Offener Raum

DIE RECHTLICHEN HINTERGRÜNDE ZUM § 265A

Der Argumentationsstrang zur Straffreiheit beim gekennzeichneten "Schwarzfahren"


1. Das Gesetz und seine Auslegung
2. Der Argumentationsstrang zur Straffreiheit beim gekennzeichneten "Schwarzfahren"
3. Wann auch Hausfriedensbruch nicht gilt
4. Fazit: Das formal richtige Verhalten
5. Was bleibt? 60 Euro und eventueller Rauswurf
6. Links und Materialien

Eine Bestrafung einer_s gekennzeichneten "Schwarzfahrers_in" ist aus mehreren Gründen nicht rechtmäßig, wobei jeder Grund für sich allein schon reicht. Das Folgende ist also eine Kaskade der Argumentation. Ein Gericht muss alle Punkte ausschließen können, wenn es verurteilen will. Dummerweise sieht die Praxis ganz anders aus. Richter_innen und Staatsanwält_innen sind oft geradezu erbost, wenn sie merken, dass das angeklagte Verhalten gar nicht strafbar ist. Dann wird deutlich, dass es ihnen um Autorität und Strafen als Weltanschauung geht - und nicht um Anwendung des geltenden Rechts.

Vorab: Weder Straftat noch erhöhter Fahrpreis, wenn kein eigenes Verschulden

Kein erhöhter Fahrpreis, wenn kein eigenes Verschulden (Urteil AG Nürnberg)

Eine Bestrafung einer_s gekennzeichneten "Schwarzfahrers_in" ist aus mehreren Gründen nicht rechtmäßig, wobei jeder Grund für sich allein schon reicht. Das Folgende ist also eine Kaskade der Argumentation. Ein Gericht muss alle Punkte ausschließen können, wenn es verurteilen will. Dummerweise sieht die Praxis ganz anders aus. Richter_innen und Staatsanwält_innen sind oft geradezu erbost, wenn sie merken, dass das angeklagte Verhalten gar nicht strafbar ist. Dann wird deutlich, dass es ihnen um Autorität und Strafen als Weltanschauung geht - und nicht um Anwendung des geltenden Rechts.


Argument 1: "Schwarzfahren" ist nie strafbar, weil kein Vermögensschaden entsteht
Leistungserschleichung ist ein Spezialparagraph des Betrugsstrafrechts. Solche Vergehen sind aber nur strafbar, wenn ein Vermögensschaden entsteht. Das ist beim "Schwarzfahren" aber gar nicht der Fall. Vielmehr ist offen, ob die_der "Schwarzfahrer_in" im anderen Fall bezahlt hätte oder nicht gefahren wäre. Bei Letzterem wäre kein Schaden entstanden.

Im Original
Aus einer Examensklausur WS 2009/2010 an der Juristischen Fakultät der HU Berlin
Die BVG kann gemäß § 249 Abs. 1 BGB verlangen, so gestellt zu werden, wie ohne das schädigende Ereignis. Nach einer Auffassung liegt das schädigende Ereignis im Sinne des § 249 BGB in dem Umstand, dass der S zugestiegen ist (Harder NJW 1990, 857 ff). Nach anderer Auffassung liegt das schädigende Ereignis in dem Umstand des Nichtentrichtens des Fahrtgeldes (Stacke NJW 1991, 875, 877)
Nach der ersten Auffassung stünde die BVG aber nicht anders da als jetzt, da das Verkehrsmittel auch ohne ihn gefahren wäre, so dass ein Schaden nach der Differenzmethode entfällt. Das Verkehrsunternehmen kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn der ... gezahlt hätte ... Nur wenn der Fahrer des betreffenden Fahrzeuges nachweisbar einen zahlungswilligen Fahrgast hätte zurückweisen müssen, weil ... einen Sitz- oder Stehplatz ohne Fahrkarte eingenommen hatte, wäre eine Schadensersatzhaftung aus unerlaubter Handlung überhaupt denkbar. Dies kommt aber im öffentlichen Nahverkehr nicht vor.


Die Aussage, dass Fahrgäste für "Schwarzfahrer_innen" mitzahlen, geht davon aus, dass diese sonst zahlen würden. Zumindest viele würden aber stattdessen nicht mehr fahren, d.h. in ihrer Mobilität eingeschränkt. Gleiche Preise für alle bedeutet schließlich immer, dass einige sich das nicht leisten können. Das einzige, was sicher ist, ist dass Fahrgäste für die_en Kontrolleur_in mitbezahlen müssen. Und für Fahrkartenautomaten, große Teile der Buchhaltung, Werbung und die horrenden Kosten von Strafverfolgung und Gefängnis. Bis zu einem Drittel der Gefängnisinsassen in deutschen Knästen sind wegen Schwarzfahren eingesperrt. Ein einziges sinnloses Gemetzel ... und völlig überflüssig, wenn ÖPNV einfach frei wäre. Das wäre mal ein brauchbares politisches Ziel. Stattdessen wird kleine Zettel bedruckt, beworben, verkauft, kontrolliert und die Nicht-Inhaber_innen bestraft - alles unproduktive Tätigkeiten, für die alle mitbezahlen.

Strafrechtlich relevant ist, dass bei Zahlungsunwillen oder -unfähigkeit das "Schwarzfahren" keinen finanziellen Schaden anrichtet, sondern nur Platz wegnimmt, der nicht benötigt wird (Ausnahmen sind Einzelfälle und müssten gesondert bewiesen werden). Ein Gericht muss, wenn mehrere Varianten denkbar sind, entweder die Sache zweifelsfrei klären oder die für den Angeklagten bessere Variante zur Grundlage wählen. Jedes andere Vorgehen wäre rechtswidrig. Das Gericht muss also entweder beweisen, dass die angeklagte Person im Falle des Nicht-"Schwarzfahrens" bezahlt hätte. Sonst ist ein Freispruch unumgänglich. Oder anders - und damit näher an der Gerichtspraxis - ausgedrückt: Eine Verurteilung wäre Rechtsbeugung.

Argument 2: Strafbar ist nur die Manipulation oder Umgehung z.B. von Kontrollen
Dieser Punkt ist umstritten. Es gibt Gerichte, die jedes "Schwarzfahren", welches keine aktive Täuschung beinhaltet, für nicht strafbar halten.

Erschleichung durch Manipulieren oder Umgehen von Sperren, Kontrollen usw.
Hier ist die Rechtsprechung einheitlich und auch deckungsgleich mit der allgemeinen Sprachauffassung: Wer einen Fahrkartenautomaten manipuliert, über ein Absperrgitter steigt oder sonst aktiv die Möglichkeit, ohne Fahrkarte irgendwo mitzufahren, aktiv herbeiführt, "erschleicht" im eigentlichen Wortsinn.

Im Original
Aus Tamina Preuß, "Praxis- und klausurrelevante Fragen des „Schwarzfahrens“" , in: ZJS 3/2013 (S. 264)
Eine weitere Auffassung fordert, dass der Täter Kontrollen oder Sicherungsvorkehrungen ausschaltet oder umgeht. Gefordert wird eine „betrugsähnliche Handlung“. Dies wird damit begründet, dass der Begriff „Erschleichen“ nach seinem Wortsinn ein „Element der Täuschung oder der Manipulation“ enthalte und § 265a StGB als Auffangdelikt zu § 263 StGB nur betrugsähnliche Fälle erfassen solle. Erst durch ein derartiges Verhalten komme ausreichend kriminelle Energie zum Ausdruck. Der Gesetzgeber habe zwar Strafbarkeitslücken schließen wollen, die durch den Verzicht auf persönliche Kontrollen entstehen, nicht aber Fälle erfassen wollen, bei denen auf eine Kontrolleinrichtung komplett verzichtet wird. Als Beispiele für Erschleichen werden das Einsteigen durch einen nicht zugelassenen Eingang, Verbergen in dem Verkehrsmittel und Überklettern von Sperreinrichtungen genannt.

Erschleichung durch Vortäuschung, eine Fahrkarte zu besitzen
Unauffälliger, aber noch im Begriff "Erschleichen" unterzubringen, wäre ein aktives Verhalten, das so tut, als hätte mensch eine Fahrkarte. Wer z.B. etwas anderes abstempelt als einen gültigen Fahrschein, will gerade den Anschein erwecken, als wäre er_sie im Besitz einer solchen.

Im Original
Aus Tamina Preuß, "Praxis- und klausurrelevante Fragen des „Schwarzfahrens“" , in: ZJS 3/2013 (S. 264)
Eine weitere Ansicht lässt es genügen, dass sich der Täter „mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit“ umgibt. Dies sei der Fall, wenn er den Eindruck erwecke, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen. Hiervon wird beispielsweise bei erneutem Entwerten eines bereits verbrauchten Tickets durch den Fahrscheinentwerter ausgegangen.

Auch hiergegen gibt es rechtliche Bedenken (Argumentationsstrang Nr. 1 gilt ja weiterhin), aber zumindest vom Begriff her wäre das noch nachwollziehbar. Alles bleibt im Rahmen der naheliegenden, aus dem Gesetzeswortlaut ableitbaren Auffassung, dass "erschleicht", wer durch eigene Handlung (nicht nur durch Interpretation der Außenstehenden eines Nicht-Handelns) eine Leistung nutzen kan.
Bis kurz nach der Jahrtausendwende - also nicht allzu lange her - war genau das, die Gesetzeskommentare zeigen das, die vorherrschende Rechtsauffassung, dass eine "Erschleichung" nur in Frage kommt, wenn die erschleichende Person aktiv handelte. Das deckte sich mit dem allgemeinen Sprachgebrauch. Denn was ist eigentlich "Erschleichung"? Laut Duden bedeutet es: "zu Unrecht, durch heimliche, listige Machenschaften erwerben, durch Schmeichelei oder Täuschung erlangen, sich verschaffen". In der Formulierung steht eindeutig drin, dass Aktivität ("Machenschaft") nötig ist. "Erschleichen" bedeutet eine aktive Handlung. An der fehlt es aber, wenn mensch sich nur einfach irgendwo hinsetzt oder etwas betritt. Das Wiktionary erklärt "Erschleichen" so: "durch Betrug in seinen Besitz bringen". Als Synonym (also gleich- oder weitgehend gleichbedeutendes Wort) wird im dort "ergaunern" genannt. Auch das zeigt, dass eine aktive Handlung nötig ist. So ließen sich viele Bedeutungsformulierungen finden, die alle in die gleiche Richtung gehen - es kennzeichnet eine Tätigkeit. Unterlassen ist zu wenig.

Allerdings: Die Sache ist durch die angestrengten Versuche der Robenträger_innenschaft, ihre Lust am Strafen und ihre Befürwortung autoritärer Verhältnisse juristisch verdreht worden. Sie erfinden ständig neue Rechtsverdrehungen.

Argument 3: "Schwarzfahren" ist nie strafbar, weil es an einer aktiven Handlung fehlt
Dazu gehörte die - inzwischen vorherrschende - Rechtsauffassung, dass "Erschleichung" auch ohne aktive Handlung möglich ist. Zwar entfernte sich Juradeutsch damit vom üblichen Sprachgebrauch, näherte sich allerdings den Macht- und Kapitalinteresse an, die in Gerichtssälen wichtiger sind als der gesunde Menschenverstand.

