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DEN KOPF ENTLASTEN? WOHER KOMMEN UND WAS SOLLEN "VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN"?

Wer klärt auf und enthüllt "Verschwörungstheorien"?


1. Einleitung
2. Definitionen
3. Was braucht es und was macht alles so attraktiv?
4. Cui bono - sind die Nutznießer von Ereignissen auch deren Verursacher?
5. Vereinfachte Welterklärungen an Beispielen
6. Können "Verschwörungstheorien" auch nützen?
7. Gegenmittel: Skeptisches Denken
8. Wer klärt auf und enthüllt "Verschwörungstheorien"?
9. Was sagen die Kritisierten zur Kritik?
10. Warum werden solche "Theorien" eigentlich verbreitet?
11. Links und Materialien
12. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Es gibt eine Menge Menschen und Gruppen, die sich gegen vereinfachende Welterklärungen wenden. Von einem Teil dieser lässt sich leider auch nur wenig Gutes vermelden, denn sie demaskieren zwar mit herzerfrischendem Skeptizismus die kruden Thesen von Verschwörungen, wenden dann aber immer wieder selbst vereinfachte Muster oder Schubladen an. Das treibt das Ganze dann auf die Spitze: Die KritikerInnen derer, die bei der Kritik manipulierter, offizieller Informationen selbst manipulieren und vereinfachen, sind ebenfalls manipulierend und vereinfachend unterwegs!
Noch schlimmer: Fast alle leben - wie ihre KontrahentInnen aus der Verschwörungs-Ecke - in identitären Zirkeln, wagen sich nicht in offene Debatten und verkümmern spürbar auf dem eigenen, verbohrten Blickwinkel.
  • Etliche FunktionärInnen und Aktive aus dem Lager atheistischer bzw. humanistischer Verbände in Deutschland bekämpfen mit Inbrunst und analytischer Schärfe den Glauben an Überpersonen (wie Götter), klerikale Dogmen und Hierarchien sowie die daraus resultierende Unmündigkeit von Gläubigen. Viele wenden sich auch gegen metaphysische oder parapsychologische Erzählungen. Doch immer wieder neigen sie dazu, ihre eigenen Lehren als absolut zu setzen, organisieren in eigenen Schriften und auf eigenen Treffen Meinungseinfalt oder überziehen ihre KritikerInnen mit Kommunikationsblockern wie Rücktrittsforderungen. Der Idee von Vielfalt, Offenheit und Streitkultur folgt das nicht.
  • Die lange am meisten beachtete Internetseite hieß www.esowatch.org (später umbenannt in www.esowatch.com, inzwischen als www.psiram.com) reihte Daten zu Verflechtungen aneinander, konstruierte die Szene der "VerschwörungstheoretikerInnen" aber ganz ähnlich, wie diese die vermeintlichen WeltherrscherInnen beschreiben. Zudem war die Seite voller unbelegter Mutmaßungen und Fehler. Das ist bedauerlich, aber kennzeichnend für die starke Verbreitung vereinfachten Denkens. Eine Gegenkritik erfolgte dann auch prompt unter der schon bekannten Internetadresse www.esowatch.org, aber erneut mit vielen Vereinfachungen - quasi ein Wettbewerb des verkürzten Denkens. Wobei klarzustellen ist, dass diese Kritik nicht in Abrede stellen soll, dass auf Psiram auch viele wichtige Kritiken und Verflechtungen aufgedeckt werden. Ein Blick lohnt daher durchaus - aber skeptisch!
    Einen meist ganz guten Eindruck von den Denklogiken vermitteln die bei vielen Veröffentlichungen angefügten Linksammlungen. Hier hat es Psiram in sich. Unter "Ökologismus" werden z.B. die Kritik an Atomenergie und Gentechnik lächerlich gemacht. Dabei werden wissenschaftliche Behauptungen aufgestellt (z.B. dass Gentechnik-Essen gesünder sei als Bio-Lebensmittel), für die es noch nie eine Forschung gegeben hat. Damit sind die "Verschwörungstheorie"-GegnerInnen genau auf dem gleichen Trip wie die von ihnen Kritisierten! Interessant ist oft auch, zu den AutorInnen zu recherchieren. Auch da zeigt Psiram Bemerkenswertes: Ökologismus-Gegner wie Beda M. Stadler empfehlen auf ihren Seiten z.B. die Seite "Achse des Guten" der Marktradikalen/Anarchokapitalisten Maxeiner und Miersch (zusammen mit Populist Henryk M. Broder). Ausschnitt aus der Linksammlung auf Psiram:

    Ein weiteres Beispiel ist die Sprache auf Psiram - eine Art "Offenbarung" im wahrsten Wortsinn. Hier an einem Beispiel:
    Zu seinen Aktivitäten soll Hirneise das pseudowissenschaftliche Werk Was Ärzte Ihnen nicht erzählen und Ansichten der Organisation people against cancer animiert haben. ...
