Anschlag galt offensichtlich den vereinigten Staaten von Amerika. Es handelt sich noch nicht um einen Krieg gegen „die gesamte zivilisierte Welt“. Und es ist kein bis dato undenkbarer Terrorakt, denn solche und andere fürchterliche Szenarien senden überwiegend amerikanische Filmproduktionen schon seit mehreren Jahren fast allabendlich über den Äther in die Wohnstuben der ganzen Welt. Es handelt sich auch nicht um einen neuen Krieg der Religionen. Die überwältigende Mehrheit aller Christen, Moslems, Buddhisten und Anhänger anderer Religionen leben weltweit in gewaltloser Koexistenz. In allen aktuellen Auseinandersetzungen wird die Religion von politischen Kräften mißbraucht und nicht andersherum.
Wer sich in diesen Tagen zu einem Krieg hinreißen läßt, der wäre nicht weniger der Medienmacht erlegen wie die verdächtigten Terroristen ihrem Fanatismus und ihren Ideologien.
Soeben erst ist es der Welt gelungen, sich von vernarbten Ost-West-Feindbildern zu enthäuten, schon werden neue heraufbeschworen durch gedankenlose Pauschalverurteilungen.
Und soeben macht sich ein Mann zum Führer vom „Krieg des Guten gegen das Böse“, der bis vor kurzem noch als Gouverneur die meisten Todesurteile in den USA unterzeichnete.
Würden alle, die sich für gut halten, sich aufrichtig gut verhalten, der Terror auf unserer Welt würde verschwinden so wie er kam.
Gerade jetzt ist aufrichtiges Nach-Denken geboten und die Frage nach dem „warum?“ notwendig und hilfreich.
Wir alle wissen, daß sich Schrecklichkeiten nicht vergleichen und Tote nicht aufrechnen lassen,
doch auf der Suche nach den Ursachen für Terror und Haß müssen wir auch in Betracht ziehen, daß die Politik der USA in den vergangenen 50 Jahren als selbsternannte „Weltpolizei“ und als führende Macht von Weltbank und dem westlichen Verteidigungsbündnis ihren propagierten Zielen von Demokratie, Menschlichkeit und Frieden all zu oft widersprach. Nur einige Beispiele hierzu: Hunderte überirdische Atombombenversuche in der Heimat von „Unzivilisierten“ zerstörten deren Lebensräume, Millionen Krebstote weltweit sind noch immer die Folge. In Vietnam wurden hunderttausende unschuldige Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, Opfer von Napalm und „agent orange“. Der US-Geheimdienst CIA setzte mit der Ermordung von Salvador Allende der ersten tatsächlich demokratisch gewählten Regierung Südamerikas ein brutales Ende und verhalf nicht nur in Chile einer Militärdiktatur zur Macht, die ein Volk wegen dessen Freiheitswillen mit Folter und Terror überzog. Menschenrechtler wie Martin Luther King wurden Opfer des CIA. US-amerikanische Konzerne verantworten als Eigner der riesigen Bananenplantagen Zentralamerikas eine flächendeckende Pestizidberegnung ungeachtet der vielen tausend PlantagenarbeiterInnen, die seit Jahren vergeblich auf die zahllosen verkrüppelt geborenen Kinder hinzuweisen versuchen, mit der Bitte auf den Lippen, doch etwas rücksichtsvoller mit Ihnen umzugehen. Die USA verhalfen Sadam Hussein im Irak zur Macht. Sie veranlaßten den Rückzug der UN-Blauhelme aus Ruanda, obwohl die CIA wußte, daß ein Völkermord mit schließlich mehr als einer Millionen barbarisch ermordeter Menschen bevorstand. Mit der Wahl von G.W. Bush zum Präsidenten zog sich die jüngste amerikanische Regierung aus ihrer verantwortlichen Rolle im Nahostkonflikt völlig zurück, nachdem die Regierungen vor B.Clinton entscheidend zur Militarisierung und Polarisierung in der Region beigetragen hatten. Die vereinigten Staaten haben als der weltweit größte Energieverbraucher und Verursacher des Treibhauseffektes das Kioto-Abkommen verlassen, das zur Reduzierung von selbigem gemeinsam von allen großen Industrienationen beschlossen war. Wer von uns weiß, wieviele Millionen von Menschen durch Überschwemmungen und Dürren als Folge des Treibhauseffekts in bitterstem Elend leben müssen, ohne Milliardenunterstützungen ihrer Verbündeten, weil sie keine haben.
Der Planet Erde und seine Bewohner zahlen einen hohen Preis für die Selbstherrlichkeit und den Ressourcenhunger der westlichen Industrienationen, der „zivilisierten Welt“. Die Freiheit und der Reichtum ist leider nur für sehr wenige unter uns Erdenbürgern Wirklichkeit. Müssen wir uns wundern, daß durch diese vielfach auch von uns Europäern mitgetragene Weltpolitik Verzweiflung, Feindschaft und ohnmächtiger Haß entstehen bei den Macht- und Mittellosen dieser Welt?
Aus Solidarität mit allen Opfern des weltweiten Terrors müssen wir uns und unseren Verbündeten das Wirken des eigenen Handelns vor Augen halten, das mitverantwortlich ist für diesen Terror, bevor wir den vielleicht größten aller Fehler begehen.
Wir verurteilen den Anschlag vom 11.09.01 aus tiefstem Herzen! Wir alle wären jedoch selbst Wahnsinnige, wenn wir es zulassen würden, daß dieser Terror zum Anlaß genommen wird für einen Krieg. Noch mehr Unglück und Haß wären die Folge, es wäre der Eintritt in eine Spirale der Gewalt, deren Verlauf nicht absehbar ist und deren Ende apokalyptische Zustände herbeiführen könnte.
Wer auch immer hinter dem tragischen Anschlag stehen mag, der vermutlich 6000 Menschen das Leben gekostet hat, er und seine Helfer müssen selbstverständlich so hart aber gerecht als möglich bestraft werden. Welch herbe Ironie des Schicksals, daß die Amerikaner selbst ihren Hauptverdächtigen und die ihm Deckung Gewährenden ausgebildet und ausgestattet haben, um ehemals die eigenen Interessen in anderen Ländern mit Gewalt zu vertreten.
Gerade jetzt muß einer notwendigen, hintergründigen Analyse Zeit eingeräumt werden, statt niederen Rachegefühlen Raum zu gewähren.
Dringlicher denn je bedarf es einer aufrichtigen, ehrlichen und tatsächlich menschen- und umweltgerechten Politik.
Wir verlangen Klarheit, Besonnenheit und Weitsicht von allen Regierenden in unserem westlichen Bündnis und auf der Welt.
Wir fordern sie auf, den eigentlichen Ursachen von Terror entgegenzutreten statt unser aller Kraft und viele Menschenleben einer vermeintlichen Vergeltung zu opfern, die das Geschehene nicht rückgängig machen und den Hinterbliebenen den Schmerz nicht nehmen kann. Die Getöteten und Verwundeten werden auch durch ein Vielfaches an weiteren Toten und Verletzten nicht gesühnt.
Wir sind weder Anti-Amerikaner noch gehören wir irgendeiner fanatischen Glaubensrichtung an.
Diese Zeilen wollen und sollen nicht verurteilen und dürfen nicht für das Entstehen von neuen Vorurteilen und Unverständnis umgedeutet werden. Zur aufrichtigen Solidarität zwischen den Völkern gehört neben ehrlichem Benennen von und Bekennen zu Fehlern im eigenen Handeln auch offenes Verständnis füreinander und die daraus erwachsende Fähigkeit des Verzeihens.
Sollte mit dem Anschlag auf WorldTradeCenter und Pentagon tatsächlich das Herz Amerikas und der „freien Welt“ getroffen worden sein, dann ist es vielleicht an der Zeit für uns und für Amerika, die Position des Herzens zu hinterfragen und zu überdenken.
Jeder Weg ist nur ein Weg. Doch jeder Weg ist nur ein Weg mit Herz.
Ist er ohne Herz, so ist er wertlos. (Don Juan Matus)
Uli Volke, Hannover; Holger Scheffler, Hannover; Shergo Younes, Hannover; Familie Younes, Hannover; Mark Heinemeyer, Hannover; Lena Rodriguez, Hannover; Franziska Wolf, Hannover; Steffanie Meier, Hannover; Fatima Alpural, Hannover; Erika Sambake, Hannover; Aissatou Fall, Kew Moussa, Senegal; Ibrahima Dia, Kew Moussa, Senegal; Sabine Seidl, Hannover; Annette Söhring, Hannover; Jörg Thomas, Hannover, Timothy Balzer, Marburg; u.v.a.

