Offener Raum

BERICHTE ZUM CASTOR-WIDERSTAND NOV. 2002

Persönlicher Erfahrungsbericht zu den Verboten im Clamart Park


1. Erster Castor-Platzverweis
2. Bericht zum Anna&Arthur-Plenum am Freitag, den 8.11. mit Rauswurf(versuch)
3. Persönlicher Erfahrungsbericht zu den Verboten im Clamart Park

Eindrücke zur Infowiese
Als ich und andere das Eröffnungsplenum betreten, merke ich, wie neben mir „Wichtigleute“ anfangen zu tuscheln, auf Jörg zeigen, über Rauswurf reden usw. - eine für mich unangenehme Stimmung. Dann das Infoplenum: Vier bis fünf Leute der Orga-Gruppe rattern das Programm runter. Die vorgestellten Ideen und Aktionen fand ich teilweise gut, aber für Eigeninitiative war kein Raum dar ... und zwar spürbar: Nachdem das Programm vorgestellt wurde, wurde nicht einmal die Frage gestellt, ob Leute noch eigene Ideen haben. Auch fehlte im Clamart Park jegliche Infrastruktur, die es Menschen ermöglicht, noch etwas Eigenständiges zu entwickeln, sich selbst zu organisieren. Auch wurde nie gefragt, ob wir eine Pressesprecherin haben wollten ... die gab es einfach. Später gibt es im Anna & Arthur noch einige spannende Runden mit gerade angekommenen Leuten aus Osnabrück und Braunschweig, aus der sich ein paar Vorschläge ergaben, um die Infowiese offener zu gestalten.

Die nächste Verbotsverfügung
„Ihr könnt eure Sachen ja woanders machen“

Beim morgendlichen Orga-Plenum im Clamart Park bringen Thorsten und ich zwei Vorschläge ein, die wir gern auf der Infowiese umsetzen wollten: Einen Workshop zu Reclaim The Streets und eine Fishbowl-Diskussion zu „Der Castor kommt, die Demokratie geht?“. Beides wurde im Plenum angenommen. Als wir nach Frühstück und Stadtrundgang wieder kehren, um mit dem Workshop zu starten, kommt ein Mensch aus der Orga-Struktur auf uns zu mit der Aussage, dass das nicht ginge, beide Veranstaltungen untersagt seien. Wir seien die Leute von Hoppetosse, mit denen es schon Probleme im Anna & Arthur gab und die Infowiese wolle sich deren Entscheidung anschließen. Wieder wurden also Veranstaltungen, die schon durch das Plenum gingen, nacher von einem intransparenten Zirkel gekippt. Darauf weise ich hin - und auch darauf, dass es unter Menschen vom A&A keine einheitliche Meinung gibt. Danach kommen weitere Rechtfertigungen, es gäbe AnmelderInnen, die für alles gerade stehen müßten und Aktionen dürften hier nicht geplant werden. Während dessen fand gerade ein für alle erkennbarer Kletterworkshop in den Bäumen statt, der diese Begründung für mich deutlich widerlegte. Zumal damit das Verbot der Fishbowl-Diskussion zum Demokratieverständnis nicht erklärt werden kann.

Zwischendurch kommen zwei weitere Personen der Orga-Gruppe hinzu. Alle betonen, dass es ihnen leid tue, unsere Ideen ja gut fänden und unseren Frust verstünden, aber wir ja mit A&A viele Probleme hatten und dort bereits ein Plenum gesprengt hätten. Ich versuche klar zu machen, dass es eine einseitige Darstellung ist und die Probleme durch Verbote sich eher verschärfen. Auf unser anhaltendes Nachhaken folgen dann so Sätze wie „Ich bringt eine total komische Stimmung hier rein“ und „Ihr nehmt schon wieder so viel Raum ein“, die Ursache und Wirkung verdrehen und so tun, als sei es total daneben, sich gegen Verbote aufzulehnen. Ein richtiger Hammer war für mich der Satz „Ihr könnt eure Sachen ja woanders machen“, es gäbe ja kommerzielle Cafes. Mit solchen Statements befindet mensch sich auf einer Ebene mit Kaufhausleitungen, die BerberInnen, Punks usw. raus werfen. Verbote in den wichtigsten Anlaufpunkten des Anti-Atom-Widerstandes in Lüneburg soll mensch locker hinnehmen. Ein Mensch der Orga-Gruppe kritisiert, dass ich von „Eliten“ rede, fragt, ob ich sie auch so bezeichnen würde. Ich erkläre noch mal, um was sonst als eine Elite es sich handelt, wenn im Plenum nicht beanstandete Veranstaltungen von der Orga-Gruppe einfach so gekippt werden. Daraufhin meinte der Typ: „Ja.“ 

