Stiftung Freiräume

ANALYSEN IN POLITGRUPPEN: OFT AUCH VEREINFACHEND BIS POPULISTISCH

Einleitung


1. Einleitung
2. Finanzkapital und Zinstheorien
3. Anti-Amerikanismus
4. Sozialneid und Diskriminierung
5. Mehr Gut und Böse
6. Andockpunkte nach rechts

Einfache Welterklärungen oder gar "Verschwörungstheorien" sind im politischen Meinungskampf nichts Besonderes. Sie bieten nur Zuspitzungen der auch sonst üblichen Art, politische Kontexte zu benennen, gesellschaftliches Geschehen darzustellen und Erzählungen zu verbreiten. Dieses Alltägliche, welches in den "Verschwörungstheorien" zur vollen Blüte kommt, ist das eigentlich Erschreckende. Überall werden die Köpfe der Menschen weich gemacht durch künstlich erzeugte oder verstärkte Ängste, Erinnerungen und Hoffnungen, mit deren Hilfe sich dann Interessen und Politiken durchsetzen lassen. Schaufensterreden in der Politik, Berichte in den Medien und Positionen von Parteien, LobbyistInnen, Konzernen und NGOs wimmeln nur so von Populismen und anderen Formen der Vereinfachung. Auch im Bereich der Unterhaltungskunst ist Vereinfachung und Pauschalisierung eher der Alltag denn die Ausnahme. Meist wird dort einem benannten Problem nur eine Ursache zugeordnet, um dann eine scheinbar passende Lösung anzubieten. Abläufe werden vereinfacht und standardisiert, Klischees und Denkschubladen füllen Texte und Reden.
Spielfilme und Bücher mit ihren Erzählungen sind ein guter Spiegel dieser Tendenz zur Vereinfachung und Bildung grober Raster. Europa und USA, Männer und Frauen, Arbeiterklasse und Kapitalisten (meist noch so antiquiert, dass die rein männliche Bezeichnung belassen wird), Bayern München und Borussia Dortmund, raffendes und schaffendes Kapital (oder verschleiernd: Finanzkapital und Mittelstand), Deutschland und China, Deutsche und AusländerInnen, wir und die - ohne Analyse der Vielfalt werden Schubladen eröffnet und mit ihrer Hilfe die Welt interpretiert.
Auf dem Humus solcher Vereinfachung gesellschaftlicher Komplexität können monokausale Welterklärungen und ihre Extremform, die "Verschwörungstheorien", wunderbar gedeihen. Selbst wenn nicht alle Menschen dem Gesamtbild folgen, dass z.B. Finanzkapital, USA, Monsanto oder die Bilderberger alleine schuld sein sollen. Aber die Bilder setzen sich doch fest. Kaum jemand bemerkt noch, dass schon die Schubladen nicht passen - und zwar von Anfang an. Denn alle Genannten sind keine einheitlichen Gebilde. Sie unterliegen mehr oder weniger ausgeprägten internen Konkurrenzkämpfen, Veränderungen und Abhängigkeiten in den Geflechten der Macht. Sie sind Teil eines komplexen Ganzen, in dem sich viele Zentren und Peripherien gegenseitig beeinflussen, unterstützen oder bekämpfen - mit fließenden Übergängen. Dabei sind alle oder fast alle von dominanten Wirkungsmechanismen erfasst und getrieben. Dazu gehört der Zwang zu Profit und Verwertung im Kapitalismus, der Sicherung von Macht und Privilegien innerhalb von Hierarchien sowie der Steuerung von Diskursen als wichtigstes Einflussmittel in Medien- und Wissensgesellschaften. Solche Verhältnisse und Beziehungen in ihrer Komplexität zu analysieren, erscheint den meisten Menschen mit ihrer Abneigung, intensiv zu leben und zu denken, zu anstrengend. Selbst moderne Bewegungsagenturen wie Campact, die ja Bildungsoberschichten erreichen wollen (mit ihren Spendenaufrufen), werben dafür, bei ihnen "schon mit ein paar Minuten Zeit in der Woche" (Internetseiten von Campact, Stand: 1.7.2010) Politik zu machen. Da passen dann nur simple Erklärungsmodelle des jeweiligen politischen Geschehens hinein.
Wer Aufmerksamkeit will, neigt zu Vereinfachung. Wiederholungen fördern die einmal begonnene, einseitige Wahrnehmung. Werden dann über lange Zeit Vereinfachungen und Schubladendenken in die öffentlichen Debatten gestreut, gelingt es, nicht nur die vereinfachten Erklärungen und Schubladen unhinterfragt als gegeben in die Köpfe zu bringen, sondern den ständig benannten, aber künstlichen Kategorien auch noch Eigenschaften zuzuschreiben. So funktionierte der früher allgemein als wahr akzeptierte und auch heute immer noch nicht überwundene Rassismus. Zunächst wurden die Rassen gebildet. Dabei war die Einteilung nach Hautfarbe bei näherer Betrachtung völlig willkürlich. Es hätten auch - mit genauso viel bzw. eher genauso wenig Berechtigung - Nasenform, Haarfarbe oder Pimmellänge zur Einteilung herangezogen werden können. Dann ordnete mensch diesen Kategorien bestimmte Eigenschaften zu. So sollten Weiße intelligenter, Schwarze sportlicher usw. sein. Ganz ähnlich funktioniert der Antisemitismus. Zuerst wird eine einheitliche Gruppe ("die" Juden) gebildet. Dann werden dieser einheitliche Wesensmerkmale angedichtet wie Geldgier oder Unaufrichtigkeit. Falsch war immer schon die Einteilung. Denn alle Kategorien, in die Menschen eingeteilt werden, sind höchstens Hilfsmittel, die einen Einzelaspekt beschreiben. Wer z.B. sagt, dass soundsoviele Menschen hungern oder X-Tausend AnhängerInnen eines bestimmten Popstars sind, sagt ansonsten über Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen diesen Menschen genau nichts aus. Jede über den einen Aspekt (der oft schon unscharf ist) hinausgehende Vereinheitlichung hätte bei näherem Hinsehen keinerlei Entsprechung in der Realität. Vielmehr herrscht innerhalb aller Menschengruppen eine hohe Vielfalt unterschiedlicher Individuen. Doch leider sind pauschalisierende Einteilungen weit verbreitet und immer gefährlich, dienen sie doch als Grundlage für Stigmatisierungen und Populismen.

