Stiftung Freiräume

11. SEPTEMBER 28 JAHRE VORHER ...

1973, Santiago de Chile

Eine grosse schwarze Wolke steigt über dem brennenden Palast auf. Präsident Allende stirbt an seinem Platz. Zu Tausenden morden die Militärs in ganz Chile. Die Toten werden nicht mehr im Sterberegister aufgenommen, weil die Bücher nicht dazu ausreichen, doch der General Tomßs Opazo Santander bekräftigt, dass die Toten 0,01% der Bevölkerung nicht übersteigen, was nun wirklich kein zu hoher sozialer Preis sei, und der Direktor der CIA, William Colby, erklärt Washington, dass in Chile dank der Erschiessungen ein Bürgerkrieg vermieden werde. Señora Pinochet verkündet, die Tränen der Mütter würden das Land erlösen.
Die Macht, die ganze Macht, wird von einer vierköpfigen Militärjunta in Besitz genommen, die in der „School of the Americas“ in der Panamakanalzone ausgebildet worden sind. An der Spitze steht General Augusto Pinochet, Professor für Geopolitik. Vor einem Hintergrund von Detonationen und Maschinengewehrfeuer tönt Marschmusik: Die Radiosender strahlen Erlasse und Bekanntmachungen aus, die noch mehr Blut versprechen, während auf dem Weltmarkt der Kupferpreis urplötzlich auf das Dreifache steigt.
Der sterbende Dichter Pablo Neruda bittet um Nachrichten über den Terror. Von Zeit zu Zeit gelingt es ihm zu schlafen, und im Schlaf phantasiert er. Wachen und Träumen sind ein einziger Alptraum.
Seit er im Radio die Worte Salvador Allendes, diesen würdigen
Abschied gehört hat, ist er in den Todeskampf eingetreten "
(Eduardo Galeano, Erinnerungen an das Feuer 3)

* * *

Der 11 September wird der Welt auf ewig in Erinnerung bleiben, als der Tag des verheerenden Terroranschlages auf das Pentagon und das World Trade Center den Vereinigten Staaten. Während die Welt mit Amerika um die Tausenden unschuldige Opfern diese Tragödie trauert, und die Rachepläne der US-Regierung, die tausende weitere Opfern fordern werden, immer düsterere Formen annehmen, fällt es leicht einen andereren 11. September zu vergessen, und die Zehntausende unschuldige Opfer, deren Schicksal an diesem Tag vor 28 Jahre besiegelt wurde.
Am 11. September 1973, während US-Kriegschiffe in Alarmzustand vor der Küste kreuzten, 32 amerikanische Beobachtungs- und Kampfflugzeuge in Argentinien nahe der chilenischen Grenze gelandet waren, und unter Benutzung eines US-gesteuerten Kommunikationssystems, stürzten US-ausgebildete Extremisten des chilenischen Militärs in einem blutigen Putsch die demokratisch gewählte Regierung Chiles und ermordeten Präsident Salvador Allende und mehrere Kabinetsmitglieder - und das Terrorregim von General Augusto Pinochet in Chile nimmt seinen Anfang.
Nachdem sie 1970 trotz jahrelangen Anstrengungen die Wahl Allendes zu sabotieren dabei versagten, liessen die CIA und der Rest des amerikanischen Politiksapparat in den nächsten drei Jahren nichts unversucht, um Allendes Regierung zu destabilisieren, und militärische Aggressionen anzustacheln. In dem blutigen Coup am 11. September 1973, halfen Henry Kissinger und die CIA, General Augusto Pinochet mit allen Mitteln, die demokratisch gewählte Regierung Allendes zu stürzen. Salvador Allende der sich bis zum letzten Augenblick zu Wehr setzte, fand seinen Tod durch 17 Maschinengewehrkugeln - Selbstmord, so erzählt es die offizielle Version. Als alles vorbei war, waren mehr als 3000 Menschen hingerichtet, tausende mehr gefoltert und verschwunden worden.
Die faschistische Marionettenregierung von Augusto Pinochet entfesselte eine 17-Jahre lange Terrorkampagne gegen das chilenische Volk, in der Massenverhaftungen und Hinrichtungen, Todesschwadronen, Folter und Verschwinden zur Routine wurden. Die Universitäten kamen unter Militärkontrolle, Oppositionsparteien wurden verboten, und tausende chilenische Männer und Frauen werden verfolgt, gefoltert und getötet. Viele der Opfer verloren ihr Leben aufgrund von Namenslisten der CIA an die Militärjunta. Viele der professionellen Folterer und Mörder des chilenischen Militärs (wie in allen anderen faschistischen Regierungen Mittel- und Südamerikas) waren in der „School of the Americas“ in Fort Benning, Georgia, USA, ausgebildet worden.
(Quellen: William Blum, „Killing Hope“, Miami Herald Artikel 9.Aug.1993).
Aus aktuellem Anlass und in Erinnerung an diese Opfern, die heute von der Medienwelt aus dem Gedächtnis dieses Tages gestrichen worden sind, möchte ich hier ein Artikel von Rüdiger Löster aus dem Jahr 1998 mit euch teilen.

