Offener Raum

ZEITSCHRIFTEN DER 90ER-JAHRE-JUGENDUMWELTBEWEGUNG

Nanu?! Workcamp der IJGD in Ernsthausen


1. Nanu?!, die Zeitung der Projektwerkstatt Weilburg
2. Nanu?! Nr. 2 und 3 in 1996: Übersicht über die Texte
3. Nanu?!, das erste Zeitungsprojekt der Projektwerkstatt Weilburg - der Nachruf
4. Nanu?! ICE-Limburg: zu schnell zu steil
5. Nanu?! In Hessen hat's sich ausgeGENt
6. Nanu?! Projektwerkstatt virtuell
7. Nanu?! Noch mehr Gedanken zu Weihnachten
8. Nanu?! Jochen ist der Beste
9. Nanu?! Den Bock zum Gärtner machen?
10. Nanu?! Workcamp eine gute Möglichkeit ...
11. Nanu?! Hi! Mein Name ist Anton ...
12. Nanu?! Wir sind zwei dänische Mädchen ...
13. Nanu?! Workcamp der IJGD in Ernsthausen
14. Nanu?! Carwalking - Der Mensch steht über dem Auto
15. Nanu?! Wer nicht ausbilden will, muss zahlen!
16. Nanu?! Naturschutz beginnt im Garten - oder bei einer Feldhecke
17. Nanu?! B49 ausbauen???
18. Nanu?! Bürgerinitiative Sicherheit für die B49
19. Nanu?! Hallo, wir sind Anna und Annika, ...
20. Nanu?! Werdet aktiv! - Ein Leitfaden für "Naturschützer"
21. Nanu?! Naturkostladen in Weilburg
22. Nanu?! Hessentag auf dem Weg zur Besserung?
23. Nanu?! Jugendförderung in Hessen
24. Nanu?! 90/Die Grünen fordern Jugendparlamente
25. Nanu?! Bund der Steuerzahler informiert
26. Nanu?! Tschernobyl ist überall!
27. Nanu?! Kommentar zum Tag X
28. Aus dem Projektor: Das osthessische Regionalmagazin
29. Aus dem Projektor: Weltanschauung
30. Aus dem Projektor: Osthessen regional
31. Aus dem Projektor: Arbeitsmarkt
32. Aus dem Projektor: Umwelt
33. Aus dem Projektor: Jugend
34. Aus dem Projektor: Überregional

