Offener Raum

ANARCHIE

Graswurzelanarchismus und gewaltfreie Aktion


1. Sein. Schein. Wirklichkeit: Who is who im deutschsprachigen Anarchismus?
2. ArbeiterInnenkampf und Syndikalismus
3. Graswurzelanarchismus und gewaltfreie Aktion
4. Libertäre Basisgruppen und Einzelpersonen ohne ständige (Groß-)Gruppe
5. Anarcho-Primitivismus und verwandte Richtungen
6. Anarchie als Lebensabschnittsgefährlichkeit: Lifestyle und modisches Protestdesign
7. Weitere Richtungen

Der Graswurzelanarchismus verfügt über keine eigenständige Struktur, kaum Projekte, die einen Zusammenhang schaffen, und nur in bescheidenem Maße über eine eigene Theoriebildung, z.B. über Vorträge und Veröffentlichungen von Einzelpersonen. Stattdessen tritt er vor allem durch seine Aktionen nach außen, die - auch durch viele Verknüpfungen mit finanziell leistungsfähigen und in etlichen Medien gut vertretenenen Teilen des BildungsbürgerInnentum - erhebliche Bekanntheit erreichen: .ausgestrahlt, X1000malquer oder Großblockaden bei Politikgipfeln a la G8. Dass deren OrganisatorInnen mit dem Anarchismus sympathisieren oder sich sogar für AnarchistInnen halten, nehmen die vielen, meist gut situierten und rechtsstaatsgläubigen Mitmachenden beim Händchenhalten zwischen Atomkraftwerken oder Märschen in 5-Finger-Taktik wohl kaum wahr. Es wäre sicherlich die Frage, ob da viel Anarchie drin ist, nur weil sie mitunter draufsteht. Nominell aber verstehen sich viele derer, die im Kern die Fäden ziehen, also solche, oder haben zumindest radikale, als Anarchie empfundene Jugendjahre hinter sich.

Im Original: Graswurzel-anarchistische Verbalradikalität
Aus dem Selbstverständnis der "Graswurzelrevolution"
Im Gegensatz zu anderen Oppositionsströmungen stört es die AnarchistInnen nicht, daß sie keinen Anteil am geschäftigen Treiben der offiziellen Gesellschaft und des Staates haben. Damit verzichten sie auf taktisch günstige Positionen, auf Legitimation, aber sie wissen warum: das Ziel, von einem radikalisierten Freiheitsbegriff ausgehend, die Herrschaft anzugreifen, soll nicht unklar werden. Schließlich sind die Erfahrungen mit Reformbewegungen, die schließlich nicht etwa ihre Ziele verwirklichen konnten, sondern sich in die angeblich bekämpften Strukturen als GegnerInnen integrierten und im entscheidenden Moment halfen, die Ziele des Staates auch gegen Opposition durchzusetzen, Warnung genug gegenüber der Annahme, man könne jede Struktur benutzen, um ganz andere Ziele zu verfolgen. ...
Nur eine starke gewaltfrei-anarchistische Bewegung wird in der Lage sein, solche Forderungen aufzuwerfen. Bei Bündnissen mit bürgerlichen und autoritär-sozialistischen Gruppen besteht die Gefahr, daß dadurch die anarchistische Bewegung instrumentalisiert und von ihren Zielen abgedrängt wird. Organisationsstrukturen und Politikverständnis solcher Gruppen befinden sich in prinzipiellem Widerspruch zu unseren Konzeptionen.


Schöner Internetdomainname herrschaftsfrei.org ... aber es erscheint nur eine einzige Seite - nur mit O-Ton des GWR-Chefs


Sichtbarste, offen unter Anarchie firmierende Projekte sind die Monatszeitung "Graswurzelrevolution" (GWR) und die in gleichnamigen Verlag erscheinenden Bücher. Mitunter veröffentlich die GWR eine Liste von Basiskontakten. Kriterien für die Aufnahme bestehen aber nicht - nicht einmal das sonst in der GWR alles überprägende Bekenntnis zur Gewaltfreiheit wird den dort benannten Gruppen abverlangt. So stellt die Liste nicht die Basis der gewaltfreien AktivistInnen dar, ist allerdings schon eine Sammlung von mit aktivistischen und anarchistischen Ideen sympathisierenden Gruppen.
Bundesweit existiert zudem das Netzwerk Z.U.G.A.Be mit den Wortbestandteilen "ziviler Ungehorsam", "gewaltfreie Aktion" und "Bewegung". Es gab dem einem Namen, was bereits existierte - nämlich ein intensiver taktischer und personeller Austausch zwischen den großen Kampagnennetzwerken X1000malquer, Gendreck weg und anderen. Hinzu kommen die modernen Bewegungsagenturen .ausgestrahlt und Campact mit ihrem Background an Förderstrukturen, insbesondere der Bewegungsstiftung. Miteinander verbunden waren diese immer, nicht zuletzt durch einige zentrale Personen, die gleichzeitig bei mehreren der Kampagnen mitwirkten.