    Offenbar will er somit die Stimmungslage der Patienten heben, was diese sodann als "Heilung" empfinden können. ...
    Offenbar ist Hirneise auch unter dem Pseudonym Prof. Dr. Peter Yoda der Autor eines "hochbrisanten Buches" in seinem eigenen Sensei-Verlag mit dem Titel Ein medizinischer Insider packt aus. ...
    ... heißt es in dem Buch, das offenbar ganz und gar nicht von einem Insider geschrieben wurde. ...
    Kausanetik - Dieser an die Dianetik der Scientologen erinnernde Begiff ...

    Und: Alle Zitate, die auf dieser Beispielseite am Ende zu finden sind, erfolgen ohne Quellenangabe.
  • Ausgerechnet die Zeitung "Skeptiker", Zentralorgan der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) reagierte auf eine Kritik an einem Artikel zur Agrogentechnik sehr kritikunfähig. Denn der Text, der vermeintlich die geistige Verwirrung der GentechnikkritikerInnen aufzeigen wollte, war von einem Gentechnikanwender geschrieben worden, über dessen Institute an der Uni Erlangen inzwischen so manche Betrügereien im Umgang mit Forschungsgeldern und -feldern bekannt waren. Sicherlich - so etwas kann mal passieren, dass mensch einen Aufklärungstext wünscht, aber leider einen Autor schreiben lässt, der eigene Interessen verfolgt und dafür manipulative Informationen aneinanderreiht. Bemerkenswert aber war, dass die Redaktion eine Kritik dazu nicht einmal anhören, geschweige veröffentlichen wollte. Wie absurd: Die AufruferInnen zu skeptischem Denken scheuen skeptische Analyse ihrer eigenen Texte wie der Teufel das Weihwasser ... ++ kritische Seite zu den SkeptikerInnen
  • Eine weitere vielbeachtete Schrift gegen einfache Welterklärungen ist Daniel Kullas Buch „Entschwörungstheorien“. Der Autor reiht viele Beispiele aneinander. Dabei arbeitet er vollständig ohne Quellenangaben. Für ein Buch, das vor allem mit seinen vielen Zitaten überzeugen will, ist das schlecht. Denn diese können nun nicht überprüft, ja oft nicht einmal konkreten Personen oder Kontexten zugeordnet werden. Dadurch gleichen auch hier die Methoden der "Verschwörungstheorie"-DemaskiererInnen denen derer, die sie kritisieren.
  • Für die Rhein-Ruhr-Skeptiker hielt Sebastian Bartoschek am 21.2.13 diesen Vortrag zu "Verschwörungstheorien" - leider ein typischer Vortrag aus der Skeptiker-Ecker. Ziemlich oberflächlich watscht er Verschwörungstheorien ab, benennt vor allem besonders abstruse Ideen und verkündert überraschend selbstsicher Wahrheiten. So behauptet er, dass erwiesen sei, dass sich die RAF-Gefangenen in Stammheim selbst erhängt hätten. Das mit dem Erhängen ist bereits seine Privaterfindung - der Rest seine Meinung, die eine der diskutierten Varianten ist. Bartoschek teilt mit, bei der GWUP aktiv zu sein (siehe oben), die ständig als Wahrheitsverkünder auftritt und dabei interessensgeleitete Personen auftreten lässt. Sein Vortrag steckt voller eigener Vereinfachungen bis Hetze/Verschwörungstheorie, z.B. dass Hussein bzw. der Irak Atombomben baute (das sagt nicht einmal die US-Regierung) oder Iran hat sie schon hat (das sagen nicht einmal die NATO oder die EU). Unproblematisch sieht er, dass er für die BILD-Zeitung gearbeitet hat und daher eher als Fachmann für Vereinfachungen und Hetze angesehen werden kann. Lässig stellt er Sarah Palin und Sahra Wagenknecht auf eine Stufe, ebenso Die Linke und NPD. Bei der BILD hätte der "Schnellschüsse nie erlebt". Die taz hingegen sei antikapitalistisch, folglich auch nahe am Antisemitismus. Inhaltlich widerlegt er die kritisieren Verschwörungstheorien nicht mit Ausnahme der Mondlandungsfrage, wo er es einen Zuschauer erzählen lässt. In einem anderen Fall benutzt er Verfassungsschutzberichte als Quelle für Aussagen über sog. Verschwörungstheoretiker_innen. Dass das Publikum die Vereinfachungen und Hetze im Vortrag widerspruchslos hinnimmt, ist vielleicht das Erschreckendste an dem ganzen Mitschnitt.