Analysetexte von Gegenstandpunkt

1. Terrorkrieg – die Gegengewalt der Ohnmacht
1.
Eine politische Analyse der gigantischen Anschläge auf die Zentren der amerikanischen Macht gehörte sich in den Tagen danach nicht. Wer fragte, welche politischen Ziele die Attentäter verfolgen könnten, aus welchen Gründen sie eine so grundsätzliche Feindschaft gegen die USA hegen, geriet in den Verdacht, Verständnis für diese “Unmenschen” wecken zu wollen oder gar selbst mit dem Terror zu sympathisieren. Diese “menschenverachtenden Untaten” dürfen nicht als politische Taten beurteilt werden. Wer so argumentiert, verletzt – nach der gegenwärtigen political correctness – die Gebote der Menschlichkeit. In Bezug auf die “feigen Selbstmord-Attentäter” gehört sich vollkommene Verständnislosigkeit: Das müssen “kranke Gehirne” sein, die an “sinnlosen Wahnsinnstaten” Gefallen finden, sich gezielt gegen “Unschuldige” richten und sich durch Selbstmord auch noch der gerechten Strafe für ihre “teuflischen Pläne” entziehen.
Was die Menschlichkeit verlangt, teilen uns die Verantwortlichen in der Regierung und den Medien mit. Sie organisieren die “völlig unpolitische”, persönlich empfundene Trauer und Betroffenheit des deutschen Staatsbürgers, der gar nicht betroffen ist. Eine radikale Mitleids-Berichterstattung schult den Fernsehzuschauer darin, sich in die Lage der Opfer in den Türmen des World Trade Center und in den Schmerz ihrer Familien hineinzufühlen, damit die gewünschte distanzlose Parteinahme für das wahre Opfer des Terrors herauskommt: die USA.
Arbeitgeber und Gewerkschaften, Bundesregierung und Kirchen ordnen Schweigeminuten, Arbeitsniederlegungen und Solidaritätsdemonstrationen an. Dabei verknüpfen die amtlichen Solidaritätsredner das Gedenken an die Opfer der Anschläge bruchlos mit der “Solidarität mit Amerika” und schwören ihr Publikum so auf das Opfer ein, auf das es anzukommen hat, die “ins Mark getroffene Weltmacht”. “Heute sind wir alle Amerikaner” verkünden sie und äußern jedes Verständnis für das Bedürfnis nach Vergeltung, zu der “die USA jedes Recht haben”. So kurz ist der Weg vom unpolitischen menschlichen Mitleid zur Befürwortung von neuer Gewalt und noch mehr Tod – nun aber organisiert von den befugten Tätern und absehbarerweise mit den richtigen Opfern, die unser Mitleid dann nicht verdienen.