Die Kampagnennetzwerke kümmern sich nicht um anarchistische Theorien oder Themen. Eine gute Theorie fehlt der Gewaltfreiheit gänzlich. Stattdessen stehen einzelne Aktionen zu zugespitzten Themen auf dem Programm. Sie werden als eigener Erfolg dargestellt - was sie aber oft nicht sind. In der Definition im Buch "Gewaltfreie Aktion" auf Seite 159 steht: "Die anonyme Sabotage ist keine Form der gewaltfreien Aktion" . Darin steckt eine Absage an Handlungen, die sowohl beim Castorprotest wie auch in der Kyritzer Heide oder bei Stuttgart 21 immer wieder vorkamen. Trotzdem werden die drei Kampagnen als Erfolge gewaltfreier Aktion abgefeiert.
Vorgekaute Abläufe dominieren die Art der Durchführung. Die "Instant"-Aktionen sind ein Angebot für Menschen, die nicht selbst denken und planen wollen, und am maximalen Spendenaufkommen, das erzielt werden soll. Seit einigen Jahren verläuft das sehr erfolgreich - die Hauptamtlichenzahlen steigen genauso wie die TeilnehmerInnen der Instantaktionen. Mit Anarchie oder auch nur einem emanzipatorischen Verständnis haben solche Aktionen nichts zu tun, denn sie führen nicht zu einer Selbstermächtigung der Menschen, sondern machen sie zu Statisten in einem Schauspiel, auf das sie keinen Einfluss haben.
Anders sieht es bei der Zeitung "Graswurzelrevolution", dem Verlag und Teilen nahestehender Netzwerke aus. Sie bezeichnen sich selbst als AnarchistInnen, doch schon in Kleinen zeigt sich, dass die hehren Ansprüch im politischen Alltag wenig Bedeutung haben. Sei es die massive Zensur in der Zeitung "Graswurzelrevolution", deren Chefredakteur eigentlich rotieren soll, aber schon seit Langem immer die gleiche Person ist. Seien es die Bezugsgruppensysteme bei Aktionen mit ihren SprecherInnenräten, die bei näherem Hinsehen vor allem als Kommandostrukturen für außerhalb dieser bestehender, intransparenter Machtgremien fungieren. Oder seien es die großen "Instant"aktionen, d.h. bis ins kleinste vorgekaute Menschenketten, Blockaden oder Märsche, bei denen die Einzelnen nur noch als Rädchen im System wirken. Sie verkommen zum telegenen Hintergrundbild der ohne Basislegitimation wirkenden SprecherInnen bei Medienkontakten oder Reden auf Demonstrationen.
Wer sich die verschiedenen Gruppen näher anschaut, nimmt Ähnlichkeiten in den Strukturen, Strategien und etliche immer wieder auftauchende Führungspersonen wahr.

Kommunikation und Kooperation entwickeln sich in einer Mischung aus formal-basisdemokratischer Struktur bei den durchorganisierten Aktivitäten, extrem ausgeprägten informellen Hierarchien und einer hohen Freiheit für alle Basisgruppen, sich nach ihren eigenen Überzeugungen zu strukturieren. Allerdings haben sie bei übergeordneten Vorgänge kaum Einfluss. Horizontale Kommunikation und Kooperation, d.h. die direkte Kontaktaufnahme und Absprache zwischen Teilgruppen und Personen sind innerhalb der großen Organisierungen weder erwünscht noch mangels Kontakten einfach möglich. Die informelle Hierarchie propagiert das Pyramidenmodell von Bezugsgruppen und SprecherInnenrat als alternativlos und sichert sich damit die Kontrolle aller Abläufe. Diese Hierarchie war und ist gewollt, Jochen Stay forderte für jede Aktion des zivilen Ungehorsams einen "Kern" an Personen, die "quasi Full Time", also wie Hauptamtliche arbeiten und "durch klares Auftreten" die Aktion prägen sollten. EinE TeilnehmerIn sollte sich hingegen auf die Rolle des Mitmachens, z.B. also "der oder die einzelne BlockiererIn sich wirklich aufs Blockieren konzentrieren".