  • Offensiv gegen alles, was nach Religion und Glaubenskram riecht, kämpft seit Jahren Michael Schmidt-Salomon. Dabei neigt er mitunter zwar zu missionarischem Eifer bei der Bewerbung seiner eigenen Konzepte für eine bessere (humanistische) Welt. Aber das ändert nichts an oft präzise-scharfen Analysen religiöser Denkbeschränkungen. In seinem Buch "Keine Macht den Doofen" versucht er sich an Themen, von denen er erkennbar keinerlei Ahnung hat. Noch schlimmer: Der Vorkämpfer einer Befreiung von den Irrationalitäten der Religionen mit Hang zum dogmatischen und autoritären Heilslehrenverkünder des Atheismus und Humanismus durchmachte, wird mit diesem Buch selbst zum Prediger vereinfachter Welterklärungen. Weitgehend frei von Wissen und Quellen hetzt er über alles, was nicht einem blinden Glauben (dieses Wort verwendet er – vielleicht versehentlich – sogar selbst schon im zweiten Satz des Buches) an die Wissenschaft folgt. Was in Laboren entwickelt wird, ist gut – von der vorgeburtlichen Auswahl unwerten Lebens (S. 75) bis zur Agrogentechnik. Nicht nur, dass er dabei plattesten Argumenten der Industrie folgt, die selbst dort in internen Papieren als Unsinn bezeichnet werden, sondern er zeigt beeindruckende Wissenslücken z.B. über die Ursachen von Hunger. In einer Fußnote verrät er, wes Geistes Kind das Buch ist: Schmidt-Salomon rechnet mit seiner eigenen Vergangenheit ab. Er ist einer der typischen Fälle von politisch aktiven Menschen, die im Laufe der Zeit zu Anhänger_innen zugespitzten Mainstreams werden. Anarchokapitalistische Anleihen sind überall im Buch zu erkennen. Markt und Technik muss freien Lauf gelassen werden. Wer im Weg steht, gehört zu den Doofen und muss weggeräumt werden. So Doofe, wie Schmidt-Salomon wohl seine eigene Vergangenheit sieht und per Selbstfindungs-Bücherschreiben bekämpft. Insofern ist es sicherlich ein Affront den Autor und sein Buch unter „Vereinfachte Welterklärungen“ einzustufen – aber ein verdienter. Zur Gentechnik liest sich das so: "Dass alle großen Wissenschaftsorganisationen die Grüne Gentechnik gänzlich anders bewerten als die Politik, stört offenbar niemanden. Dabei sprechen die Fakten für sich"' wenn man denn bereit ist, sich auf diesem Gebiet auf rationale Argumente einzulassen (was ich, wie ich zugeben muss, als alter Greenpeace Sympathisant lange Zeit auch nicht tat"): Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sind in der Regel weniger umweltzerstörend, weniger gesundheitsgefährdend, weniger allergen als konventionelle Landwirtschaftsprodukte, ja, sie sind in diesen Punkten sogar "Bio Erzeugnissen" überlegen. Vor allem aber zeichnet sich die Grüne Gentechnik durch nachhaltig höhere Erträge aus insbesondere in Gebieten mit ungünstigen ökologischen Rahmenbedingungen." Als Quellen verwendet Schmidt-Salomon die Deutsche Forschungsgemeinschaft und Beda M. Stadler - beide sehr einfach und leicht recherchierbar als interessensgeleitete Akteure zu erkennen.

