Offener Raum

DEMOKRATIEKRITIK IN KURZFORM: WO DAS VOLK HERRSCHT, GEHT DER MENSCH UNTER!

Begriffe und zentrale Probleme


1. Begriffe und zentrale Probleme
2. Formale Herrschaft in der Demokratie
3. Stellvertretung: Übergriffe und Privilegien, die kaum zu spüren sind
4. Propaganda und Diskurs: Informelle Herrschaft in der Demokratie
5. Die Ähnlichkeit zur Religion
6. Perspektiven?
7. Hirnstupser zum Thema
8. Links
9. Bücher und Materialien
10. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Intro

Was ist Demokratie?
Aus einer Rede auf einer Demo, 10. April 1993 in Frankfurt
Lassen wir uns das Wort Demokratie mal auf der Zunge zergehen. Volks - Herrschaft. Volk und Herrschaft. Nun, wer ist denn das Volk?
Alle Menschen, die auf einem von den Herrschenden bestimmten Gebiet, genannt Staat, leben?
Oder, ganz völkisch gedacht diejenigen, die, natürlich von den Herrschenden definiert, zum Beispiel deutscher, algerischer, chilenischer oder indonesischer Abstammung sind?
Oder einfach alle, die dieselbe Muttersprache haben? Der Begriff des Volkes ist sehr diffus und wird je nach Gutdünken eingesetzt.
Und dann das Wort Herrschaft. Was ist daran so positiv?

Demokratie bedeutet Volksherrschaft ... ein Begriff, der eigentlich alles verrät! Demokratie ist Volk plus Herrschaft. Das Volk herrscht. Wer beide Begriffe analysiert, wird feststellen: Da kann nichts Gutes rauskommen - und tut es ja auch nicht. Die härtesten Formen kapitalistischer Gesellschaften, vor allem aber die Staaten mit der höchsten Tendenz zur Ausbeutung anderer Teile der Erde - sie sind alle demokratisch. Das ist kein Wunder. Volk ist ein ganz übles Konstrukt, welches die dahinterstehenden Interessen verschleiert. Dass dann mit diesen Interessen geherrscht wird, ist selbsterklärend keine emanzipatorische Idee.
Das Unfassbare an dem Begriff und dem Diskurs um Demokratie ist jetzt, dass Volk so stark die eigentlichen Strukturen und Interessen verschleiert, dass aus der Herrschaft dieses Konstruktues plötzlich etwas Gutes wird. Mathematik gilt also nicht mehr gilt: Minus plus Minus ergibt normalerweise ein größeres Minus - aber hier plötzlich ein Plus. Volk und Herrschaft sind beides keine positiven Begriff im Sinne einer Emanzipation. Werden Volk und Herrschaft aber verbunden, soll etwas Positives entstehen. Dem fehlt die Logik und auch eine überzeugende Analyse. Demokratie ist ein Fetisch. Sein positives Erscheinungsbild wird über Diskurse entfacht. Demokratie bringt danach das Positive in die Welt. Läuft etwas schlecht, so fehlt die Demokratie, hat Mängel, ist nicht voll entwickelt oder ist im Niedergang.

Weitere Seiten zur Demokratie

Beschäftigen wir uns als zunächst mit diesen beiden zentralen Begriffen.