2.
Die eigentlich Betroffenen – so erfährt man also aus den Medien – sind nicht die Opfer der Anschläge und deren Angehörige, sondern die Vereinigten Staaten selbst: Dieser Staat, der alles dafür tat, vor jedem Angriff von außen gefeit zu sein, ist verwundbar. Dem gilt das öffentliche Entsetzen in den USA. Wie es dazu kommt, dass Amerika sich solche Feinde zuzieht, interessiert nicht. Die Frage: Wieso hat Amerika solche Feinde? Oder gar:
Wodurch hat sich Amerika solche Feinde geschaffen? wird gar nicht erst in Erwägung gezogen.1 Die einzigen Fragen, die Amerika beschäftigen, lauten: 1. Wie war es möglich, dass erstmals seit 1812 ein kriegerischer Akt das amerikanische Kernland treffen konnte? Und 2. Was muss Amerika tun, dass sich so etwas nie mehr wiederholt? – Allein schon das verrät einen maßlosen Standpunkt: Die USA wollen absolute Unverletzlichkeit. Die Supermacht fühlt sich schwach und schutzlos, solange sie nicht sicher gestellt hat, dass selbst zu Selbstmordattentaten bereite Geheimbünde keine Chance mehr haben. Es darf in der Welt niemanden geben, der sich traut, die USA anzugreifen, und dem das auch noch gelingt. Dieser maßlose Standpunkt – kein Terrorakt soll mehr gegen die USA möglich sein – wird zum Maßstab für eine neue Sicherheitsdoktrin ausgerufen, die Bush in “America’s New War” durchsetzen will.

3.
Dabei verrät die Art des Angriffs durch gekaperte Verkehrsflugzeuge schon, wie unangefochten die Weltmacht ist. Für die Waffen der meisten Staaten ist dieser Kontinent schlicht unerreichbar; einem militärischen Gegenschlag Amerikas hätten sie nichts entgegenzusetzen. Umgekehrt haben sich die USA ein Arsenal zugelegt, das es ihnen erlaubt, überall auf der Welt mit überlegenen militärischen Mitteln zuzuschlagen, wenn es einem Staat einfallen sollte, einen Krieg gegen den Willen der USA zu führen. Zusätzlich verfügen sie über militärische Mittel, ihr eigenes Land weitgehend gegen militärische Angriffe von außen zu schützen. Darüber hinaus arbeiten sie an einem Raketenabwehrschirm, um ihre Unverletzlichkeit für künftige Kriege zu garantieren. Diese Unverwundbarkeit der Supermacht ist keineswegs nur defensiv gemeint. Amerika will sich damit vielmehr die einseitige Freiheit zum Krieg sichern. Alle anderen sollen verletzbar sein, sollen sich also vor den USA fürchten müssen. Umgekehrt will Amerika vor keinem potenziellen Gegner Angst haben. Die USA wollen das Risiko ausschließen, selbst entscheidend getroffen zu werden. Sie wollen sich nie in einer militärischen Lage befinden, in der sie sich möglicherweise selbst von einem Krieg abgeschreckt sehen, den sie für geboten halten. In dieser Weltlage ist es für alle anderen Staaten ratsam, sich mit Amerika nicht anzulegen, auch wenn ihre nationalen Rechnungen nicht aufgehen. Wie es einem Staat geht, der das trotzdem tut, das hat die Weltmacht im Krieg gegen den Irak exemplarisch vorgeführt: Dem Irak wurde nicht nur sein militärisches Arsenal zerstört, er wurde auch noch auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückgebombt.2

4.
Mit dieser eindeutig geklärten Weltlage wollten sich die Urheber der Anschläge nicht abfinden. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass all ihren Ambitionen – welche auch immer das sein mögen – immer die überlegene ökonomische und militärische Macht der USA im Wege steht. Sie haben in der Weltmacht den Feind ausfindig gemacht, ohne dessen Schwächung nichts von dem geht, was sie sich als die Rechte ihrer Nation oder Völkerschaften einbilden. Aus der amerikanischen Überlegenheit über staatliche Feinde haben sie offenbar den Schluss gezogen: Wenn die USA vor militärischen Angriffen durch Staaten sicher sind, dann geht nur noch eines: Feinde der USA müssen sich nichtstaatlich, also privat als geheime NGOs ohne Adresse organisieren. Angriffe aus der Position der Ohnmacht kommen nur als überraschende Terrorangriffe aus dem Hinterhalt gegen einen militärisch haushoch überlegenen Gegner durch: Kapern von Linienmaschinen durch Selbstmordkommandos und deren Umfunktionierung zu Massenvernichtungswaffen.
Mehr als ein Kriegsersatz ist das allerdings nicht. Sie haben zwar wie in einem richtigen Krieg ökonomische und militärische Schaltzentralen der Weltmacht getroffen. Sie haben gigantische Schäden angerichtet und Tausende von US-Bürgern getötet. Sie haben damit das normale Funktionieren des ökonomischen und politischen Lebens gestört. Aber dem Kriegsersatz fehlt das Wesentliche eines Krieges: Wozu sie die USA mit derartigen Aktionen erpressen wollen, welchen Willen der amerikanischen Regierung sie durch Terror brechen, welchen sie ihr aufzwingen wollen, bleibt im Dunkeln. Mit der Organisierung als Geheimbund fehlt ihnen eben nicht nur die Adresse, sondern auch die zur normalen Kriegführung gehörige Diplomatie mit Forderungen, die mit den Gewaltschlägen durchgesetzt werden sollen. Was die Urheber der Anschläge auf das Welthandelszentrum und das Pentagon bewirkt haben, ist daher “nur” – das aber radikal erfolgreich – ein Schaden. Allerdings einer, den die Weltmacht nicht mehr – wie die Anschläge auf die Botschaften in Nairobi und Daressalam – unter die Kollateralschäden ihrer weltweiten Freiheits- und Friedensstiftung abbucht. “Schock” und “Entsetzen” ergeben sich aus einer tatsächlichen Erschütterung der Weltmacht Nr. 1: Sie selbst, die doch sonst alles Aufbegehren zur Ohnmacht verdammt, ist angreifbar: Die kleinste Lücke in ihrer Abschreckungsmacht, sogar die Verwundbarkeit durch private Organisationen, lassen Zweifel in die Haltbarkeit ihres weltumfassenden Ordnungssystems auftauchen, wenn sie darauf nicht überlegen und jeden Widerstand entmutigend antwortet. In Außerminister Fischers Worten: “Man darf die Weltmacht nicht ungestraft angreifen, sonst ist die ganze Ordnung gefährdet.” So beschaffen ist das also, was man Weltfrieden nennt: Nur wenn die Abschreckungsmacht der USA umfassend ist, dann herrscht Frieden. Und genau dieser Frieden ist die Bedingung dafür, dass Vermehrung von Geld und Kredit, dass weltweiter Kapitalismus der unausweichliche “Sachzwang” für die gesamte Welt ist.