Im Original: Michael Schmidt-Salomon im Original
Pro PID und pro Gentechnik
Aus Michael Schmidt-Salomon (2012), "Keine Macht den Doofen"
Ziel der PID ist es, durch eine frühzeitige Untersuchung künstlich befruchteter Eizellen nur solche Embryonen in die Gebärmutter einzupflanzen, die die bestmögliche Aussicht auf eine gesunde Entwicklung haben. Eigentlich eine gute Idee, sollte man meinen vor allem wenn man bedenkt, welch hohe physische und psychische Kosten die betroffenen Frauen ohnehin tragen müssen, wenn sie den beschwerlichen Weg einer künstlichen Befruchtung gehen. Dennoch stimmten 43 Prozent der deutschen Parlamentarier für ein rigoroses Verbot der PID, während die Mehrheit für eine Gesetzgebung votierte, die die Zulässigkeit der PID auf einige wenige Fälle begrenzte. Was waren die Gründe für diesen Akt der politischen Bevormundung? ...

Tomaten ohne Gene?
Es ist nicht erstaunlich, dass die Grünen von diesen veränderten Verhältnissen am stärksten profitieren konnten. Immerhin treten sie schon seit Jahrzehnten entschieden gegen die Nutzung der Kernenergie ein. Nicht nur deshalb ist man geneigt, den Grünen größere Kompetenz in ökologischen Fragen zuzubilligen als anderen Parteien. Allerdings sind auch die Grünen gegen Ökologiotie keineswegs gefeit. Am deutlichsten zeigt sich dies wohl in ihrer rigorosen Abwehr der Gentechnik.
Dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gesundheitsgefährdend und ökologisch bedenklich seien, gehört zum festen Glaubenssystem jedes ordentlichen grünen Politikers. Bemer-kenswerterweise ist ihnen nach der AKW Kritik allerdings auch dieses Alleinstellungsmerkmal verloren gegangen. Denn mittlerweile tun sich Politiker aller Parteien dadurch hervor, den europäischen Markt vor der vermeintlichen Gefahr transgener Produkte beschützen zu wollen. Fragen wir uns: Worauf ist diese merkwürdige Einigkeit der politischen Klasse zurückzuführen? Etwa auf wissenschaftliche Studien, die die Bedenklichkeit genetisch veränderter Pflanzen nachgewiesen hätten? Nein, so etwas würde Realpolitiker nicht beeindrucken. Auch in diesem Fall war und ist für die politische Entscheidungsfindung nicht die argumentative Sachlage, sondern die allgemeine Interessenlage maßgeblich: Politiker aller Fraktionen wettern deshalb gegen gentechnisch erzeugte Nahrungsmittel, weil dies erstens im Sinne ökologischer wie konventioneller europäischer Landwirtschaftsverbände ist und weil zweitens in der Bevölkerung die Angst vor diesen Produkten so stark verbreitet ist, dass es einem politischen Selbstmord gleichkäme, das Gegenteil zu tun.
Dass alle großen Wissenschaftsorganisationen die Grüne Gentechnik gänzlich anders bewerten als die Politik, stört offenbar niemanden. Dabei sprechen die Fakten für sich"' wenn man denn bereit ist, sich auf diesem Gebiet auf rationale Argumente einzulassen (was ich, wie ich zugeben muss, als alter Greenpeace Sympathisant lange Zeit auch nicht tat"): Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sind in der Regel weniger umweltzerstörend, weniger gesundheitsgefährdend, weniger allergen als konventionelle Landwirtschaftsprodukte, ja, sie sind in diesen Punkten sogar "Bio Erzeugnissen" überlegen. Vor allem aber zeichnet sich die Grüne Gentechnik durch nachhaltig höhere Erträge aus insbesondere in Gebieten mit ungünstigen ökologischen Rahmenbedingungen.
