Stiftung Freiräume

KRITIK UND PERSPEKTIVEN ANTISEXISTISCHER ARBEIT

Konsequenzen


Vorwort zur 2. Auflage · Einleitung · Kritik · Konsequenzen

Wir behaupten, daß die derzeit vorherrschende, „normale“ Sexismusdebatte,die in der Unterdrückung von Frauen als biologisch definierten Wesen,nicht aber in den Unterdrückungsverhältnissen insgesamt (unterdenen Frauen tendenziell deutlich mehr stehen als Männer, was nichtbestritten werden soll!) den Schwerpunkt setzt, nicht nur eine antisexistischePraxis verhindert, sondern den Sexismus und die Konstruktion von „Frau“und „Mann“ fördert! Daraus möchten wir Vorschläge ableiten.
Die folgenden Absätze ersetzen keine intensive Debatte. Zudemist politische Veränderung immer ein Prozeß, der nie zuendegeht, aber der ein klares Ziel haben muß und bei dem jeder Schrittdes Abbaus von Herrschaftsverhältnissen das Engagement wert ist.

1. Entwicklung gesellschaftlicher Ziele und Visionen
Um überhaupt eine kontinuierliche und sich fortentwickelnde Debattezu ermöglichen, bedarf es der Benennung gesellschaftlicher Ziele undVisionen. Die konkreten Diskussionen bis hin zu Vorwürfen müssensich an diesen Positionen messen. Gleiches gilt für alle vorgeschlagenenSanktionen, Veränderungen, Strategien und Maßnahmen – seiensie im Einzelfall oder im allgemeinen, z.B. bei der Organisation von Treffen,beim Ablauf von Diskussionen usw.

2. Antisexistische Arbeit als emanzipatorische Politik
Alle Formen der Diskriminierungen, von der direkten Gewaltanwendung über Unterdrückung und Ausbeutung bis zu den vielen kleinen,alltäglichen Formen der Unterschiedlichkeit zwischen Menschen, ihrenMöglichkeiten, Zugängen zu gesellschaftlichen Prozessen usw.sind die Folge der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und der Konstruktionvon Rollen, Erwartungshaltungen und Identitäten. EmanzipatorischePolitik muß die Dekonstruktion aller zum Ziel haben – auch deshalb,weil sich viele in ihrer Wirkung verknüpfen, unterstützen usw.Die Aussonderung bestimmter Hauptwidersprüche (sei es „nur“ Kapitalismusoder Sexismus oder sei es eine Dreierauswahl wie „triple oppression“) istpolitisch nicht gerechtfertigt und lenkt auch von den Problemen ab, dennkein Herrschaftsverhältnis kann separat gelöst werden – es kannüberhaupt nicht gelöst werden, solange die Herrschaftsverhältnissebestehen bleiben.

3. Direkte Intervention statt Verregelung und Stellvertretung
Ein Abbau von Herrschaft muß mindestens aus der Entwicklung vonPositionen, Visionen, Theorien, in der Analyse usw. (Theorie) sowie ausder direkten, unmittelbaren oder symbolischen Aktion (Praxis) bestehen.Verregelungen, Stellvertretungsdebatten über Ausgrenzungen oder Regelnz.B. in Plena sind demgegenüber weder emanzipatorische Theorie nochPraxis. Gerungen werden muß darum, daß Herrschaftsverhältnisseund –ausübung immer und überall klar zurückgewiesen bis,wenn nötig, angegriffen wird. Das Schweigen der vielen zu den Tausendensexistischer, rassistischer Übergriffe, dem „linken Normalzustand“der Kinderunterdrückung usw. ist der Skandal, nicht die zu geringeHäufigkeit abschreckender Plena-Debattiererei. Statt starrer, sichselbsterhaltener Regeln sind direkte Intervention, Reflexion, Lernen undSich-Verändern im Prozeß, ein kontinuierlicher Prozeßder Weiterentwicklung von Theorie und Praxis sowie die gleichberechtigteZuständigkeit aller für alles die Basis des Abbau von Diskriminierungen.