Volk
Demokratie funktioniert immer über den Bezug auf einem imaginierten, organischen "Volkskörper", dessen Willen die gewählten VertreterInnen angeblich vertreten. Diese Argumentation, die Idee von "Völkern", kommt nicht ohne Grenzen aus und basiert immer auf dem Ausschluss von Gruppen und Menschen, die als anders definiert werden. "Völker bestehen zwar aus Menschen, aber das Typische an ihnen ist gerade, dass der Mensch als Individuum untergeht in der kollektiven Einheitlichkeit der Nation oder des Volkes. Nation und Volk aber brauchen der Herrschaft, um sich überhaupt zu konstituieren. Niemals käme der Mensch aus Konstanz von selbst auf die Idee, ein Volk oder eine Nation mit den Menschen aus Flensburg zu sein, während seine Nachbarin in Bregenz ein anderes Volk, eines anderen Fleisch und Blut ist. Volk und Nation sind die Folge von gleichschaltender Identitätsbildung. Mensch ist nicht Deutscher, Amerikaner oder Iraker, sondern er wird dazu gemacht. Volk und Nation entstehen durch die, die für das Volk sprechen – und durch die Diskurse, die ständig überall reproduzierte Meinung, dass es ein Volk, eine Nation, eben eine kollektive Einheit gäbe. Es ist nicht möglich, dass sich die Menschen aus Flensburg und Konstanz, aus Aachen und Cottbus selbstorganisiert zu einer Einheit zusammentun – das bedarf der Steuerung, der Erzeugung des Gefühls von Zugehörigkeit und Einheitlichkeit. Volk und Nation entstehen in den Medien, in den Schulbüchern, in der Erziehung, in den Gesetzen und der Realität von Kontrolle und Repression, in alltäglichen Handlungen und Gesprächen. Ohne Herrschaft, sei es die personale der Regierungen und Institutionen oder die informelle der Diskurse, Werte und Normen, gäbe es Volk und Nation nicht." (Zitat aus einer Rede auf der Friedensdemonstration am 3.4.2003 in Gießen ... siehe Internetseite "No law! No war!).

Im Vergleich: Religion und Demokratie
Das Volk wird erhöht zum Begriff für den Ausgangspunkt von allem sowie zum Zweck allen politischen Handeln. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" betont das Volk als Ursprung aller Machtausübung. Volk ist ebenso imaginär wie in den theistischen Religionen. "Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott" klingt sehr ähnlich. Die Götter der theistischen Religionen sind ebenso auffällig Figuren nach den Interessen und Projektionen von Menschen, die darauf ihre Macht bauen. So wie die Priester, Kaplane oder sonstiges Religionsführer behaupten, für ihren jeweiligen Gott zu sprechen, so sprechen PolitikerInnen, Polizei oder RichterInnen "im Namen des Volkes". Die scheinbare Beauftragung durch das höhere Wesen schafft eine strukturelle Herrschaft, die in sich selbst begründet ist. Das Volk ersetzt den Gott als erfundene transzendente Figur, auf die sich willkürlich ausgeübte Herrschaft berufen kann. "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" und "Im Namen des Volkes" sind identische Floskeln und verschiedenen Religionen.
Basis der Demokratie ist ein Kollektivsubjekt, d.h. eine handlungsfähige (Subjekt) Masse als Gesamtheit (Kollektiv). Bei näherer Betrachtung fällt bereits auf, dass es kein wirkliches gibt ("Volk", "Nation", "die BürgerInnen" als Gesamtheit usw. gibt es gar nicht), sondern alle nur konstruiert sind als Bezugspunkt der Legitimation von Herrschaft, zusätzlich aber besteht in der Vorstellung eines Kollektivsubjekts auch eine strukturelle Gefahr. Das Kollektivsubjekt würde das Individuum und die freien Kooperationen ständig bedrohen, da es Entscheidungen fällt und Handlungen vollzieht, die von den konkreten Interessen vieler Menschen losgelöst wären und sich sogar gegen diese wenden könnten.