5.
Die USA haben aus dem Terroranschlag auf ihr unverwundbar geglaubtes Territorium die Lehre gezogen, dass sie auch noch das letzte “Fenster der Verwundbarkeit” schließen müssen. Wenn das amerikanische Gewaltmonopol über die Welt und die Unangreifbarkeit der USA durch Staaten schon so weit gediehen ist, dass sich nur noch private Geheimbünde anzugreifen trauen, dann müssen die USA ihr Gewaltmonopol auch noch auf das Innenleben der anderen Staaten ausdehnen. Sie erklären sich für ohnmächtig, solange sie “bloß” die Staaten im Griff haben. Ihre Macht ist erst dann fertig, wenn sich niemand – auch keine privaten Geheimbünde – mehr gegen die amerikanische Weltordnung aufzulehnen traut. Also beanspruchen sie auch unterhalb der staatlichen Ebene den direkten Zugriff auf alle Länder, um sicher vor antiamerikanischen Kommandos zu sein. Mit dem maßlosen Anspruch totaler Sicherheit vor allen terroristischen Angriffen geht Amerika künftig auf die Welt los: Alle Staaten werden in die Pflicht genommen, die Feinde der USA zu verfolgen und auszurotten. Sie haben die eigene Souveränität dafür zu benutzen, die Übermacht Amerikas über den Globus und damit über sich selbst zu zementieren. Den Staaten wird der Widerspruch zugemutet, ihre Souveränität nicht zur Mehrung ihrer eigenen Macht und ihres eigenen Reichtums einzusetzen, sondern dafür, dass niemand von ihrem Boden aus einen Kampf gegen die amerikanische Weltordnung führt, die ihre Macht und ihren Reichtum beschränkt. Sie werden daran gemessen, ob und wie sie diesem Auftrag nachkommen. Wer sich diesem Anspruch verweigert, ist künftig ein Feind und steht unter einer Kriegsdrohung von Seiten der USA.