4. Dekonstruktion statt Empowerment
Es geht nicht darum, Frauen (nach dem biologischen Geschlecht definiert)an den Machtstrukturen zu beteiligen, sondern die Strukturen zu beseitigen.Dazu werden die jeweils aufgrund der bestehenden Bedingungen dominantenMenschen (bei den Geschlechterunterschieden also z.Zt. die Männer)auf ihre Privilegien verzichten müssen. Ihre Beteiligung als Reflexionüber ihre Rolle und den Abbau ihrer Macht ist einzufordern. Wer sichweigert, muß aktiv entmachtet werden. Ziel ist die Nicht-Existenzvon Macht und Diskriminierung, der Weg dahin jedes Stück von Machtabbau– nicht jedoch das Auswechseln von Mächtigen.

5. Kontinuierlicher Prozeß statt Arroganz
Die oft formulierte Position, es müßte endlich mal soweitkommen, daß alle etwas kapiert haben und danach handeln, verkenntvöllig, daß die gesellschaftliche Konstruktion von Identitätenund Machtverhältnissen bestehen bleibt. Sie schafft immer wieder neuUngleichheiten, soziale Akzeptanz von Wertigkeiten usw. Zudem kommen immerneue Menschen in politische Bewegungen (oder wie „holen sie woanders ab“),denen eine Diskussion über die Konstruktionen in der Gesellschaftfehlt. Es ist daher falsch, jemals die Debatte um Herrschaftsverhältnissefür beendet zu erklären und einzufordern, ab jetzt müßtenes alle endlich kapiert haben. Ganz im Gegenteil: Spätestens jedeAusübung von Herrschaft (und daran mangelt es leider nicht) mußGrund sein, neu zu begründen, warum wir diese nicht wollen. Gleichzeitigmüssen wir anerkennen, daß Menschen lernen und sich verändernkönnen - und daß sie es müssen. Kontinuierlich, alle ...einschließlich von uns selbst.

6. Entwicklung einer Praxis der Veränderung von Bewußtsein und Selbstbewußtsein
Antisexistische Praxis umfaßt den Abbau von Herrschaftsverhältnissenund Diskriminierung – immer zusammen! Das muß Anspruch einer emanzipatorischenPraxis sein: So wie auch antifaschistische Kämpfe, soziale Ziele oderUmweltschutz nicht ohne einen emanzipatorischen, d.h. auf das Ende allerHerrschaftsverhältnisse abzielenden Anspruch sinnvoll sind, ist esauch in der antisexistischen Theorie und Praxis. Dennoch bleibt eine spezifischeAufgabe, das Bewußtsein und Selbstbewußtsein von Frauen undMännern zu verändern, um die von Geburt an gnadenlos verlaufendensozialen Rollenzuweisungen und Konstruktionen in vielfach weiterer Formbis hin zu den typischen Selbstwerteinschätzungen nach Geschlechtszugehörigkeitzu überwinden. Frauen, gerade auch schon als Mädchen, müssendabei gezielt gefördert werden – eine Praxis dazu innerhalb politischerBewegung bedarf noch der Entwicklung.

7. Es gibt keinen Grund, innezuhalten – auch nicht diese Kritik an der Qualität der Sexismusdebatte
Denkbar ist, daß diesem Papier Sexismus vorgeworfen wird – eineder Möglichkeiten, eine Auseinandersetzung zu verhindern und das Empowermentvon Frauen, eventuell auch ganz individuell die eigene Machtkiste oderAbrechnung mit einer ungeliebten Person weiterzubetreiben. Noch schlimmerwäre, wenn diese Kritik den augenblicklich Dominanzen (also vor allemMännern) als Grundlage böte, erstmal innezuhalten mit der Debatteund Praxis antisexistischer Politik. Dieses Papier kritisiert die Formder heute gängigen Sexismusdebatte – wir wollen nicht weniger, sondernmehr und schneller antisexistische Intervention und Veränderung! Undwir fordern alle sofort zu mehr eigener Sensibilität, Reflexion, derInfragestellung eigener Gewohnheiten und Privilegien auf.

Kontakt
Die Gruppe „AC/PC & H.A.R.A.K.I.R.I GmbH“ ist schriftlich über folgende Adresse zu erreichen: Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen. Der Text kann auch als Mail bezogen werden über saasen@projektwerkstatt.de. Auf der Internetseite www.projektwerkstatt.de/debatte findet sich dieser Text ebenfalls – plus einigen Statements und weiterer Texte.

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