Sand im Getriebe

WAS IST RECHT?

Recht ist das Höchste


1. Behauptungen über das Recht
2. Recht ist das Höchste
3. Recht ist Herrschaft: Wer die Macht hat, schafft das Recht!
4. Herkunft des Rechts
5. Mythos der Freiheitsgarantie und Menschenrechte
6. Recht ist strukturkonservativ
7. Kritische Zitate zum Recht
8. Linke und AnarchistInnen für Recht?
9. Links
10. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Der Lobgesang auf die Allgemeingültigkeit des Rechts soll den Eindruck vermitteln, dass "alle Menschen vor dem Gesetz gleich" sind (Grundgesetz, Art. 3, Abs. 1). Damit werden vielfältige Unterschiede nicht aufgehoben, sondern verschleiert, z.B. die ökonomische Unabhängigkeit, die materielle Ausstattung, der Zugang zu privilegierten Handlungsmöglichkeiten usw. Zudem wird verschleiert, dass die Praxis deutlich anders aussieht und sehr wohl sehr deutliche Unterschiede im Umgang von Verwaltung und Gerichten mit Angehörigen verschiedener sozialer Schichten, Nationalität, Alter oder politischer Orientierung erkennbar sind. Der bemerkenswerteste Unterschied ist aber ein anderer: Selbst wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich wären, so sind sie nicht gleich darin, diese Gesetze auch selbst zu machen. Wenn aber die Personen A und B vor dem Gesetz gleich sind, aber einer von ihnen die Gesetze machen oder ändern kann, so sind sie eben nicht gleich. Bei weitem nicht.

Aus Kropotkin, Peter (1985): "Gesetz und Autorität", Libertad Verlag in Berlin (S. 5)
"Wenn Unverstand im Schoße der Gesellschaft und Unordnung in den Geistern herrscht, werden die Gesetze zahlreich. Die Menschen erwarten alles von der Gesetzgebung, und da jedes neue Gesetz eine neue Ursache der Unzufriedenheit wird, so werden sie dazu getrieben, fortwährend von der Gesetzgebung das zu verlangen, was nur aus ihnen selbst, ihrer eigenen Bildung, ihrer eigenen Moralität entspringen kann." Es ist gewiß kein Revolutionär, nicht einmal ein Reformator, der dies sprach, sondern ein Jurist: Daloz, Verfasser der französischen Gesetzessammlung, welche unter dem Namen „Repertoire de la Legislation" bekannt ist. Und doch drücken diese Zeilen, wenn auch von einem Manne geschrieben, der selbst ein Bewunderer und Schaffer von Gesetzen, vollständig den anormalen Zustand der Gesellschaft aus. In den heutigen Staaten werden neue Gesetze als das Heilmittel für alle Schäden betrachtet. Anstatt selbst zu verbessern, was schlecht ist, wird damit begonnen, ein Gesetz zu verlangen, um das Schlechte zu verbessern.

Aus Adorno, Theodor W. (1970): "Erziehung zur Mündigkeit", Suhrkamp in Frankfurt (S. 109)
... indem man das Recht des Staates über das seiner Angehörigen stellt, ist das Grauen potentiell schon gesetzt.


Im Original: Rechtsphilosophische Überhöhungen
Aus Kant, Immanuel, "Streit der Fakultäten", zitiert in: Freitag, 2.12.2005 (S. 6)*
Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Rechte angepaßt werden.
Hinweis: Ein auch theoretisch absurder Satz, wird doch das Recht von den Organen herrschender Politik gemacht und fällt nicht vom Himmel.

Aus Rose, Jürgen, "Die Linke und das Völkerrecht" in: Freitag, 2.12.2005 (S. 6)
Die Geltung des Rechts in der Welt sicherzustellen - und zwar mit allen erforderlichen Mitteln -, muss daher vornehmstes Gebot internationaler Solidarität gerade im Selbstverständnis von Linken sein. Dann erst kann auch der Friede gedeihen - ganz im Geiste Kants, der in seinen Vorlesungen einst konstatiert hatte: „Wenn nie eine Handlung der Gütigkeit ausgeübt, aber stets das Recht anderer Menschen unverletzt geblieben wäre, so würde gewiß kein großes Elend in der Welt sein.“