Im Original
Aus Tamina Preuß, "Praxis- und klausurrelevante Fragen des „Schwarzfahrens“" , in: ZJS 3/2013 (S. 264)
Das Festhalten am „Anschein der Ordnungsmäßigkeit“ führe zu der strafrechtlichen Sanktionierung schlichter Vertragsbrüche. Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips sei es nicht Zweck von § 265a StGB hiervor zu schützen. Der Gesetzgeber habe trotz der Änderungen der Kontrollpraxis den Tatbestand nicht dahingehend reformiert, dass der „Anschein der Ordnungsmäßigkeit“ genüge. Da sich der zahlende Nutzer ebenfalls mit dem (hier zutreffenden) „Anschein der Ordnungsmäßigkeit“ umgebe, liege in der Tathandlung kein spezifischer Unrechtsgehalt. Von einem „Anschein der Ordnungsmäßigkeit“ könne keine Rede sein, denn das Verhalten des „Schwarzfahrers“ sei nicht nur den redlichen Nutzern angepasst, sondern auch anderen „Schwarzfahrern“. Angesichts der hohen „Schwarzfahrerquote“ und der dazu kommenden Dunkelziffer – die „Schwarzfahrerquote“ betrug 2012 bei dem Kölner Nahverkehrsunternehmen KVB beispielsweise 4,7 ? – sei ein derartiger Anschein reine Fiktion.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass eine Rechtsauslegung, ein "Erschleichen" sei auch ohne jegliche aktive Handlung der Täuschung u.ä. möglich, rechtswidrig ist, bietet der Gesetzestext selbst. Denn im Paragraphen sind mehrere weitere Handlungen genannt, die als "Erschleichen von Leistungen" gelten - und bei denen diese Sonderinterpretation weder vorgenommen wird noch möglich ist.

Im Original
Aus Tamina Preuß, "Praxis- und klausurrelevante Fragen des „Schwarzfahrens“" , in: ZJS 3/2013 (S. 264)
Auch würde eine solche Auslegung zu Widersprüchen innerhalb von § 265a StGB führen, denn bei den anderen Tatgegenständen reiche das Erwecken eines „Anscheins der Ordnungsmäßigkeit“ nicht aus und die Tathandlung sei einheitlich auszulegen. So erschleiche sich der Täter nicht die Leistung eines Automaten, wenn er einen vorhandenen Gerätedefekt ausnutzt, da eine „täuschungsähnliche Manipulation“ gefordert wird, oder ohne Erlaubnis des Telefonanschlussinhaber sein Telefon benutzt, da Abrechnungseinrichtungen oder andere Sicherheitsvorkehrungen umgangen werden müssen.

Mögliche Umgangsform vor Gericht:
Beweisantrag stellen zur Bedeutung des Wortes "Erschleichen" mit Beweismittel: Sachverständige_r als Zeug_in oder Gutachten

Die kreative Rechtsauslegung der Robenträger_innen hat zwar zu den gewünschten Verurteilungen geführt - aber nur im Einzelfall und, erkennbar, als klare Verdrehung des geltenden Rechts. Alles, was Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Beugung des Rechts bisher angeklagt, beschlossen oder geurteilt haben, diente der Verfolgbarkeit von Menschen, die sich einfach ohne Fahrkarte in ein öffentliches Verkehrsmittel begeben haben, um dort mitzufahren. Die Abwegigkeiten solcher Gerichtsentscheidungen sind offensichtlich, sie aber aber fast immer auch eines festgestellt: Wer offen sichtbar "schwarz fährt", handelt nicht strafbar.
Daraufhin taten das Menschen so, d.h. sie hielten sich - z.T. unter Beibehaltung ihrer Zweifel schon an dieser Rechtsauslegung - genau an die zweifelhaften Urteile. Was folgte: Sie wurden oftmals trotzdem bestraft. Das klingt absurd, ist aber normal im Justizalltag. Widersprüche, Unlogiken und Willkür sind dort alltäglich. Es geht nicht darum, Recht zu sprechen und Gesetze auszulegen, sondern zu disziplinieren. Wenn dafür kein Gesetz nutzbar ist, werden Rechtsgrundlagen einfach erfunden. Es gibt sogar eine besondere Neigung von Robenträger_innen, sich gerade an denen auszutoben, die sich besonders genau mit dem Gesetz auseinandersetzen, um eigene Freiräume - völlig legal - zu schaffen. Im Folgenden werden die Argumentationsstränge der strafwütigen Gerichte gegenüber gekennzeichnetem "Schwarzfahren" dargestellt und widerlegt.

Im Original
Aus "Überlastete Justiz in Berlin Soll Schwarzfahren strafbar bleiben?", in: Der Tagesspiegel, 23.10.2017
Kein Schwarzfahrer schleicht oder erschleicht sich etwas; er tut, was alle oder die meisten tun. Er geht an den Ticketautomaten vorbei und setzt sich in die Bahn. Kein Trick, keine Täuschung, wie sie etwa bei Betrugsdelikten erforderlich wären. Die Abschaffung regelmäßiger Kontrollen hat zur Folge, dass es keinen Betrogenen gibt. Der frühere Richter am Bundesgerichtshof (BGH) Thomas Fischer, der den führenden Strafrechtskommentar herausgibt, bringt es auf den Punkt: „Wer telefoniert, in einen Bus einsteigt oder ein Kino betritt, ‚erschleicht‘ nicht.“
Der Bundesgerichtshof als letzte Instanz hält bislang dagegen. Zur Erfüllung des Tatbestands genüge, dass sich der Täter mit dem „Anschein der Ordnungsgemäßheit“ umgebe. Nur: Anschein bei wem? Kontrollpersonal gibt es regelmäßig keines mehr. Auf den Anschein bei den Mitpassagieren kommt es nicht an, sie haben mit dem Schwarzfahrer nichts zu schaffen.
Die Verkehrsunternehmen halten die Strafbarkeit noch aus einem anderen Grund für unentbehrlich. Bei einer Straftat hat jedermann das Recht , den anderen festzuhalten. Mit der Streichung des Delikts fiele auch diese Möglichkeit weg.


Aus Dölling/Duttge/Rössner: Gesamtes Strafrecht - Handkommentar (3. Auflage, Nomos, S. 1553 ff.)
Rdnr. 19
Erschleichen von Beförderungsleistungen. Stets muss es an der Befugnis zur Inanspruchnahme der Beförderungsleistung fehlen. Es genügt daher nicht, wenn … Fraglich ist aber, ob die fehlende Befugnis zur Mitfahrt bereits ausreicht. Relevant ist dies insb. In Fällen, in denen die Benutzung des Beförderungsmittels durch den Leistungserbringer generaliter ermöglicht wird, die Einlösung des damit verknüpften Vorbehalts korrekter Vergütung (…) aber einer nur sporadischen oder gar keiner Kontrolle unterliegt (…). Schon der Gedanke eines zumutbaren Selbstschutzes auf Seiten des Beförderungsunternehmers warnt vor zu weit reichender, das Risiko unbefugter Inanspruchnahme einseitig dem „Schwarzfahrer“ aufbürdenden Strafbarkeit.
Rdnr. 20
Hingegen betrachten die ständige Rspr und ein Teil der Lit. Bereits das bloße „Schwarzfahren“ als tatbestandsmäßig (…). Dies ist vom 4. Senat des BGH erst unlängst noch einmal bekräftigt worden (…). Das BVerfG hat hiergegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken angemeldet (…). Die besseren Gründe sprechen jedoch für die Annahme eines Verstoßes gegen das Analogieverbot (…).

Rdnr. 21
So weist der Wortsinn des Begriffs „Erschleichen“ deutlich auf das Erfordernis einer Vorteilserlangung durch besondere List hin (Duden Die deutsche Rechtschreibung, 25. Aufl. 1996, S. 261), also auf ein entscheidendes Mehr im täterschaftlichen Verhalten gegenüber dem „bloß unbefugten Verschaffen“ (…). Das von der Rspr betonte Kriterium des „Sich-Umgebens mit dem Anschein ordnungsmäßiger Erfüllung der Geschäftsbedingungen“ (…) führt zu keiner effektiven Limitierung des strafbaren Bereiches, da es erst bei offener Kundgabe mangelnden Zahlungswillens in Frage gestellt wird (…) und daher in der Sache mit der heimlichen unbefugten Nutzung der Beförderung stets einhergeht (…). Einem Fahrgast kommt jedoch keine zur Aufklärung verpflichtende Garantenstellung (§ 13) für das Vermögen des Leistungserbringers zu (…).
Rdnr. 22
Auch historisch zielte § 265a allein auf Lebenssachverhalte, in denen Leistungen unter Überwindung von Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen eigenmächtig in Anspruch genommen wurden, da es sich nur insoweit um ein der Betrugsstrafbarkeit ähnliches, aber von § 263 nicht erfasstes „Täuschungsverhalten“ handelte (…). Damit ist zugleich der Telos des § 265a angesprochen (o. Rn 1: Schließung von Strafbarkeitslücken), der folglich ein gewichtigeres Unrecht impliziert als die lediglich unbefugte Nutzung der Leistung als einem schon zivilrechtlich „ahndungs“-fähigen Vertragsbruch (…). Die Schwelle zur Strafbarkeit wird daher erst mit Umgehen oder Ausschalten von Kontrolleinrichtungen unter Aufrechterhaltung des Scheins der Ordnungsmäßigkeit überschritten (…).

Bei "Schwarzfahren" ohne Hinweisschild: Rechtsprechung kontra Jurawissenschaft (Text auf juraexamen.info)
Der Streit, wann ein Erschleichen der Beförderungsleistung durch ein Verkehrsmittel vorliegt, ist ein Klassiker im Strafrecht BT.
Die im Schrifttum inzwischen herrschenden Meinung ist der Ansicht, dass ein Erschleichen einer Beförderung durch ein Verkehrsmittel im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB voraussetze, dass der Täter sich mit einem täuschungsähnlichen oder manipulativen Verhalten in den Genuss der Leistung bringe. Allein die Entgegennahme einer Beförderungsleistung ohne gültigen Fahrausweis, die nicht mit der Umgehung von Kontroll- oder Zugangssperren oder sonstigen Sicherheitsvorkehrungen verbunden sei, reiche nicht aus. Dies folge zum einen aus dem Wortsinn des Begriffs "Erschleichen", zum anderen aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Rahmen der §§ 263 bis 265 b StGB.
Die Rechtsprechung vertritt die Auffassung, dass unter dem Erschleichen einer Beförderung im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB jedes der Ordnung widersprechende Verhalten zu verstehen sei, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt. Eines heimlichen Vorgehens des Täters, einer List, einer Täuschung oder einer Umgehung von Sicherungen oder Kontrollen bedürfe es nicht; das Erschleichen einer Beförderung entfalle auch nicht deshalb, weil der Zugang zum Verkehrsmittel nicht kontrolliert werde.


Teil des Textes ist aber zudem ein Hinweis auf das OLG Frankfurt, welches Einschränkungen gemacht hat.

Es kommt auf die Täuschung an
Das Gericht müsse dem Beschuldigten deshalb nachweisen, dass er zum Zeitpunkt der Kontrolle bereits eine gewisse Wegstrecke in der Bahn zurückgelegt hat. Dazu gehörten Angaben zur Haltestelle, an der er eingestiegen ist, und zum Fahrtweg des Schwarzfahrers, die in dem Urteil des Landgerichts fehlten.
Der "objektive Tatbestand der Leistungserschleichung" sei nicht dann schon erfüllt, wenn der Fahrgast das Verkehrsmittel unberechtigt nutze, so das OLG Frankfurt. Er müsse vielmehr vortäuschen, dass er berechtigt sei, die Bahn zu benutzen.
Damit folgt hier das OLG Frankfurt der h.M. im Schrifttum.


