Stiftung Freiräume

DAS BUCH: DEMOKRATIE. DIE HERRSCHAFT DES VOLKES. EINE ABRECHNUNG

Leseprobe Demokratiebuch: Einleitungskapitel


1. Einleitende Zitate und Texte aus der Projektwerkstatt
2. Zahlenspielereien rund um die Wahlurne
3. Wer wählt?
4. Leseprobe Demokratiebuch: Einleitungskapitel
5. Buchvorstellungen zum Themenbereich
6. Links und Leseempfehlungen
7. Weitere Links zu Marxismus und Demokratie

Die RetterInnen der Demokratie kommen von allen Seiten: US-amerikanische B52-Bomber im Anflug auf Bagdad, deutsche Tornados über Belgrad, gewaltfreie Friedensaktivistis, professionelle Mediatoris, der Aufstand der Anständigen oder die "Nazis-raus"-rufenden schwarzen Blöcke, die CDU oder die PDS, Ökos, Humanisten oder die Law-and-Order-KämpferInnen auf den Innenministerposten, Bürgermeistis, Vereinsvorsitzende, ParteiführerInnen und der UN-Generalsekretär. Der Ruf nach einer wehrhaften, wahlweise auch weiter auszubauenden Demokratie erschallt an allen Ecken. Demokratie, mitunter verbunden oder ersetzt durch das zweite Zauberwort ,Recht', scheint das Gute an sich zu sein, die den Segen und das Glück über die Welt bringt. Wenn aber Demokratie die Antwort auf die Probleme der heutigen Welt ist - vom Hunger bis zur Umweltzerstörung -, was sind dann die Ursachen? Wenn Demokratie die Medizin für alles ist, was sind die Krankheiten, die damit bekämpft werden sollen?

Allheilmittel im Kampf gegen das vermeintlich Böse hat es zu allen Zeiten gegeben. Aber was zum Zeitpunkt des Geschehens oft wie selbstverständlich wirkt, Faszination ausstrahlt und unter den Weihen des Höheren, im Namen des Guten oder Mächtigen agiert, gerät im Blick zurück oft in schwerere Gewässer. Zogen Kolonisatoren früher noch unter dem Jubel der Massen und Mächtigen aus, um als Missionare Gottes, mit dem Glücksversprechen der Zivilisation oder zur Zähmung vermeintlicher Tier- oder Untermenschen ganze Erdteile zu unterwerfen, so verteidigen heute nur noch Ewiggestrige diesen unvorstellbaren Schrecken und millionenfachen Mord. Wenn auf Kreuzzügen oder bei Verbrennungen Ungläubige, Ketzer oder Abtrünnige erst als solche definiert und dann grauenvoll vernichtet wurden, so hat das damals vielerorts volksfestartige Stimmung hervorgerufen - wirkt aber im heutigen Blick fast unglaublich, zumindest fremd und beängstigend. Wenn unter dem Banner von Ideologien oder per Befehl einzelner Führer Kriege angezettelt, opponierende Menschen hingerichtet, verbannt oder eingesperrt und umfangreiche Repressionsapparate aufgebaut wurden, stuft die spätere Geschichtsschreibung das meist als fundamentalistisch oder gar verbrecherisch ein. In dieser Weise wiederholt sich Geschichte ständig: In ihrer jeweiligen Zeit gab es selbst für die brutalsten Regime der Geschichte auf breiter Front ideologische Unterstützung, z.B. für Hitler und seine Ein-Partei-Diktatur. Heute ist das den meisten damaligen Unterstützern wie Kirchen, Verbänden, Parteien und Konzernen peinlich. Dennoch sind sie wieder dabei, wenn heute deutsche Interessen weltweit durchgesetzt, Menschen ausgegrenzt und neue Ideologien mit aller Gewalt verwirklicht werden sollen.

Früher ging es um den Willen Gottes, die Ehre des Fürsten, das Wohl des Kaisers, dann um die Interessen des Volkes oder der jeweils ,eigenen' Nation. Das mobilisierte große Teile der Gesellschaft. Angst wurde geschürt vor dem Bösen, den Feinden, die es abzuwehren galt. Rosige Zukunftsprognosen wurden abgegeben für einen Sieg im Kampf gegen das Böse.

Und heute? Wo ist der Unterschied, wenn in der aktuellen Zeit wieder einmal die Welt, das eigene Land und sein Volk vor dem Bösen, wahlweise einer anderen Religion oder Kultur, den bösen Russen (vor ein paar Jahrzehnten beliebt) oder den bösen Amerikanern (heute beliebter), den Konzernen oder wem auch immer gerettet werden muss?
Prompt starten ideologische und militärische Feldzüge für das Gute und Richtige. MachthaberInnen und ihre Feindbilder haben gewechselt, aber das Prinzip ist gleichgeblieben. Heute sind es nicht Fürsten, kirchliche Götter oder die eigene Nation, für die Kampfbomber ganze Stadtteile in Schutt und Asche legen und für die moderne Missionaris per Diplomatie, Medien und harter Hand den Menschen die Köpfe verdrehen, sondern Recht und Demokratie. Sie bilden den zentralen gesellschaftlichen Diskurs, prägen das mehrheitliche bis kollektive Denken, Fühlen, Werten, die Wissenschaft, Medien, Bildung und Politik - wie in den alten Zeiten die anderen moralischen Autoritären und ihre Leitkulturen. Eigentlich müsste schon der Blick zurück Zweifel setzen. Wenn das ,Gute', die höhere Moral einer Zeit und ihre Durchsetzung im späteren Blick der Geschichtsschreibung ständig seinen Heiligenschein verliert und sich als brutale Machtlegitimation entlarvt, warum sollte es anders sein, wenn die Begriffe und Diskurse gewechselt sind? Wenn Demokratie und die ,Stärke des Rechts' als Leitstern im ideologischen Himmel prangen?