Aus Kant, Immanuel (1798): AA VII, "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" (S. 330 f., im Internet)
Freiheit und Gesetz ... sind die zwei Angeln, um welche sich die bürgerliche Gesetzgebung dreht. - Aber damit das letztere auch von Wirkung und nicht leere Anpreisung sei: so muß ein Mittleres hinzu kommen, nämlich Gewalt, welche, mit jenen verbunden, diesen Prinzipien Erfolg verschafft. - Nun kann man sich aber viererlei Kombinationen der letzteren mit den beiden ersteren denken:
A. Gesetz und Freiheit ohne Gewalt (Anarchie).
B. Gesetz und Gewalt ohne Freiheit (Despotismus).
C. Gewalt ohne Freiheit und Gesetz (Barbarei).
D. Gewalt mit Freiheit und Gesetz (Republik).
Man sieht, daß nur die letztere eine wahre bürgerliche Verfassung genannt zu werden verdiene; wobei man aber nicht auf eine der drei Staatsformen (Demokratie) hinzielt, sondern unter Republik nur einen Staat überhaupt versteht und das alte Brocardicon: Salus civitatis (nicht civium) suprema lex esto nicht bedeutet: Das Sinnenwohl des gemeinen Wesens (die Glückseligkeit der Bürger) sollte zum obersten Prinzip der Staatsverfassung dienen; denn dieses Wohlergehen, was ein jeder nach seiner Privatneigung, so oder anders, sich vormalt, taugt gar nicht zu irgendeinem objektiven Prinzip, als welches Allgemeinheit fordert, sondern jene Sentenz sagt nichts weiter als: Das Verstandeswohl, ist das höchste Gesetz einer bürgerlichen Gesellschaft überhaupt; denn diese besteht nur durch jene.

Recht gleich Freiheit
Aus Karl Albrecht Schachtschneider (2012), "Die Souveränität Deutschland" (S. 18, 21 und 43f.)
Eine "Herrschaftsordnung" kann nicht "rechtsstaatlich" sein, weil Herrschaft dem Begriff nach Willkür ist. Recht kann, wie dazulegen sein wird, nur als Wirklichkeit von Freiheit gedacht werden. ...
Freiheit verwirklicht sich durch allgemeine Gesetzlichkeit, Rechtlichkeit (FridR, 49 ff., 281 ff., 420 ff., 49 ff). Nur wer unter dem eigenen Gesetz lebt, das logisch zugleich ein Gesetz all derer sein muss, die zusammenleben, ist frei, nämlich unabhängig von eines anderen nötigender Willkür (FridR, S. 67 ff, 274 ff.). ...
Das Recht ist eine Notwendigkeit der Freiheit, ja Freiheitlichkeit ist Rechtlichkeit, und der Staat ist eine Notwendigkeit des Rechts; denn das Recht bedarf der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung, wie Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zeigt. Diese Gewalten sind, wie man sagt, Einrichtungen, mittels derer das Volk seine Staatsgewalt ausübt. Die Staatsgewalt dient der Verwirklichung der allgemeinen Freiheit durch Rechtlichkeit. Die allgemeine Freiheit ist, wie noch näher dargelegt werden wird, die Souveränität des Volkes. Für eine Freiheitslehre gilt die Formel: ohne Staat kein Recht und ohne Recht keine Freiheit. Der Staat dient dem Recht, und die Rechtlichkeit ist die Wirklichkeit der Freiheit. Daraus folgt: Der Staat steht nicht über dem Recht, sondern ist eine Einrichtung der Menschen und Bürger, um mittels des Rechts in Freiheit miteinander zu leben. Nur das genügt der Würde des Menschen.


Bürger gleich Volk gleich Gesetzgeber
Aus Karl Albrecht Schachtschneider (2012), "Die Souveränität Deutschland" (S. 27, 30 und 35)
Allgemeine Gesetze sind der allgemeine Wille als der Wille aller Bürger, also des Volkes. ...
Sie können nur sittlich sein, wenn der Gesetzgeber (das ist das ganze Volk) sich bei der Gesetzgebung vom Sittengesetz leiten lässt. ...
Die Bürger sind die zentralen Figuren des Staates (Rprp, S. 211 ff.; FridR, S. 612 ff.). Die Gesetze sind der Wille der Bürger, und die Bürger verwirklichen funktional die Staatlichkeit und damit das Gemeinwohl durch die Legalität ihres Handelns.

Recht vor Gerechtigkeit
Aus Karl Albrecht Schachtschneider (2012), "Die Souveränität Deutschland" (S. 31)
Gustav Radbruch, der dem Rechtspositivismus verpflichtet war, hat das Verhältnis von Gesetz und Gerechtigkeit wie folgt definiert (vgl. PdR, S. 21 f): "Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht hat, dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat" (Radbruchsche Formel).
Zitat aus: Rechtsphilosophie (4. Auflage 1950, S. 347ff)

Ausspruch der Richterin Leonie Brinkema beim Urteil im ersten 9.11.2001-Prozess in den USA, zitiert in: FR 5.5.2006 (S. 3)
Die Regierung gewinnt immer, wenn der Gerechtigkeit Genüge getan ist.