Weilmünster vom 20.07. - 04.08.1996

Guten Morgen! Get awake! schallt es durch die Zelte ... Der Küchendienst, der sowohl für das Wecken als auch für die Mahlzeiten zuständig ist, leistet mal wieder ganze Arbeit. Mit verschlafenen und zerknitterten Gesichtern quälen sich die TeilnehmerInnen des Junior-Workcamps in Weilmünster-Ernsthausen von ihren Feldbetten oder Iso-Matten. Die eine Hälfte der TeilnehmerInnen, meistens diejenigen, die am schnellsten aus ihren Betten kommen, trabt zum Badezimmer. Wie jeden Morgen bildet sich auch heute eine Warteschlange, da f6uuml;r 19 TeilnehmerInnen (incl. Gruppenleitung) nur eine Waschgelegenheit zur Verfügung steht.
Der Rest versammelt sich um den Frühstückstisch. Als gegen 10 Uhr alle fertig sind, kommt Herr Radu, auf dessen Hof wir campieren, und verteilt Arbeitaufträge.
Die Familie Radu bewirtschaftet ihren Hof nach biologisch-dynamischen Gesichtspunkten und die Jugendlichen haben durch die Arbeit einen kleinen Einblick in diese Wirtschaftsweise, welche sich allein schon in der Vielfalt der Tiere von konventioneller Massentierhaltung unterscheidet.
Nachdem die Arbeitsaufträge verteilt sind, beginnt für die TeilnehmerInnen, welche im Alter von 15-17 Jahren sind und aus Dänemark, den Niederlanden und Deutschland kommen, ein vierstündiger Arbeitstag, der nach dem Mittagessen mit Freizeit oder Gruppenaktionen endet. @ZWISCHENSCHRIFT = Wozu ist ein Workcamp gut?
So, oder so ähnlich sieht ein Tag in einem Workcamp aus. Doch was ist eigentlich ein Workcamp? Wo gibt es denn sowas, das Jugendliche während ihrer Ferien arbeiten? Wie kommen sie zu einer solchen Form der Feriengestaltung? Warum sind denn außer deutschen auch noch niederländische und dänische Jugendliche dabei? Und überhaupt, wozu soll ein Workcamp gut sein?
Ich will versuchen, diese Fragen im Folgenden zu beantworten: Die Wurzeln der Workcamp-Bewegung sind schon sehr alt. Sie liegen in dem Wunsch der Jugend, ihre gesellschaftlichen Verhältnisse neu zu gestalten, sich Freiräume zu schaffen, in denen die Jugend ihre Vorstellungen von einer besseren Welt und veränderten Gesellschaftsmodellen erproben und leben kann.
Vornehmlich in der Zeit der Aufklärung und der beiden Weltkriege reiften diese Gedanken; durch den Protest der StudentInnen, der Jugendbewegung und der JungsozialistInnen entfacht. Ihr Protest richtete sich gegen die wachsende Anonymität der gesellschaftlichen Einrichtungen, das Ausgeliefertsein des/der Einzelnen in den Massenorganisationen, den Egoismus des Nationalstaates und Entpersönlichung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Endprodukt dieser gesellschaftskritischen Haltung waren Sofortmaßnahmen, in denen die Jugend einen praktischen und sichtbaren Beitrags zur Sicherung des Friedens leisten konnten. Neben diversen kirchlichen Organisationen, deren Hilfen professionell waren (sind) und materiell sowie organisatorisch auf festem Boden standen (stehen), waren die sich formierenden Gemeinschaftsdienste in ihren Anfängen freiwillig und selbstorganisiert. Es gab keine großartige Verwaltung, nur Zusammenschlüsse, welche sich den Mißständen widmen wollten, wobei sich innerhalb dieser so etwas herausbildete wie Motivgruppen. Diese Motivgruppen setzten sich inhaltliche Schwerpunkte, nach denen sie ihre Arbeit aufbauten und gemeinsam formten. Die drei Motivgruppen, die sich herausschälten waren:

1. pazifistisch-international-caritativ
2. volkserzieherisch-national
3. sozialpolitisch.

