Seitenhieb-Verlag

STRAFE

Doch trotzdem heißt es überall: Mehr Strafe!


1. Einleitung
2. Welchen Sinn macht Strafe?
3. Wem dienen die Strafgesetze?
4. Strafe und Soziales
5. Schöner Schein: Behaupteten und verborgene Motive des Strafens
6. Satire: Vorschlag für ein ehrliches Strafgesetzbuch ...
7. Strafe überwinden!
8. Doch trotzdem heißt es überall: Mehr Strafe!
9. Kritisches zu Strafe
10. Verlautbarungen gegen Strafe und Knast
11. Religiöser Fundamentalismus und Strafe
12. Links und Materialien

Trotz der offensichtlichen Zusammenhänge, dass Strafe Gewaltneigung und soziale Isolation erst fördert, fordern Politiker immer häufiger härtere Strafen und behaupten, damit etwas gegen Kriminalität tun zu wollen - sie lügen, um andere Interesse durchzusetzen: Nämlich den Ausbau ihrer eigenen Macht!
Beispiel: Hessens Justizminister Christean Wagner (FR, 30.9.2005, S. 30)



Und sein Ministerkollege, Innenminister Volker Bouffier, steht dem in Nichts nach - auch er behauptet einfach weiter, dass Haftstrafen Kriminalität verhindern: „Jeder dingfest gemachte Intensivtäter bedeutet die Aufklärung zahlreicher Straftaten und vor allem die Verhinderung weiterer Kriminalität“ (Aussage, zitiert in der Presseinfo des Ministeriums zur Kriminalitätsstatistik 2005.

Hamburgs Justizsenator Kusch will vor allem die Strafen für Jugendliche verschärfen (siehe Kusch, Roger, "Die Strafe soll spürbar werden" in: FR, 1.3.2006, S. 7), Auszüge:
Allerdings sollte bei jugendlichen Straftätern für eine noch früher ansetzende, möglichst eindrucksvolle erste Sanktionsstufe in eindeutigen und leicht zu überschauenden Bagatellfällen gesorgt werden. ...
Das hier skizzierte einheitliche Gerichts- und Sanktionensystem bietet gegenüber der heutigen komplizierten Rechtslage nicht nur mehr Transparenz, sondern auch eine viel bessere Chance, dass die interessierte Öffentlichkeit und der Täter die staatliche Reaktion auf eine begangene Straftat als "Strafe" wahrnehmen.


Haft ist Haft. Es darf keine Haft light geben
Interview mit dem Hessischern Justizminister Jürgen Banzer, in: FR, 18.3.2006 (S. 6)
Im Strafvollzugsgesetz steht das Thema Sicherheit der Bevölkerung derzeit nur an zweiter Stelle. Als Zweck des Gesetzes wird Resozialisierung definiert. Strafe hat aber noch eine andere Aufgabe als Resozialisierung. Strafe ist auch Ausdruck des Unwert-Urteils einer Gesellschaft. Sicherheit und Resozialisierung sind zwei Seiten einer Medaille. Derzeit wird im Gesetz - zum Glück nicht in der Praxis des Strafvollzugs - die eine Seite überbetont. ... Wir brauchen eine sinnvolle Klarstellung zum Thema DVD-Player, die mehr Sicherheit gewährleistet. Wenn man sieht, was mit dieser Technik an Speicherkapazitäten geschaffen wird und in Zukunft geschaffen werden kann, muss man sehr genau hinschauen, ob der Besitz solcher Geräte für Häftlinge richtig ist. Änderungen brauchen wir auch bei der letzten Phase der Haft und der ersten Phase nach der Haft. Hier müssen wir die Chance verbessern, dass die Menschen nicht rückfällig werden. In der Haftanstalt haben sie ein völlig durchstrukturiertes Leben, danach eine Phase des überwiegenden Sich-selbst-überlassen-Seins. Ich möchte zum Beispiel die elektronische Fußfessel einsetzen, damit diese Menschen lernen, ihr Leben mit einer solchen Vereinbarungen besser zu strukturieren. ... Lockerung darf kein Selbstzweck sein. Haft ist Haft. Es darf keine Haft light geben. ...
Zu Rechten von Gefangenen - die sollen nun weiter weggestrichen werden:
Gegenwärtig ist die Rechtslage nun einmal so. Wenn wir Gelegenheit haben, das zu verändern, dann werden wir das tun.
Aus einer Frage der FR: Ministerpräsident Roland Koch hat einmal gesagt, Hessen solle für den "härtesten Strafvollzug Deutschlands" stehen.

