Stiftung Freiräume

LAIENVERTEIDIGUNG: VON DEN ANFÄNGEN BIS HEUTE

Berichte von Prozessen und vom Streit um den § 138, 2 StPO


1. Die Idee, die Anfänge und die Mühen der Ebenen
2. Berichte von Prozessen und vom Streit um den § 138, 2 StPO
3. Beispiel Dannenberg: Laienverteidigung rausgeworfen!

Es gibt inzwischen viele Erfahrungen - sich selbst verteidigen und gegenseitig helfen, ist zum Alltag vor allem vieler unabhängiger AktivistInnen geworden. Diese Art der Selbstermächtigung fällt bei den institutionellen RechtshelferInnen auf Skepsis, Ablehnung oder gar Feindschaft. Unselbständige Menschen werden hier offenbar als willige Gefolgsleute und Geldquellen betrachtet. Um diese nicht zu verwirren, wir gegen die Idee der Selbstermächtigung geschossen - von Seiten des Staates, der sein Aburteilen am Fließband ebenso in Gefahr sieht, wie von Seiten politischer Rechtshilfegruppen, die irgendwann vielleicht nicht mehr gebraucht würden, wenn sie so weitermachen und nicht Hilfe zur Selbsthilfe in den Vordergrund stellen.

Fulda: Erst zugelassen, dann rausgeflogen, wieder reingeklagt
Eine Aktivistin wird direkt bei der Aktion verhaftet. Ein Laienverteidiger ist schon bei der Anhörung dabei. Der Prozess findet erst Jahre später statt - und nun fällt der Staatsanwaltschaft plötzlich ein, den loswerden zu wollen. Es entsteht ein erbitterter Schlagabtausch, an dessen Ende das Landgericht als Beschwerdeinstanz die Laienverteidigung nicht nur wieder zulässt, sondern auch die Möglichkeiten beschränkt, Laienverteidiger_innen willkürlich auszuschließen.


Antrag der Staatsanwaltschaft, den Laienverteidiger rauszuwerfen


Mönchengladbach: Alle (3) Verteidiger*innen fliegen raus!
Es war ein Strafprozess in Sachen "Ende Gelände 2015" mit drei Angeklagten und drei Laienverteidiger_innen. Anlass war die Sperrung der Autobahn, die einem großen Teil der Aktivist*innen ermöglichte, zu der geplanten Besetzung des Tagebaus Garzweiler vorzudringen. Klar, dass sich Polizei und Strafverfolgungsbehörden über diesen Coup ärgerten. Doch zu ihrer Überraschung kamen sie mit ihrer Anklage wegen Eingriffs in den Straßenverkehr nicht durch. Eine starke Verteidigung durch alle sechs Anwesenden zerlegte Stück für Stück die Anklage. Statt nun freizusprechen oder zumindest das gescheiterte Verfahren einzustellen, schickte die Staatsanwaltschaft eine bissige andere Vertreterin zum zweiten Prozesstag, die nichts anderes machte als den Rauswurf der Verteidiger*innen zu beantragen. Der zuständige Amtsrichter sah dafür keinen Grund - aber die völlig unbeteiligten Landgerichts-Robenträgis aus Mönchengladbach (wo auch die Staatsanwaltschaft sitzt), senkten den Daumen: Raus mit solchen Leuten - wie soll mensch sonst noch die wackeligen Anklagen gegen politisch Aktive durchbringen?