Amerika ruft den „War against Terrorism“ aus ++ Europa sagt: „Ja, aber...!“
1. Als am 11.09. das Pentagon und das World Trade Center getroffen bzw. zerstört wurden, da galt in Deutschland und dem Rest Europas eine Sprachregelung, die neben „Entsetzen“ und „Betroffenheit“ über das Ausmaß der Zerstörung und die Anzahl der Opfer in erster Linie den „Schulterschluss mit unseren amerikanischen Freunden“ betonte. Schröder in seiner ersten Regierungserklärung am „Tag danach“: „Ich habe ihm [Bush] auch die uneingeschränkte - ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert. [...] Ich habe noch gestern Abend mit dem französischen Staatspräsidenten Chirac und Ministerpräsident Jospin, mit dem britischen Premierminister Blair [...] gesprochen. Wir sind uns in der Bewertung einig, dass diese Terrorakte eine Kriegserklärung an die freie Welt bedeuten.“ Diese Einmütigkeit der Europäer in der Solidarität zu ihrem Seniorpartner ist ja auch kein Wunder: Weltweit stehen die USA als Garanten ihrer Weltordnung für die politische und ökonomische Geschäftsgrundlage gerade, von der vor allem auch die europäischen Mitmacher profitieren. Eine solche Weltordnung erfordert einen beträchtlichen Aufwand an Gewalt, eine Aufgabe, für die in erster Linie die USA zuständig sind. Immer, wenn es um die - im US-Verständnis - „Drecksarbeit“ geht, versteht sich aber gerade Deutschland auf die Kunst, dazu eine Position der vornehmen Distanz einzunehmen und sich als eine Macht zu präsentieren, die natürlich alles viel geschickter und „mit friedlichen Mitteln“ in Ordnung gebracht hätte.
Dieses Deutschland, das in Wahrheit Trittbrettfahrer amerikanischer Ordnungsstiftung ist, präsentiert sich dann als eine mäßigende Kraft, deren „Angebote“ den betroffenen Staaten doch viel eher einleuchten müssten - „Angebote“, die natürlich auch nichts anderes beinhalten, als sich mehr an den politischen Intentionen Deutschlands auszurichten und ihm neue Geschäftsmöglichkeiten zu eröffnen. Auf diese Art und Weise haben sich Deutschland und die EU - unter dem Schutzschirm Amerikas - in aller Welt ausgebreitet und sich zum ernsten Konkurrenten Amerikas hochgearbeitet.
Darum ist auch sehr verständlich, dass sich Schröder und Blair als Mitbetroffene der Anschläge bezeichnen und ihre „Solidarität“ beteuern: Wenn die Abschreckungsfähigkeit Amerikas beschädigt wird, die auch die Grundlage für die Machtentfaltung und ökonomische Kraft der Juniorpartner darstellt, dann sind auch letztere geschädigt. Der seitens Amerikas ausgerufene „War against Terrorism“ ist also auch ihre Sache.
2. Mit der ganzen souveränen Arroganz der Weltsupermacht interpretiert die amerikanische Politik einen Angriff auf die USA als eine „Kriegserklärung an die“ gesamte „freie Welt“, bei dem es nicht bloß um eine Schädigung der amerikanischen Macht gegangen sein soll, sondern gleich um einen Anschlag auf die heiligsten Werte der zivilisierten Menschheit wie Freiheit, Gerechtigkeit und „unseren way of life“ überhaupt.. Das will der deutsche Kanzler nicht bestreiten; vielmehr fordert er als Konsequenz aus dieser Deutung der „Attack on America“, dass dann die Antwort eine des westlichen Bündnisses sein muss und nicht ein amerikanischer Alleingang, bei dem die NATO-Partner lediglich assistieren dürfen. Selbstverständlich weigert sich Deutschland nicht, beim „Krieg gegen den Terrorismus“ unter Führung der USA mitzumachen. Aber gerade unter Berufung auf die von Washington eingeforderte Zuständigkeit der NATO gemäß Artikel 5, der den Bündnisfall wegen eines Angriffs von außen auf das NATO-Mitglied USA vorsieht, gestattet sich der Kanzler ein paar gutgemeinte Bedenklichkeiten unter befreundeten Bündnispartner.
Schröder verdeutlichte am 19. September in seiner Regierungserklärung die nach dem ersten Schock und Entsetzen über den Anschlag auf die Weltführungsmacht wiedergewonnene nationale Einsicht, dass man mit den Amerikanern in einem Boot sitzt, aber auch als deren Konkurrent: „Bei diesen Entscheidungen lassen wir uns einzig von einem Ziel leiten, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes inmitten einer freien Welt zu sichern..“
Zunächst also - nach der natürlich allfälligen Solidaritätsadresse und der Betonung der Freundschaft - die Feststellung, dass Deutschland seine eigenen Interessen hat, auf die Schröder in allen - vor allem natürlich den existentiellen - Fragen pocht. Und für die gesamte „freie Welt“ macht sich Schröder gleich mit-zuständig. Und weiter: „Natürlich: Jedes Recht korrespondiert mit Pflicht. Aber umgekehrt gilt: Auch mit einer Bündnispflicht korrespondiert ein Recht. Und das heißt: Information und Konsultation.“ Schröder besteht also darauf, dass Deutschland sich bei aller Freundschaft und Dankbarkeit zu Amerika nicht zum bloßen Erfüllungsgehilfen eines amerikanischen Feldzugs degradieren lassen will, dessen Ziele und Mittel - und damit auch dessen eventuelle Folgen für alle Mitmacher - alleine die USA bestimmen. Mit „Information“ und „Konsultation“ fordert er eine Mitbestimmung für Deutschland und Europa ein. „Zu Risiken, auch im Militärischen ist Deutschland bereit, zu Abenteuern nicht. Diese werden von uns dank der besonnenen Haltung der amerikanischen Regierung auch nicht verlangt und sicher auch nicht verlangt werden.“ Im ersten Satz traut der Bundeskanzler dem amerikanischen Präsidenten Abenteurertum zu, er kann sich also amerikanische Reaktionen vorstellen, die Deutschland vor das Problem stellen, mit den Konsequenzen eines von Amerika geführten Krieges leben zu müssen. Das könnte die deutsche Sicherheitslage negativ beeinflussen, ohne dass Deutschland darüber mitbestimmt. Schröder unterstellt Amerika - unmittelbar nach der Beteuerung seiner „Solidarität“ - einen ziemlich starken Drang zu „Abenteuern“, die durch deutsche Mitwirkung vermieden werden müssen. Zugleich weiß ein Schröder aber auch, dass er von den Beschlüssen Amerikas abhängig ist, dass er aus eigener Kraft eine solche „besonnene Haltung“ Amerikas nicht herstellen kann. Mit der Feststellung im zweiten Satz, dass von Deutschland auch gar keine Abenteuer verlangt seien, tut er so, als sei die gerade so eingeforderte Mitbestimmung Deutschlands bereits gegessen. Unterstellt ist hierbei, dass das Kräfteverhältnis zwischen den USA und Europa eindeutig verteilt ist: Wenn Amerika einen „Kreuzzug gegen den Terrorismus“ nicht nur beschließt, sondern auch beginnt und durchführt, dann kann es das weitgehend aus eigener Machtvollkommenheit tun. Für Gewaltaktionen jeder Größenordnung besitzen die USA die entsprechenden Gewaltmittel selbst und sie sind für die von ihnen
ausgerufenen Kriege nicht unbedingt auf die militärische Unterstützung ihrer Juniorpartner angewiesen. Lieber wäre ihnen allerdings, wenn die Bündnispartner sie in ihrem Krieg unterstützen, denn auch die überlegene amerikanische Macht tut sich viel leichter, wenn sie auf die politische Rückendeckung und die Benutzung z. B. Deutschlands als „logistischer Drehscheibe“ zählen kann. Das weiß natürlich auch ein Schröder ganz genau und fordert für seine Unterstützung Mitbestimmungsmöglichkeiten bei den Amerikanern ein.
3. Nach viel Betroffenheit und Entsetzen und „Schulterschluss mit Amerika“ machen sich in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend kritische Einwände breit. Da werden Professoren und sonstige Experten mit hämischen Befunden vorgeführt, dass die USA sich diese Anschläge doch aufgrund ihrer vielfältigen, weltweiten Machtentfaltung selbst zuzuschreiben hätten. Was sich erst anhört wie die Suche nach objektiven Gründen für die Feindschaft, aus der solche Anschläge erwachsen, entpuppt sich schnell als moralische Begründung für euro-imperialistische Einsprüche: Wer nämlich die ganze Zeit nur erzählen will, dass die Amis doch auch Dreck am Stecken haben, wer also nur diverse Missetaten gegeneinander aufrechnen will, den interessieren in Wahrheit nicht objektive Gründe, sondern nur Schuldfragen. Und die interessieren ihn auch nur – besser gesagt: er erfindet sie sich -, weil er sich selbst als Schiedsrichter darüber einsetzen will, und zwar als ein Schiedsrichter, der moralisch sowohl über die Terroristen als auch über Amerika um einiges erhaben ist. Das ist Anti-Amerikanismus aus einer nationalen Gesinnung heraus: Damit wollen Euro-Nationalisten Amerika eine Teilschuld zuschreiben und ihm die Berechtigung absprechen, aus den Anschlägen Ausmaß und Mittel für die fällige Reaktion abzuleiten.
Einen Gipfel dieses deutschen Anti-Amerikanismus’, besser: eines von Deutschland maßgeblich bestimmten Euro-Nationalismus, markiert der frisch vom Altenteil reanimierte Peter Scholl-Latour. Der klagt mit seiner geballten Expertenkompetenz für nahe und ferne Reisfelder das flächendeckende Versagen amerikanischer Außenpolitik inkl. Ihrer Geheimdienste an und spricht Amerika die Lösungskompetenz für das Programm „Freie Welt kontra Terrorismus“ ab. Er hält die amerikanisch dominierte Weltordnung für abgewirtschaftet und deswegen europäische Weltordnungskompetenz für überfällig. Die Lösung heißt für ihn: endlich ein einiges Europa sowie die zugehörige strategische Atombewaffnung. Der Gedanke ist imperialistisch eindeutig: Die Weltordnung von Kapitalismus und Demokratie braucht eine starke Macht zur Absicherung derselben. Diese Macht soll zukünftig nicht mehr amerikanischer, sondern europäischer Herkunft sein. Dafür ist natürlich auch nach innen einiges fällig: wenn Scholl-Latour „das Ende der Spaßgesellschaft“ fordert und gegen die „Amerikanisierung der Welt“ hetzt, dann plädiert er für die für ein solches Programm notwendige Kriegsbereitschaft im deutschen Volk und anderswo in Europa. Natürlich schießt er damit über das derzeit seitens der europäischen Politik formulierte Ziel hinaus. Andererseits aber denkt er nur das konsequent zu Ende, was mit dem Programm der Einigung Europas und den damit verbundenen Weltordnungsansprüchen längst angelegt ist.
Siehe hierzu auch die GegenStandpunkt-Artikel „Die Osterweiterung der EU. Ein weiterer Schritt der EU auf dem Weg zum Euro-Imperialismus“ (1/98), „35 Jahre EG - „Wirtschafts- und Währungsunion“ - „Politische Union“ Was ist „Europa“, was hat es vor? Vom Staatenbündnis zur Staatsgründung (Teil I & II 1/92, 3/92)