Die deutsche Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein Volhard brachte den Stand der Forschung auf den Punkt, als sie feststellte, "dass die Anwendung der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung ein noch unausgeschöpftes Potenzial für den ökologischen Landbau, für verbesserten Umweltschutz, die Erhaltung der Artenvielfalt und die Gesundheit bietet". Die Vorteile liegen auf der Hand: "Pflanzen, die resistent gegen Motten, Pilzbefall, Viren und Nematoden sind, müssen nicht gespritzt werden. Pflanzen, die besser an ungünstige Wachstumsbedingungen, Salzböden, Karst, Trockenheit angepasst sind, können so gezüchtet und angebaut werden, um verödetes Land wieder fruchtbar zu machen."Natürlich bietet jede potente Technik neben Chancen auch Risiken, aber in diesem Fall ist das Urteil der Wissenschaft erstaunlich eindeutig: Die rigorose Absage an die Gentechnik ist - anders als dies von Umweltschützern gemeinhin angenommen wird - kein Ausdruck von ökologischer Weitsicht, sondern von ökologischer und ökonomischer Unvernunft.
Wenn man die Dinge etwas genauer betrachtet, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass die grassierende Anti-Gentechnik Hysterie ein Luxus Spleen verwöhnter Europäer ist, die es sich leisten können, irrational romantischen Ökomythen zu folgen, statt die ökonomischen und ökologischen Potenziale einer Technik auszuloten, die gerade den Ärmsten der Armen Chancen auf eine bessere Zukunft bietet. Dabei beruht die fast ausschließlich in reichen Nationen verbreitete Angst vor transgenen Produkten nicht zuletzt auf Unwissenheit. So kamen Umfragen Ende der 1990er Jahre zu dem Ergebnis, dass 35 Prozent der EU Bürger und 65 Prozent der US Amerikaner glaubten, dass konventionell gezüchtete Tomaten keine Gene enthielten. Noch größere Bevölkerungsanteile dürften sich im Unklaren darüber sein, dass selbstverständlich auch die kon-ventionelle Züchtung, die wir Menschen seit rund 12 000 Jahren betreiben und ohne deren Erfolge wir verhungern würden, notwendigerweise mit Eingriffen ins Erbgut verbunden ist. Im Grunde besteht der Unterschied zwischen traditioneller Zucht und moderner Gentechnik allein darin, dass der Eingriff ins Erbgut heute etwas gezielter erfolgen kann." Wahr ist allerdings, dass mithilfe der neuen biotechnischen Verfahren auch genetische Informationen fremder Arten in das Genom einer Kulturpflanze eingeschleust werden können. Dieser "horizontale Gentransfer" ist tatsächlich ein neues Verfahren für uns Menschen, unnatürlich, wie viele meinen, ist es jedoch nicht, denn in der Natur kommt es schon seit Jahrmillionen vor, dass Pflanzen genetische Sequenzen aus anderen Organismen und Viren aufnehmen.
Dass viele Europäer Gentechnik als " unnatürlich" ablehnen, beruht nicht nur auf einer Unkenntnis der Biotechnologie, sondern auch auf einem inadäquaten Naturverständnis. Viele Ökologiebewegte begreifen die Natur noch immer als etwas Statisches, das man in einem bestimmten Zustand erhalten müsste, obwohl die Natur stets im Fluss ist (Evolution) und sich die Genome der Organismen selbstverständlich auch ohne Eingriff des Menschen wandeln würden. Dabei sind wir Menschen keineswegs die einzigen Lebewesen, die ins Erbgut fremder Organismen eingreifen - Mikroorganismen tun dies schon seit Jahrmilliarden. Kurzum: Die Vorstellung, es sei eine Art "Sündenfall", wenn der Mensch das Erbgut anderer Organismen verändert, ist nichts weiter als ein ökologiotischer Mythos, der sich vornehmlich aus drei antievolutionären Quellen speist: a) dem theologischen Mythos von einer gottgeschaffenen Konstanz der Arten (den Darwin widerlegte), b) dem romantischen Mythos einer "heilen Natur" (der all die Übel ignoriert, die in der Natur real vorherrschen), sowie c) dem anthroposophischen Mythos einer in "kosmischer Harmonie" stehenden Landwirtschaft (die Pflanzen "wesensgemäß" züchten will, weshalb nicht nur jegliche Gentechnik, sondern auch schon die Kreuzung von Weizen und Dinkel verpönt sind).