Auch die als Markenzeichen hoch gehaltene Basisdemokratie dient oftmals nicht der gleichberechtigten Beteiligung vieler Menschen, sondern eher der Verschleierung von Machtspielchen. Die jeweiligen Eliten bedienen sich gezielt ihrer Methoden, um eigene Interessen durchzusetzen. Per Dauerveto lassen sich unerwünschte AutorInnen aus "anarchistischen" Zeitungen draußen halten - so in der GWR. An anderer Stelle, nämlich dem Wendlandcamp 2010, richtete sich ein Veto aus den Chefetagen gegen einen Workshop, der eigenständige Handlungsmethoden vermitteln sollte. Das war kein Einzelfall in der immwährenden Strategie, Menschen uneigenständig zu halten, um sie zum Mitmachen bei den großen Instant-Aktionen zu verleiten. Campact und .ausgestrahlt als moderne Bewegungsagenturen haben diese Konzepte auf die Spitze getrieben. Veto-Machtspielchen können sich auch gegen andere Strömungen richten. So verhinderte X1000malquer mit eigenem Veto vor "Erfindung" des Streckenkonzeptes beim Castorprotest eine gemeinsame Aktionsabsprache, um dann mittels schlichter Macht des Faktischen (also einer klassischen Form der Gewalt) die optimale Aktionsfläche für sich durchzusetzen. Ohnehin werden Basisdemokratie und Konsens genau so lange hochgehalten, wie sie den Eliten nützen. Sonst wird schon mal "die Entscheidungsfindung nach dem Konsensprinzip selten konsequent vollzogen" und Zustimmung durch "Klatschen im Stile der staatssozialistischen Akklamation" erzeugt. Die notwendige Rotation der SprecherInnenposten wurde im Gefecht aufgegeben und der ganze Aufbau mehr für Ansagen der informellen Führungsgruppen genutzt, d.h. "Moderation und Informationsweitergabe zusammenfielen" - wie es in eigenen Berichten aus gewaltfreien Aktionen zu lesen ist.
Genau diese von Dominanzen durchzogene Basisdemokratie gilt noch als Propaganda einer vermeintlich gelebten anderen Gesellschaftspraxis und bildet so den Brückenschlag zur Anarchie. Weil sich die Strömungen der gewaltfreien GraswurzlerInnen als BasisdemokratInnen bezeichnen, suggerieren sie vor allem für sich selbst, die Idee der Anarchie zu verfolgen. Offen benennen sie das z.B. in der Graswurzelrevolution. So kommentierte Horst Blume in der Ausgabe März 2011 über eine Podiumsdiskussion in Münster, dass es dort zu einem Schlagabtausch zwischen "einem Anarchisten und KommunistInnen" gekommen sei (S. 2). Gemeint war als Anarchist der GWR-Chefredakteur Bernd Drücke. Was der aussagte, stand auch im Artikel: "Mit Bakunin- und Malatesta-Zitaten unterstrich er die Notwendigkeit der Freiheit im Sozialismus und betonte Basisdemokratie und die Gewaltfreiheit als Mittel bei der Durchsetzung politischer Ziele". Deutlicher kann das Bekenntnis zu diesen zwei Säulen kaum ausfallen - zumal in der eigenen Zeitung.
Allerdings wird der Bezug auf die Anarchie so versteckt, dass die wichtigste Zielgruppe, nämlich das gut situierte BildungsbürgerInnentum, davon kaum oder nichts mitbekommt. Das ist für die GraswurzlerInnen auch wichtig, denn kaum irgendwo sind Rechtsstaatfetisch und Anarchiehass so intensiv vertreten, wie unter denen, die im Namen von .ausgestrahlt, X1000malquer oder anderen Händchen halten oder ihnen Überweisungsträger ausfüllen.

Die Basisdemokratie der GraswurzelanarchistInnen verschleiert also interne, mitunter sogar krasse Hierarchien. Sie ist ein praktisches Mittel, um sich innere Opposition oder Kritik vom Hals zu schaffen. Mit dieser taktischen Einstellung zu den Prinzipien der Basisdemokratie stellen sie in Deutschland das Gegenmodell zur FAU dar. Hier eine abgehobene Führungsgruppe, mehr und mehr hauptamtlich organisiert, die ohne Legitimation im Namen der von ihnen selbst zusammengetriebenen Massen sprechen - dort eine Fast-Gewerkschaft mit hochverregelten Entscheidungsprozessen, die zwar die Organisation mitunter erstarren lässt, aber informellen Hierarchien wirksamer entgegenwirkt als der beeindruckend unkritische Umgang mit Führungsfiguren in den Graswurzel-Zusammenhängen.

Inhaltlich sieht es in den meisten dieser Strömungen eher dürftig aus. Die Graswurzelrevolution beschränkt sich meist auf historische Abhandlungen. Kleine und zeitlich begrenzte Ausnahmen bilden höchstens interne Streitlinien, die mit Texten in der Zeitung ausgetragen werden. Bezeichnend war z.B., dass die Rezension des äußerst schwachen, sich positiv auf bürgerliche Ideale wie Nachhaltigkeit, Demokratie und Weltregierung beziehenden Buches von P.M. ("Kartoffeln und Computer") an vielen Orten kritisch bewertet, aber in der GWR abgefeiert wurde (Text des Demokratie-Anarchisten Jochen Knoblauch).
So unkritische Wahrnehmungen sind typisch. Es geht um ein positives Image, um Gutmenschen in einer besseren Welt, über deren Aussehen und theoretischen Grundlagen lieber nicht gesprochen wird. Das führt zu absurden Denkfiguren. So brachte der Verlag der Graswurzelrevolution ein wohlwollendes Buch über den "Christlichen Anarchismus" heraus. Dort werden christliche Urgemeinden in die Nähe der Anarchie gerückt, Jesus mutiert zum "Vorbild für radikale politische Aktion" und "wahren Begründer der Anarchie". Auch das Gewaltfreiheitsklischee wird bedient: "Jesus strebte eine völlige Umwälzung der herrschenden Verhältnisse und eine egalitäre Gesellschaftsordnung an und versuchte, dies ausschließlich mit dem Mittel radikaler und konsequenter Gewaltfreiheit zu erreichen." Wer die Bibel liest (z.B. die Stelle, wo Jesus die kommerziellen Händler peitschend aus dem Tempel treibt, weiß schnell, dass hier - mal wieder - zu Gewaltfreiheits-Propagandazwecken gelogen wird.
Die marxistische Junge Welt druckte - ebenfalls unkritisch - am 7.9.2013 Auszüge aus dem Buch.
  • Politische Schwerpunkte: Massenkompatible Themen wie Anti-Atom, Frieden/Krieg und Gentechnik.
  • Highlights: Große Events wie Menschenketten, Demonstrationen, symbolische Feldbefreiungen oder Entzäunungen.
  • Medien: Graswurzelrevolution und Verlag. Mobilisierungszeitungen für große Aktionen. Starke Schnittstellen zu bildungsbürgerlichen Kreisen und deren Medien (FR, SZ, taz usw., staatlicher Rundfunk).
  • Stärken: Flexibel, da ohne formalen Kern. Viele Basisgruppen ohne festes Label. Formloser Einstieg für Außenstehende möglich. Legalität wird nicht als qualitativer Wert betrachtet - verbal zumindest.
  • Probleme: Dogmatische Beschränkung der Aktionsformen. Vereinnahmung der Aktivitäten durch wenige Personen, die als SprecherInnen auftreten. Instantaktionen, bei denen die Teilnehmenden so reinen ErfüllungsgehilfInnen der VordenkerInnen gemacht werden.
  • Theorie: Gewaltfreiheit und Basisdemokratie ersetzen als Dogmen eine intensive Herrschaftsanalyse. Keine erkennbare Abgrenzung gegenüber bildungsbürgerlichen Zielen wie "Stärke des Rechts" oder Förderung der Demokratie. Nostalgische Interesse für alte Experimente und VertreterInnen der anarchistischer Theorien.
  • Kommunikation, freie Vereinbarung und Kooperation: Eine Debatte um horizontale Selbstorganisierung findet nicht statt. Solche Vorgänge werden auch nicht unterstützt. Neigung zu gemeinsamen Verpflichtungserklärungen, Konsensen aller usw. beschneiden innere Vielfalt und damit auch freie Vereinbarungen.