Chile: 25 Jahre danach
Von Rüdiger Löster
In den frühen Morgenstunden des 11. September 1973 besetzen Marineeinheiten die Hafenstadt Valparaiso und machen sich auf den Weg nach Santiago. Starke Panzerverbände besetzen innerhalb weniger Stunden alle strategisch wichtigen Punkte der Hauptstadt - der Putsch des General Pinochet in Chile gegen die demokratisch gewählte Regierung des Präsidenten Salvador Allende hat begonnen.
Präsident Allende gibt nicht auf: mit einer Maschinenpistole bewaffnet verteidigt er sich, als alle Waffengattungen beginnen, den Regierungspalast zu beschießen. Er stirbt zwischen 13.30 Uhr und 14.15 Uhr.

Unterstützt und vorbereitet wurde der Putsch mit Hilfe der USA:
Weißes Haus, ITT und CIA arbeiteten gemeinsam den „Plan Centaur“ aus. Mehrere Anschläge auf Präsident Allende fanden im Vorfeld bereits statt, ca. 1.500 bis 2.000 CIA-Agenten hielten sich in Chile auf, die Putsch- Offiziere wurden von den USA in Panama ausgebildet.
Die Putschisten setzten gegen den Widerstand der Arbeiter, Bauern und Studenten ihre Schreckensherrschaft durch. Tausende von Menschen wurden bei Razzien ohne Begründung festgenommen, in Fußballstadien, auf Inseln und auf Schiffen eingesperrt, verhört und brutal gefoltert. Tausende wurden umgebracht oder „verschwanden“. Bis heute haben viele Menschen keine Spur von ihren Angehörigen, immer wieder werden Massengräber aus der Zeit der faschistischen Diktatur gefunden (zuletzt wieder im Oktober 98). Ein Augenzeugenbericht vom Vorgehen der Putschisten in der Universität von Santiago:
„In einer halben Stunde war das gesamte Gelände der Universität unter völliger Kontrolle der Polizei. Sie begannen die ca. 6000 Studenten auf den Hof zu bringen. Ihnen wurde befohlen, sich auf den Boden zu legen, mit den Händen im Nacken und dem Gesicht zur Erde. Bei der geringsten Bewegung wurde geschossen. Der Tod vieler Studenten ist auf Verbluten zurückzuführen. Niemand konnte dem anderen, der verwundet war und an seiner Seite lag, Hilfe zukommen lassen. Das hätte den eigenen Tod bedeutet....“
Unter den Gefangenen im Fußballstadion von Santiago war auch der bekannte chilenische Sänger Victor Jara, der dort gefoltert und schließlich durch Maschinengewehrschüsse umgebracht wurde: „Später wurde Victor in das Kellergeschoß des Stadions gebracht, wo er so oft auf seinen Auftritt gewartet hatte; jetzt lag er jedoch auf dem Fußboden, blutüberströmt und in einer Lache von Urin und Exkrementen, die aus der Toilette kamen. Am Abend wurde er in das Stadion zu den anderen Gefangenen zurückgebracht. Er konnte kaum gehen, sein Kopf und sein Gesicht waren blutig und voller Prellungen, eine seiner Rippen schien gebrochen, und er hatte große Schmerzen von einem Tritt in den Unterleib....Am anderen Tag, Freitag, den 14. September, wurden die Gefangenen in Gruppen von etwa 200 Personen aufgeteilt, die ins Nationalstadion transportiert werden sollten. Victor, der sich wieder ein wenig erholt hatte, fragte seine Freunde nach einem Bleistift und Papier und begann sein letztes Gedicht aufzuschreiben.“ (aus: Victor Jara - Chile, mein Land, offen und wild, rororo aktuell 5523)