Das Vereinfachen betrifft nicht nur vermeintliche Kategorien, also Aussagen über die vermeintliche Struktur der Gesellschaft. Auch inhaltlich lassen sich so Diskurse anstoßen und steuern. Angst- und Empörungsmache sind rhetorische Waffen, die in der Normalität und, dann zugespitzt, in "Verschwörungstheorien" auftreten. Wer z.B. ständig über Übernahmen deutscher Firmen durch US-Konzerne skandalisierend berichtet und das Umgekehrte weglässt, wird im Laufe der Zeit den Eindruck erwecken, dass die KonzernchefInnen von der anderen Seite des Atlantiks schlimmer sind als der sanfte europäische Kapitalismus. Dieser Art ließen sich viele Beispiele nennen. Jede Form von Diskurssteuerung ist möglich, auch wenn nicht jede gleich gelingt, wie die trotz ständiger Wiederholung erfolglose Märchenerzählung vom steigenden Hunger wegen des Ausbleibens der Gentechnik zeigt.
Beeindruckende Beispiele von Diskurssteuerung zeigt die stets im Zusammenhang mit Kriegen vorgenommene Gehirnwäsche. Was die Nazis mit dem Sender Gleiwitz taten, machen heutzutage externe PR-ExpertInnen. Hochkarätige Werbeagenturen werden bezahlt, um die Gründe für Angriffe oder, wie es heute heißt, "humanitäre Interventionen" zu erfinden. Ähnlich beeindruckend waren die Berichte über vermeintliche "Aufstände" in arabischen Ländern ab Anfang 2011. Jede Handlung wurde als Revolte ausgelegt, egal ob politische Aktion oder platte Gewalt - mitunter mutierten Militärputsche zu Erzählungen von Aufständen. Dreist nutzten NATO-Truppen die Lage und griffen beliebige Länder an - immer "im Auftrag Ihrer Humanität". Als es im Sommer 2011 aber in London zu Revolten kam, wurde das schnell auf asoziale Gangs und Kriminelle geschoben - eine PR-Arbeit ganz wie die Regimes der arabischen Länder. Hätten die gleichen Leute mit gleichen Handlungen im Jemen agiert, wäre es eine Befreiungsbewegung gewesen.
Ein weiteres beeindruckendes Beispiel ist die Sache mit der gefühlten Kriminalität - einer der perfektesten Diskurse unserer Zeit. Von Tageszeitungen über Kriminalromane und die meisten TV-Krimis bis zur gehirnwaschenden Frontsendung "Aktenzeichen XY" finden Verbrechen zwischen Fremden, in dunklen Ecken und hinterhältig statt. Das produziert Angst und dient wie die gezielt geschürte Fehlinformation, die Kriminalität wachse ständig, als Grundlage für bestimmte Innenpolitiken. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Gewalt und Verbrechen finden überwiegend zwischen Menschen statt, die sich kennen - bei brutaler Gewalt (Mord, Totschlag, Vergewaltigung usw.) steigt der Anteil auf fast 100 Prozent. Tatorte sind nicht Waldränder, dunkle Straßen oder leere Landschaften, sondern der Alltag, also Ehe oder Beziehungen, Familien, Geschäftskontakte, Partys, Klient-/Patientenbeziehungen, katholische Heime - mitten im Leben also. Um solche Gewalt zu verhindern, bedarf es keiner Aufrüstung der Polizei und auch keiner neuen Kameras auf Marktplätzen. Die nützen sowieso nicht - wenn, dann müssten sie ja in Wohnzimmern oder Arztpraxen hängen. Wichtiger wäre eine kommunikativere Gesellschaft, eine Entanonymisierung des Lebens. Was heute geschieht, dient dem Machtausbau des Staates. Gefälschte Erzählungen und Bilder werden als Legitimation gestreut - erfolgreich. Denn Denken und Wahrnehmen lassen sich in der Welt, in der skeptisch-analytisches Denken als anstrengend empfunden und meist gelassen wird, beliebig ausrichten. Der genannten Techniken bedienen sich "Verschwörungstheorien" auch. Sie erzeugen gezielt Bilder, die zur gefühlten Umwelt werden - zum Bestandteil des Normalen im eigenen Leben. Von daher sind sie strukturell nicht das Gegenprogramm zur herrschenden Welt, sondern ein Teil der großen Gedankenverarschung - einer wegen anerzogener und freiwillig fortgesetzter Denkfaulheit aber weiterhin teil-"selbstverschuldeten Unmündigkeit", aus der auch weiterhin nur als Ausweg bleibt, sich des "eigenen" Verstandes zu bedienen.