Konsens und Basisdemokratie, die als Organisationsstruktur und Entscheidungssystem tatsächlichen Hierarchien den Boden bereiten, werden durch die Gewaltfreiheit als reines Bekenntnis mit diffusem Inhalt mit einem Scheinideal gefüllt. Das dient der Identitätsstiftung und Abgrenzung nach außen. Eine kritische Würdigung der Ideologie von Gewaltfreiheit findet sich in einem gesonderten Kapitel.

Im Original: Gewaltfreiheit - aus dem Mund von Gewaltfreien
Nie gegen Menschen, nie gegen das (Rechts-)System
Aus Ulrike Laubenthal/ Reiner Steinweg: "Kernpunkte der Gewaltfreien Aktion und wo in diesem Band mehr darüber steht", in: Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg (2011): "Gewaltfreie Aktion", Brandes&Apsel (S. 12ff.)
Gewaltfreie Aktion oder Gütekraft-Aktion als grundsätzliche Alternative zu passivem Erleiden oder gewaltsamen Änderungsversuchen ist mit "Verzicht auf die Anwendung von Gewalt" nur sehr unzureichend beschrieben. ...
Gewaltfreie Aktionen wenden sich gegen erlebtes oder geplantes Unrecht bzw. gegen Entscheidungen und Maßnahmen, die die Lebensqualität, die Unversehrtheit oder/und die Freiheit vieler Menschen beeinträchtigen oder stark bedrohen. Ihr Ziel ist zunächst die Dramatisierung von bis dahin wenig beachteten Konflikten und darüber die Veränderung politischer Verhältnisse oder Entscheidungen, sie richten sich niemals gegen die Personen, die diese Verhältnisse herbeigeführt haben oder unterstützen. ... Das Ziel ist nicht, den Gegner zu vernichten oder zu demütigen. Er soll nach und nach gewonnen und überzeugt werden. ...
Gewaltfreie Aktionen beruhen auf dem Widerstandsrecht gegen Unrecht und gegen Gesetze, die das Unrecht stützen, selbst wenn sie in repräsentativen Demokratien formal korrekt zustande gekommen sind. Die Wahrnehmung dieses Rechts zielt niemals darauf ab, die Rechtsordnung an sich anzugreifen oder zu beseitigen, sondern im Gegenteil, ihr auch in solchen Punkten zur Geltung zu verhelfen, in denen sie von den jeweils Mächtigen oder von Mehrheiten verletzt und ein "Leben in Fülle für alle" verhindert wird. ...
Gewaltfreien Aktionen liegt ein tiefer Glaube an die Zukunft zugrunde und die Gewissheit, dass die Zuflucht zur Gewalt letztlich immer zu gesellschaftlichen Rückschritten führt. ...
Das Verhalten gewaltfreier Aktivistlnnen ist von Wahrheitsliebe, Offenheit, geistiger Streitbarkeit und zugleich von der Einsicht geprägt, dass dem Bösen mit Gewalt nicht beizukommen ist. Aus Respekt vor der Freiheit des Menschen sind sie überzeugt, dass sie Leiden nur sich selbst, nicht aber dem Gegner aufbürden dürfen, und dass gerade auch ihm gegenüber Großmut und Wohlwollen geboten ist. Der gewaltfrei Handelnde fühlt sich mit dem Gegner als entfremdetem Menschen solidarisch und ist daher stets zum Dialog mit ihm bereit. Selbst wenn der Gegner droht, wird er als Mensch gesehen. Auch für ihn gelten die Menschenrechte. ...
Gewaltfreie Aktivistlnnen sind nicht nur im sichtbaren Verhalten, sondern auch innerlich, im Denken und Fühlen bemüht, sich nicht zu Gewalttätigkeit hinreißen zu lassen und Kritik stets durch konstruktives Denken und Verhalten zu ergänzen. Sie wissen, dass jede Beimischung von Gewalt, und sei es auch nur in geringer Dosis, die Tür zur gewalttätigen Eskalation öffnet. ...
Die Mittel der gewaltfreien Aktionen entsprechen diesen Grundhaltungen: Die AktivistInnen versuchen, das Gewissen der GegnerInnen, jedes und jeder einzelnen, und derer, die sie stützen oder tolerieren, anzusprechen. Dies geschieht selbstbewusst, aber nicht feindlich, sondern wohlwollend und auf eine Weise, die den Gegnerlnnen zeigt, dass man ihnen Einsicht und entsprechendes Handeln zutraut. Das setzt eine vorangehende seelische Selbstreinigung der Aktivistinnen oder Formen gemeinschaftlicher Vergewisserung der eigenen Werte voraus ...
Letztlich geht es darum, zu einem Dialog zu kommen. ...
Verstärkend wirkt, wenn eigene persönliche Nachteile klaglos in Kauf genommen und die Aktionsvorhaben offen angekündigt werden. Der Gegner wird weder getäuscht noch überrumpelt, und seine Schwächen werden nicht ausgenutzt. ... Es wird sorgfältig vermieden, dem Gegner einen Gesichtsverlust zuzufügen, weil dies die Schwelle zum unbeschränkten Verlangen nach Zerstörung um jeden Preis ist.


