Stiftung Freiräume

DEN KOPF ENTLASTEN? WOHER KOMMEN UND WAS SOLLEN "VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN"?

Können "Verschwörungstheorien" auch nützen?


1. Einleitung
2. Definitionen
3. Was braucht es und was macht alles so attraktiv?
4. Cui bono - sind die Nutznießer von Ereignissen auch deren Verursacher?
5. Vereinfachte Welterklärungen an Beispielen
6. Können "Verschwörungstheorien" auch nützen?
7. Gegenmittel: Skeptisches Denken
8. Wer klärt auf und enthüllt "Verschwörungstheorien"?
9. Was sagen die Kritisierten zur Kritik?
10. Warum werden solche "Theorien" eigentlich verbreitet?
11. Links und Materialien
12. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Ja - und zwar sogar zweifach.

Teilweise gute Analyse offizieller Erklärungsversuche
Zum einen starten viele vereinfachte Welterklärungen mit einer deutlichen Skepsis gegenüber offiziellen Verlautbarungen. Das ist im Prinzip gut, um die Mechanismen von Manipulation, Diskurssteuerung und Erfindungen zu demaskieren und sich aus der Ohnmacht angesichts ständiger Fälschungen aus Herrschaftskreisen und Funktionseliten von Politik, Wirtschaft, Medien, Bildung und Justiz zu emanzipieren. Doch ein Lossagen allein von herrschenden Diskursen ist zu wenig. Es muss ein allgemeines, skeptisch-analytisches Denken hinzukommen - also eines, dass sich auf die eigenen Ideen, Recherchen und Analysen bezieht. Doch leider werden die eigenen Interpretationen und Erklärungen den Anforderungen, die "VerschwörungstheoretikerInnen" an regierungsamtliche Erklärungsmodelle stellen, selbst nicht gerecht. Sie sind regelmäßig platte Vereinfachungen und lassen bei ihren AutorInnen genau jene Denkschärfe vermissen, mit der die offiziellen Welterklärungen abgelehnt werden. Das beschriebene Fallbeispiel 9/11 zeigt das gut: Teilweise sauber recherchierte Enthüllungen der Lügen und Verdrehungen offizieller Seite, aber dann leider eigene Storys, die genauso vereinfachende Schlussfolgerungen ziehen. Das ideologische Ziel prägt die Analyse - hüben wie drüben: Die einen wollten den Islam oder wahlweise anzugreifende Staaten als Verursacher konstruieren - und dabei vertuschen, welchen Anteil sie selbst an der Ausbildung und Ausstattung der als zentral inszenierten "TäterInnen" hatten. Die anderen wollten die bösen USA brandmarken, um bei passenden Gelegenheiten auch noch kleine Nebenstorys mit einzubauen, die wie zufällig Finanzkapital, Israel und andere Bilder in die Gesamtkomposition des Bösen einfließen lassen.
Skeptizismus ist eine wunderbare Sache, hält das ständige Hinterfragen doch den eigenen Kopf in Schwung. Misstrauen nur gegenüber anderen, aber nicht gegenüber eigenen Welterklärungen zu hegen, ist aber kein sonderlicher Fortschritt. So werden nur die einen gerichteten und manipulativen Erklärungen durch andere ersetzt.

Einfache Erklärungen des Schlechten (Bösen?) in der Welt benennen oft gesellschaftliche Defizite, die auch aus emanzipatorischer Perspektive kritisiert werden müssen. Das gilt auch für ihre größeren Geschwister, die "Verschwörungstheorien". Der Fehler liegt meist nicht in der Benennung der Mangelsituationen, sondern in pauschalen oder frei erfundenen Verknüpfungen von Ursachen und Wirkungen bzw. der Überbetonung von Einzelaspekten zur Hauptursache.
"Verschwörungstheorien" und einfache Welterklärungen überhöhen in der Regel Teil- oder Scheinursachen gesellschaftlicher Abläufe zu Regelmäßigkeiten, die Dogmen gleichen. Statt eines analytischen Blickes wird der feststehende Erklärungsansatz auf alles angewendet und, wenn nötig, passend zurecht gebogen. Mit diesem Prinzip ähneln sie Religionen, esoterischen Lehren und einigen nicht-religiösen Ideologien. Zwar mag das jeweilige Muster, durch das alles betrachtet wird, unterschiedlich und in manchen Fällen (z.B. dem dogmatischen Marxismus) als Teilerklärungsansatz sogar tauglich sein. Doch wenn es alleinig, ständig und alternativlos angewendet wird, formt der Blickwinkel das Geschehen so stark, dass es zum prägenden Faktor wird. So geschieht es auch bei den "Verschwörungstheorien".
Hinzu kommt, dass sich die Erklärungsmuster ähneln können. So bewegen sich Metaphern von höheren Mächten, externen Energien oder geheimnisvollen Verbindungen zwischen den Menschen nahe an Erzählungen aus der Esoterik. Allmachtsphantasien aus Religion können denen in "Verschwörungstheorien" gleichen. Und die Reduzierung des Bösen in der Welt auf das Finanzkapital ist nicht so weit weg von der marxistischen Idee, die Welt sei Ökonomie.

Denkhilfe als schlechtes Beispiel
Zum anderen kann jedes schlechte Beispiel zum kritischen Hinterfragen und Fortentwickeln des eigenen skeptischen Denkens dienen. Denn mit kritischem Blick entlarvt sich schnell selbst, dass und wie bei "Verschwörungstheorien", einfachen Welterklärungen und verkürzten Gesellschaftskritiken gearbeitet wird. Da die Vereinfachungsmuster denen der vermeintlich entlarvten Mächtigen und Institutionen dieser Welt stark ähneln, hilft die kritische Auseinandersetzung mit "Verschwörungstheorien" und einfachen Welterklärungen als Training gegen das, was überall Diskurse hervorruft, gestaltet und steuert: Weglassen, täuschen, vereinfachen. Analytisches Denken folgt keinem festen Schema und hat keine vorhersehbaren Ergebnisse. Es ist das ständige Aktivbleiben im Kopf. Nichts und niemand darf davor sicher sein, kritisch beäugt zu werden.

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