Im BGH-Beschluss vom 08.01.2009 - 4 StR 117/08 wird die überwiegend abweichende Meinung benannt
OLG Naumburg ... ist - in Übereinstimmung mit der im Schrifttum inzwischen herrschenden Meinung (vgl. Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 265a Rdnr. 11; Tiedemann, in: LK-StGB, 11. Aufl., § 265a Rdnrn. 34ff.; Wohlers, in: MünchKomm-StGB, § 265a Rdnrn. 53ff.; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 265a Rdnrn. 6, 21; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., § 265a Rdnr. 6a; jew. m.w. Nachw.) - der Ansicht, dass ein Erschleichen einer Beförderung durch ein Verkehrsmittel i.S. des § 265a I StGB voraussetze, dass der Täter sich mit einem täuschungsähnlichen oder manipulativen Verhalten in den Genuss der Leistung bringe; allein die Entgegennahme einer Beförderungsleistung ohne gültigen Fahrausweis, die nicht mit der Umgehung von Kontroll- oder Zugangssperren oder sonstigen Sicherheitsvorkehrungen verbunden sei, reiche nicht aus.

In einem Fachaufsatz wird der BGH-Beschluss zur Strafbarkeit des einfachen Schwarzfahrens auch kritisiert
Aus "Der BGH bestätigt die Strafbarkeit der "einfachen Schwarzfahrt" – Zu Unrecht und mit problematischen Weiterungen", in: HRRS, Febr. 2009 (S. 69ff)
Nur offensichtlich nicht zu erfassende Fälle offenen Protests und gewaltsame Inanspruchnahmen der Beförderung scheiden so noch aus dem Tatbestand aus. ...
Art. 103 II GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen. ...
Es steht heute praktisch außer Streit, dass der Gesetzgeber mit § 265a StGB nicht jede unberechtigte Leistungsinanspruchnahme unter Strafe gestellt hat. Er hat nur das Erschleichen einer unberechtigten Leistung pönalisiert. Deshalb darf der Rechtsanwender, will er diese im Gesetz objektivierte Entscheidung des Gesetzgebers seinerseits nicht aus eigenen rechtspolitischen (!) Motiven heraus übergehen, nicht zu einer Auslegung gelangen, die praktisch nahezu jede unberechtigte Leistungsinanspruchnahme schon infolge der mangelnden Berechtigung als Straftat erfasst. Genau dies ist aber der Auslegung des BGH vorzuhalten: Das "Sich Umgeben mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit" behauptet nur eine besondere hinzutretende Tathandlung (vgl. schon I.). Der Umstand der mangelnden Berechtigung, der allein nicht zureicht, wird bei der Tathandlung des Erschleichens lediglich nochmals umformuliert und doppelt verwertet, um die unberechtigte Inanspruchnahme einer Leistung bei der Schwarzfahrt in die Strafbarkeit einbeziehen zu können. Auf diese Art und Weise eliminiert die Rechtsprechung den zur bloßen unberechtigten Inanspruchnahme hinzutretenden Unrechtsgehalt des vom Gesetzgeber geforderten Erschleichens. Sie nimmt dem Erschleichen die ihm zugedachte eingrenzende Funktion und kommt so zu einem Auslegungsergebnis, das nicht anhand des Gesetzes vorhergesehen werden kann. Die Rechtsprechung korrigiert unzulässig das Strafgesetz und verletzt deshalb Art. 103 II GG.


Aus Klaus Tiedemann, "Leipziger Kommentar Strafgesetzbuch" zu § 265a (Rdnr. 47)
Während die Rechtsprechung (des BGH und der Oberlandesgerichte) von einer Strafbarkeit nach § 265a ausgeht, da sich der Täter mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgebe, lehnt eine im Schriftum zunehmende Ansicht die Strafbarkeit ab. ...)
Das bloße Einsteigen in einen Zug (usw.) ohne gültigen Fahrschein reicht als solches nicht aus; es liegt insofern nicht anders als beim Schwarzhören oder -sehen (oben Rdn. 44). ... Wer an einem Fahrkartenautomaten vorbeischreitet, ohne im Besitz eines Fahrschein zu sein, mag damit gegenüber Mitreisenden (soweit anwesend!) den Eindruck erwecken, er besitze einen Fahrschein; als äußerlich erkennbare Zugangskontrolle genügt eine derartige "Sozialkontrolle" aber nicht.


Argument 4: "Anschein der Ordnungsmäßigkeit" setzt voraus, dass die anderen Fahrgäste ein Ticket haben
Das ist aber gar nicht der Fall.
Zahlen für das Jahr 2017 belegen: 4,5 Prozent der Fahrgäste im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) waren ohne gültiges Ticket unterwegs. Ein Jahr zuvor lag ihr Anteil bei 4,2 und im Jahr 2012 bei 3,5 Prozent. Und das sind nicht nur irgendwelche Bedürftigen oder Trottel. Eine Umfrage "Fahren Sie manchmal auch vorsätzlich ohne gültigen Fahrschein?" ergab am 23.12.2019, dass 7% regelmäßig und 16% gelegentlich ohne Ticket unterwegs sind. 3% mochten nicht antworten.

Aus "Immer mehr fahren schwarz – und zahlen auch Bußgelder nicht", in: Hamburger Abendblatt, 5.2.2018
Aktuelle Zahlen für das Jahr 2017 belegen nämlich: 4,5 Prozent der Fahrgäste im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) waren ohne gültiges Ticket unterwegs. Ein Jahr zuvor lag ihr Anteil bei 4,2 und im Jahr 2012 bei 3,5 Prozent.

Aus "Fahrgastkontrollen in Stuttgart", in: Stuttgarter Nachrichten vom 17.3.2018
In der Nacht von Freitag auf Samstag hat das Kontrollpersonal der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) gemeinsam mit 20 Beamten verschiedener Polizeireviere Haltestellenvollkontrollen durchgeführt.
Von 20.30 Uhr an wurden Fahrgäste der Stadtbahnen an den Haltestellen „Schlossplatz“, „Neckartor“ und „Charlottenplatz“ sowie später bei den Nachtbussen an der Haltestelle „Charlottenplatz“ auf gültige Fahrausweise überprüft.
Bis 02.45 Uhr wurden 7830 Personen kontrolliert, 522 Fahrgäste konnten keinen gültigen Fahrausweis vorzeigen.


Aus "Immer mehr Frankfurter Banker fahren schwarz", auf: Focus-Online, 27.2.2018
Frankfurt am Main, das für sein Bankenviertel weltweit bekannte Herzstück der deutschen Finanzindustrie, hat offenbar ein Problem mit notorischen Schwarzfahrern. Unter diesen fällt eine Gruppe offenbar besonders auf: Banker. Das bestätigte ein Sprecher des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) gegenüber FOCUS Online. Demnach sei den Kontrolleuren schon seit Längerem eine Zunahme von schwarzfahrenden "Herren in dunklem Anzug" auf dem Weg ins Frankfurter Bankenviertel aufgefallen. Eine offizielle Auswertung zu Schwarzfahrern nach Berufsgruppen gebe es aber nicht. Über diese Häufung von Bankern ohne Fahrschein in Frankfurt am Main hatte zunächst die "Welt" berichtet.
Wenn sie beim Schwarzfahren erwischt werden, zücken die betroffenen Personen laut des Sprechers der Verkehrsbetriebe in Frankfurt am Main oftmals "wortlos" die 60 Euro, die in solchen Fällen als Erhöhtes Beförderungsentgelt (EBE) anfallen. Entsprechende Vorkommnisse seien in den letzten Monaten "vermehrt aufgetreten", wie Kontrolleure des Verkehrsbundes berichten.


Aus "Frankfurts Banker sind notorische Schwarzfahrer", in: Welt, 27.2.2018
Als der Kontrolleur einen gut gekleideten Mann um seinen Fahrschein bittet, blickt der nicht auf, versucht nichts zu erklären. Er nestelt ungerührt an seiner Tasche herum und drückt dem Kontrolleur schließlich 60 Euro in die Hand. Die Strafe, die fällig wird, wenn man in Frankfurt ohne Ticket in der Bahn unterwegs ist. Schuldgefühl oder Scham? Kein Anzeichen, nicht im Gesicht des Anzugsmannes, nicht in seinem Verhalten. Er wirkt vielmehr routiniert.
Der Mann ist Manager. Und es ist nicht das erste Mal, dass er bei seiner Fahrt ins Frankfurter Bankenviertel ohne Ticket erwischt wird. Es ist eher eine Art Hobby, das er mit einer Reihe anderer Frankfurter Banker teilt. Die Strafen sind kalkuliert, sie sind Teil eines perfiden Sparplans.
„Unsere Kontrolleure berichten immer wieder von notorischen Schwarzfahrern, die sich offensichtlich ein Ticket leisten könnten und auf dem Weg ins Bankenviertel sind“, sagt ein Sprecher der Rhein-Main-Verkehrsbetriebe. Es sei auffällig, dass diese Männer – es sind fast immer Männer – das Bußgeld griffbereit hätten, wenn sie mal erwischt werden. Das ist Teil des Plans.



Argument 5: Es gibt gar keinen Verstoß gegen Beförderungsbedingungen ... oder keinen Vertrag
Die, die bestrafen wollen, behaupten, dass durch das Betreten eines Fahrzeugs im öffentlichen Personenverkehr laut den jeweiligen AGBs eine Art vertragliche Beziehung zustande kommen. Es würden dann die Beförderungsbedingungengelten. Die aber sehen für ein Fahren ohne Fahrschein explizit die Zahlung des erhöhten Fahrpreises (60 Euro) vor. Damit ist geradezu formuliert, dass ein Einsteigen und Mitfahren ohne Ticket in den Beförderungsbedingungen mitgedacht wurde. Damit könnte jeder, der noch keine Fahrkarte hat, dann sagen: Ich hatte mit dem Verkehrsunternehmen (z.B. Bahn) doch einen Vertrag. Dann würde laut Beförderungsbedingungen eine Nachzahlung des Fahrpreises fällig sein - völlig vertragskonform.

Bei Annahme, dass ein Vertrag besteht, würde eine Bestrafung also ausscheiden. Allerdings ist diese Annahme eher abwegig. Denn zumindest beim demonstrativen (gekennzeichneten) "Schwarzfahren" äußert sich der Fahrgast explizit als Nicht-Vertrags-Person. Dann wiederum würde gar nichts der Beförderungsbestimmungen gelten - also auch nicht die Forderung nach einem erhöhten Fahrpreis. Und schon gar nicht würde die Personen gegen die Beförderungsbestimmungen verstoßen (also kein Hausfriedensbruch), da sie diese explizit nicht akzeptiert hat.

Ohnehin - und das gilt nicht nur für diesen Punkt: Die AGBs der Bahnunternehmen sind ohnehin nicht wirksam, da sie in der Regel nicht gut sichtbar ausgehängt sind. Das aber ist für ihre Wirksamkeit unerlässlich.

§ 305 BGB
(1) ...
(2) Allgemeine Geschäftsbedingungen werden nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss
1. die andere Vertragspartei ausdrücklich oder, wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist, durch deutlich sichtbaren Aushang am Ort des Vertragsschlusses auf sie hinweist und
2. der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise, die auch eine für den Verwender erkennbare körperliche Behinderung der anderen Vertragspartei angemessen berücksichtigt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen,
und wenn die andere Vertragspartei mit ihrer Geltung einverstanden ist.


Sonderfall Gekennzeichnetes "Schwarzfahren": Nicht heimlich oder täuschend, daher nicht strafbar
Vorab: Nachweispflicht liegt auf Seiten des Gerichts
Bei allen bisherigen Bestrafungen trotz Kennzeichnung wird sich auf den durch die Rechtsprechung kreierten "Anschein der Ordnungsmäßigkeit" bezogen. Der muss, zumindest der Theorie der Urteile nach, von den Angeklagten ausgegangen sein, damit diese die Tatbestandsmerkmale des § 265a erfüllen. Daraus kann abgeleitet werden, dass eben jener "Anschein der Ordnungsmäßigkeit" erschüttert werden muss, um die Erfüllung der nötigen Tatbestandsmerkmale zu verhindern. Das Gericht ist gefordert, zu widerlegen, dass die_er "Schwarzfahrer_in" als solche zu erkennen war. Es muss beweisen, dass das "Schwarzfahren" heimlich geschah.