Behauptungen über gewaltfreie Dominanz in großen Kampagnen
Aus Roland Vogt: "Die Farben des Atomwiderstands", in: Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg (2011): "Gewaltfreie Aktion", Brandes&Apsel (S. 80)
Das Geheimnis des Erfolgs wird wohl im Zusammnwirken all dieser Faktoren liegen oder, anders gesagt: in der Fähigkeit der Widerstandsbewegung, alle verfügbaren Register gewaltfreien Handelns zu ziehen.
Aus Jens Magerl: "Die Farben des Atomwiderstands", in: Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg (2011): "Gewaltfreie Aktion", Brandes&Apsel (S. 89)
Inzwischen ist Gewaltfreiheit im Wendland zum Standard geworden. Auch auswärtige Gruppen, die Gewalt nicht grundsätzlich ablehnen, haben erkannt, dass im Wendland Gewaltfreiheit einfach effektiver ist. Deshalb halten sie sich hier an eine "strategische Gewaltfreiheit". ...
Einigkeit besteht darüber, dass wir nicht gegen die Polizei kämpfen, sondern für ein wichtiges Anliegen mit weitreichenden politischen Auswirkungen. Die Polizei ist dabei (fast) uninteressant.


Theorie und Praxis der vorgeschriebenen Basisdemokratie
Aus Joachim Heilmann/Matthias Hollerbach/Jörg Rohwedder: "SprecherInnenrat: Am Misthaufen bei der roten Fahne", in: Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg (2011): "Gewaltfreie Aktion", Brandes&Apsel (S. 113ff.)
Durch diese basisdemokratische Organisations- und Entscheidungsstruktur waren viele Menschen in für die Gesamtgruppe relevante Fragen, Probleme und Entscheidungen eingebunden. Sie konnten ihre Meinungen in überschaubarem und vertrautem Kreis äußern, hatten die reale Möglichkeit, auf die Aktion Einfluss zu nehmen, und identifizierten sich entsprechend stark mit "ihrer" Aktion. ...
In der Bezugsgruppenbildung wurde den Leuten das SprecherInnenrats- und das Konsensprinzip erklärt. Nach der "reinen Lehre" darf der Rat nicht entscheiden, er vermittelt lediglich die Entscheidungen der Gruppe und ermöglicht so ein gemeinsames Handeln. Ebenfalls blockiert nach der "reinen Lehre" ein Veto den Konsens und damit des Handeln der Gruppe. Während der Aktion gab es Situationen, in denen der Rat entschied, ohne dass eine Diskussion mit den Bezugsgruppen stattgefunden hatte. Auch die Minderheitenmeinungen oder abweichende Ideen hatten nicht immer die Chance, gehört zu werden. Zum Teil begründet sich dies in der stark wachsenden Größe der Räte und zum Teil in der Moderation. So wurde die Entscheidungsfindung nach dem Konsensprinzip selten konsequent vollzogen. Teilnehmende, denen dieses basisdemokratische Prinzip fremd war, forderten in strittigen Situationen immer wieder die Mehrheitsentscheidung durch Abstimmung. In einer schwierigen Situation wurde die Entscheidung des Rates (nicht der Gruppen!) durch spontanes Klatschen im Stile der staatssozialistischen Akklamation hergestellt. Dabei blieb kein Raum für die Bedenken einzelner, weil sofort mit anderen Punkten fortgesetzt wurde. ...
Personen, die regelmäßig zum Rat kommen, kennen die Abläufe, entscheiden schneller, welche Frage in den Rat gehört und welche in die Gruppe. Das war der Grund für die ModeratorInnen, relativ früh bei "X-tausendmal quer" den Gruppen vorzuschlagen, auf die Rotation zu verzichten. Aus den schriftlichen Rückmeldungen ist zu ersehen, dass dies eine umstrittene Entscheidung war. ...
Eine wichtige Informationsquelle für den SprecherInnenrat waren neben dem Infobauwagen die PolizeisprecherInnen. Sie hatten direkten Zugang zur jeweiligen Einsatzleitung. Der Draht war also kurz und damit auch gefährlich. Geübte Polizeitaktiker, wie sie in der Einsatzleitung zu finden sind, wissen, wie sie Information und Desinformation streuen. So kündigte die Einsatzleitung in der Nacht zum Mittwoch an, sie würde mit der Räumung von der Ostseite der B 191 beginnen. Die Räumung solle um 23.00 Uhr erfolgen. Die Aussage erhielten die Polizeisprecherlnnen um ca. 22.30 Uhr und teilten sie über den Rat den Leuten auf der B 191 mit. Die bereiteten sich auf die Räumung vor und saßen die ganze Nacht auf gepackten Sachen. Die PolizeisprecherInnen hatten die Information weder bestätigt noch widerrufen. ...
Zu kritisieren bleibt, dass die ModeratorInnen oft auch InformationsträgerInnen waren, also Moderation und Informationsweitergabe zusammenfielen.