„Nach dem 11.September wird nichts mehr so sein wie zuvor“ - von wegen!
Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora vom 8. Oktober 2001

Terroristen sollen es also tatsächlich geschafft haben, alles zu ändern, was die schöne freie Welt der Marktwirtschaft und des demokratisch organisierten Imperialismus ausmacht:
Seit dem 11. September
  • gibt es also keine NATO-Kriege mehr zum Niedermachen störrischer Mitglieder der Staatenfamilie, bei denen „Kollateralschäden“ unter der Zivilbevölkerung, „unschuldige Frauen & Kinder“ inklusive, „leider unvermeidlich“ sind?
  • produziert die ganz normale Mehrung des als Kapital akkumulierten Reichtums in den sogenannten Industriestaaten nicht mehr die „leider unvermeidlichen“ Nebenwirkungen: immer größere Armut bei den notorischen Hungerleidern in der “Dritten Welt” und bei dem von „unserer“ Wirtschaft angewandten bzw. als Arbeitlose ausgemustertem Menschenmaterial?
  • hat die Unterwerfung des Gebrauchswerts unter den Profit in den hoch entwickelten Gesellschaften der florierenden Marktwirtschaft keine negativen Konsequenzen mehr für Gesundheit und sogar für das blanke Überleben – wie z. B. durch BSE?
  • haben mündige Bürger aus der mörderischen Anwendung religiösen (Wahn-)Sinns, der hinter dem Terror stecken soll, den einzig vernünftigen Schluss gezogen, endlich mit diesem irrationalen und lebensgefährlichem (Un-)Sinn aufzuhören?