Im Original: Rechtsfetischismus von links
Wer kriminalisiert wird, hat selbst schuld ... Recht muss beachtet werden ... Recht-Extremisten in politischer Bewegung
Aus einem "Handout" des Greenpeace-Anwaltes Michael Günther für Attac-Aktivisten (17.4.2004)
So hängt es beispielsweise von den Veranstaltern ab, ob eine Blockade rechtswidrig oder rechtmäßig ist. ...
Die Rechtsordnung ist aber auch eine Friedensordnung, die Respekt verdient, so dass sie nicht leichtfertig verletzt werden sollte. Denn gerade weil soziale Bewegungen häufig die Interessen von schwächeren vertreten, brauchen sie das Recht, um sich auch gegen stärkere durchzusetzen. So braucht man etwas zur Korruptionsbekämpfung entsprechenden Strafvorschriften. Die Rechtsordnung sollte daher ohne gute Gründe nicht geschwächt, sondern gestärkt werden.
Die überzeugendsten Aktionen sind die, die für das Recht kämpfen und sich nicht über das Recht hinwegsetzen.

Text des in linken Kreisen hochgejubelten SZ-Redakteurs Heribert Prantl, in: fluter Nr. 38 (S. 35)
Wenn die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu sehr eingeschränkt werden, dann ist das Grundgesetz ein Schild, um sich dagegen zu wehren. Das Bundesverfassungsgericht hilft jedem Einzelnen dabei, sich zu wehren. Das Grundgesetz ist also nicht nur Liebesbrief an ein Land, es ist nicht nur Tagebuch und Poesiealbum. Es ist auch ein Protestbrief, wenn Staat und Gesellschaft die Freiheit, die soziale Gerechtigkeit und den inneren und äußeren Frieden nicht mehr ganz hoch halten.

Auf einer Veranstaltung am 10.11.2011 in Frankfurt reagierte eine Zuschauerin auf die Rechtskritik eines Referenten, der öffentlich als Anarchist bezeichnet worden war: "Wir müssen das Recht verteidigen, sonst sind wir keine richtigen Anarchisten". Und der anwesende Landesvorsitzende der Linken, Ulrich Wilken, ergänzte: "Wir müssen das Recht bis aufs Letzte verteidigen". Ob er damit die Residenzpflicht, Haftstrafen für Schwarzfahrer oder Gesetze für Milliardenstützungen der Banken meinte, blieb unklar ...

Im Original: Utopien auf der Basis der Stärke des Rechts
Aus der Werbeseite für das Buch von Peter Winter, "Staat ohne Herrscher"
An die Stelle einer Gruppe von Herrschenden (in jeder Staatsform existieren immer drei Gruppen, die Herrschenden, die bestimmen, nach welchen Regeln gelebt wird, die Verwaltenden, die die Regeln der Herrschenden umsetzen und überwachen und die Beherrschten) soll im neuen Staat die Herrschaft des Gesetzes treten. Das ist heute noch schwer vorstellbar, funktioniert jedoch bereits seit Jahrhunderten beispielsweise im Kloster, wo nicht der Abt, sondern die Ordensregeln festsetzen, wie gelebt wird.

Protest nicht zulässig, wenn nicht legal
Die Süddeutsche Zeitung polemisiert - wie viele andere pro-rechtsstaatliche Medien auch - ständig gegen Formen des zivilen Ungehorsams. Selbst bieten sie aber keinerlei Ideen an, wie Menschen sich den wehren könnten. Ob das "Schottern" (Unterhöhlen von Schienen) oder Hackerangriffe gegen Internetzensur - die SZ hält dagegen. In ihren geschichtlichen Rückblicken preist sie dann Graf von Stauffenberg, Nelson Mandela, Mahatma Gandhi, Jesus oder Rosa Parks (ohne diese unterschiedlichen Menschen hier gleichsetzen zu wollen - schließlich dürfte eine BürgerrechlerInnen wie Rosa Parks mit einem deutschen Faschisten wie Stauffenberg wenig gemein haben). Aber alle sind Gesetzesbrecher. Denn gesellschaftlicher Fortschritt ist nur über möglich, wenn Recht gebrochen wird. Das dienst schließlich dazu, die Vergangenheit in die Zukunft zu retten - ein derber Klotz am Bein einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung.

Auszug aus dem Kommentar "Abrüstung im Cyber-Krieg", in: SZ
Hackerangriffe sind kein Zulässiges Instrument der Debatte. Firmen oder andere Organisationen dadurch zum Einlenken zu bewegen, ist Teil eines Muskelspiels, kein demokratisches Verhalten. ...
... peinliches wie durchsichtiges Verhalten, gegen das sich dieKunden der Firmen durchaus wehren dürften. Aber eben nicht in Hackermanier.


Verfassungspatriotismus
Immer wieder wird das Grundgesetz als Garant des Guten und großer Wurf abgefeiert. Ein Blick in die Regelungen entlarvt das bereits als stark verallgemeinerte Position. Noch mehr ist aber die verfassungsrechtliche Realität geprägt davon, immer wieder nationale oder Kapitalinteressen über die Menschen zu stellen. Wer das für verfassungswidrig hält, hat die Verfassung nicht richtig gelesen.
  • Arikel "Biegsame Verfassung" mit Kritik an der neoliberalen Ausrichtung von Grundgesetz und Verfassungsrechtsprechung, in: Junge Welt am 28.5.2024

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