Halten wir fest: Die Tatsache, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht mit dem Bio Siegel ausgezeichnet werden dürfen, ist nicht darauf zurückzuführen, dass transgene Produkte unökologisch oder gesundheitsgefährdend wären. Der Grund hierfür liegt vielmehr in den höchst irrationalen (teils auch politisch reaktionären) Vorstellungen, die die ansonsten so verdienstvolle ökologische Landwirtschaft von Anfang in sich trug."' Da diese Irrationalismen innerhalb der Ökologiebewegung nie kritisch aufgearbeitet wurden, gelangten sie über Bündnis90/Die Grünen, die Lobbypartei der ökologischen Landwirtschaft, in die Politik. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sich auch die traditionellen Parteien auf die Grüne Gentechnik einschossen. Denn das entsprach nicht nur der Haltung vieler Wähler, die nach all den Lebensmittelskandalen der jüngeren Vergangenheit zutiefst verunsichert waren, sondern vor allem auch den Interessen der konventionellen Landwirtschaftsverbände, die sich mithilfe eines Einführverbots von gentechnisch veränderten Lebensmitteln auf elegante Weise gegen unliebsame außereuropäische Konkurrenz schützen konnten. Dass diese Marktabschottung gerade Schwellen- und Entwicklungsländern großen Schaden zufügte, die von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen besonders profitieren, bekam der Verbraucher, der sich einbildete, es ginge bei der Anti Gentechnik Politik in erster Linie um seine Gesundheit, gar nicht mit.
Ein rationaler Umgang mit moderner Biotechnologie würde Grüne Gentechnik weder als Teufelszeug verdammen noch als Wundermittel zur Lösung aller Probleme anpreisen. Argumentationszugängliche Politiker sollten begreifen, dass die moderne Biotechnologie hilfreich sein könnte, um das Problem des Welthungers zu lösen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass entsprechende politische und ökonomische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die entscheidende Frage sollte daher nicht lauten, ob Grüne Gentechnik überhaupt eingesetzt werden darf (es wäre unverantwortlich, es nicht zu tun), geklärt werden muss vielmehr, wie sie sinnvollerweise eingesetzt werden sollte. Die von den Grünen und von Greenpeace vorgebrachte Kritik am Geschäftsgebaren der Firma Monsanto hat in dieser Hinsicht selbstverständlich ihre Berechtigung. In der Tat wäre es verheerend, wenn eine einzige Firma den globalen Markt mit transgenen Kulturpflanzen beherrschen würde. Nur: Eine solche Monopolstellung verhindert man nicht durch eine fundamentalistische Blockade der Gentechnik, sondern durch eine verantwortungsvolle Forcierung der öffentlichen Forschung!


Gut und Böse, wahr und falsch
Aus Michael Schmidt-Salomon (2016), "Die Grenzen der Toleranz", Piper in München (S. 10)
Es ist eines der Grundübel unserer Zeit, dass ein Großteil der Menschen entweder nicht willens oder nicht fähig ist, zwischen Humanem und Inhumanem, Recht und Unrecht, Wahrheit und Propaganda, Vernünftigem und Widersinnigem zu unterscheiden. Insofern besteht das zentrale Problem, mit dem wir zu kämpfen haben, nicht in einem Mangel an Toleranz, sondern in einem Übermaß an Ignoranz.

Achse des Guten
Ohnehin - die seltsame Kombination von Populisten, Anarchokapitalisten usw. unter dem Internetlabel "Achse des Guten" hat es einigen Kritiker_innen der vereinfachten Welterklärungen angetan. Leute wie Henryk M. Broder, Prototyp vereinfachter Welterklärungspropheten, wurden in "linken" und intellektuellen Kreisen zum Teil hoch angesehen, weil ihre Vereinfachungen gegen andere Vereinfachungen gerichtet waren (z.B. ein "Israel ist toll" gegen das "Israel ist böse"-Gerede ... fraglos beides peinlicher Kopfentlastungsübungen). Henryk M. Broder hat am 19.9.2014 in "Die Welt" (Springer-Tageszeitung) heruntergeschrieben, was alles eigentlich "unter die Theke gelacht" gehört und "unter normalen Umständen allenfalls komisch" wäre, aber in der Welt ernst genommen wird - nach seiner Meinung zu Unrecht.