Keine Straftat bei offensichtlichem Fahren ohne Fahrschein
Gekennzeichnetes "Schwarzfahren" heißt, es nicht heimlich zu tun.

Im Original
Aus Tamina Preuß, "Praxis- und klausurrelevante Fragen des „Schwarzfahrens“" , in: ZJS 3/2013 (S. 264)
Eine andere Ansicht verlangt heimliches Verhalten. Verstünde man hierunter, dass der Täter sich so verhält, dass nach Möglichkeit keine andere Person bemerkt, dass er „schwarzfährt“, hätte B dies in beiden Fällen erfüllt. Diesem Kriterium wird entgegengehalten, dass § 265a StGB kein heimliches Delikt ist.

Aus einem Interview mit Prof. Walter Grupp (Strafrecht, Uni Gießen) in: Gießener Anzeiger, 3.11.2015
Von einer Gesetzeslücke könnte man deshalb sprechen, weil Fälle wie das offene Schwarzfahren, die strafwürdig erscheinen, vom Gesetz nicht ohne Weiteres erfasst werden. Die Leistungserschleichung ist 1935 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Damals gab es Sperren, die man am Bahnhof passieren musste, um zu den Gleisen zu gelangen. An den Sperren wurden auch die Fahrkarten kontrolliert. Um Paragraph 265a auch heute noch beim Schwarzfahren anwenden zu können, hat man das Erschleichen sehr weit ausgelegt: Es soll bereits dann gegeben sein, wenn sich der Schwarzfahrer ganz unauffällig verhält – das heißt, wenn er sich "mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt", wie es das Bundesverfassungsgericht 1998 ausgedrückt hat.
Liegen also die "offenen Schwarzfahrer" mit ihrer Gesetzes-Interpretation richtig?
Ja, weil offenes Schwarzfahren weder Sicherungsvorkehrungen überwindet, noch den Anschein der Ordnungsgemäßheit erweckt oder erwecken will.


In der Tat: Bei allem, was ansonsten von Gerichten rechtlich zweifelhaft oder erkennbar rechtswidrig entschieden wurde - ist ein_e Schwarzfahrer_in offen als solche gekennzeichnet, zeigt er_sie nicht mehr den "Anschein der Ordnungsmäßigkeit". Eigentlich sollte die Sache also zumindest in diesem Spezialfall klar sein. Bisherige Urteile zu ungekennzeichnetem "Schwarzfahren" und alle dazu überprüften Gesetzeskommentare sagen dasselbe aus. Beispiele (für mehr siehe Extraseite):

Im Original
Aus dem Urteil des Amtsgerichts Eschwege vom 12.11.2013
Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, jeweils den Zug der Cantus Verkehrsgesellschaft benutzt zu haben, ohne im Besitz des erforderlichen Fahrscheins gewesen zu sein. Seine Einlassung, dass er jedoch in allen 3 Fällen vor Fahrtantritt deutlich sichtbar einen Zettel an seine Kleidung geheftet hatte mit der Aufschrift "Ich fahre umsonst" war nicht zu widerlegen. Damit hat er allerdings gerade offenbart, kein zahlungswilliger Fahrgast zu sein, weshalb bereits der objektive Tatbestand des § 265 a Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist.
Kostenlose-Urteile.de über dieses Urteil
Trägt ein Fahrgast deutlich sichtbar einen Zettel mit der Aufschrift "Ich fahre umsonst", offenbart er seine Zahlungs unwillig keit und macht sich daher nicht wegen Erschleichens von Leistungen gemäß § 265 a StGB strafbar. Dies geht aus einer Entscheidung des Amtsgerichts Eschwege hervor.

Aus: BayObLG RReg 3a St 16/69, Beschluss vom 21.02.1969
Das Merkmal des Erschleichens wird nicht schon durch das bloße unbefugte unentgeltliche Sichverschaffen erfüllt. Auf die Errichtung eines gewissen Scheins kann dafür nicht völlig verzichtet werden. Wer die Unentgeltlichkeit der Leistung dem Berechtigten oder dessen Beauftragten gegenüber ausdrücklich und offen in Anspruch nimmt, erschleicht nicht.

Dazu erklärend ein Text auf kostenlose-urteile.de über das Urteil des Bayrischen Oberlandesgerichts (NJW 1969, 1042)
Gegenüber Personal offen geäußerte Inanspruchnahme einer Straßenbahn ohne Fahrkarte rechtfertigt keine Strafbarkeit wegen Erschleichens von Leistungen
Begriff des Erschleichens setzt gewisse Heimlichkeit voraus
Nimmt eine Person die Beförderung durch eine Straßenbahn in Anspruch und äußert er offen gegenüber dem Fahrpersonal, dass er über keine Fahrkarte verfügt, so macht er sich nicht wegen Erschleichens von Leistungen gemäß § 265 a StGB strafbar. Denn der Begriff "Erschleichen" setzt eine gewisse Heimlichkeit voraus. Dies geht aus einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts hervor. ...
Das Bayerische Oberste Landesgericht verneinte eine Strafbarkeit des angeklagten Protestlers wegen Erschleichens von Leistungen nach § 265 a StGB. Es sei zu beachten gewesen, dass allein die unbefugte unentgeltliche Inanspruchnahme der Straßenbahn den Tatbestand der Strafnorm nicht erfüllt. Das Nichtlösen eines Fahrscheins oder das Unterlassen der Entwertung einer gelösten Fahrkarte begründe für sich genommen noch keine Beförderungserschleichung. Vielmehr sei erforderlich, dass der Täter sich so verhält, als habe er das Entgelt entrichtet. Dies sei aber dann nicht der Fall, wenn ein Fahrgast gegenüber dem Fahrpersonal ganz offen die Straßenbahn in Anspruch nimmt, ohne über eine Fahrkarte zu verfügen. Ein "Erschleichen" liege dann nicht vor.

OLG Naumburg, Beschluss vom 06.04.2009 - Az. 2 Ss 313/07
Der objektive Tatbestand der Leistungserschleichung ist deshalb nicht schon dann erfüllt, wenn jemand ein Verkehrsmittel unberechtigt nutzt. Er muss darüber hinaus für einen objektiven Beobachter den Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen erregt haben, weshalb im konkreten Einzelfall zu prüfen ist, ob der Täter gemessen an den jeweils geltenden Geschäftsbedingungen ein äußerlich erkennbares Verhalten zeigte, das einem objektiven Beobachter erlaubte, durch Subsumtion unter die Voraussetzungen der Geschäftsbedingungen den Schluss zu ziehen, der Täter sei zur Benutzung des Verkehrsmittels berechtigt.

Aus einem Bericht zum Bundesgerichtshofs-Beschluss vom 8.1.2009 - 4 StR 117/08 -
Danach sei unter dem Erschleichen einer Beförderung jedes der Ordnung widersprechendes Verhalten zu verstehen, durch das sich der Täter in den Genuss der Leistung bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsgemäßheit umgibt.

Aus dem BGH-Beschluss vom 08.01.2009 - 4 StR 117/08
Erschleicht der Täter eine Beförderungsleistung i.S. des § 265a I StGB, wenn er ein Verkehrsmittel benutzt, ohne im Besitz eines nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers des Verkehrsmittels erforderlichen Fahrausweises zu sein, und - ohne sich den Genuss der Beförderungsleistung durch weitere Handlungen oder Unterlassungen zu ermöglichen oder zu erhalten - lediglich hofft, nicht aufzufallen? ...
Der Wortlaut der Norm setzt weder das Umgehen noch das Ausschalten vorhandener Sicherungsvorkehrungen oder regelmäßiger Kontrollen voraus. Nach seinem allgemeinen Wortsinn beinhaltet der Begriff der ‚Erschleichung' lediglich die Herbeiführung eines Erfolgs auf unrechtmäßigem, unlauterem oder unmoralischem Wege (vgl. Grimm, Dt. Wörterb. Bd. 8, 1999, Sp. 2136; Brockhaus, 10. Aufl., Bd. 2, S. 1217). Er enthält allenfalls ein ‚täuschungsähnliches' Moment dergestalt, dass die erstrebte Leistung durch unauffälliges Vorgehen erlangt wird; nicht erforderlich ist, dass der Täter etwa eine konkrete Schutzvorrichtung überwinden oder eine Kontrolle umgehen muss. ...
Die Vorschrift sollte also gerade diejenigen Fälle erfassen, in denen es unklar bleibt, ob der Täter durch täuschungsähnliches oder manipulatives Verhalten Kontrollen umgeht. ...
Voraussetzung ist daher, ob der Täter, gemessen an den jeweils geltenden Geschäftsbedingungen, ein äußerlich erkennbares Verhalten zeigte, das einem objektiven Beobachter den Schluss erlaubte, der Täter sei zur Benutzung des Verkehrsmittels berechtigt (OLG Naumburg, a.a.O.; OLG Frankfurt a.M., a.a.O.). Hierzu kann es genügen, wenn der Täter mit dem Verkehrsmittel mitfährt, ohne sich um die Erlangung eines Fahrausweises zu kümmern und sich hieraus kein Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Benutzung des Verkehrsmittels ergibt (OLG Naumburg, a.a.O.; OLG Frankfurt a.M., a.a.O.). Zur Feststellung, ob der Täter den betreffenden Anschein der nach den Geschäftsbedingungen berechtigten Benutzung erweckt hat, müssen die nach den Geschäftsbedingungen hierfür aufgestellten Voraussetzungen sowie das äußerlich erkennbare Verhalten des Täters, das den Schluss zulässt, er erfülle diese Voraussetzungen, ermittelt werden (OLG Naumburg, a.a.O.; OLG Frankfurt a.M., a.a.O.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die bloße Feststellung der Mitfahrt ohne gültigen Fahrausweis genügt hierzu nicht (OLG Naumburg, a.a.O.; OLG Frankfurt a.M., a.a.O.).


Aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 19.9.2014 (Az. 1 Ss 242/13, zitiert wird zustimmend die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrer Stellungnahme vom 9.9.2014)
Der objektive Tatbestand der Leistungserschleichung isf nämlich nicht schon dann ertüllt, wenn der Angeklagte das Verkehrsmiftel unberechtigt nutzte. Er muss darüber hinaus für einen objektiven Beobachter den Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen erregt haben (...).

Das sagte das OLG Frankfurt so oder ähnlich schon öfter
Legal Tribune am 28.9.2010 über ein früheres Urteil des OLG Frankfurt 1 Ss 336/08
Ohne Ticket ist nicht gleich Schwarzfahren ...
Der "objektive Tatbestand der Leistungserschleichung" sei nicht schon dann erfüllt, wenn der Fahrgast das Verkehrsmittel unberechtigt nutze, heißt es im Urteil. Er müsse vielmehr vortäuschen, dass er berechtigt sei, die Bahn zu benutzen.
Kostenlose-Urteile.de über dasselbe Urteil:
Der objektive Tatbestand der Leistungserschleichung sei nicht bereits dann erfüllt, wenn der Fahrgast das Verkehrsmittel unberechtigt nutzte. Er müsse darüber hinaus für einen objektiven Beobachter den Anschein geben, dass er berechtigt sei, das Verkehrsmittel zu nutzen, führte das OLG aus.

