Stiftung Freiräume

LIBERTÄR ODER LIBERAL? WENN DIE MARKTWIRTSCHAFT ZUM ANARCHISTISCHEN IDEAL WIRD ...

Einleitung


1. Einleitung
2. Markt oder Staat - die falsche Frage
3. Einzelfragen
4. Die Schnittstellen zu Marktwirtschaft und Bürgerlichkeit
5. Parecon - krude Wirtschaftstheorie aus anarchistischen Kreisen
6. Alternativökonomie
7. Kritik
8. Links und Materialien

Ein Text im Buch "Anarchie. Träume, Kampf und Krampf im deutschen Anarchismus" (Gliederung)

Zwar beteiligen sich viele AnarchistInnen an antikapitalistischen Kämpfen und lassen auch keine Zweifel an einer radikalen Gesinnung, das auf Profitmaximierung und ständige Warenbildung orientierte Wirtschaftssystem ganz abzuschaffen, aber in der - ohnehin eher dürftigen - Theoriearbeit im Anarchismus spielt die Ökonomie nur eine untergeordnete Rolle. Das ändert sich auch nicht in den Kreisen, die von ArbeiterInnenbewegung träumen und Agitation im betrieblichen Rahmen als Aktivitätsschwerpunkt benennen. Werden dort Texte entworfen oder verbreitet, so stellen die Kritiken eher Entnahmen aus anderen Strömungen dar. Das muss nichts Schlechtes bedeuten, schließlich sind viele marxistische Analysen des Wirtschaftsgeschehens brillant. Aber sie haben auch Grenzen z.B. was ihren Blick auf herrschaftsförmige Beziehungen betrifft, die außerhalb des rein ökomonischen Akquirierens von Wert und Mehrwert liegen.

Die Vorschläge und Konzepte aus mehreren Strömungen ragen in die anarchistische Debatte hinein:
  • Die bürgerliche Debatte um kontrolliertes Wirtschaften, insbesondere eine Stärkung staatlicher Eigentätigkeit und Aufsicht (benannt als Neo-Keynesianismus, Reregulierung oder Rückkehr zu verbindlichen Regelwerken, wie z.B. international in Bretton-Woods beschlossen) oder die demokratische Kontrolle von Wirtschaftstätigkeit. Während ersteres eine Stärkung des Staates und zwischenstaatlicher Institutionen nach sich ziehen würde und deshalb anarchistischen Ideen konträr gegenübersteht, könnte eine Demokratisierung von Betrieben dann wichtige Schritte zu einer - weiter nötigen - Aneignung der Wirtschaftstätigkeit durch Menschen selbst schaffen, wenn damit die Stärkung der Mitbestimmung gemeint ist.
  • Marxistische Diskussionen enden mitunter mit ähnlichen Ergebnissen wie neokeynesianische TheoretikerInnen. Auch personell gibt es eine hohe Überschneidung. Radikaler, aber sich auch auf Marxsche Analysen berufend bzw. diese weiterentwickelnd sind die sogenannten WertkritikerInnen, die den Gütern und Menschen ihre Warenform nehmen wollen und damit an ziemlich grundlegenden Mechanismen der kapitalistischen Wirtschaft rütteln. Gleiches gilt für konsequente GegnerInnen der Eigentumsform, bei denen maxistische Gedanken gut verbreitet sind. Schwammig bleibt die beliebte Floskel von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder Fabriken. Ist damit der Staat als Eigentümer gemeint (wie es bei dem oft synonym verwendeten Begriff der Verstaatlichungdeutlicher wird). Dann gäbe es keinen emanzipatorischen Gewinn, denn der Staat ist für die Menschen genauso unerreichbar wie Konzernleitungen. Ist aber damit gemeint, dass die wirtschaftliche Tätigkeit in die Hand der BürgerInnen und von ihr geschaffener Zusammenschlüsse gelegt wird, so wäre dies ein Schritt in Richtung der Entmachtung zentraler Strukturen, also des Herausziehens von Gestaltungskraft aus Staat und Markt zugungsten der Menschen und ihrer freien Kooperationen.
  • Zum Teil ebenfalls marxistischen Ursprungs, aber auch getragen von ideologisch nicht festgelegten Menschen z.B. aus dem Bereich freier Softwareentwicklung entstand die zunächst als "Oekonux" (Kunstwort aus den Bestandteilen Ökonomie & Linux) geführte Debatte um ein gleichzeitig freies (im Sinne von liberales), aber nicht mehr von Wert- und Profitdenken durchzogenes und in diesem Sinne zu klassisch-wirtschaftsliberalen Konzepten gegenläufiges Wirtschaften. Mit den Texten "Freie Menschen in freien Vereinbarungen" (aktuelles Buch aus 2012, 1. Auflage im Jahr 2000) schwappten solche Ideen auch in die deutschsprachige, anarchistische Debatte - beeinflusste die Debatten aber nur in kleinen Kreisen unabhängiger und gleichzeitig nicht theoriefeindlicher AktivistInnen.
  • Eher eine Randgruppe bilden die FreiwirtschaftlerInnen, die hier auch nur deshalb Erwähnung finden, weil sie selbst sich mitunter als AnarchistInnen bezeichnen und als Vordenker den Finanzchef der Münchener Räterepublik, Silvio Gesell, betrachten. Da die Räterepublik mit anarchistischen Ideen in Verbindung gebracht wird, halten viele auch Gesell für anarchistisch und betrachten deshalb die von ihm entworfene Theorie einer natürlichen Wirtschaftsordnung als anarchistiche Wirtschaftsform. Sie besteht aus zwei Teilen - einer Bodenreform und der Abschaffung des Zinses (bzw. weitergehender der Einführung neuer Währungen mit fallendem Wert). Erstere stellt immerhin die Eigentumsfrage und schlägt eine Verteilung vor, die Ansprüchen von gleichbereichtigem Zugang zu Ressourcen deutlich näherkommt als die heutige, durch Kauf und Verkauf vor allem zugunsten der Reicheren gesteuerte Lage. Der zweite Teil seiner Theorie, die Abschaffung des Zinses, hingegen lässt nicht erkennen, wie dadurch eine Befreiung und Stärkung der Menschen entstehen soll. Da heutige FreiwirtschaftlerInnen vor allem der Sache mit den Zins anhängen, stehen sie anarchistischen Ideen zumindest von dieser Warte aus nicht nahe.