Was Gewaltfreiheit ist - und was sie ablehnt
Aus Theodor Ebert: "Lexikalisches Stichwort: Gewaltfreie Aktion", in: Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg (2011): "Gewaltfreie Aktion", Brandes&Apsel (S. 159ff.)
Definition
Die gewaltfreie (direkte) Aktion ist eine traditionsreiche Methode der Konfliktbearbeitung. Zu ihr greifen Kontrahenten in Situationen, in denen es schwierig oder fast aussichtslos scheint, durch demokratische Verfahren einen Konsens über Gerechtigkeit und die dafür erforderlichen Wandlungen herzustellen. Die gewaltfreie Aktion hat das Ziel, einen Konflikt so zu dramatisieren, dass sein Vorhandensein und die Unzulänglichkeit der herrschenden Konfliktregelungsmechanismen nicht länger ignoriert werden können. Das Ziel der gewaltfreien Aktion ist es, in Diktaturen oder Formaldemokratien die psychischen und die sozialen Bedingungen zu schaffen, unter denen erneut oder erstmals über Verhandlungen und demokratische Abstimmungen die Konflikte dauerhaft oder vorläufig geregelt werden können.
Die gewaltfreien Aktionen unterscheiden sich von gewaltsamen dadurch, dass ihre Protagonisten bei ihren dramatisierenden Maßnahmen die politischen Gegner und Unbeteiligte nicht verletzen, weder physisch noch psychisch. Lassen sich Sachbeschädigungen im Zuge der Aktionen nicht vermeiden, so wird - neben der Begrenzung dieser Sachbeschädigungen - darauf geachtet, dass die Akteure persönlich die Verantwortung für ihre Aktionen übernehmen. Die anonyme Sabotage ist keine Form der gewaltfreien Aktion. ...

Wirkung der gewaltfreien Aktion
... Straßenkämpfermanieren, die sogenannte Notwehr und Täuschung, werden abgelehnt, weil sie bei den Trägern der Aktion, ihren Gegnern und den Beobachtern unerwünschte Reaktionen auslösen.
Die von Frantz Fanon behauptete emanzipatorische Wirkung der Gewaltanwendung wird bestritten, da die systematische Gewaltanwendung seitens einer Befreiungsorganisation innerhalb dieser zu hierarchischen Strukturen führt und zur Untergrundarbeit und zur Einübung in ein immer waches Misstrauen zwingt, so dass nach Abschluss der Kampfhandlungen diktatorische und nicht demokratische Strukturen vorhanden sind. Gewaltanwendung wird ferner abgelehnt, weil sie in der Regel zur Eskalation der Gewalt und zur Steigerung der Opferzahlen führt.
In einem gewaltfreien Verhalten wird keine Garantie für einen Repressionsverzicht des Gegners gesehen; man rechnet jedoch damit, dass insgesamt die Opfer eines Befreiungskampfes geringer sind, wenn selbst auf extrem gewaltsame Repression immer gewaltfrei geantwortet und so dem Gegner keine zusätzliche Legitimation für Unterdrückungsmaßnahmen geboten wird. Der indische Unabhängigkeitskampf mit gewaltfreien Methoden kostete, einschließlich der englischen Reaktion auf vereinzelte indische Gewaltakte, etwa 8.000 Menschenleben; der algerische Unabhängigkeitskrieg etwa 150.000 bis 200.000 Tote bei einer dreißigmal kleineren Bevölkerung.
Schließlich werden Gewaltmethoden abgelehnt, weil man in den Gegnern unfreie, sich selbst entfremdete Menschen sieht. Das gewaltfreie Verhalten soll die Solidarität mit dem Gegner als menschlichem Wesen zum Ausdruck bringen. Die Überzeugungskraft einer gewaltfreien Aktion hängt jedoch nicht allein von der Leidens- und Opferbereitschaft ihrer Träger, sondern auch davon ab, dass die von ihnen angebotene Alternative zu dem bestehenden ungerechten System mit hoher Wahrscheinlichkeit den angegebenen Zwecken dient und wirklich funktionsfähig ist.
Zum Experimentieren mit den angebotenen neuen Strukturen können die Herrschenden meist erst dann gebracht werden, wenn durch die gewaltfreien Aktionen das dominierende System am Funktionieren gehindert und das neue System durch Rolleninnovation und Rollenusurpation teilweise schon praktiziert wird.
Das Auftreten von gewaltfreien Akteuren hat auch zur Entwicklung und Auffächerung von Repressionsmaßnahmen und zu einer gewissen Anpassung an die gewaltlosen Methoden geführt. Es gibt Fälle, in denen die Polizei sich mit den gewaltfreien Akteuren auf Spielregeln im Umgang mit zivilem Un gehorsam bzw. mit Ordnungswidrigkeiten einigt, also z.B. gegen Sitzproteste nicht Schlagstöcke, Wasserwerfer und Pfefferspray einsetzt, sondern die Sitzenden wegträgt, eventuell erkennungsdienstlich behandelt und zur Anzeige bringt oder auch nicht.