Diese drei Richtungen prägten maßgeblich das Profil der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste.
Die erste Motivgruppe war geprägt von dem Grundgedanken, zerstörte Gebiete wieder aufzubauen. In einer Gruppe von freiwilligen Helfern, die sich aus allen möglichen Ländern der Welt zusammensetzte, in dem Wunsch gemeinsam das wiederzubeleben, was durch Menschenhand oder Naturgewalten zerstört wurde, dort selbstlos zu heilen, wo Menschen verletzt, verwaist oder vertrieben wurden, und nicht zuletzt im internationalen Kontext eine Basis für eine friedliche Zukunft zu schaffen.
Einen der Hauptimpulse für diese Bewegung gab ein junger schweizer Ingeneur namens Pierre Ceresole. Die zeitliche Einordnung dieser Bewegung liegt zwischen den Kriegen. 1937 zählte der Zivildienst bereits über 8000 Mitarbeiter. Man hatte eine starke Abneigung gegen eine feste Organisation, aber nach und nach entstanden in den einzelnen Ländern Sekretariate. Immer wenn Menschen in Not waren, ging ein Call, ein Ruf, an alle FreundInnen in die Länder hinaus und die freiwilligen HelferInnen kamen. Bei der großen Rheinüberschwemmung in Lichtenstein (1928) z.B., waren es allein 700 aus 22 Ländern und 50 verschiedenen Berufen.
Die zweite Motivgruppe nahm zum gleichen Zeitpunkt wie die erste Gestalt an. Hier war der junge Professor für Rechtswissenschaften, Eugen Rosenstock, richtungsweisend. Er diskutierte mit seinen StudentInnen die Fragen der Klassenspaltung und der natioanlen Uneinigkeit im Nachkriegsdeutschland. Die praktische Auswirkung dieser Diskussion war die Errichtung von Volkshochschulen. Der Dienst in diesen war eher ein pädagogisches Mittel, um die Begegnung und die Aussprachen zwischen den sozialen Schichten intensiver und fruchtbarer zu machen. Die TeilnehmerInnen setzten sich zusammen aus je einem Drittel Arbeiter, Bauern und Studenten. Die Themen, die diskutiert wurden, betrafen alle und wurden je nach Herkunft von den unterschiedlichsten Seiten beleuchtet. Die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Schichten erzeugte Einsichten und eine Erweiterung des sozialen Handeln für jedeN einzelneN, sie hinterlie&efen Eindruck in der wachsenden Gemeinschaft. Eine Führung in dem Sinne gab es nicht. Die Lager waren autonom, d.h. jedeR leistete seinen Beitrag für die Gemeinschaft in der Auseinandersetzung mit sich und den anderen. Eine feste Organisationstruktur wurde auch hier abgelehnt.Die Verantwortung für sich selbst im gemeinschaftlichen Kontext, kann als pädagogisches und politisches Ziel herausgestellt werden.
Wenn Ceresole der Workcamp-Bewegung den ideellen Schwung gegeben hat, so ist es Rosenstocks Verdienst, die politisch-pädagogischen Aspekte herausgearbeitet zu haben. Die dritte Motivgruppe hatte ihr Hauptaugenmerk auf die Sozialpolitik gerichtet. Gemeinschaftsdienste dieses Typs waren von Anfang an nicht als Dauereinrichtung gedacht, sondern dienten als Notmaßnahmen; vornehmlich, um für arbeitslose Jugendliche sinnvolle Besch&aum;ftigung während wirtschaftlicher Krisenzeiten zu schaffen.
Damals wie heute ist es die Freiwilligkeit, die auch bei dieser Art von Gemeinschaftsdienst im Vordergrund stand, fragwürdig geblieben. Sicherlich hat der Arbeitsdienst, der in diesen Workcamps stattfand, so manchem Arbeitslosen geholfen, doch auch bei dieser Form des Dienstes sollte man bedenken, daß es z.B. keine Entlohnung gab, was eine Wiedereingliederung der Arbeitslosen durch den Aufbau einer selbstständigen Lebensgrundlage ermöglicht hätte. Es folgt also die Frage, ob hinter der Freiwilligkeit nicht eher der gesellschaftliche Druck stand, der die Arbeitslosen dazu bewegt hat, in diese Art von Gemeinschaftsdienst zu gehen.


Der IJGD


Der IJGD gründete sich am 11.01.1950. Der Weg, der zur Gründung führte, läßt sich nicht in kurzen Worten beschreiben, doch nach der Zerstörung und dem beginnenden Wiederaufbau lebten die alten Ideale der Jugendbewegung wieder auf. Die Richtung, die vor dem 2. Weltkrieg von u.a. P. Ceresole und E. Rosenstock eingeschlagen wurde, wurde von der jungen Generation wieder aufgegriffen. Noch nie war das Bedürfnis nach Mitgestaltung der eigenen Welt so groß gewesen. Die SchülerInnen aus Hannover gründeten eine Schülerverwaltung. Ihre Aufgaben lagen leider weniger in der aktiven Gestaltung ihres Schulalltages, als mehr in sozial-politischen Tätigkeitfeldern, wie z.B. der Betreuung heimatloser Jugendlicher. Diese Aufgaben waren bei weitem zu groß und die AktivistInnen rieben sich schnell auf. Sie wollten jugendgerechte, mitbestimmende und ihren eigenen Kräften entsprechende Aufgaben. So führte die Möglichkeit der Durchführung von drei Gemeinschaftsdiensten im Sommer 1948 zu einer Abwanderung gerade des aktiven Teils aus dem Schüler-Parlament. Die Gemeinschaftsdienste entstanden somit als eine Protest-Reaktion gegen ein Schulsystem, das sich gegen innere Reformen widersetzte.

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