Wettbewerb um billigsten Knast
Interview mit dem Ex-Justizminister von Niedersachsen, Christian Pfeiffer, in: FR 11.3.2006 (S. 4)
Ich habe die große Sorge, dass wir beim Strafvollzug einen Wettbewerb bekommen: Wer organisiert den billigsten Knast? Die Gefängnisse sind überfüllt. Der Kostendruck ist enorm. Daher rührt das Interesse der Länder, im Zuge der Reform über den Strafvollzug selbst zu bestimmen.


Härtere Jugendstrafen ... und zwar ab 12 Jahren!
Aus der FR, 29.5.2006
"Die Strafmündigkeitsgrenze auf zwölf Jahre abzusenken, darf kein Tabu mehr sein", erklärte Lindner. Bundesweit seien 71 000 Kinder zwischen zwölf und 14 Jahren polizeilich registriert. "Sanktionen des Jugendstrafrechts - Weisungen, Verwarnungen, Auflagen und Jugendarrest - können sie vor dem Abgleiten in eine Täterkarriere bewahren." Der Erfolg könnte ihm zufolge noch größer sein, "wenn der so genannte Warnschussarrest, eine Kurz-Haft zur Abschreckung, in das Jugendstrafrecht aufgenommen wird".


Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S. 142)
Eines ist allerdings merkwürdig. Die Kunde vom weitgehenden Scheitern des Resozialisierungsgedankens, der es unter den meist konservativen Juristen immer schwer hatte, verbreitete sich in Deutschlands Gerichtssälen binnen weniger Jahre. Doch der Einsicht, dass es um die präventive Wirkung saftiger Strafen faktisch eher noch schlechter steht, widersetzen sich nicht wenige Richter mit geradezu zärtlicher Hartnäckigkeit bis heute.


Super: Der brutale Strafstaat
Aus "Ein falsches Bild", Kommentar in: FR, 10.11.2008 (S. 11)
Nach den Hinrichtungen in Indonesien wäre es angemessen gewesen, im Fernsehen die leeren Straßen und Plätze des Landes zu zeigen. Die Aufnahmen der Terrorsympathisanten, die bei den Bestattungen der Massenmörder grölten, geben ein falsches Bild. Indonesien hat 230 Millionen Einwohner. Natürlich sind ein paar Hundert Fanatiker ein paar Hundert zu viel. Doch sie überschatten, dass fast alle Bürger Terror ablehnen. Sie finden - die Todesstrafe ist unumstritten - dass die Bali-Bomber ihre gerechte Strafe erhielten.
Wer die Todesstrafe ablehnt, kann Indonesien nicht gratulieren. Aber abgesehen von der Wahl der Höchststrafe ist Lob angemessen. ...
Damals war der Staat schwach. Man kümmerte sich nicht genug um innere Sicherheit. Vier große Anschläge folgten. Heute ist der Staat viel stärker: eine bestens ausgestattete Polizeitruppe fasst Terroristen, es gelten harte Gesetze, die Justiz greift durch.


Weltweit strafen!
Aus "Wir brauchen ein Weltstrafrecht", Interview mit Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer, in: FR, 28.7.2008 (S. 4)
Die Festnahme von Karadzic ist ein ganz großer Schritt nach vorn, ein Schritt zur Lösung eines Jahrhundertproblems, das uns noch lange beschäftigen wird. Denn einerseits geht es um die Souveränität der Nationalstaaten, die diese nicht gerne aufgeben. Auf der anderen Seite geht es um die Entwicklung von Mindeststandards für ein Weltstrafrecht. ...
Für die Opfer ist es eine Genugtuung, dass die Weltgemeinschaft sich in Gestalt dieser Gerichtshöfe klar dazu äußert, dass hier etwas Rechtswidriges passiert ist, dass gegen Völkerrecht verstoßen wurde. Es gibt aber auch das noch weiträumigere Ziel: Dass alle diese Schritte, wie jetzt auch das Verfahren gegen Karadzic, hinführen zu einem funktionierenden Völkerstrafrecht. Auch wenn es jetzt Demonstrationen gibt in Serbien, darf man langfristig doch eine Befriedung erwarten, wenn man erkennt: Es gibt ein Völkerstrafrecht, das nicht nur in den Köpfen einiger Gutmenschen existiert, sondern das auch wirkt. ...
Wir brauchen internationale Gerichte.