Im Original aus OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.07.2010 - 1 Ss 336/08
Daneben genügt es allerdings auch, dass er ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen. Nicht notwendig ist, dass der Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen gerade gegenüber dem Beförderungsbetreiber oder seinen Bediensteten erregt wird. Es genügt vielmehr, dass der Täter lediglich allgemein einen entsprechenden Anschein erweckt (vgl. BGH sowie OLG des Landes Sachsen-Anhalt a. a. O.). Damit muss jedenfalls der Angeklagte für einen objektiven Beobachter den Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen erregt haben, wobei im konkreten Einzelfall zu prüfen ist, ob der Täter gemessen an den jeweils geltenden Geschäftsbedingungen ein äußerlich erkennbares Verhalten zeigte, das einem objektiven Beobachter erlaubte, durch Subsumtion unter die Voraussetzungen der Geschäftsbedingungen den Schluss zu ziehen, der Täter sei zur Benutzung des Verkehrsmittels berechtigt. Hierfür kann es schon genügen, wenn er das Verkehrsmittel betritt und mitfährt, ohne sich um die Erlangung eines Fahrausweises zu kümmern oder einen Fahrausweis vorzuzeigen oder zu entwerten. Dies gilt jedoch nur dann, wenn dieses Verhalten nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers keinen Anlass zu Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit der Benutzung des Verkehrsmittels bietet, etwa weil ein objektiver Beobachter davon ausgehen kann, dass der Täter im Besitz eines Dauerfahrscheines ist und er diesem Anschein auch nicht entgegen getreten ist. Letzteres ist etwa anzunehmen, wenn er bereits beim Betreten des Beförderungsmittels deutlich zum Ausdruck gebracht hat, er wolle den geschuldeten Fahrpreis nicht entrichten. Ebenso ist der objektive Tatbestand z. B. dann nicht erfüllt, wenn der Fahrgast verpflichtet ist, beim Betreten des Beförderungsmittels einen Fahrausweis zu erwerben, zu entwerten oder dem Personal unaufgefordert vorzuzeigen und der Täter das Verkehrsmittel benutzt, ohne eine dieser Handlungen vorzunehmen. Um feststellen zu können, ob der Täter den Anschein der nach den Geschäftsbedingungen berechtigten Benutzung des Verkehrsmittels erweckt hat, müssen deshalb die nach den Geschäftsbedingungen dafür aufgestellten Voraussetzungen sowie das äußerlich erkennbare Verhalten des Täters, das den Schluss zulässt, er erfülle diese Voraussetzungen, ermittelt werden (Beschl. d. Oberlandesgerichtes des Landes Sachsen-Anhalt a. a. O.). ...
Der Senat weist für die erneute Hauptverhandlung daraufhin, dass sich der Vorsatz des Täters auf die gesamten Merkmale des objektiven Tatbestands erstrecken muss (§ 16 Abs. 1 StGB). Die Feststellung, dass der Angeklagte gewusst habe, zur Benutzung des Verkehrsmittels nicht berechtigt gewesen zu sein, genügt dazu nicht (vgl. Beschl. d. Oberlandesgerichtes des Landes Sachsen-Anhalt a. a. O.).

Aus OLG Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.04.2009 - 2 Ss 313/07)
Nach diesen Grundsätzen ist der objektive Tatbestand der Leistungserschleichung nicht bereits dann erfüllt, wenn der Angeklagte das Verkehrsmittel unberechtigt nutzte. Er muss darüber hinaus für einen objektiven Beobachter den Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen erregt haben. Daher ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob der Täter gemessen an den jeweils geltenden Geschäftsbedingungen ein äußerlich erkennbares Verhalten zeigte, das einem objektiven Beobachter erlaubte, durch Subsumtion unter die Voraussetzungen der Geschäftsbedingungen den Schluss zu ziehen, der Täter sei zur Benutzung des Verkehrsmittels berechtigt. Hierfür kann es schon genügen, wenn er das Verkehrsmittel betritt und mitfährt, ohne sich um die Erlangung eines Fahrausweises zu kümmern oder einen Fahrausweis vorzuzeigen oder zu entwerten. Dies gilt jedoch nur dann, wenn dieses Verhalten nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers keinen Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Benutzung des Verkehrsmittels bietet, etwa weil ein objektiver Beobachter davon ausgehen kann, dass der Täter im Besitz eines Dauerfahrscheines ist und er diesem Anschein auch nicht entgegen getreten ist. Letzteres ist etwa anzunehmen, wenn er bereits beim Betreten des Beförderungsmittels deutlich zum Ausdruck gebracht hat, er wolle den geschuldeten Fahrpreis nicht entrichten.

Aus BayOLG, Beschluss vom 04.07.2001 - 5 St RR 169/01
Das Nichtlösen eines Fahrscheines für die Benutzung des Beförderungsmittels erfüllt zwar für sich allein noch nicht den Tatbestand des § 265 a StGB; in der Regel geht es allerdings mit einem unauffälligen Verhalten einher, das die Fahrgeldhinterziehung nicht aufscheinen lassen soll. Bei dieser Fallgestaltung steht die Erfüllung des Tatbestandes außer Frage (BayObLG NJW 1969, 1042/1043). Durch dieses unauffällige Verhalten erweckt der Reisende den Anschein der Ordnungsmäßigkeit, da er wie jeder andere - ehrliche - Benutzer auftretend das abfahrbereite Beförderungsmittel betritt und die Leistung des Betreibers in Anspruch nimmt (OLG Stuttgart aaO, OLG Hamburg NStZ 1988, 221/222). Er verhält sich dadurch gerade nicht sozialadäquat.
Das nach den Urteilsfeststellungen "nicht unaufgeforderte" Offenbaren anlässlich der Fahrscheinkontrolle beseitigt die Verwirklichung des Tatbestandes nicht. Das Vergehen der Beförderungserschleichung ist bereits mit dem Beginn der Leistung vollendet (LK/Tiedemann StGB 11. Aufl. § 265 a Rn. 51; Schönke-Schröder § 265 a Rn. 13). Das Offenbaren der Ausweislosigkeit anlässlich der Kontrolle kann deshalb lediglich zur Beendigung des Dauerdeliktes (Schönke/Schröder aaO; Bilda MDR 1969, 434/435) führen, ohne dass dadurch der bis dahin verwirklichte Tatbestand entfällt. Eine "offene Inanspruchnahme" der Unentgeltlichkeit der Leistung im Sinne der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG aaO) stellt dies nicht dar.

Aus OLG Koblenz, Beschluss vom 22.11.1994 - 2 Ss 332/94 - juris-Orientierungssätze
Für die Erfüllung des äußeren Tatbestandsmerkmals des Erschleichens iSv StGB § 265a reicht jedes der Ordnung widersprechende Verhalten aus, mit dem sich der Täter in den Genuß der Leistung setzt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt. Hierfür genügen das Nichtlösen eines Fahrausweises sowie äußerlich unauffälliges Verhalten. Bei der weiten Fassung des äußeren Tatbestands der Beförderungserschleichung sind an den Nachweis der inneren Tatseite strenge Anforderungen zu stellen.

Aus Urs Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar zum StGB. Baden-Baden: Nomos (S. 1013)
Hinsichtlich des Erschleichens ist umstritten, ob ein Verhalten, das sich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gibt, ausreicht (Rn. 7) oder ob der Täter Kontrollen unterlaufen (Rn. 11) oder zumindest seine Legitimation vortäuschen muss (Rn. 9). Kein Erschleichen ist es, wenn der Täter offen zum Ausdruck bringt, die Beförderung unentgeltlich in Anspruch zu nehmen.

In einem Prozess vor dem Landgericht Gießen (Berufung) gegen einen Schwarzfahrer mit Schild erklärte sich der Vorsitzende Richter am 22.6.2015 selbst für befangen. Neben anderen Gründen schilderte er seine Angst, wegen vorangegangener Verurteilungen und seiner Auffassung, dass Schwarzfahren mit Schild wohl nicht strafbar ist, dem Vorwurf politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Aus seinem Schreiben:
Die Verurteilung des Angeklagten beruht dabei auf einer den wandelnden Verhältnissen angepassten Auslegung des §265 a StGB nach Sinn und Zweck der Norm in der Tatvariante der Beförderungserschleichung durch verschiedene Gerichtsentscheidungen. Das unzweifelhaft handlungsbezogene Tatbestandmerkmal des "Erschleichens" wurde zu einem in seiner Warnfunktion kaum mehr greifbaren "Sich-Umgeben mit dem Anschein" vertragsgerechter Benutzung des Verkehrsmittels mir bezahltem Fahrschein umgedeutet. Diese Auslegung steht gegen den Wortlaut des Schleichens als unentdeckte Annäherung, Entfernung oder Umgehung. Sie widerspricht systematisch der handlungsbezogenen Bedeutung sämtlicher übrigen Tathandlungen der Täuschung und der Veruntreuung des 22. Abschnitts des StGB. Sie widerspricht dem Umstand, dass das Erschleichen in den Handlungsalternativen des §265a StGB nach wie vor das technische Umgehen der Sicherungsmechanismen eines Automaten oder die Überlistung einer Eingangskontrolle erfordert. Schließlich hatten historisch die Normgeber Verkehrsmittel vor Auge, die neben dem Fahrer über Schaffner verfügten, wo man entweder nachlösen konnte oder deren Aufmerksamkeit man trickreich umgehen musste. In der durchautomatisierten Welt der modernen Beförderungsmittel ist nicht zu unterscheiden, mit welchem Motiv einer den Zug oder Bus betritt, der den Fahrpreis nicht entrichtet hat. Legal soll es sein, wenn politische Flugzettel verteilt werden sollen. Wie unterscheidet sich dieser Aktivist vorn schusseligen Professor, der schlicht vergessen hat, die Fahrkarte zu lösen, oder sie vergessen hat, wenn beide erst einmal ruhig im Zug nebeneinandersitzen. Gilt ein plakativer Vorbehalt wie beim Angeklagten nur ab einer bestimmten Größe des Hinweises oder nur wenn man sich damit beim Fahrer oder - so vorhanden - Schaffner meldet. Dramatisch wird es. Wenn der Fahrkartenautomat streikt und im Zug kein Automat oder Schaffner ist, bei dem man sich melden k8nnte, aber dringend von A nach B muss. Welche Verhaltensweise oder nach welchen Kriterien eine dann greifbar gewordene Absicht strafbar sein soll, bleibt nebulös und ununterscheidbar. Das Verhalten des Angeklagten, seine Zahlungsverweigerung für den Fall der Entdeckung mittels eines scheckkartengroßen Kärtchen kundzutun, ist zwar freche politische Provokation des Systems und verwerflich, aber nach zahlreichen Stimmen in der Literatur und vereinzelt der Rechtsprechung so nicht strafbar.


Dem folgte auch die Literatur. Die Zitate bisheriger Veröffentlichungen waren immer eindeutig:

Im Original
Aus Höcker, Ralf (2004), "Lexikon der Rechtsirrtümer", Ullstein
Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass jemand, der sein Schwarzfahren demonstrativ zur Schau stellt, kaum wegen Beförderungserschleichung bestraft werden kann. Wer also einen Button oder ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich bin Schwarzfahrer!" trägt und diesen Umstand schon beim Einsteigen den umstehenden Fahrgästen offen kundtut ("Guten Tag allerseits, ich werde jetzt schwarzfahren!"), bei dem wird es sehr schwierig werden, zu begründen, dass er sich die Beförderungsleistung "erschlichen" und damit strafbar gemacht hat.

Aus einer Examensklausur WS 2009/2010 an der Juristischen Fakultät der HU Berlin
Es mangelt aber bei dem Betreten eines Beförderungsmittels ohne Fahrschein an einem tatbestandsmäßigen Erschleichen, erst Recht, wenn dieses demonstrativ erfolgt

Aus Dölling/Duttge/Rössner: Gesamtes Strafrecht - Handkommentar (3. Auflage, Nomos), Rdnr. 22
Die Schwelle zur Strafbarkeit wird daher erst mit Umgehen oder Ausschalten von Kontrolleinrichtungen unter Aufrechterhaltung des Scheins der Ordnungsmäßigkeit überschritten (…). An diesem Anschein und damit am erforderlichen „täuschungsähnlichen Moment“ (…) fehlt es jedoch, wenn die mangelnde Mitfahrberechtigung offengelegt wird (zB durch „rechtlichen Hinweis“ auf T-Shirts, aA LG Hannover Nds. Rpfl. 09, 221 f; KG NJW 11, 2006 f: „Für freie Fahrt in Bus und Bahn“).

