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KEINE GROSSPROJEKTE OHNE HERRSCHAFT

Einleitung


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Machtstrukturen in der Gesellschaft, also nicht zwischen Mensch und Natur, führen zu der Situation, daß einzelne Menschen aufgrund vorhandener Herrschaftsstrukturen in die Umwelt eingreifen können, ohne auf die Folgen Rücksicht zu nehmen. Umweltzerstörung, die immer auch eine Zerstörung der Lebensgrundlage von Menschen ist, geschieht nur im Rahmen von Machtstrukturen, von herrschaftsorientieren Systemen wie dem Kapitalismus, dem Staatskapitalismus (sogenannter „real existierender Sozialismus“) oder Diktaturen, weil die Menschen nur hier gegen ihr Interesse handeln, sich in einer lebenswerten Umwelt und auf deren Grundlage entfalten frei zu können.
Umweltschutz muß daher eine Auseinandersetzung mit den Herrschaftsstrukturen und gesellschaftlichen Reproduktionslogiken sein. Ziel muß erstens sein, Macht abzuschaffen, um die Freiheit zu schaffen, die den Menschen wieder die Gestaltungskraft über die Umwelt gibt, ohne daß sie die Folgen auf andere abwälzen. Zweitens müssen die Rahmenbedingungen, die Menschen dazu bringen, selbst immer wieder ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören und ihnen gleichzeitig den Zugang zu ihren eigenen Lebensgrundlagen verwehren, überwunden werden. Nur dann werden Menschen frei sein, ohne Zerstörung der Umwelt sich selbst zu entfalten. Sogar weitergehend: Sie brauchen die Umwelt als Lebensgrundlage zu ihrer Entfaltung. Umweltzerstörung würde sich dann gegen sie selbst richten, Umweltschutz sie selbst fördern. (Quelle: Gruppe Gegenbilder, 2000: Freie Menschen in Freien Vereinbarungen, S. 89)