Berichte

Dokumente des Schlagabtauschs

Gleiches Amtsgericht, anderer Richter: Gleich abgelehnt

Schwarzfahrverfahren in Mainz - erneut Rauswurf wegen justizkritischer Haltung
Vor dem Amtsgericht war ein Laienverteidiger zugelassen. Es folgte ein hart umkämpfter Prozess, in dem der Amtsrichter (wie auf dieser Instanz ziemlich häufig) viele Verfahrensfehler machte, das Publikum mehrfach erniedrigte und den Angeklagten wenig beachtete. Er unterstelle alle (!) Beweisanträge als wahr, aber behauptete im Urteil einfach das Gegenteil. Das geht, den die Staatsanwaltschaft legte selbst Berufung ein - eine sogenannte Sperrberufung, was nichts anderes ist als ein fieser Trick, eine Rechtsfehlerüberprüfung zu verhindern. Doch fiese Tricks dürfen nicht als fiese Tricks bezeichnet werden, wenn sie in Robe geschehen. Das Landgericht fackelte daher nicht lange und leitete den Rauswurf des unbequemen Verteidigers ein. Schließlich verurteilt es sich dann leichter. Als Begründung wurde vor allem seine justizkritische Haltung angeprangert. Außerdem hätte er der Justiz "fiese Tricks" vorgeworfen. Also sowas ... da muss natürlich gleich mal ein fieser Trick (Rauswurf) kommen, damit sowas nicht mehr gesagt werden kann!

Was das Oberlandesgericht schrieb - und was davon zu halten ist
Das Gericht, das über die Rücknahme befindet, muss prüfen, ob einerseits das Verteidigungsinteresse des Angeklagten die Zulassung des von ihm Bevollmächtigten als Wahlverteidiger rechtfertigt und ob andererseits die Belange der Rechtspege die Rücknahme der Zulassung erfordern.
Das stimmt, nur: Die Belange des Angeklagten kommen in allen Beschlüssen überhaupt nicht vor. Der war schlicht egal.

Nach dieser Maßgabe ist die Entscheidung der Kammer, die durch das Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler überprüft wird (...), nicht zu beanstanden.
Der nächste fiese Trick des Gerichts: Es tut so, als dürfe es gar nicht überprüfen, was das Landgericht gemacht hat. Es dürfe nur prüfen, ob das auch genug nachgedacht hat. Seltsam: Wenn es andersrum läuft, machen die Beschwerdegerichte das anders. In Erkelenz, wo gleich drei Laienverteidiger*innen sehr erfolgreich und, wie immer, sachlich agierten, wollte die Staatsanwaltschaft die auch aus dem Weg räumen und beantrage den Rauswurf. Das Gericht lehnte ab. Da durfte das Beschwerdegericht plötzlich alles umwerfen - und tat das auch. Es dachte sich völlig eigene Gründe aus (obwohl niemensch von denen dabei war) und schmiss alle (!) Verteidiger*innen raus - einen sogar nur, weil er die falschen Leute (nämlich die anderen beiden Verteidiger*innen) kannte. So geht Justiz: Sie gewinnt immer, sie muss nur noch den Grund überlegen ...

Auch von demjenigen, der, ohne Rechtsanwalt zu sein, als Verteidiger an einem Prozess teilnimmt, ist die Einhaltung der für Rechtsanwälte geltenden Verhaltensvorschriften zu verlangen. Wie der Rechtsanwalt unterliegt auch er dem speziellen Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 BRAO (Senat a.a.O.).
Das stimmt, aber in dem Satz steckt kein einziges Argument. Der Paragraph sagt, dass Anwält*innen sich in ihrem Beruf sachlich verhalten müssen. Der Rauswurf wurde aber vor allem mit der Justizkritik außerhalb von Verhandlungen begründet.

Die Kammer hat bei Rücknahme der Genehmigung auf den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls und die Stellungnahme des Beteiligten vom 9. Januar 2018 (Bl. 150 d.A.) abgestellt, mit der dieser Verschwörungsszenarien zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft entwirft und dem Gericht nachträgliche Manipulation vorwirft. Dass das Landgericht hierin Indizien für mangelnde Sachlichkeit des Beteiligten sieht, bleibt rechtsfehlerfrei. Willkür oder ein sonstiger Ermessensfehlgebrauch sind darin nicht zu erkennen.
Logik: Wer Gerichten Fehlverhalten vorwirft, ist bereits unsachlich. Da nicht sein kann, was nicht sein darf ... Gerichte definieren die Wahrheit - und damit auch, dass jede Kritik an ihnen falsch ist. An keiner Stelle hat das Gericht irgendeine Art von Aufklärung betrieben. Als Argument, dass der Vorwurf der Manipulation nicht zutrifft, ist die Aussage dessen, dem der Vorwurf der Manipulation gemacht wurde, dass er das nicht gemacht hat. Nach dieser Logik müsste ein Bankräuber, der seine Handlung bestreitet, nicht nur nicht angeklagt werden, sondern die Personen, die ihn verdächtigen, müssten überall rausfliegen. Wie der Verteidiger in dem hier beschriebenen Fall. Leider gilt die Logik, dass die Justiz immer Recht hat, nur für die Justiz selbst.