Weitere Seiten zu Volk und völkischen Kategorien
  • Wikipedia "Volk"
  • Weitere Zitate zu "Volk" auf einem Wiki

Herrschaft
Herrschaft bedeutet die strukturelle Möglichkeit, den eigenen Willen auch gegen den Willen anderer durchzusetzen, d.h. sie beruht auf Rahmenbedingungen, die über die Zufälligkeit eines einzelnen Momentes hinweggehen. Herrschaft ist also nicht, wenn A zu B ruft: "Hau da ab", sondern wenn ein strukturelles Mittel das einseitig durchsetzbar macht, z.B. durch ökonomische Abhängigkeit, eine Waffe oder das Hausrecht. Solche Rahmenbedingungen können sehr unterschiedlich aussehen, z.B. rechtlich, als Bewaffnung, Zugang zu Ressourcen, Privilegien, mehr Handlungsmöglichkeiten, Kraft, Kapitalbesitz. Ebenso wirken diskursive Normen und Zurichtungen als Herrschaft, z.B. Erwartungshaltungen, Titel, Bildungsgrad, sog. "Rassen", Geschlechter oder Alter, die aufgrund unterschiedlich genormter Verhalten ebenso dauerhaft Herrschaftsbeziehungen schaffen und sichern.

Im Vergleich: Religion und Demokratie
Direkte Herrschaftsausübung wird in der Demokratie ebenso verschleiert wie in modernen Religionen. Zum einen wird Herrschaft begründet mit den religiösen Zielen - es geschieht alles im Namen Gottes oder eben im Namen des Volkes. Das ersetzt bereits eine Begründung in der Sache. Zudem geschieht vieles zum Wohl Gottes oder des Volkes. Das es beides real nicht gibt, sind solche Aussagen immer verschleiernd. Andere Interessen verbergen sich dahinter, ohne das sie solche Statements abgegebene Person oder Stelle sich dessen bewußt sein muß. Religion vernebelt die Köpfe und erfaßt die Menschen so umfassend, dass diese die religiösen Positionen wie eigene benennen und die verschleierten Interessen selbst nicht mehr wahrnehmen.
Zum zweiten wird Herrschaft heute weitgehend über Diskurse organisiert, d.h. nicht die direkte Gewaltanwendung, sondern eine Vielzahl an Zurichtungen, Erwartungshaltungen, Rollenmustern usw. wirken permanent auf Menschen ein und konditionieren ihr Verhalten. Da diese Beeinflussung nicht offen sichtbar ist, wird sie schneller verinnerlicht und als scheinbar eigene Überzeugung widergespiegelt. Diskurse erhalten sich daher durch die Menschen selbst, die damit selbst zu LehrerInnen der jeweils geltenden Religion werden.
Demokratie ist die neueste und modernste Religion, die zwecks Verschleierung auch nicht als Religion auftritt.

Propaganda und Illusion Werbung

Die Illusion der Mitbestimmung: Demokratie blockiert Selbstermächtigung
Demokratie ist die Gruppen- oder Gesellschaftsform, bei der Menschen darauf getrimmt werden, ihre Hoffnung auf ein besseres Leben oder eine Verbesserung der aktuellen Situation auf eine Person, Führungsgruppe, Partei, Institution oder auf ein Gremium zu projizieren. Demokratie verhindert damit Selbstorganisierung und freie Vereinbarung.

Das Menschenbild der Demokratie und die paradoxe Ableitung
Demokratie ist die absurde Logik, dass die Menschen schlecht, zum Teil gleichgesetzt mit "egoistisch" seien und deshalb kontrolliert werden müssten, um den sozialen Frieden (neuerdings auch oft gleichgesetzt mit "Rechtsfrieden") zu wahren. Der Unsinn an diesem Gedanken ist offensichtlich: Wenn die Menschen dazu neigen (vermeintlich aus Egoismus), sich asozial und hochkonkurrent zu verhalten, wieso soll dann ebensolche Menschen als KontrolleurInnen agieren - wo sie doch an den Machtpositionen viel besser diesem vermeintlichen Egoismus freien Lauf lassen können?