Beim Blick auf das aktuelle Geschehen jedenfalls fehlt oft der kritische Blick, der bei der historischen Rückschau wenigstens ab und zu auf Hintergründe und Interessenslagen geworfen wird. Heute wird für die Demokratie so manches Land mit Bomben, Panzern und medialer Macht überfallen, werden Menschen im Namen von Recht und Ordnung eingesperrt oder abgeschoben, werden riesige Überwachungs- und Repressionsapparate aufgebaut. Das klingt sehr ähnlich wie das frühere Säbelrasseln, wenn für den Kaiser oder König, im Namen Gottes oder für das Vaterland gemetzelt wurde. Hat sich die Einstellung gegenüber Herrschaft, Unterdrückung, Krieg und Zerstörung überhaupt gewandelt? Oder wandeln sich nur Propaganda und Heiligenschein, die Gründe und Anlässe, für die solche Mittel akzeptiert werden? Wenn ja: Sind heute Rechtsstaat und Demokratie die Religionen des Volkes, die das Öl
im Getriebe der Machtgier darstellen - das Feuer im Imperialismus, der Ausdehnung von Machtsphären nach innen und außen? Es ist an der Zeit, sich kritische Gedanken über das zu machen, in dessen Namen heute viel Blut fließt, Gewaltmonopole entstehen und durchgesetzt werden und für das ganze Heere von MachthaberInnen, LehrerInnen, MedienmacherInnen und viele andere im Einsatz sind.

In diesem Buch geht es um die Machtfrage in Rechtsstaat und Demokratie, um ihre Legitimation und Präsentation. Zu unterscheiden ist zwischen formaler und diskursiver Macht, auch wenn beide meist miteinander verflochten sind. Diskursiv bezeichnet die unscheinbare und oft unheimliche Form der Herrschaft: Gesteuerte Meinungsbildung, Normen, Geschichtsschreibung und -auslegung, Begriffsdefinitionen und mehr. Diskursive Macht kann alles beherrschen, sie greift auf das Gewöhnliche eines jeden Tages durch. Diese Macht zu enttarnen, das im Wortsinn ,Norm'ale zu demaskieren, ist Kern der folgenden Seiten. Ins Blickfeld kommt der gewöhnliche Blick auf die gedanklichen Konstruktionen von Demokratie, Rechtsstaat oder Volk. Es geht um das, was als Geschichte übermittelt wird und das heutige Denken formt. Der Angriff auf das Gewöhnliche soll neue Fragen aufwerfen, am scheinbar Selbstverständlichen rütteln und zu kreativen, neuen Denkmöglichkeiten anregen. Eine neue Wahrheit, die dann wieder zum Gewöhnlichen wird, enthält das Buch nicht, weil es absurd wäre, mit neuen Schwarz-weiß-Schemata des ewigen Gut-Böse oder Richtig-Falsch herüberzukommen in einer Abhandlung, die mit solchen Tabus und bislang geltenden Wahrheiten aufräumen soll. Es gibt keine einheitliche Wahrheit in einer Welt aus Wahrnehmung und Auslegung. Wer sie dennoch verkündet, will vor allem das Ringen um Aufklärung verhindern, denn wer Wahrheit zu haben glaubt, muss sie nicht mehr begründen und setzt seinem Streben nach neuen Erkenntnissen ein Ende.

An dieser Stelle zu Beginn des Buches sollte nur ein vorläufiges Fragezeichen gesetzt werden. Der Hinweis, dass Geschichte in vielem die Geschichte derer ist, die die Wahrheit definieren konnten, sollte an der heutigen Selbstsicherheit rütteln, mit der wieder für das Gute über Leichen gegangen wird. Es ist bekannt, wie trostlos die jeweils in einer Zeit als wahr angenommene und oftmals blutig verteidigte Wahrheit im Rückblick aus einer Zeit einige hundert Jahre später aussieht. Die Erde als Scheibe, Frauen (und auch Männer) mit abweichenden Meinungen als Hexen (und Zauberer), Menschen mit anderer Hautfarbe als Halbtiere, Juden als Geldmenschen - die Liste ist endlos und eine Serie des Grauens.

Wiederholungen zu vermeiden, ist das Ziel kritischer Angriffe auf die heutige Leitkultur: Den Mythos "Demokratie" demaskieren - nicht erst ein paar Jahrhundert später, sondern bereits während er die Legitimationsgrundlage für die im Hurra-Stil laufenden Machtkämpfe und Disziplinierungen bildet. Wenn die Geschichtsschreibung eines fernen Tages die "Demokratie" als blutrünstige Machtideologie brandmarken wird, wäre das nur die übliche Entwicklung. Heute wird sie bejubelt - und kann entsprechend wüten wider dem Menschlichen. Nach Kaiser, König oder Gott, Vaterland und Volk entstehen nun Kriege, Gefängnisse und Apparate für die Demokratie. Sie wird gerettet, weiterentwickelt, weltweit verbreitet, zum Wohle aller ausgebaut - stets mit einer breiten, triefenden Blutspur verbunden. Wieder kommt sie aus den Ländern Europas und Nordamerikas, die in der Geschichte schon so manche Heilslehre über die Welt brachten im Glauben und mit der Verkündung, dem Guten zum Durchbruch zu helfen.
Das Grauen war jedes Mal unbeschreiblich. So ist es auch heute.

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