Im Original: Artefakte
Aus: Christoph Spehr, 1996: Die Öko-Falle (S. 66-69)
Wenn wir also unsere Gegenwart mit einem archäologischen Blick betrachten, ist das hervorstechendste Merkmal die ungeheute Menge von Ruinen, die unsere Zeit hervorbringt. Es ist eine extrem ruinenreiche, im wahrsten Sinne ruinöse Kultur. Anstelle von Pyramiden fänden wir riesige Staudämme; Flugplätze und Autobahnen; Kraftwerke und Überlandleitungen; die Hallen und Maschinenansammlungen der großen Industrie; die Öfen der Stahlwerke, die eisernen Gedärme der chemischen Fabriken, die hohen Tempel der Raumfahrt und der Waffenschmieden, die entlosen Bänder der Massenfertigung. Unterhalb dieser großen Ruinen fänden wir eine unglaubliche Menge von industriellem Schutt: Geräte aller Art; Autoreste natürlich; Farhzeuge und Bauschutz in rauhen Mengen; PCs und anderen elektronischen Müll; die Scherben und Gerippe der zirka 10.000 Gegenstände, mit denen sich ein Mensch in den hochindustrialisierten Zentren heute im Schnitt umgibt; alles sehr haltbar. Wir fänden auch Bauten, die schon zu Lebzeiten Ruinen waren. Die unterirdische Betonfestung von Tschernobyl etwas oder die liegengelassenen 28 Kilometer des amerikanischen Teilchenbeschleunigers, der einaml 87 Kilometer lang werden hätte sollen, aber inzwischen aus Kostengründen aufgegeben wurde. Und wir stünden vor einem Rätsel.
Eine solche Anhäufung von Artefakten, die Verschleppung solcher Mengen von Material, das offenbar zu erheblichen Teilen aus ganz anderen Gegenden der Erde gekommen sein muß, ist historisch einfach nicht normal. Fortschritt, sagen wir in der Regel und zucken die Achseln; aber damit ist nichts erklärt. Wir könnten die Wege rekonstruieren, die dieses Material gegangen sein muß. Wir würden abschätzen, welche Mengen an Arbeit in den Artefakten eingefroren sind, und würden errechnen, daß die Lebensdauer der Menschen in den ruinenreichen Zonen unmöglich ausgereicht haben kann, all diese Artefakte herzustellen. Die Pyramiden der Industriezeit brauchen Bautrupps, die über die ganze Welt verteilt sind. Welche Kräfte konnten dieses Maß an zentraler Arbeitsorganisation aufrechterhalten, und wozu war es gut? ...
Freie Kooperation von Menschen schafft keine solchen Artefakte. Wer jemals in einem halbwegs selbstorganisierten Projekt gearbeitet oder auch nur an den Versuchen teilgenommen hat, zentrale Arbeiten in einer Wohngemeinschaft arbeitsteilig zu organisieren, wird das wissen. Das ist auch ganz normal und entspricht der menschlichen Rationalität. ...
Normale Gesellschaften sind relativ investitionsfeindlich, artefaktfeindlich gewissermaßen. Das ist keine Frage von fehlender Entwicklung, sondern von menschlicher Vernunft. ... Die Artefakte stehen unter einer starken sozialen Kontrolle, da sie sich permanent gegenüber den anderen Zielen rechtfertigen müssen. ... Es wird nicht auf gut Glück investiert. Der Nutzen technischer Projekte muß in überschaubaren Zeiträumen klar sein. Große Kooperationen wachsen höchsten aus der Vernetzung von kleinere Einheiten ...
Man sieht es den Artefakten der modernen Gesellschaft übrigens auch an, daß sie zu schnell und ohne Widerstände wachsen. Die Häßlichkeit der modernen Gebäude und die Großspurigkeit ihrer architektonischen Gestalt zeugen davon, daß niemandem die Arbeit, die dafür verwendet wurde, etwas bedeutet hat; daß sich niemand bewußt entscheiden mußte, Arbeit hierfür einzusetzen und nicht für etwas anderes; und daß niemand versuchen mußte , für diesen Aufwand um nachträgliche Anerkennung zu werben. Sie sind von Menschen gebaut und geplant, die sich niemandem gegenüber rechtfertigen müssen für das, was sie den ganzen Tag lang tun ...
Die Verfügbarkeit von Menschen für öffentliche Ziele, die Benutzbarkeit von menschlicher Arbeit für die Herstellung von Artefakten, muß in extremer Weise durchgesetzt gewesen sein. ... Es gehört zum Wesen der industriellen Zivilisation, daß fast alle Menschen ständig etwas tun, was sie nicht tun würden, könnten sie sich frei entscheiden. Jedenfalls nicht so; nicht in diesem Ausmaß und dieser Ausschließlichkeit. Und umgekehrt, daß einige Menschen Dinge tun, die nicht zuständekämen, wären sie von der normalen Zustimmung und Freistellung ihrer Gemeinschaften abhängig.

Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 23)
Man stelle die Frage, was von den Artefakten zustandekommen würde, wenn diejenigen, deren Arbeit darin gerinnt, aus freien Stücken übereinkommen müssten, sie zu bauen oder zu ihnen beizutragen. Wenn sie aus eigener Motivation dafür Zeit und Kraft bereitstellen müssten, und nicht aus dem Zwang heraus, sich in der einen oder anderen Form dafür zu verdingen. Es wären wenige der Artefakte, die übrig blieben. ...
Man stelle wiederum die Frage, was von den Artefakten übrig bleiben würde, wenn diejenigen, deren Anteil an der Welt und an der Geschichte darin verplant, verbaut, vernutzt wird, ihren Anteil daraus zurückfordern könnten. Wenn sie entscheiden könnten, welche Strebe sie, aus Zustimmung zum Projekt, zum jeweiligen Artefakt, dort belassen wollen und welche sie lieber zu Brennholz verarbeiten oder für etwas eintauschen, was ihnen für sie selbst nützlicher erscheint. Nicht alle Artefakte würde verschwinden, aber viele. Ihr Bau würde sich verlangsamen, ihre Planung vorsichtiger gestalten. Ihr Nutzen würde eindeutiger und unmittelbarer. Sie würden schrumpfen auf das, was man nicht umsonst ein "menschliches Maß" nennt – im Gegensatz zu den Ausmaßen und der Anhäufung von Artefakten, welche den ArchäologInnen zu Recht als Indiz für eine Sklavenhaltergesellschaft gilt.


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