Die nächste Generation von Jurist_innen ...
Aus "Jeder dritte Jurastudent will die Todesstrafe zurück" auf: Legal Tribune, 14.10.2014
Jurastudenten fordern heute deutlich längere und härtere Strafen als noch vor 25 Jahren – obwohl sie sich subjektiv sicherer fühlen. Rund ein Drittel sieht die lebenslange Freiheitsstrafe nicht als ausreichend an, über die Hälfte würde unter bestimmten Bedingung auch Folter befürworten. Das geht aus einer Studie des Erlanger Strafrechtsprofessors Franz Streng hervor. ...
Erfasst wurden darin unter anderem die subjektive Einschätzung zur Kriminalitätslage, die Haltung zu den unterschiedlichen Strafzwecken und die Vorstellung zum angemessenen Strafmaß von insgesamt 3.133 Studenten. Vor allem letztere hat sich über die Jahre drastisch verändert. Für den hypothetischen Fall eines Totschlags im Affekt im Rahmen einer Trennung wollten die Studenten 1989 durchschnittlich rund sechs Jahre Haft verhängen; 2012 war die Zahl auf 9,5 Jahre angestiegen, wobei mit den Jahren auch immer häufiger starke Ausschläge nach weit oben hinzukamen, bis hin zur Forderung einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Überhaupt hat sich die Haltung der Studenten zu dieser Strafform stark gewandelt. In einer vorgelagerten Untersuchung aus 1977 – dem Jahr, in dem das Bundesverfassungsgericht die lebenslängliche Haftstrafe für unter Einschränkungen verfassungsgemäß erklärte – forderte noch jeder Dritte, dass sie vollends abgeschafft werden sollte, nur 6,7 Prozent hielten sie für eine im Einzelfall zu milde Strafe. 2012 hingegen sprach sich nur noch jeder fünfzigste Student für eine Abschaffung aus, demgegenüber sah fast jeder Dritte die lebenslange Freiheitsstrafe als zu milde an. ...
Zur Rettung eines Menschenlebens sahen in einer zwischen 2003 und 2010 durchgeführten Zusatzuntersuchung 22,1 Prozent der Befragten die Folter als zulässiges Mittel an; weitere 29,2 Prozent bejahten dies nur für die Abwehr schwerster Gefahren für die Allgemeinheit wie etwa dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen, 42 Prozent lehnten die Folter auch dann – und insoweit in Übereinstimmung mit Art. 104 Abs. I S. 2 Grundgesetz, Art 3 Europäische Menschenrechtskonvention – ab. ...
Auch losgelöst von der Frage der Korrelation haben sich die Strafzweckpräferenzen merklich verschoben. Während der Resozialisierungsgedanke auf einer Skala von 0 (unwichtig) bis 3 (sehr wichtig) 1989 noch auf eine 2,63 kam, landete er 2012 bei etwa 2,2 Punkten; die Sicherung der Allgemeinheit kämpfte sich im gleichen Zeitraum von 2,16 auf 2,57 empor, und die Vergeltung / Sühne stieg von 1,03 auf 1,58 – womit sie allerdings immer noch mit großem Abstand den letzten Platz belegt. ...
Als Begründung für dieses gewissermaßen frei schwebende, von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht entkoppelte Strafbedürfnis macht die Studie eine Reihe von möglichen Ursachen aus: So sei es etwa denkbar, dass in Folge des seit 1945 währenden Friedens und hohen Entwicklungsstandes die Bereitschaft, sich mit Schicksalsschlägen (in Form von Verbrechen) abzufinden, gesunken sei. Auch an eine Verunsicherung in Folge der insgesamt rasanten gesellschaftlichen Entwicklung und an die inzwischen zunehmend stärkere Betonung der Opferperspektive sei zu denken. Zentral dürfte aber vor allem die politisch-publizistische Instrumentalisierung von Verbrechen sein, die sich in einem Satz aus den Schlussbetrachtungen zusammenfassen lässt: "Kriminalität verkauft sich gut – für quotengesteuerte Medien und für durch Wählerstimmen motivierte Politiker."



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