Die Auffassung des Beteiligten, dass „[e]inem Anklagevertreter Tricks vorzuwerfen, um eine Verurteilung zu erreichen, gewöhnliches Vokabular in konfrontativen Prozesssituationen [ist], die in keiner Weise neuartig sind“ teilt der Senat ebenso wenig. Vielmehr lässt die Beschreibung des von dem Beteiligten im Verfahren vor dem Amtsgericht gehaltenen Plädoyers (Bl. 4/5 der Beschwerde) darauf schließen, dass der Beteiligte das Verfahren als Plattform für die Verbreitung seiner Auffassung nutzt, „dass Strafverfolgungsbehörden und Gerichte Akten, Aussagen usw. manipulieren “ sei „eine vielfach belegte Realität“, die insbesondere in Prozessen wegen Schwarzfahrens mit offener Kennzeichnung zum Tragen komme. Dies spricht weiter gegen die Annahme, dass der Beteiligte sich als Verteidiger sachlich - und sachgerecht - verhalten wird.
Auch hier die gleiche Logik: Eine Aussage ist falsch bzw. unsachlich, weil sie die Justiz kritisiert. Das ist das einzige und ausreichende Kriterium - eine Art Majestätsbeleidigung mit Strafe der Ausschließung.

Die Abwägung des Landgerichts dahin, dass unter den genannten Umständen das Interesse des Angeklagten an der Verteidigung durch einen Vertrauten hinter dem Interesse der Rechtspflege an einem sachlichen - und auf den konkreten Fall bezogenen - Verfahren zurücktritt, ist nicht zu beanstanden;
Als hätte diese Abwägung jemals stattgefunden. Kein Gericht hat die Belange des Angeklagten überhaupt erwähnt, geschweige denn abgewogen. Die Kritik an der Justiz war alleiniger Grund für die Ausschließung - ein Verhalten der Justiz, die die Vorwürfe belegt. Was allerdings nichts nützt, denn was richtig und falsch ist, definiert eben das Gericht. Es würde auch den Vorwurf, dass es richtig und falsch definiert, als falsch definieren.

Landgericht München: Justizkritische Haltung hemmt Laienverteidigung nicht
Auch hier gab es erst eine Ablehnung und dann die Zulassung durch das Beschwerdegericht.

Mehr Verfahren um das Aktionsschwarzfahren
Rund um das Schwarzfahren mit Schild und Flyer für Nulltarif und gegen die Bestrafung nach § 265a StGB sind etliche Auseinandersetzungen zur Laienverteidigung entstanden (siehe dazu die Seiten zu laufenden Prozessen und zu vergangenen Verfahren.