Demokratie und Institutionen

Kein Zufall: Demokratie bildet formale Einheiten, z.B. die Nation

Kontrolle
Von rechts bis links - eine Welt ohne Kontrolle, ohne zumindest die letzte Möglichkeit, eine Handbremse zu ziehen, können sich die Menschen, noch mehr aber die Eliten in der Gesellschaft nicht vorstellen. Daher diskutieren sie immer wieder Gremien, Mechanismen usw., wie sie auch bei gutem Willen zum Herrschaftsabbau ihre Angst, dass die Menschen nicht das Gute entwickeln werden, befriedigen können.

Gewaltmonopol und Gewaltenteilung

"Die Verfassung, die wir haben (...) heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist." (Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, II 37; ursprünglich Bestandteil der Präambel des EU-Verfassungsentwurfs)

"Maßstab der Aristokratie ist die Tugend, der Oligarchie der Reichtum, der Demokratie die Freiheit" (Aristoteles, Politik, 1294a10 ff.)

"The government of the people, by the people, for the people." (Die Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk.)
Abraham Lincoln
über das Wesen der Demokratie, Gettysburg Address, 1863

"Liberalität, die unterschiedslos den Menschen ihr Recht widerfahren lässt, läuft auf Vernichtung hinaus wie der Wille der Majorität, die der Minorität Böses zufügt und so der Demokratie Hohn spricht, nach deren Prinzip sie handelt."
(Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Teil 1, 1944)

"Democracy is the worst form of government – except for all those other forms, that have been tried from time to time." (Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.)
(Winston Churchill in einer Rede im Unterhaus am 11. November 1947)

"Unter all den Namen dessen, was man ein wenig schnell in der Kategorie der 'politischen Regierungsform' klassifiziert (ich glaube nicht, dass 'Demokratie' letztlich eine politische Regierungsform bezeichnet), ist der ererbte Begriff der Demokratie der einzige, der die Möglichkeit aufnimmt, sich in Frage zu stellen, sich selbst zu kritisieren und sich in unbestimmter Weise selbst zu verbessern. Wenn es sich dabei noch um den Namen einer Regierungsform handelte, dann um den des einzigen 'Regimes', das sich seiner eigenen Perfektionierbarkeit stellt, also seiner eigenen Geschichtlichkeit – und so verantwortlich wie möglich, würde ich sagen, sich der Aporie der Unentscheidbarkeit annimmt, auf deren Grund ohne Grund er sich entscheidet."
Jacques Derrida (2001; in: Philosophie in Zeiten des Terrors, ISBN 3865723586, S. 161)

Wenn fünf Leute einen sechsten verprügeln, wird die Sache dadurch nicht besser, dass sie vorher mit 5:1 eine demokratische Abstimmung durchgeführt haben. Demokratisierung bedeutet meistens, dass die soziale Eingriffstiefe herrschender Strategien vorangetrieben wird - Partizipation begrenzt hier nicht Macht, sondern wird ihr Transmissionsriemen nach unten, zu den einzelnen Menschen, zum Alltag, zur konkreten "Mikropolitik". Demokratie verbürgt also keineswegs Emanzipation, und Emanzipation im demokratischen Zeitalter bedeutet immer auch Schutz vor "Demokratisierung", d.h. vor dem Anspruch anderer, im eigenen Leben herumzupfuschen.
Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 47)

Demokratie und Unterdrückung - eine gar nicht zufällige Kombination
Es wirkt auf den ersten Blick erstaunlich: Die demokratischen Staaten führen am meisten Angriffskriege, beuten die Welt am meisten per Rohstoffabbau, Arbeitskräfteausnutzung, Landgrabbing und Umweltbelastung aus usw. Doch die Diskrepanz besteht nur zur Propaganda. Angesichts der Herrschaftsförmigkeit von Demokratie war das eher zu erwarten.

Aus Birgit Lulay, "Die frühe Eugenik" in: GID August 2018 (S. 7)
Bemerkenswert ist, dass es eine auf Fortpflanzungsverbote setzende eugenische Praxis bis 1933 ausschließlich in demokratisch verfassten Statten gegeben hat, allen voran den USA und der Schweiz ...

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