Aus Kindhäuser, Urs: Strafgesetzbuch (Lehr- und Praxiskommentar, 5. Auflage, Nomos), Rdnr. 21
Hinsichtlich des Erschleichens ist umstritten, ob ein Verhalten, das sich den Anschein der Ordnungsmäßigkeit gibt, ausreicht (Rn 7) oder ob der Täter Kontrollen unterlaufen (Rn 11) oder zumindest seine Legitimation vortäuschen muss (Rn 9). Kein Erschleichen ist es, wenn der Täter offen (…) zum Ausdruck bringt, die Beförderung unentgeltlich in Anspruch zu nehmen, etwas im Rahmen einer Protest- oder Flugblattaktion (…).


Rechtsverdrehung und der Umgebung damit

Aber: Richter_innen und Staatsanwält_innen sind keine Garanten der Rechtsstaatlichkeit (zumindest nicht in erster Linie), sondern sollen Kapital- und Machtinteresse durchsetzen. Dazu gehört nunmal der Zwang, für Leistung zu bezahlen (im Zweifel doppelt und dreifach: Steuern, Preise, Folgewirkungen usw.). Wer kein oder wenig Geld hat, soll auch benachteiligt sein. Denn Mangel ist Geschäft. Künstliche Verknappung hat oft gravierende Folgen, etwa beim weltweit gezielt und absichtlich organisierten Mangel an Nahrungsmitteln. Genug zu essen wäre für alle da, aber es soll teuer sein und daher knapp. Daher werden Menschen vom Land verjagt oder auf andere Art der Zugang zu Essen aktiv verwehrt. Strafrechtlich ist Hunger folglich keine Naturkatastrophe, sondern schlicht Massenmord. Aber er geschieht im Dienste des Kapitals, daher kümmern sich Robenträger_innen um solche Delikte nicht. Zugang zu Land, zu Trinkwasser, die Bewegungsfreiheit und vieles mehr werden aus niederen Beweggründen (Profitinteressen) be- und verhindert - weltweit und in großem Stil. Das Gleiche passiert aber auch mit den kleinen Dinge des Alltags hier, z.B. der Mobilität. Verkehrsleistungen sind ebenso wie Produkte des täglichen Bedarfs ausreichend viel vorhanden. Es soll aber nicht allen zugute kommen, weil nur der organisierte Mangel hohe Profite verspricht. Wer diese Logik durchbricht, muss bestraft werden. Das ist Rechtsprechung im Kapitalismus. Es ist die Aufgabe der Justiz, jedem Versuch, Freiräume von dieser Unterjochung zu schaffen, einen Riegel aus Paragraphen vorzuschieben.
Nun ist das bei gekennzeichneten "Schwarzfahrer_innen" nicht so einfach, denn diese nutzen geschickt eine Art Lücke im Gesetz aus und können so Kapitalinteressen unterlaufen. Das soll aber nicht sein, so der Auftrag an die Justiz. Folglich versucht diese, mit Hilfe einer Menge an den Haaren herbeigezogener Interpretationen und Rechtsverdrehungen auch gekennzeichnete "Schwarzfahrer_innen" zu bestrafen.

Rechtsverdrehung Nr. 1: Kennzeichnung war nicht vorhanden oder zu spät
Es ist möglich, dass ein Gericht so tut, als wäre die Kennzeichnung nur eine Ausrede und tatsächlich nicht vorhanden gewesen. Gegen solche dann ja dreiste Lügen ist es mitunter schwer anzukommen. Es gilt ja nicht, was passiert ist und wie es war, sondern das, was ein Gericht urteilt. Leute in Robe glauben ja, zu wissen, wie etwas war, auch wenn sie gar nicht dabei waren. Mitunter glauben sie den Zeug_innen, die in diesem Fall aber Vertreter_innen des Unternehmens und damit in den Kapitalinteressen befangen sind. Wenn diese sich nicht erinnern können, entscheidet das Gericht oft einfach auch so, wie es für das Urteil besser passt. Beweise fehlen dann zwar, aber das ist oft egal.

Eine Kennzeichnung beim Einsteigen ist im Übrigen nicht nötig, denn die Beförderungserschleichung kann erst dann beginnen, wenn die Beförderung beginnt. Dieses ist mit Anfahren des Busses oder der Bahn, nicht schon beim Einsteigen (um dem Hausfriedensbruch aus dem Weg zu gehen, ist es sogar sinnvoll, ohne Kennzeichnung einzusteigen und sich dann sofort (!) offen erkennbar zu machen).

Im Original: Erklärungen von Beförderung in StGB-Kommentaren
Fischer 2018, Rd. 19 zu § 265a
Beförderung ist das Verbringen von Personen von einem Ort zum anderen.
Rd. 28
Bei der 3. Var. ist nach hM die Tat mit dem Beginn der Beförderungsleistung vollendet (...). Auch hier sind aber Fälle auszuscheiden, in denen nach der Verkehrsauffassung eine "Beförderung" noch gar nicht vorliegt (zB Abbruch der Fahrt oder Entdeckung des Täters nach wenigen Metern), in denen also auch ein nicht erschleichender Fahrgast eine entgeltpflichtige Leistung nicht erlangt hätte (...).

Schönke/Schröder, Rd. 6 zu § 265a
Beförderung durch ein Verkehrsmittel ist jeder Transport von Personen oder Sachen durch ein öffentliches oder privates Verkehrsmittel, ...
Rd. 13
Vollendet ist die Tat mit dem Erschleichen der Leistung usw., d.h. bei der 1. Alt. mit dem
Beginn der Leistung des Automaten (zB mit der aufklingenden Musik ...); bei der 2. Alt. mit dem Herstellen der Telekommunikationsverbindung (...), bei der 3. Alt. mit dem Beginn der Beförderungsleistung (nicht schon mit dem bloßen Einsteigen, das nur Versuch ist; ...), bei der 4. Alt. mit dem Betreten der Einrichtung bzw. der Veranstaltung, sofern diese schon begonnen hat, anderenfalls mit ihrem Beginn (...).

Bölling, Duttge, Rössner
Beförderung durch ein Verkehrsmittel (Var. 3) ist jede Personen und/oder Sachen erfassende Transportleistung (...) durch Massenverkehrsmittel (Bahnen, Busse) unabhängig davon, ob diese öffentlich- oder privatrechtlich organisiert sind (...).

Kindhäuser
Beförderung durch ein Verkehrsmittel ist jede Form des Transportes.

Lexikalische Definitionen von Beförderung, Transport und Reise
Wiktionary zu Beförderung
das Befördern oder das Transportieren von Gütern oder Personen

Wikipedia zu Beförderung
Beförderung bezeichnet
den Transport von Personen und Gütern allgemein, siehe Transport
über größere Entfernungen oder zwischen Betrieben, siehe Verkehr


Wikipedia zu Transport
Beim Transport werden Transportgüter oder Personen an einen anderen Ort gebracht. Der Transport wird daher auch als Überbrückung von Räumen oder „Raumdisparitäten“ bezeichnet, während das Lagern zum Überbrücken von Zeiten dient.

Wikipedia zu Verkehr
Verkehr ist die räumliche Bewegung von Objekten in einem System.

Wikipedia zu Personenverkehr
Der Personenverkehr (Personenbeförderung) ist die allgemeine Bezeichnung für die Ortsveränderung (Beförderung) von Personen

Definition Reise
Laut Duden: [der Erreichung eines bestimmten Ziels dienende] Fortbewegung über eine größere Entfernung
Laut Wikipedia: Der Begriff Reise bedeutet im Sinne der Verkehrswirtschaft die Fortbewegung von Personen über eine längere Zeit zu Fuß oder mit Verkehrsmitteln außerhalb des Wirtschaftsverkehrs, um ein einzelnes Ziel zu erreichen oder mehrere Orte kennenzulernen (Rundreise).

Mögliche Umgangsform vor Gericht:
Beweisanträge stellen, dass Kennezichnung vorhanden war. Beweismittel: Zeug_innen (andere Fahrgäste, Kontrolleur_innen selbst, Kameras am Bahnsteig).
Wird behauptet, dass schon beim Einstieg eine Kennzeichnung nötig gewesen wäre, kann die Liste der Definitionen und Kommentare zum Begriff der Beförderung vorgelesen und/oder überreicht werden.

Rechtsverdrehung Nr. 2: Die Kennzeichnung war nicht auffällig genug
Besonders häufig ist die erste Rechtsverdrehung aber bislang nicht. Es ist den Gerichten offenbar schon selbst klar, dass sie Feststellungen über Tatsachen mit einem Beweis unterfüttern müssen. Würde ein_e Zeug_in sagen, es sei keine Kennzeichnung da gewesen, dann könnte ein Urteil darauf gestützt werden. Es wäre dann zwar falsch, aber es würde halten - auch in den höheren Instanzen. Denn die Qualität eines Beweises ist regelmäßig egal - es muss nur einer da sein. Irgendwie. Allerdings gibt es meist nichts, worauf das Gericht die Annahme stützen könnte, es hätte keinerlei Kennzeichnung gegeben. Also versucht es andere Tricks: Kennzeichnung ja, aber nicht so, wie es gesetzlich nötig wäre. Wo im Gesetz steht, wie eine Kennzeichnung auszusehen hat, wird das Gericht nicht verraten - es gibt keine Rechtsgrundlage.

Das Schild wäre danach technisch nicht dazu geeignet, den "Anschein der Ordnungsmäßigkeit" wirksam zu erschüttern, weil z.B. zu klein, nur von einer Seite und daher nur einem Teil der tatsächlich vorhandenen Anscheinsempfänger zu sehen. Das hat bisher nur ein höheres Gericht so entschieden, nämlich das KG Berlin (Az. 1 Ss 32/11 (19/11)). Alle anderen OLGs und Gerichte auf Bundesebene sehen das ebenso wie alle (!) Kommentare anders. Eine Rechtsgrundlage für die Annahme, dass die Kennzeichnung ein bestimmtes Format haben muss, ist auch nirgends ersichtlich. Hier würde Recht geschaffen - und zwar nicht in einer Lücke, sondern entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes und allen Kommentaren. Oder anders gesagt: Es erfolgt eine Bestrafung ohne Gesetz. Das wäre verfassungswidrig - aber vor Gerichten keine Seltenheit.

Interessant ist ein Bundesgerichtshofurteil. Auch da geht es nicht um gekennzeichnetes, sondern um das übliche "Schwarzfahren".

Im Original
Aus dem BGH-Urteil BGH-Beschluss vom 08.01.2009 - 4 StR 117/08
Eine Beförderungsleistung wird bereits dann im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB erschlichen, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen.