Tausende Menschen verlieren allein in Santiago in den ersten Tagen des Putsches ihr Leben, das Parlament wird aufgelöst, die Reformgesetze mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Der Lebensstandard der unteren Schichten sinkt blitzartig, etwa 800.000 „unliebsame“ Arbeiter werden entlassen, Brot- und Milchpreise steigen um das Fünffache. Alle Parteien und Gewerkschaften werden verboten, Grund-und Menschenrechte außer Kraft gesetzt. Anfang 1976 lebten ca. 800.000 Chilenen im Exil.

Außer von den amerikanischen Konzernen wie ITT wurden die Putschisten auch von deutschen Firmen unterstützt. Der Leiter der chilenischen Niederlassung der deutschen Farbwerke Hoechst erklärte zum Putsch: „Wir sind der Ansicht, daß das Vorgehen der Polizei und des Militärs nicht intelligenter geplant und koordiniert werden konnte und daß es sich um eine Aktion handelte, die bis ins letzte Detail vorbereitet war und glänzend ausgeführt wurde ... Die Regierung Allende hat das Ende gefunden, das sie verdiente ... Chile wird in Zukunft ein für Hoechster Produkte zunehmend interessanter Markt sein.“ (Vorwärts, 06.12.73) Und der Chile-Repräsentant der Dresdner Bank erklärt: „Die Machtübernahme durch das Militär ist bereits seit langer Zeit erhofft worden“ (Nachrichten für den Außenhandel, 01.10.73).

Nach Jahren der Militärherrschaft war das Land heruntergewirtschaftet. Hunderte Betriebe gingen Konkurs, die pro-Kopf-Auslandsverschuldung zählt zu den höchsten der Welt, die Arbeitslosigkeit bewegt sich in schwindelerregenden Höhen, die Inflationsrate betrug zeitenweise 700 %!. 1982 sinkt das Wirtschaftswachstum um 15 %. Pinochets Todesschwadrone ersticken jeden Widerstand durch Entführungen, Folter und Mord. Als schließlich die Militärjunta schrittweise abtrat, als wieder Parteien in Chile zugelassen wurden, hatten die Mörder, allen voran Pinochet, alles unternommen, um straffrei zu bleiben. Es wurden Amnestien erlassen für Verbrechen, die Polizei und Militär begangen hatten und Pinochet versuchte sich mit einem Senatorenposten auf Lebenszeit Immunität und Straffreiheit zu verschaffen.
25. November 1998

In einigen Ländern, darunter auch Spanien, waren inzwischen Ermittlungsverfahren gegen Pinochet unter anderem wegen Mord eingeleitet worden - auch Staatsbürger dieser Länder waren unter den Toten, Verschwundenen und Gefolterten. Großbritannien (dort hält sich Pinochet in einem Krankenhaus auf und wurde im Oktober festgenommen) hatte nun zu entscheiden, ob Pinochet als ehemaliger Staatschef Immunität genießt. Diese Entscheidung ist nun gefallen:
Pinochet genießt keine Immunität? Damit können sich Diktatoren endlich nirgends auf der Welt mehr sicher sein, juristisch belangt zu werden? Ihre selbstgeschaffenen Amnestiegesetze sind nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie gedruckt wurden, diese Herrschaften werden hoffentlich in Zukunft nirgends mehr davor sicher sein, wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen vor Gericht zu kommen.
Rüdiger Löster

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