Verbote rauben jede Motivation
Frust, Wut, aber vor allem Niedergeschlagenheit und Perspektivlosigkeit machen sich breit. Nach langer Unschlüssigkeit ergibt es sich, dass die Gießener und Saasener AktivistInnen abreisen wollen. Gründe: Außer dem BUND-Büro überall Verbotsverfügungen, keine Möglichkeiten, Aktionen vorzubereiten. Aber vor allem waren wir, glaube ich, einfach durch und nicht mehr in der Lage, uns für kreativen Widerstand zu motivieren. Während dessen beziehen einzelne Menschen von Anna & Arthur klarer Stellung gegen das Verbot auf der Infowiese. Vor meiner Abfahrt wollte ich nur noch auf das Info-Plenum im Clamart Park gehen, um dort eine Rückzugserklärung abzugeben. Vorher begleitete ich die anderen zum Bahnhof - dort trudelt dann auch die Person der Infowiese ein, die mir und Thorsten gegenüber das Verbot vermittelt hatte. Sie entschuldigt sich, meint, sich selber nicht genau genug informiert zu haben und sagt, dass wir wohl doch Raum für Workshops bekommen würden. Auf meine kritischen Nachfragen gibt sie aber zu, dass das wahrscheinlich nur ihre Position ist und nicht geklärt ist, ob das Verbot aufgehoben ist. Auch die anderen waren zu skeptisch und zu fertig, um noch mal enttäuscht zu werden.

Der letzte „Auftritt“
Zusammen mit Menschen aus Braunschweig und Osnabrück betrete ich das gefüllte Infoplenum: Etwa 150 Leute, ich sofort tierisch eingeschüchtert, fange an vor mir zu rationalisieren ("Ach, dann fahre ich halt ohne Statement“ usw.). Thorsten haut mich immer wieder darauf an, loszulegen und ich versuche mich zu sammeln. Irgendwann wird der Tagesordnungspunkt „Hoppetosse“ benannt. Nachdem die Person, die das Verbot gegenüber uns vertreten hatte, sich entschuldigt hatte mit dem Hinweis, dass die Infowiese ja offen sein sollte, meint einer der älteren Orgas, dass das alles beim nächsten Mal besser laufen können und man die Sache doch jetzt zu Ende bringen könne. Der Konflikt sollte gedeckelt und harmonisiert werden, mein Statement war scheinbar gar nicht vorgesehen.

Ich melde mich und meine, auch noch was zu den Vorgängen sagen zu wollen. Sofort fordert einer der Infowiesen-Checker eine Redezeitbegrenzung auf zwei Minuten wegen der bisherigen Erfahrungen. Verschiedene Leute widersprachen dem empört, sehr deutlich ein Mensch aus Berlin, andere meinten, ich solle anfangen. Der Dominanzvorgang war einfach zu offensichtlich und platt. Während ich meine Erklärung zum, Rückzug aus Lüneburg und zur Auseinandersetzung um hierarchische Strukturen vortrage (relativ entschlossen und geladen), immer wieder Unterbrechungen und Pöbeleien ... „Komm auf den Punkt“, ein abfälliges „Ja, wir haben dich verstanden“, „Was willst du, dass wir beschließen“, aber auch jedes Mal eine kleine Reihe Menschen, die dagegen intervenierten. All das hat mich noch mal mehr verunsichert als ich eh schon war, einmal hatte ich auch so ein Blackout, aber das war egal. Spürbar war das komplette Fehlen der Sensibilität für Dominanz - klarer wird das, wenn mensch sich vorstellt, an meiner Stelle wäre eine Frau oder ein als eindeutig als Youngster wirkender Mensch so angegangen worden ... heftig. Auch ein Mensch von der Bettenbörse, der ‚uns‘ in den letzten Tagen segr engagiert unterstützt hatte, und den Widerspruch von angepriesener Offenheit und Ausgrenzung thematisierte, wurde direkt von einem Checker* unterbrochen. Wie gerichtet die Wahrnehmung war zeigte für mich, dass Leute nacher meinten, ich könne nicht einfach 5 Minuten reden, während die Orgas 98% der Zeit für sich beanspruchen, was scheinbar ‚normal‘ und akzeptiert ist.

Irgendwann wurde das Ganze durch die Orgas beendet ... kleine Runden entstanden, von denen ich einige trotz Zeitdrucks mitnahm. Von verschiedenen Menschen, die ich teilweise nicht kannte, gab es positive Resonanz („Lass dich nicht unter kriegen“, „Ich glaube, ihr habt Recht mit dem, was ihr kritisiert“) und Enttäuschung darüber, dass ein ganzer Aktionszusammenhang Lüneburg verläßt. Das und die Unterstützung im Plenum, die Interventionen gegen Unterbrechungen usw. haben mir erheblich geholfen und die Situation vor kompletter Trostlosigkeit bewahrt. Ich hatte den Eindruck, dass verschiedene Leuten gemerkt haben, was hier abgeht, nicht zu letzt wegen der offensichtlichen Dominanz der Eliten. Im Zug fühlte ich mich zwar nicht super, aber zumindest glücklich, der Situation nicht ausgewichen zu sein, sondern meinen Umut geäußert zu haben.

*Möglicherweise fühlen sich einzelne Menschen von Begriffen wie „Wichtigleute“, „Elite“ usw. zu Unrecht angegriffen. Neben meiner Ansicht, dass es in der Anti-Atombewegung, und nicht nur da, tatsächlich „Gleichere als andere“ gibt, war es in Lüneburg auch so, dass mir - bis auf eine Ausnahme - keineR der Führungspersonen als Mensch begegnet ist oder sich irgendwie für mich interessiert hat.
espi

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