Aus Kammergericht Berlin, Beschluss vom 02.03.2011 - (4) 1 Ss 32/11 (19/11)
Auf die Frage, ob auch derjenige, der bereits bei dem Betreten des Beförderungsmittels in offener und unmissverständlicher Weise nach außen zum Ausdruck bringt, er wolle sich in Widerspruch zu den Beförderungsbedingungen setzen und für die Beförderungsleistung den geschuldeten Fahrpreis nicht entrichten, eine Beförderung erschleicht (so LG Hannover NdsRpfl 2009, 221; Hauf DRiZ 1995, 15) oder den objektiven Tatbestand nicht erfüllt (so OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Naumburg a.a.O.; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 84; BayObLG JR 1969, 390; Fischer, StGB 58. Aufl., § 265 a Rdn. 5a; Tiedemann in LK-StGB 11. Aufl., § 265 a Rdn. 45; Wohlers in MüKo-StGB, § 265 a Rdn. 35; Perron in Schönke/Schröder, StGB 28. Aufl., § 265 a Rdn. 11; Saliger in SSW-StGB, § 265 a Rdn. 5 und 17; SK-Hoyer, StGB 115. Lieferung, § 265 a Rdn. 6; Lackner/Kühl, StGB 27. Aufl., § 265 a Rdn.6a; Falkenbach, Die Leistungserschleichung 1983, S. 89), kommt es hier nicht an. Denn ein derartiges Verhalten des Angeklagten ist nicht gegeben. Ein solches läge etwa vor, wenn - jemand im Wege eines offen ausgetragenen Streikes gegen Fahrpreiserhöhungen durch das Verteilen von Flugblättern während der Fahrt die fehlende Zahlungsbereitschaft unmissverständlich demonstriert und - andere Fahrgäste zu gleichem beförderungswidrigen Verhalten aufrufen will (vgl. BayObLG JR 1969, 390 zu einer derartigen Protestaktion in einer schaffnerlosen Münchener Straßenbahn). Hier hat der Angeklagte hingegen seinen Vorbehalt, den Fahrpreis nicht entrichten und die Beförderungsbedingungen nicht einhalten zu wollen,
- nicht in offener und
- nach außen eindeutiger Weise, sondern
- objektiv nur für den Fall seiner Überprüfung zur Wahrnehmung durch das Kontrollpersonal zum Ausdruck gebracht.


In den Urteilen des OLG Frankfurt wird stets nur gefordert, dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit entgegenzutreten. Wie - das bleibt der Person ohne Fahrschein offenbar selbst überlassen. Aus OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.07.2010 - 1 Ss 336/08
Dies gilt jedoch nur dann, wenn dieses Verhalten nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers keinen Anlass zu Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit der Benutzung des Verkehrsmittels bietet, etwa weil ein objektiver Beobachter davon ausgehen kann, dass der Täter im Besitz eines Dauerfahrscheines ist und er diesem Anschein auch nicht entgegen getreten ist.

Das Wörtchen "allgemein" ist entscheidend. Denn es ist ein Wort wie umfassend oder insgesamt. Das ist mit einem Schild, wie auch immer das geartet ist, nicht mehr gegeben.

Auch hier ist wieder wichtig: Die Nachweispflicht liegt auf Seiten des Gerichts. Wird nicht geklärt, ob die Kennzeichnung ausreichend wahrnehmbar ist, darf das Gericht - eigentlich - nicht annehmen, dass sie nicht sichtbar genug war.

Mögliche Umgangsform vor Gericht:
Befragung der Zeug_innen: Wie auffällig? Wann das Schild entdeckt?
Beweisantrag über Bedeutung der Aussage. Beweismittel: Ortstermin, psychologisches Gutachten (Wahrnehmung von Menschen)

Zur Kennzeichnung in alle Richtungen:
Praktischer Tipps: Immer an den Anfang bzw. das Ende eines Abteils setzen (also wo der Gang nicht weitergeht), so dass es nur eine Richtung gibt, von wo die Kontrolleur_innen und alle anderen gucken bzw. kommen können. Denn dann kann mensch nur von vorne mit Schild gesehen werden - und die Kennzeichnung dort reicht. Eventuell noch beim Reingehen einmal in alle Richtungen drehen (falls da schon ein_e Kontrolleur_in steht).
Und dann als Umgangsform vor Gericht: Beweisantrag stellen (Zeugin oder Zeuge bzw. Kameraaufnahme aus dem Zug), dass der Angeklagte am Ende des Zugabteils saß und daher nur von vorne mit Kennzeichnung zu sehen war.

Bei einem Prozess in Mainz half auch mal ein Beweisantrag, dass die beiden Kontrolleur*innen von beiden Seiten kamen und deshalb eine*r immer das Schild direkt sehen konnte.

Wer zusätzlich zum Schild auch noch Flyer pro Nulltarif oder Ähnliches verteilt, ist nach dieser Logik auf einer noch sichereren Seite. Ob das bei der Rechtsbeugungs-Neigung in Gerichtssälen dann reicht, bleibt zweifelhaft. Rechtlich ist es dann aber doppelt und dreifach klar.

Rechtsverdrehung Nr. 3: Der Inhalt der Kennzeichnung ist nicht eindeutig
Das Schild wäre dann inhaltlich nicht geeignet, den 'Anschein der Ordnungsmäßigkeit' wirksam zu erschüttern. Ein Anscheinsempfänger hätte aufgrund des Schildes sonst was denken können (z.B. Richter Seichter im mündlichen Urteil bei AG Gießen 517 Cs - 802 Js 35646113; auch LG Hannover Kleine Jugendkammer 62 c 30/08, die Angeklagte trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Rechtlicher Hinweis: Ich habe den Fahrpreis nicht bezahlt und bin deshalb Schwarzfahrer“), z.B. das der Schildträger ein humorvoller Mensch ist.

Im Original
Aus dem BGH-Urteil 4 StR 117/08
Eine Beförderungsleistung wird bereits dann im Sinne des § 265 a Abs. 1 StGB erschlichen, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen.

Das Wörtchen "allgemein" ist auch hier entscheidend. Denn es stellt gerade keine Anforderungen. Jede Variante, die den Anschein durchbricht, reicht aus, um sich nicht mehr dem Anschein zu geben - und damit nicht mehr zu "erschleichen".
Und wieder: Die Nachweispflicht liegt auf Seiten des Gerichts. Wird nicht geklärt, ob der Inhalt der Kennzeichnung eindeutig genug war, darf das Gericht - eigentlich - nicht annehmen, dass andere Fahrgäste, Kontrolleur_innen oder zufällig anwesende Angehörige des Verkehrsunternehmens ihn nicht hätten verstehen können.

Mögliche Umgangsform vor Gericht:
Befragung der Zeug_innen: Wie reagierten sie auf das Schild (nach Wahrnehmung des Schildes)? Was dachten sie im Angesicht des Schildes, was damit ausgesagt wird? Was würden sie denken wenn irgendwer solch ein Schild trägt?
Beweisantrag über Bedeutung der Aussage. Beweismittel: Sachverständige_r bzw. Sprachgutachten

Rechtsverdrehung Nr. 4: Das Ansinnen wurde (per Schild, Zuruf u.ä.) keiner berechtigten Person gegenüber gezeigt
Der 'Anschein der Ordnungsmäßigkeit' hätte vor Fahrtantritt, spätestens während dem Einstieg in den Zug, erschüttert werden müßen. Hierbei komme als Anscheinsempfänger ausschließlich einE AngestelteR des Betreibers in Betracht (z.B. Richter Rudat, AG Siegburg 209 Cs-337 Js 1431/13-226/13, hierbei wird sich im wesentlichen auf 5 RVs 1/11 OLG Hamm bezogen).

Was ist davon zu halten? Nichts. Das ergibt sich daraus, dass in Urteilen hoher bis höchster Gerichte für den Fall, dass eine Person nicht gekennzeichnet ist und deshalb, so ja die aktuelle Meinung der Gerichte, mit dem Nichtstun ("Anschein der Ordnungsmäßigkeit") aktiv täuscht und damit erschleicht, niemand da sein braucht, die_der das auch sieht. Hier genügt, dass jemand da sein könnte. Die Nicht-Kennzeichnung ist also wirksam, auch wenn sie niemanden Konkretes gegenüber gezeigt wird.

Im Original
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 16.01.2001 - 2 Ss 365/00 (Quelle OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2001, 269)
Leitsatz des Gerichts:
Der Tatbestand des Erschleichens von Leistungen i. S. des § 265 a StGB setzt voraus, dass der Täter sich bei der Inanspruchnahme der Beförderungsleistung mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt, beispielsweise durch unauffälligen Aufenthalt in der Bahn. Nicht erforderlich ist es, dass die hierin liegende konkludente Erklärung, der Zahlungspflicht in vertragsgemäßer Weise nachgekommen zu sein, gegenüber einem zu ihrer Entgegennahme bereiten Empfänger erfolgt und dass regelmäßige Kontrollen oder vorhandene Sicherheitsvorkehrungen umgangen werden.

Noch deutlicher in 2 BvR 1907/97:
Wäre beispielsweise ein "Anscheinsempfänger" vorhanden, läge eine Täuschung vor; damit wäre der Tatbestand des Betruges im Sinne des § 263 StGB in Betracht zu ziehen.

Aus dem BGH-Beschluss vom 08.01.2009 - 4 StR 117/08
Notwendig ist deshalb auch nicht, dass der Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen gerade gegenüber dem Beförderungsbetreiber oder seinen Bediensteten erregt wird; es genügt vielmehr, dass sich der Täter lediglich allgemein mit einem entsprechenden Anschein umgibt.

Aus OLG Stuttgart, Urteil vom 10.03.1989 - 1 Ss 635/88
Zu dem so erreichten ‚Anscheinerwecken' gehört gerade nicht ein präsenter adäquater Anscheinsempfänger. Wäre ein solcher vorhanden, so würde er zwangsläufig von dem unehrlichen Benutzer getäuscht; dann aber läge Betrug bzw. Betrugsversuch vor und der Auffangtatbestand des § 265 a StGB käme gerade nicht in Betracht.

Aus LG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 19.11.2008 - 7 Ns 150 Js 4282/08
§ 265a StGB sei gerade für die Fälle geschaffen worden, in denen ein menschlicher Täuschungsadressat nicht vorhanden sei. Insoweit sei ein potentieller Empfänger des Anscheins der Ordnungsmäßigkeit ausreichend.

Also völlig eindeutig: Auch ohne das konkrete, physische Vorhandensein eines Anscheinempfängers kann der "Anschein der Ordnungsmäßigkeit" gewahrt werden. Das ist auch logisch, allein schon deshalb, weil ja in der konkreten Situation gar nicht herauszufinden ist, ob - zufällig oder verdeckt - ein Bediensteter des Verkehrsunternehmens vor Ort ist. Es wäre nun völlig unlogisch, wenn für die Bestrafung der nicht gekennzeichneten "Schwarzfahrer_innen" geurteilt wird, dass ihre Nicht-Kennzeichnung auch relevant ist, wenn niemand da ist. Bei gekennzeichneten"Schwarzfahrer_innen" aber das genaue Gegenteil gelten soll, sprich: Ihre Kennzeichnung unwirksam ist, wenn sich herausstellen sollte, dass gerade niemand da war, die_der sie hätte sehen können. Die Gerichte haben selbst entschieden, dass es egal ist, ob jemand es auch tatsächlich sieht. Dann muss das auch für die Kennzeichnung gelten.

Im Original
Aus Tamina Preuß, "Praxis- und klausurrelevante Fragen des „Schwarzfahrens“" , in: ZJS 3/2013 (S. 263)
Sowohl das Vertrauen der Verkehrsbetriebe als auch der Umweltschutz seien keine von § 265a StGB geschützten Belange. Der weitgehende Verzicht auf Kontrollen sei kein „Vertrauensbeweis in die Redlichkeit der Fahrgäste“, sondern diene der Einsparung von Personalkosten. Die Summe der durch „Schwarzfahrten“ entstandenen Einnahmeausfälle sei geringer als die Einsparungen durch Personalreduzierung. Im Erzeugen eines „Anscheins der Ordnungsmäßigkeit“ sei ein bloßes Unterlassen zu sehen, welches eine vorliegend nicht vorhandene Garantenstellung voraussetzt. ... Die Auslegung sei mit dem Wortlaut des § 265a StGB nicht vereinbar und verstoße daher gegen das Analogieverbot aus § 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG.