Weit verbreitet sind in anarchistischen Texten Forderungen nach Dezentralisierung und Organisierung von "unten nach oben".

Im Original: Anarchistische Vorschläge
Kropotkin, Peter, zitiert in: Was ist eigentlich Anarchie?, Karin Kramer Verlag in Berlin (S. 96)
Bei einer Konzentration der Produktion auf Notwendiges und Sinnvolles, ist nicht nur eine enorme Mehrung des Wohlstandes aller, sondern auch eine erhebliche Reduzierung der allgemeinen Arbeitszeit möglich. Anstelle der kapitalistischen Ausbeutung und des staatlichen Autoritarismus soll ein System sich selbst organisierender, die Trennung von Stadt und Land aufhebender, durch freie Kooperation miteinander verbundener Kommunen treten. So erst erhält der 'schöpferische Genius' der Massen die notwendige Freiheit für seine volle Entfaltung.

Vorschläge für eine anarchistische Ökonomie (Quelle)
Genau wie alle anderen Gesellschaftsbereiche, so sollte auch die Wirtschaft und die Industrie von „unten nach oben" organisiert werden, d. h. auf der Grundlage von freien und gleichberechtigten Produktionsgemeinschaften, die sich nach den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der ArbeiterInnen und VerbraucherInnen zu wirtschaftlichen Föderationen (Bünden) zusammenschließen sollten. Dasselbe sollte für die landwirtschaftlichen Genossenschaften gelten.
Die Wirtschaft sollte also nicht durch Grenzen und zentrale Planung gehemmt, sondern sich von der Basis her, d. h. an den tatsächlichen Bedürfnissen der ProduzentInnen (ArbeiterInnen) und KonsumentInnen (VerbraucherInnen) orientieren. Nun wird es jedem/jeder einleuchten, dass mensch die wirtschaftliche Ordnung nicht dem Zufall überlassen kann. Das ist mit diesem Konzept auch keineswegs gemeint. Vielmehr sollten sich Industrie und Produktionszweige zu Räten zusammenschließen, die aus ihrer praktischen Erfahrung Probleme, wie z.B. Transport, Rohstoffgewinnung, Lagerung und Verteilung der Güter, beraten, beschließen und durchführen. Es leuchtet ebenfalls ein, dass bei einer solchen Organisation, in der HandarbeiterInnen und KopfarbeiterInnen aus ihrer täglichen und fachlichen Erfahrung heraus viel reibungslosere und richtigere Entscheidungen treffen, als irgendwelche studierten TheoretikerInnen an irgendwelchen grünen Tischen, in irgendwelchen staatlichen Zentralen.


Im Folgenden sollen Bruchstück und Teilforderungen aus anarchistischen Kreisen zur zukünftigen Ökonomie benannt werden. Ein umfassender Entwurf ist nicht vorhanden. Das einzige, in den letzten Jahren öfter benannte oder diskutierte Werk war das Buch "Parecon", dem deshalb ein eigener Abschnitt gewidmet werden soll. Es ist schon bezeichnend, dass auch dieses fade Konzept nur eine Übersetzung war. Die deutschsprachige Anarchie bringt noch weniger Theorie hervor. Parecon belegte, wie bürgerlich große Teile der AnarchistInnen sind. Ihre Konzepte appellieren an die Gutmenschen und phantasieren die bessere Welt herbei, wenn alle ein bisschen mehr aufpassen und die Guten regieren.

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