Stays Thesen: Klare Einteilung in Oben und Unten
Jochen Stay: "Fünf Thesen zu den Erfolgsbedingungen eines massenhaften Zivilen Ungehorsams", in: Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg (2011): "Gewaltfreie Aktion", Brandes&Apsel (S. 205f.)
1. Die jeweilige Kampagne Zivilen Ungehorsams wird getragen von einem Kreis von Aktivistlnnen, die sich mit ihrer ganzen Kraft und quasi Full Time über Jahre für die Umsetzung ihrer Vision einsetzen.
2. Es wird eine konkrete Form Zivilen Ungehorsams gefunden, die von ihren Konsequenzen nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Folgen hat. Die begrenzte Regelverletzung und die Bereitschaft zum Tragen der Folgen öffentlicher Aufmerksamkeit führen dazu, dass viele bereit sind, diesen Schritt zum Zivilen Ungehorsam zu wagen, weil die juristischen und körperlichen Folgen überschaubar sind. Ziviler Ungehorsam kann sehr radikal und weitgehend sein. Wer aber erreichen will, dass die Regierung durch massenhaften Entzug von Loyalität unter Druck gerät, der/die muss eine Form Zivilen Ungehorsam finden, an der sich möglichst viele Menschen beteiligen. Die persönlichen Folgen müssen also überschaubau sein.
3. Die Aktionen entwickeln sich zu einer Mischung aus effektiver Behinderung der Maschinerie und Ritual. Rituale sind nichts Negatives, so lange sie mit Leben gefüllt sind. Die Ritualisierung von Aktionsformen führt zwar oft zu einer Abschwächung des Konfliktes, weil die Polizei weiß, was passieren wird. Sie ermöglicht aber auch den eher Ängstlichen die Teilnahme, weil sie besser überblicken können, was auf sie zukommt. Wenn es gelingt, den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen im Aufbau einer Kampagne Rechnung zu tragen, kann sie viele Menschen erreichen und mit einbeziehen.
4. Die Mobilisierung zu den Aktionen ist nicht unverbindlich, sondern wird über Selbstverpflichtungs-Erklärungen letztlich sehr persönlich und verbindlich geführt. Dies ist ein oftmals stark unterschätzter Faktor. Es ist ein großer Unterschied, ob ich mit Flugblättern und Plakaten unverbindlich zu einer Aktion einlade, oder ob ich durch das Angebot einer Selbstverpflichtungs-Erklärung viele Menschen dazu bringe, sehr gründlich darüber nachzudenken und zu entscheiden, ob sie sich an einer Aktion beteiligen wollen. Diejenigen, die unverbindlich mobilisiert werden, kann ich schwer erreichen, weil ich sie nicht kenne. Wer eine Selbstverpflichtung unterschrieben hat, ist mit Adresse bekannt und kann mit weiteren Informationen versorgt werden, um gut auf die Aktion vorbereitet zu sein oder noch weitere Menschen zu mobilisieren. Manche steigen auch in die organisatorische Arbeit ein und auch nach einer Aktion sind alle noch erreichbar. Außerdem kann die Zahl der "Anmeldungen" auch verwendet werden, um politischen Druck zu machen. Und schließlich erleichtert es die organisatorische Planung, wenn klar ist, wie viele Menschen sich an den Aktionen beteiligen.
5. Die jeweiligen AktivistInnen haben die Möglichkeit, sich gründlich vorzubereiten. Und es wird viel Aufwand betrieben, damit die organisatorischen Rahmenbedingungen so gut sind, dass der oder die einzelne BlockiererIn sich wirklich aufs Blockieren konzentrieren kann. Angebote, sich vor einer Aktion Zivilen Ungehorsams mit einem Training vorzubereiten, werden meist nur von einer Minderheit der AktivistInnen genutzt. Trotzdem entsteht so ein gut vorbereiteter Kern, der die Qualität der Aktionen durch klares Auftreten und gut funktionierende Gruppen steigert. Wenn dann noch dafür gesorgt ist, dass die BlockiererInnen mit allem Notwendigen versorgt werden (Informationen, Sitzunterlagen, Essen, warme Getränke, juristische Unterstützung, Abholservice bei Ingewahrsamnahme usw.) und sich somit voll auf das Geschehen der Aktion konzentrieren können, dann steigert auch dies die Intensität des Widerstandes.