Aus dem BGH-Urteil 4 StR 117/08
Notwendig ist deshalb auch nicht, dass der Anschein ordnungsgemäßer Erfüllung der Geschäftsbedingungen gerade gegenüber dem Beförderungsbetreiber oder seinen Bediensteten erregt wird; es genügt vielmehr, dass sich der Täter lediglich allgemein mit einem entsprechenden Anschein umgibt.

Dummerweise interessiert das geltende Recht viele Richter_innen und Staatsanwält_innen nicht und sie verurteilen trotzdem mit solch rechtswidrigen Begründungen. Oder haben die alle die entsprechenden Vorlesungen geschwänzt?
Inzwischen gibt es die ersten Urteile, dass selbst ein Fahren mit Schild und Flyerverteilen immer noch "Erschleichen" wäre. Da wird der Begriff "Erschleichung von Leistungen" dann doch ersetzt durch "Inanspruchnahme von Leistungen". Die Justiz tritt offensiv als Gesetzgeberin auf. Das aber ist verboten:

Gerichte dürfen Tatbestand nicht über den Wortlaut eines Strafparagraphen ausweiten
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9.7.2019 (Az.1 BvR 1257/19)
Der Gesetzgeber und nicht der Richter ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen (vgl. BVerfGE 71, 108, 116; 92, 1 19; 126, 170, 197). Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang ein bestimmtes Rechtsgut mit den Mitteln des Strafrechts verteidigt werden muss. Den Strafgerichten ist es verwehrt, seine Entscheidungen zu korrigieren (vgl. BVerfGE 92, 1, 13; 126, 170, 197). Sie müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, daher zum Freispruch gelangen und dürfen nicht korrigierend eingreifen (vgl. BVerfGE 64, 389, 393; 126, 170, 197). Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist „Analogie“ nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die - tatbestandsausweitend - über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (vgl. BVerfGE 71, 108, 115; 82, 236, 269; 92, 1, 12; 126, 170, 197 f.). Dementsprechend darf die Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird (BVerfGE 130, 1, 43 f.).

Erläuterungstext dazu auf LTO

Mögliche Umgangsform vor Gericht:
Schwer über Beweisanträge zu machen. Antrag auf Einstellung nach § 170, Abs. 2 mit entsprechender Begründung möglich. Sonst auch alle Formen von Erklärungen, Plädoyer und Befangenheitsantrag.

Rechtsverdrehung Nr. 5: Die Erschleichung beginnt schon im Bahnhof
Das ist völliger Unsinn, denn der Parapgraph im Strafgesetzbuch benennt explizit die Beförderung. Die beginnt mit dem Anrollen von Bus oder Bahn. Ein Aufenthalt in einem Bahnhof, auf einem Bahnsteig oder im stehenden Zug ist keine Beförderung. Sonst müsste ein Mensch, welcher im Bahnhof eine Zeitung kauft oder eine Auskunft im Reisezentrum erfragt, sich bei Regen unterstellt oder einer gebrechlichen Person beim Koffertragen hilft, verurteilt werden. Nicht einmal das Betreten eines Bereichs, der nur mit einer gültigen Fahrkarte betreten werden darf (z.B. einige Bahnsteige bei U-Bahnen), kann den Straftatbestand erfüllen.

Aus einem Bericht über das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 4.12.1980 (Az. 1 Ss 232/80)
Wer einen Bahnsteig ohne gültigen Fahrausweis betritt, macht sich nicht wegen Erschleichens von Leistungen gemäß § 265 a StGB strafbar. Denn ein Bahnsteig ist keine Einrichtung im Sinne der Vorschrift. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg hervor.
Aus Sicht des Oberlandesgerichts Hamburg habe sich der Angeklagte nicht wegen Erschleichens von Leistungen strafbar gemacht. Denn ein dem Zugverkehr dienender Bahnsteig oder vergleichbare Bahnanlage sei keine Einrichtung im Sinne des § 265 a StGB. Der Begriff der "Einrichtung" setzte voraus, dass mit der Gewährung des Zutritts eine vermögenswerte Leistung angeboten werde, die auch dem Zweck der Einrichtung entspreche. Dies sei zum Beispiel bei Museen, Bibliotheken, Schwimmbädern oder Zoos der Fall, nicht aber bei Bahnsteigen oder vergleichbaren Bahnanlagen. Zwar bestehe die Möglichkeit, dem Zugbetrieb zuzusehen, Reisende bei der Ankunft zu empfangen oder sie zu verabschieden sowie an Kiosken einzukaufen. Diese Gelegenheiten ergeben sich jedoch nur beiläufig. Sie erfüllen nicht den Zweck eines Bahnsteigs - nämlich die Teilnahme am Zugverkehr - und seien daher im Sinne des § 265 a StGB nicht als vermögenswerte Leistung anzusehen, die mit der Gewährung des Zutritts angeboten werden.

Und wenn all das nicht helfen würde (Recht also soweit gebeugt würde), blieben noch drei Auswege ...
Erstens: Kein Schwarzfahren, wenn Fahrpreisnacherhebung ausgestellt wird - und kein Versuch
Eine richtig interessante rechtliche Gedankenpirouette ist die Überlegung, dass beim Nicht-"Erwischt"werden ohnehin kein Problem entsteht, beim "Erwischt"werden in der Regel ein Fahrausweis ausgestellt wird. Der hat zwar einen höheren Fahrpreis (doppelter Preis, mindestens 40 Euro, ab Sommer 2015 60 Euro), aber ist ein gültiger Fahrausweis. Er wird regelmäßig ab Einstiegsbahnhof ausgestellt. Anders ausgedrückt: Nach Ausstellen des Fahrpreisnacherhebung-Fahrscheins ist mensch formal nicht schwarz gefahren. Es bleibt dann nur noch der Versuch, der nach Abs. 2 des § 265a StGB auch strafbar ist. Wer sich ab kennzeichnet, versucht ja eben gearde nicht, sich die Leistung zu erschleichen, sondern versucht, sie sich nicht zu erschleichen. Es ist also der Versuch der Nicht-Erschleichung, der bei fehlender Kontrolle misslingt. Versuchte Nicht-Erschleichung ist aber wiederum nicht strafbar.

Zweitens: Keine Strafe ohne Gesetz
Das ist so einfach wie logisch: Ohne dass irgendwo steht, dass etwas strafbar ist, darf auch niemand bestraft werden. Ein Gesetz, welches das nicht-heimliche Schwarzfahren (also Schwarzfahren ohne "Anschein der Ordnungsmäßigkeit") unter Strafe stellt, gibt es nicht. Dennoch zu verurteilen, wäre ein Verstoß gegen Verfassungen - eine entsprechende Klage also möglich.
Angesichts der wilden Theorien, die in Verurteilungen von Aktionsschwarzfahris aufgestellt werden, ist deutlich, dass der Paragraph nicht eindeutig ist. Die Auslegung durch die Gerichte ist so unterschiedlich, dass sich daraus ebenfalls nicht ergibt, was nun straffrei ist und was nicht. Dazu sagt das Verwaltungsgericht Wien aber dann: Nichtig.

Aus einem Beschluss des VG Wien am 12.6.2019 zur Anrufung des EMRK
Schon Art.6 EMRK (und mit ihm auch Art. 47 GRC) gebietet, dass ein Rechtsunterworfener in der Lage sein muss zu erfassen, welches Verhalten gesetzlich erlaubt und welches Verhalten gesetzlich unter Strafsanktion gestellt ist. Es widerspricht jeglichen Vorgaben des Rechtsstaats, wenn ein Rechtsunterworfener durch den Gesetzgeber nicht in die Lage versetzt wird zu erfassen, welches Verhalten unter Strafe gestellt ist, und welches nicht. Ein Straftatbestand hat daher derart gesetzlich ausformuliert zu sein, dass dieser (zumindest unter Zuhilfenahme der Judikatur der maßgeblichen Gerichtsinstanzen) ausreichend exakt vom Rechtsunterworfenen ausgelegt werden kann.

Drittens: Verbotsirrtum
Der Gesetzestext ist eindeutig, die Kommentare gehen alle in die gleiche Richtung und fast alle Beschlüsse und Urteile höherer Gerichte auch. Es gibt passende Freisprüche ... woher soll mensch auf die Ideen kommen, da die_der Richter_in am Amtsgericht Pillefitz ausgerechnet meint, alles bisher geltende über Bord zu werfen und neues Recht zu kreiieren? So etwas ist unmöglich - und daher der Verbotsirrtum gegegen. Er war auch nicht vermeidbar, denn je intensiver mensch sich einliest, desto eindeutiger ist die Sache: Gekennzeichneten "Schwarzfahren" ist KEINE Straftat.

Aber Achtung: Gerichte "denken" oft nicht logisch, wenn es um das Abstrafen geht. Insbesondere das Kammergericht Berlin, dessen Urteil gerne von anderen, bestrafungswilligen Gerichten herangezogen wird, hat erstaunliche Argumentationslogiken entwickelt, um die Bestrafung gekennzeichneten Schwarzfahrens zu ermöglichen. So sei ein Verbotsirrtum nicht gegeben, wenn sich jemand mit der Rechtslage auseinander setzt und Bücher liest, in denen steht, dass gekennzeichnetes Schwarzfahren nicht strafbar ist. Das sei deshalb kein Irrtum, weil die Person sich ja informiert habe - und offenbar hätte ahnen müssen, dass alle führenden Rechtskommentare, Strafrechtsprofessor_innen usw. Unsinn schrieben ...

Im Original
KG, Beschluss vom 02.03.2011 - (4) 1 Ss 32/11 (19/11)
Vorliegend hat er sich - in ähnlicher Weise bewusst - darauf berufen, er habe eine Strafbarkeitslücke genutzt und seine Auffassung werde von mehreren Rechtsprofessoren, wenn auch (noch) nicht vom Bundesgerichtshof, geteilt. Dieses Verhalten zeigt, dass sich der Angeklagte mit dem Verbot der Inanspruchnahme der Beförderung ohne Bezahlung auseinandergesetzt hat. Er wusste danach um das Verbotensein seines Verhaltens, rechnete mit der Möglichkeit, Unrecht zu tun und nahm dies zumindest billigend in Kauf, so dass er Unrechtseinsicht hatte (vgl. BGHSt 4, 1; 45, 97; Fischer a.a.O. § 17 Rdn. 5 m.w.Nachw.).

Aus Dölling/Duttge/Rössner: Gesamtes Strafrecht - Handkommentar (3. Auflage, Nomos), Rdnr. 24
Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz bzgl der zum objektiven Tatbestand gehörenden Tatumstände (§ 15), insb. Die Kenntnis über die Entgeltlichkeit der Leistung bzw. des Zutritt. Dabei genügt bedingter Vorsatz (…). Hieran fehlt es, wenn das Einsteigen in ein Verkehrsmittel in der Vorstellung geschieht, im Besitz einer …

Aus einem HR-Interview mit der Gießener Sprecherin der Staatsanwaltschaft in Bezug auf Polizeibeamt*innen, die eine Person festnahmen, um politische Aktionen zu verhindern (so haben sie es selbst als Grund ins Formular geschrieben)
In der juristischen Fachsprache nennt man das den sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtum ... Wenn man aufgrund einer Fehlwertung davon ausgeht, dass die konkrete Situation, in der man sich befindet, und das konkrete Handeln, zu dem man ansetzt, gerechtfertigt gewesen ist, das kann einem Polizeibeamten passieren, dass kann auch einem Juristen passieren.

Abschnitt zu Verbotsirrtum auf Seite zu Prozesstipps

Artikel 7 EMRK: Keine Strafe ohne Gesetz
1 Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war.

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