Leicht manipulierbar: "demos" der Demokraie (Beispiele: Zuwanderung und Verkehrswende)
Populismus ist eine sehr typische Begleiterscheinung in der Demokratie. Oder genauer: Eine typische Haupterscheinung. Denn die Herrschaft des "demos" basiert darauf, dass ein einheitlicher Wille von eigentlich völlig unterschiedlichen und gar nicht in Verbindung stehenden Menschen behauptet wird. Dafür wird zunächst eine Gruppe von Menschen abgegrenzt (von anderen) und zu einer Einheit erklärt - zB das Volk in einem Staat. Diese Einheit gibt es gar nicht, sondern sie wird durch deren Sprecher*innen/Vertreter*innen/Verblender*innen behauptet, ist dann aber als allgemeine Halluzination in den Köpfen. Als nächste Stufe entsteht dann der Eindruck, dass die Aussagen der Sprecher*innen/Vertreter*innen/Verblender*innen die Meinung aller sind - der sogenannte Gemeinwille wird konstruiert. Populistische Positionen sind besonders geeignet, als dieser Gemeinwille wahrgenommen zu werden. Das ist keine Fehlentwicklung in der Demokratie, sondern der Fehler der Demokratie selbst. ++ demokratie.siehe.website ++ volk.siehe.website

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