Nichts auch nur annähernd dergleichen ist passiert! Ist es nicht eher so, dass die politischen Sachwalter des weltweiten Geschäfts machtvoll demonstrieren, dass Terroristen sie gewiss nicht davon abbringen können, die Welt weiterhin und erst recht auf dem eingeschlagenen und feststehenden Weg zu regieren und zu regulieren. Mit mutigen Bekenntnissen zum Fundamentalismus, der den Prinzipien freiheitlich-westlicher Weltalleinherrschaft zu Grunde liegt, drohen sie dem Rest der Welt damit, dass sie vor keiner Gewalt zurückschrecken, um ihre Maßstäbe von Weltordnung als die allein gültigen durchzusetzen. Dafür wird seit dem 7. Oktober mit Bomben und Raketen auf Städte in Afghanistan „zurückgeschossen“.

Längst schon hat Amerika mit seinem Abschreckungsmonopol der ganzen Welt beigebracht, dass Widerstand von Staaten gegen seine Weltoberaufsicht nur um den Preis schwerer Schädigungen bis hin zur Gefährdung der eigenen Staatlichkeit zu haben ist. Gegnerschaft zu dieser Weltfriedensordnung wurde von den USA und ihren Partnern als ein Verbrechen behandelt, unbotmäßige Staaten wurden zu „Schurkenstaaten“ erklärt, die vom selbst ernannten Weltgerichtshof USA verurteilt und entsprechend bestraft werden. Da konnte es gar nicht ausbleiben, dass auf der ganzen Welt unterlegene Nationalisten auf die ihnen fortwährend vorgeführte Oberherrschaft der amerikanischen Nation mit Anti-Amerikanismus reagieren. Freilich trägt sich der sehr unterschiedlich vor:
Da gibt es erstens Bündnispartner, die zu Konkurrenten um die Weltmacht geworden sind. Die kamen jetzt sich und anderen mit „besorgten Fragen“: Hat Amerika durch „Übertreibungen“ beim Beherrschen der Welt den Terrorismus nicht auch ein bisschen hervorgerufen? Könnte der amerikanische Präsident beim „Zurückschlagen“ eventuell „übertreiben“ und dadurch dem Terrorismus noch mehr Parteigänger zuführen? Deswegen haben die europäischen Bündnispartner Mitbestimmung beim Abschlachten des mutmaßlichen Terrorismus und beim Krieg gegen seine Unterstützerstaaten gefordert. Zweitens gibt es eine Mehrzahl von Nationen, die fortwährend feststellen müssen, dass durch den ganz normalen Gang amerikanischen Geschäfts und amerikanischer Weltpolitik ihre Interessen geschädigt werden. In diesen Ländern gibt es genügend Leute, die sich die Schädigungen, unter denen das Volk in ihren Augen leidet, mit der Machtlosigkeit ihres Staates oder als Verrat der Regierung am eigenen Volk erklären. Auch dort macht sich also der ganz normale politische Sachverstand um die Interessen seines Staates Sorgen und teilt von diesem Standpunkt den Rest der Welt in Freund und Feind seiner Nation ein. Daher finden so politisierte Menschen gerade in Staaten, die zur Unterordnung oder zur Ohnmacht verurteilt sind, genug Gründe, gegen Amerika zu sein, weswegen Washington dort jede Menge „anti-American activities“ registriert.
Aufgrund des Attentats vom 11. September sieht sich Amerika zu einer Selbstkritik in Sachen Weltherrschaft herausgefordert - und verordnet sich einen Kampfauftrag für einen langanhaltenden Weltkrieg gegen den „Terrorismus“:
  • Jeder Staat auf der Erde wird auf einen totalen Pro-Amerikanismus verpflichtet. Wer nicht mit und für Amerika den „anti-terroristischen Krieg“ führt, erklärt sich selbst zum Feindstaat.
  • Es gibt nämlich offensichtlich immer noch Staaten, in denen sich „Aktivitäten“ erkennen oder vermuten lassen, die den Terrorismus „nähren“ (Bush sprach von „über 60 Ländern“: Also fast die halbe Welt, die Amerika immer noch nicht genug unter Kontrolle hat!)
  • Ab sofort werden solche Staaten ohne Rücksicht auf ihre Souveränität und mit dem Mittel gewaltsamer Einmischung in alle ihre inneren Angelegenheiten dafür haftbar gemacht, noch den letzten Rest von Anti-Amerikanismus bei sich zu unterdrücken.
  • Das wird die Konflikte in diesen Staaten mit Sicherheit noch um einiges gewaltsamer werden lassen. Bürgerkriege, z. B. in Pakistan, werden schon offen angesagt.

Diese Änderung dessen, was man naiv ‚die Weltlage‘ nennt, ist nun wirklich nicht das Werk des Terrorismus, der angeblich nichts mehr so sein lässt wie zuvor. - Diese Änderung verdankt sich ausschließlich der Re-Aktion der Weltvormacht auf die Attentate. Gerade weil Amerika jede Herausforderung und jede Schädigung seiner Macht für unerträglich befindet, schlägt es mit seiner überlegenen Gewalt zu. Und damit für alle potenziellen Herausforderer der „Preis“ klargestellt wird, fällt der „Gegenschlag“ so aus, dass kein Stein auf dem anderen bleibt - Kollateralschäden an UNO-Mitarbeitern u. a. „unschuldigen Unbeteiligten“ gehen selbstverständlich auf die Rechnung der Herbergsväter des Terrorismus.