Weitere Berichte von Verfahren mit oder - nach Streit - ohne Laienverteidigung
  • Einer der ersten Prozesse dieser Art fand in Bad Oldesloe statt - Bericht in der Anzeigen-Wochenzeitung MARKT vom 4.7.2009
  • Streit mit dem Gericht: Prozess in Lüneburg 2012 ++ AKW-Blockade vor Grohnde ... Einstellung erkämpft (21.5.2013)
  • Prozess 2013 in Dortmund wegen Atomtransport-Blockade und zu Atommüll-Schiff-Blockade
  • Riesenerfolg für Laienverteidigung: Revision gewonnen: Magdeburger Prozess zur "Gen"feldbefreiung 2008 in Gatersleben muss wiederholt werden - wurde dann aber sogar auf Staatskosten eingestellt!
  • Erster Prozesstag gegen Pussy-Riots-Aktion im Kölner Dom (mit Links zu Presseberichten)
  • Prozess wegen Containers am Landgericht Aachen, in: Spiegel am 6.6.2013 (mit Fotos)
  • Auseinandersetzung um Zwangspsychiatrisierung von Dennis Stephan in Gießen mit etlichen Ablehnungen von Laienverteidiger_innen und Beschwerdeverfahren dagegen
  • Prozess vor dem Amtsgericht Rüsselsheim wegen Flughafenbesetzung im Kelsterbacher Wald: Der Rechtsbeistand wurde abgelehnt mit der Begründung, dass die Angeklagte selbst rechtskundig genug sei. Vorher wurde der Richterin aus dem StPO-Kommentar vorgelesen, dass genau diese Begründung nicht zulässig sei - zum Erstaunen des Publikums wählte die Richterin jedoch genau die Formulierung, die nicht zulässig war. Die Beschwerde des Rechtsbeistandes wurde vom Landgericht Darmstadt am 12.8.2011 (Az. 3 Qs 462/11) zurückgewiesen mit der Begründung, dass das Verfahren ja schon vorbei sei (das dürfte zum Zeitpunkt der Behandlung einer Beschwerde wohl eher immer der Fall sein ...).
  • Strafprozess wegen Widerstand usw. gegen Polizeibeamt_innen bei Räumung der Flensburger Luftschlossfabrik, auf: NDR, 11.4.2017 (Bericht zum Prozess auf Indymedia)
  • Drei Monate Knast wegen Sitzblockade?! Bericht eines laienverteidigten Strafverfahrens zu §240 (Nötigung) am AG Nienburg
  • Prozessserie gegen die Rathausbesetzer*innen im S21-Protest: Der Prozess wurde aufgeteilt, eine Gruppe verteidigte sich nach Gewaltfreiheitsdogma (alles zugeben und Gericht um Verständnis bitten), die andere offensiv. Die erste war nach einem halben Tag verurteilt, die zweite kämpfte sieben Verhandlungstage lang (Berichte vom ersten Tag in der Bild-Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten). Es gab lange Verhöre, zusätzlich gelandene Zeug*innen, viele Befangenheits- und Beweisanträge sowie ständige kleine Vorträge in den Pausen über die Kunst der offensiven Gerichtsprozessführung. Leider besuchten keine Personen aus dem solche Verteidigungskunst ablehnenden linken Gruppen den Prozess - stattdessen nöhlten sie hinterher wieder viel herum und untersagten entsprechende Infoveranstaltungen in ihren Räumen. Nach dem Urteil gingen die Angeklagten und ihre Verteidiger*innen volles Risiko ein. Sie beantragten die Ablehnung der Berufung seitens der Staatsanwaltschaft und legten Revision ein (Beispiel eines der Verteidiger). Der Plan ging auf (Revisionsbeschluss) - das Verfahren musste wiederholt werden (Sitzungsverfügung der ängstlichen Richterin im Wiederholungsverfahren). Dort blieb es bei einer Verwarnung, bei einer Person wurde ganz eingestellt - anstrengend, aber erfolgreich.
  • Berichte vom Strafprozess mit Selbst- und Laienverteidigung am 27.3.2023 am Amtsgericht Freising (Abseilaktion zur IAA-Eröffnung 2021 über der A9): SZ ++ Merkur
  • 26.9.2023: Prozess in Gießen wegen Autobahnabseilaktion über A485



Eindrücke der Öffentlichkeitswirkung des offensiv geführten Prozesses zur Rathausbesetzung ... zweimal Bildzeitung (1. und 20.2.2014), einmal Stuttgarter Nachrichten am 1.2.2014


Die meisten Rauswürfe von Laienverteidigis werden mit der justizkritischen Haltung begründet. Diese klar gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit gerichtete Rechtsprechung ist vom Verfassungsgericht nicht überprüft worden (Beschwerden zur Beschneidung von Richterfreiheiten haben dort kaum Chancen, Klagen wurden bislang nie angenommen, Beschwerdeverfahren auf Europa-Ebene läuft).
Gegen die ebenfalls mitunter vorgebrachten Bedenken fehlener Rechtskenntnis ist der Hinweis nützlich, dass Schöffen spästestens in der Berufung dabei sind. Sie sind Laienrichter*innen und haben keinerlei Ausbildung. Das scheint dort aber nicht zu stören ...