Im Original: Henry M. Broder im Original
Aus "Die Welt", am 19.9.2014
1997 wurde die eheliche Vergewaltigung ebenso zum Straftatbestand erklärt wie die außereheliche und damit ein jahrhundertealtes Vorrecht der Männer abgeschafft. Mit dem "Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung" aus dem Jahre 2000 wurde allen Kindern "ein Recht auf gewaltfreie Erziehung" zugesichert. Nicht nur "körperliche Bestrafungen", auch "seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen" wurden für "unzulässig" erklärt.
Gleichgeschlechtliche Paare, die "heiraten" wollen, können seit 2001 eine "eingetragene Lebenspartnerschaft" eingehen, die der Zivilehe sehr nahekommt. Die völlige rechtliche Gleichsetzung hetero- und homosexueller Ehen ist nur eine Frage der Zeit. Anfang 2013 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner mit Kindern als "geschützte Familie im Sinne des Grundgesetzes" anzusehen sind. ...
Der soziale Wandel in der Bundesrepublik hat nicht nur mit alten Traditionen aufgeräumt, er hat auch ganz neue Maßstäbe für ein gedeihliches Miteinander geschaffen.
Weil Arbeit, Leistung und Entlohnung nicht mehr aufeinander bezogen sind, wird über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle diskutiert, das soziale Unterschiede ausgleichen soll. "Soziale Gerechtigkeit" steht in den Programmen aller Parteien an prominenter Stelle. Als sozial ungerecht und unzumutbar gilt bereits, wenn die wöchentliche Unterrichtszeit an Gymnasien in Niedersachsen von 23,5 auf 24,5 Stunden erhöht werden soll. Dann gehen Lehrer auf die GEW-Barrikaden und sagen aus Protest Klassenfahrten ab. Gerecht und angemessen ist es dagegen, wenn ein Jobcenter einem Hartz-IV-Empfänger eine Reise nach Indonesien bezahlt, damit der seinen in Surabaya lebenden Sohn aus einer gescheiterten Beziehung besuchen kann. ...
In jedem Fall aber müssen wir uns fragen, welchen Preis wir dafür bezahlen, dass wir den Faktor "Risiko" durch "Planungssicherheit" ersetzt haben. Von Unfällen im Haushalt und Straßenverkehr einmal abgesehen.
Der Preis des Glücks liegt in der Entkoppelung von der Realität. Wie Truman Burbank, gespielt von Jim Carrey in der "Truman Show", haben wir uns in einer virtuellen Welt gemütlich eingerichtet, aus der das Böse verbannt wurde. Niemand ist böse. Niemand meint es böse, nicht einmal die Taliban oder die Kopfjäger des Islamischen Staates. Auch die Täter sind, genau genommen, Opfer historischer oder gesellschaftlicher Verhältnisse; wenn es nicht die Kolonialzeit ist, die nachwirkt, dann eine schwierige Kindheit voller Entbehrungen. Es gibt keinen Konflikt, den man nicht friedlich, auf dem Verhandlungswege, lösen könnte. Am Hindukusch ebenso wie in Neukölln. ...
Erst bestreiten wir, dass es eine "Armutswanderung" überhaupt gibt, dann "helfen" wir den überforderten Kommunen bei der Bewältigung jener Probleme, die mit der Armutswanderung ins Land gekommen sind. Das hält uns nicht davon ab, nach Bulgarien und Rumänien auch der Ukraine den Weg in die EU zu ebnen. ...
Der Islam, hören wir täglich, ist eine Religion wie jede andere auch, man müsse nur genau zwischen Islam und Islamismus unterscheiden, obwohl niemand weiß, wo das eine aufhört und das andere anfängt. ... Wir nehmen solche Ansinnen ebenso gelassen hin, wie wir es hinnehmen, dass wir von Genderforschern und -forscherinnen dahingehend belehrt werden, die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen sei keine biologische Tatsache, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt. Wer so etwas behauptet, wird nicht unter die Theke gelacht, er beziehungsweise sie wird mit hoch dotierten Preisen ausgezeichnet. ...
Im Reich der Illusionen bestimmt eben nicht das Sein das Bewusstsein, sondern die Angst vor der Vertreibung aus einem Paradies ...


Infoseiten
  • correcT!V - der Versuch, Meldungen zu überprüfen und zu korrigieren

Beispiele für komplex-analytische Kritiken an Umweltzerstörung und gesellschaftlichen Verhältnissen

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