Hetzen gegen Militanz
Renate Wanie: "Neun Thesen für die Weiterarbeit nach Straßburg", in: Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg (2011): "Gewaltfreie Aktion", Brandes&Apsel (S. 254f.)
1 . Die Zeit der Formelkompromisse ist nach Straßburg vorbei. Die Friedensbewegung ist gewaltfrei oder sie ist nicht. Ziviler Ungehorsam ist eine gewaltfreie Strategie und kein Slogan, hinter dem sich RandaliererInnen verbergen können.
2. Randale ist keine Politik, Randale ist Randale. Gesellschaftliche Veränderungen in Richtung Emanzipation und Freiheit werden in hochentwickelten Gesellschaften nicht über Gewalteskalationen herbeigeführt.
3. Gewaltfreiheit greift den staatlichen Gegner nicht dort an, wo er am stärksten ist - beim Monopol der Gewalt. Sondern dort, wo er am schwächsten ist: bei der Legitimation seiner kriegerischen Aktivitäten.
4. Gewaltrituale wie in Straßburg seitens der Polizei und seitens der RandaliererInnen sind Ausdruck eines männlich-chauvinistischen Handelns. Die Friedens- und Antikriegsbewegung muss diese patriarchal?militaristischen Handlungen überwinden und offen kritisieren.
5. Die Kritik an RandaliererInnen aus Demonstrationen heraus spaltet die Friedensbewegung nicht. Steine werfen spaltet die Friedens- und Antikriegsbewegung. Wer Gewalt zulässt, zerstört die Glaubwürdigkeit der Bewegung und erleichtert ProvokateurInnen der Polizei, ihr friedloses Handwerk zu betreiben.
6. Die Friedensbewegung wird nicht erfolgreich durch Gewalt, sondern durch kreative und beharrliche Kritik an Gewalt und Gewaltorganisationen wie der NATO.
7. Heiligendamm hat neue gewaltfreie Aktionsformen auf der grünen Wiese hervorgebracht. Nach Straßburg ist über neue kreative gewaltfreie Aktionsformen innerhalb von Städten nachzudenken, die auch über Blockaden hinausgehen.
8. Gewaltfreie Aktionen wie auch Großdemonstrationen brauchen Vorbereitung. Dort, wo gewaltfreie Aktionen vorbereitet wurden, wie z.B. für "Heiligendamm" oder im Bündnis NATO-ZU für Straßburg, haben sie funktioniert und zu Teilerfolgen beigetragen. Wir brauchen mehr und verbindlichere Vorbereitungen.
9. Mobilisierungen für große internationale Events zeigen ihren Erfolg immer auch darin, Menschen für den Montag danach zu gewinnen. Die Qualität von großen Events bemisst sich darin, wie viel mehr Menschen in den nächsten Monaten aktiv werden. Hier war Straßburg ein Rückschlag.

Wolfgang Sternstein, im Buch "Gewaltfreie Aktion" als "einer der ältesten deutschen Theoretiker und engagiertesten Aktivisten der Gewaltfreien Aktion" (S. 96) hochgejubelt ...

Anarchie = Gewaltfreiheit (sagt der GWR-Chef)
Aus einem Interview mit Bernd Drücke von den Bloggern Sören Weber (herrschaftsfrei.org) und Maurice W. (netz betrieb.de) ++ zwei Quellen (leicht unterschiedlich): Buch "Anarchismus Hoch 2" und online
Anarchie bedeutet Herrschaftsfreiheit, also auch Gewaltfreiheit. ...
Das Klischee des anarchistischen Bombenlegers ist ein Zerrbild. Die meisten Anarchistinnen und Anarchisten sind der Meinung, dass man durch Direkte gewaltfreie Aktionen effektiven Widerstand leisten kann.


Buchvorstellung
Ulrike Laubenthal/Reiner Steinweg
Gewaltfreie Aktion
(2011, Brandes&Apsel in Frankfurt, 287 S.)
Fast alle, die Rang und Namen haben in gewaltfreien Bewegungen des deutschsprachigen Raumes tragen hier ihre Sichtweise zusammen. Seite für Seite wird spürbar, wie verbissen sich die AkteurInnen an den Strohhalm "Gewaltfreiheit" klammern. Der schafft Identität, schweißt zusammen und führt zu aggressiven Distanzierungen von allem, was nicht dazu gehört. Eine gute Theorie der Gewaltfreiheit ist dabei im gesamten Buch nicht benannt. Stattdessen werden alle möglichen erfolgreichen Kampagnen als eigener Erfolg dargestellt - was sie aber nie waren. Denn in der Definition auf Seite 159 "Die anonyme Sabotage ist keine Form der gewaltfreien Aktion" steckt eine Absage an Handlungen, die sowohl beim Castorprotest wie auch in der Kyritzer Heide oder bei Stuttgart 21 immer wieder vorkamen. Das Buch lohnt aber das Lesen - um im Original nachzulesen, wie dogmatisch, fast religiös die Gewaltfreiheit in der Praxis aussieht, verbunden mit internen Hierarchien und zentraler Steuerung, wie sie in den Texten der Führungsfunktionäre Jochen Stay und Jörg Rohwedder als Ziel vorgegeben werden.

Interessant sind noch zwei Blicke - einer zurück und einer voran. In beiden ist zu erkennen, welche Wirkungen das Fehlen an politischer Theorie und strategischer Organisierungsdebatte haben. Die modernen Bewegungsagenturen wie Campact, .ausgestrahlt und die als materiell-informelle Basis im Hintergrund die Strippen ziehende Bewegungsstiftung sind Schöpfungen von Menschen, die sich einst als AnarchistInnen fühlten und darstellten. Eine zentrale Rolle bei der Herkunft spielte die alte unabhängige Jugendumweltbewegung um 1990, die sich positiv auf die Anarchie bezog, aus der heraus aber fast nur bürgerliche Karrieren bestiegen wurden.

Ganz neu, nämlich erst Ende 2011entstanden auch im deutschsprachigen Raum Occupy-Camps, -Aktionen und -Gruppen. Sie definieren sich als dogmatisch gewaltfrei und basisdemokratisch, zeigen aber (noch) nicht den Hang, beides als Ideologie auch gegenüber Anderen dominant durchzusetzen und mit ihnen Ausgrenzungen zu legitimieren. Da das Gemisch der Beteiligten keine Zuordnung möglich macht, gibt es zu "Occupy" einen Absatz am Ende dieser Übersicht verschiedener Strömungen.

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