Im Original: Berichte ...
Gedächtnisprotokoll eines Gefangenen
Am 8.8. blockierten AktivistInnen u.a. mit Lock-ons die Hambachbahn (Kohletransportstrecke zum RWE-Kraftwerk Niederaußem) – siehe hier. Fünf von ihnen, die an der Kernblockade teilnahmen, wurden inhaftiert. Es folgten ED-Behandlungen (einschl. DNA-Entnahme), einige Übergriffe, die üblichen sozialrassistischen Erniedrigungen und schließlich für mich, der ich mit verhaftet war, die Entlassung gegen 21 Uhr des Tages. Der Grund für die „Vorzugs“behandlung gegenüber den vier anderen Verhafteten war meine deutsche Staatsangehörigkeit (wie peinlich, aber von mir nie freiwillig ausgewählt). Draußen erfuhr ist vom Stand der Dinge, u.a. dass die Polizei die Nicht-Deutschen nur bei Zahlung von je 1000 Euro (Höhe wurde an der erwartbaren Strafe orientiert). Konkrete Handlungen waren nicht mehr möglich, da kein Anwalt mehr verfügbar war. Am Folgemorgen erkundigte ich mich nach dem Stand der Dinge. Da ich selbst verhaftet war, war ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht Teil der Rechtshilfe. Diese war vom EA Köln übernommen worden (wie vorher auch abgesprochen). Ich erfuhr, dass auch am Folgemorgen die Lage unverändert war. Ich beteiligte mich ab kurz vor 10 Uhr an der Rechtshilfe, die von AktivistInnen neben dem EA organisiert wurde. Unser erstes Teilziel war, mit den Gefangenen in direkten Kontakt zu kommen (selbst oder ein Anwalt). Die Polizei hatte einen direkten Kontakt aber verweigert. Der EA Köln hatte zugestimmt, dass Fragen über sie an die Gefangenen gestellt werden konnten und die Antwort von der Polizei mündlich übermittelt würde. Das geschah dann auch und die Polizei übermittelte den Wunsch der Gefangenen, die Kaution zu bezahlen – jedenfalls behauptete sie das. Nach ihrer Freilassung gaben die Gefangenen an, von der Polizei gefragt worden zu sein, ob sie gegen eine Kaution freikommen oder noch ein halbes Jahr in Untersuchungshaft bleiben wollten. Sie hätten dazu aber keine Angaben gemacht, sondern das Gespräch mit der Polizei verweigert. Dennoch nahm der EA die Behauptungen der Polizei entgegen und blieb damit weiter hinter der eigentlich selbstverständlichen Position, nur direkt mit dem Gefangenen kommunizieren zu wollen, zurück. Es kam aufgrund dieser Abläufe zu Diskussionen in unserer AktivistInnenrunde darüber, ob Zustimmung zu solchem Vorgehen (Akzeptanz des Nichtkontaktes, Reden mit der Polizei, Vertrauen in Polizei, dass sie Nachrichten übermittelt usw.) das Problem befördert, weil erstens der Druck geringer wird, einen direkten Kontakt zuzulassen und zweitens ein permanenter Grund bestand, die Gefangenen nicht (wie vorgeschrieben) einem Richter vorzuführen. Wir entschieden, jede Kooperation mit der Polizei sofort zu beenden und teilten dies dem EA auch mit. Wir vereinbarten einvernehmlich, dass der EA seine Tätigkeit zu diesem Fall einstellt und wir die Rechtshilfe übernehmen. Es zeigte sich nämlich auch, dass die Polizei die unterschiedlichen Strategien durchschauten und mit dem gegenüber Kooperation mit der Polizei offeneren EA bevorzugt kommunizierte. Wir teilten dann über einen Anwalt der Polizei mit, dass es keine Kommunikation mit ihr geben würde, da sie nicht entscheidungsbefugt wären. Sie sollten sofort die richterliche Vorführung veranlassen. Jede weitere Verzögerung würde von uns als rechtswidrige Freiheitsberaubung gewertet und wir würden entsprechend handeln. Zeitgleich starteten wir einen Rundruf, um die notwendige Anzahl von LaienverteidigerInnen in die Nähe zu bringen, da im Strafprozessrecht jede beschuldigte Person eineN eigeneN Verteidiger_in haben muss. Ich selbst kam nicht in Frage, da ich selbst beschuldigt war. Der Wechsel in der Strategie gegenüber der Polizei wirkte sofort. 10 Minuten später entließ die Polizei alle Gefangenen aus der Haft – ohne Kaution, ohne richterliche Vorführung. Kurz danach waren genügen LaienverteidigerInnen vor Ort – nun glücklicherweise unnötig. Der Verlauf der Dinge war ein klarer Erfolg offensiver Antirepressionsstrukturen. Das darf nicht verallgemeinert werden. Es hätte anders sein können. Eine solch schnelle Wirkung ist nie garantiert. Dennoch stellen sich Fragen, wie es sein kann, dass ein EA (der sich zudem wahrscheinlich auf Slogans wie „Maul halten“ usw. bezieht) derart vertrauensselig mit der Polizei kooperiert und dadurch auch die eigene Handlungsmacht selbst schwächt. Das wirkt auch deshalb bedrohlich, weil der EA mitteilte, in Köln werde üblicherweise so verfahren und es sei eher häufig, dass bei nichtdeutschen Beschuldigten Kautionen gezahlt würden. Diese Formulierungen hatten uns noch am Abend vor der Freilassung Aller bewogen, die Verfügbarkeit von Geld zumindest sicherzustellen. Das denkwürdige Erleben derart defensiven bis unterwürfigen Verhaltens gegen die Polizei wirft auch in Anbetracht immer wieder vorgetragener Kritik an kreativer Antirepression weitgehende Fragen auf. Denn bisher gab es vor allem Anfeindungen gegen kreative Antirepression mit der (frei erfundenen) Behauptung, dort gäbe es keine klare Position zum Verhältnis zur Polizei. Der konkrete Vorgang stellt die Frage überraschend andersherum. Wie ich erfuhr, war das keine Ausnahme, sondern übliches Vorgehen zumindest in Köln. Die Fragen an die Praxis des EA sollen mit zwei Hinweisen verbunden werden. Der eine ist, dass meine Gespräche mit dem EA (ab dem Abend nach der Aktion, d.h. nach meiner Freilassung) fair und offen waren. Der andere ist, dass der EA Kommunikationsfehler bei den AktivistInnenbemühungen um die Freilassung der Gefangenen kritisierte - meines Erachtens zu Recht. Kreative Antirepression halte ich für die richtige politische Strategie gegenüber Repressionsinstitutionen. Das aber macht die mitunter erheblichen Organisierungsdefiziten in solchen Gruppen wett, die offensive Auseinanderkultur mit Polizei, Gerichten usw. befürworten.