Auch hierzulande soll der Terrorismus für tief greifende Veränderungen gesorgt haben. In den Feuilletons ergehen sich kritische Journalisten und Kulturschaffende in der Ausmalung eines „Überwachungsstaates“, der nun einmal „leider“ durch den „Kampf den Terrorismus“ unumgänglich geworden sei. Über „unser aller“ Sicherheit dürfe aber das „hohe Gut“ der Freiheit nicht in Vergessenheit geraten.
Aber ist es denn tatsächlich so, dass der Terrorismus der Demokratie eine Schlagseite oder gar Einseitigkeit in Sachen innerer Sicherheit aufzwingt, die ihrem Wesen angeblich zutiefst fremd sind? Den Prinzipienstreit „Freiheit contra Sicherheit“ gibt es doch seit den Anfängen der Demokratie. Und das Grundgesetz hat ihn auch eindeutig geregelt: Wenn der Staat seine unumschränkte Kontrolle über sein Volk gefährdet sieht, steht seine Freiheit immer über derjenigen seiner Bürger. Daher hält der demokratische Staat die Überwachung seiner Bürger immer für nötig. Immer hegt er den Verdacht, dass sie ihre Freiheiten dazu benutzen, staats- und kapitalismuswidrige Aktivitäten zu entfalten; daher räumt er den verfassungsmäßigen Organen genug Raum ein, diese auszukundschaften und zu bekämpfen. Wenn es also immer in seinem Ermessen und seiner Abwägung liegt, in welchem Maße er die Freiheit seiner Bürger beschränkt oder nicht, dann wird daran offensichtlich, was im Verhältnis von „Freiheit und Sicherheit“ Sache ist:
Die famosen demokratischen Rechte sind nicht welche, die den Bürgern sozusagen von Natur aus zukommen und vor denen der Staat Respekt zu haben hätte. - Es handelt sich vielmehr immer um Freiheiten, die er ihnen gewährt, damit sie sie in seinem Sinne gebrauchen.
Im „Kampf gegen den Terrorismus“ setzen Schily und Beckstein daher folgerichtig Freiheit als die ihre fest, einem prinzipiellen Verdacht gegen Unzuverlässigkeit bei den Bürgern mehr und bei den Ausländern jeden Raum zu gewähren. Mit der Wiedereinführung der Rasterfahndung nach „Schläfern“ zieht der Staat also die Konsequenz aus einer Selbstkritik: Er beschuldigt sich grober Nachlässigkeit, dass die bisherige Rechtslage nur gestattet zu fahnden, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt. Ab sofort werden die Bürger von vornherein als Verdächtige behandelt. Womit man bisher als ordentlicher Bürger durchging - keine Schwierigkeiten mit der Staatsgewalt zu kriegen, die Gesetze einzuhalten, unter seinesgleichen nicht aufzufallen -, das reicht dem Staat ab sofort nicht mehr aus.
Früher gab es einmal eine Debatte über den „gläsernen Bürger“. Demokratien - so hieß es - unterscheiden sich von Diktaturen - Stasi, Stasi! - dadurch, dass sie die Privatsphäre ihrer Bürger respektieren. Jetzt kann der Bürger dem Staat gar nicht „gläsern“ genug sein. Und wer da laut „Überwachungsstaat“ schreit, muss sich von Schily und Beckstein vorhalten lassen, dass er in der Alternative zwischen Demokratie und Terrorismus offensichtlich auf der falschen Seite steht.

„Trauer und Entsetzen“ sollen in den Tagen nach dem 11. September so „überwältigend“ gewesen sein, dass „nichts mehr so sein wird wie zuvor“. Rund um die Uhr wurde in Politikerreden, von Presse und Fernsehen Mitleid mit den Opfern von New York und Washington bekundet. Die Toten und ihre trauernden Angehörigen gerieten aber immer mehr an den Rand der öffentlichen Anteilnahme. Von Tag zu Tag wurde der Kreis der Opfer immer größer; das öffentliche Beileid gilt immer mehr lauter alten Bekannten:
  • Die Versicherungswirtschaft hat einen schweren Schlag hinnehmen müssen - hat sie womöglich mit sinkenden Renditen zu rechnen?
  • Die Passagierzahlen bei den Fluggesellschaften gehen zurück - muss da nicht der Staat den Airlines und am besten gleich noch der gesamten Tourismusbranche unter die Arme greifen?
  • Die Börsen registrieren Schäden und Entschädigungssummen aufmerksam und lassen die Kurse fallen - wen reißen sie mit rein?
  • Der „Kampf gegen den Terrorismus“ muss finanziert werden - könnte es sein, dass Eichels Steuererhöhungen der Konjunktur schaden?
  • Die Staaten legen, sei es wegen „Anti-Terror“, sei es für in Bedrängnis geratene Kapitale, Ausgabenprogramme auf - geraten sie dadurch in Haushaltsnöte?
  • Droht „uns“ nun gar eine Rezession der Weltwirtschaft?
  • Können die Staaten sie verhindern, womöglich sogar mit Hilfe des „Kampfes gegen den Terror“?

Die öffentlich ausgerufene „Trauer“ und das vielstimmig angesagte „Entsetzen“ werden so offen, ehrlich und brutal auf das heruntergebracht, was wirklich zählt: Wie läuft der kapitalistische Laden? Der Terrorismus hat die kapitalistische Normalität gestört. Um diese Normalität wiederherzustellen, sehen sich die führenden Nationen des demokratischen Imperialismus zu einem einzigen großen Kraftakt herausgefordert. Wie der aussehen soll? Dazu fällt ihnen ihrer und der Natur der Sache nach, um die es geht, wirklich nichts Neues ein: Sie versprechen, ganz viel Gewalt aufzufahren! Am 7. Oktober erfolgte der erste Gewaltakt und die Freie Welt wartet gespannt auf die Erfolgsbilanz der angloamerikanischen Vernichtungsmaschinerie.
Sie kennt also nur ein Problem: Wird diese Gewalt zweckmäßig eingesetzt? Darüber werden sich tatsächlich einige Änderungen in der Welt einstellen.

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