Aus "Strafverteidigen gegen Deutschland", auf: Indymedia, 20.8.2014 ++ SZ zum Prozess am 30.7.2014
Repression verliert erstaunlich schnell an Wirksamkeit, wenn mensch nicht mehr hilflos im Paragraphenwald steht, sondern sich zusammen mit Freund*Innen Wissen aneignet, um den Helfershelfern von Staat und Kapital entgegen zu treten. Eine der Möglichkeit das umzusetzen, ist die Laienverteidigung. Angeklagte beantragen von Freund*Innen verteidigt zu werden um dann gemeinsam vor der/der Richter*In zu sitzen und den Gerichtsprozess selbstbestimmter zu gestalten.

  • Extraseite zu Verteidiger*innen vor Gericht mit Absatz zu Laienverteidiger_innen, Möglichkeiten und Schwierigkeiten

"Unter Paragraphen - Anspruch und Wirklichkeit im Gerichtssaal"
Der Film zeigt, wie ein Gerichtsverfahren ablaufen müsste. Heimliche Mitschnitte in Strafverfahren belegen dann, dass die Realität davon stark abweicht: Richter_innen brechen beliebig des Gesetz, verwehren den Angeklagten ihre Rechte und beschimpfen sie sogar. Der 90minütige Film bietet aber noch ein drittes: Immer wird erläutert, wie mensch sich wehren könnte - mit praktischen Tipps und den rechtlichen Grundlagen. Insofern ist "Unter Paragraphen" Aufklärung und Lehrfilm zugleich. Mehr Infos und Filme hier ... ++ Der Film auf Youtube ++ Download als mp4-Datei in HD-Auflösung

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