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DEN KOPF ENTLASTEN? WOHER KOMMEN UND WAS SOLLEN "VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN"?

Gegenmittel: Skeptisches Denken


1. Einleitung
2. Definitionen
3. Was braucht es und was macht alles so attraktiv?
4. Cui bono - sind die Nutznießer von Ereignissen auch deren Verursacher?
5. Vereinfachte Welterklärungen an Beispielen
6. Können "Verschwörungstheorien" auch nützen?
7. Gegenmittel: Skeptisches Denken
8. Wer klärt auf und enthüllt "Verschwörungstheorien"?
9. Was sagen die Kritisierten zur Kritik?
10. Warum werden solche "Theorien" eigentlich verbreitet?
11. Links und Materialien
12. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Eigentlich hätten die ideologischen Propagandamaschinen von Regierungen, Institutionen, Konzernen, "think tanks" und anderen bessere Gegner_innen verdient als die lange Palette der Welterklärer_innen unterschiedlicher Vereinfachungsgrade von Anti-Finanzkapital bis zu Weltverschwörungen kleiner Kreise oder Außerirdischer. Doch unabhängiges Denken, Hinterfragen, Recherchieren und Gegenöffentlichkeit sind rar. Dabei wäre genau das ein wirksames Gegengift zur Manipulation des Kopfes: Das Nutzen und dabei Trainieren des eigenen kritischen Denkens.
Es gibt keine Pillen gegen verkürzte Analysen. Skeptisches Denken ist eine Form hinterfragender Wahrnehmung aller Informationen und Eindrücke. Es fühlt sich anstrengend an – am Anfang. Wer aber das skeptische Denken zum Alltag macht, wird merken, wie der Kopf mitgeht und zu einem verlässlichen Werkzeug wird, sich von nichts und niemandem mehr einfach einlullen und zu einer neuen „eigenen“ Meinung bringen zu lassen. Wer genau hinguckt und hinterfragt, emanzipiert sich nicht nur von vorgekauten Informationen und Wertungen aus offiziellen Ecken, sondern benötigtz gar keine gutgläubige Übernahme wohlklingender oder scheinbar schlüssiger Erklärungsversuche mehr. Alles, was mit einfach erscheinenden Erklärungen herüberkommt, sollte kritisch beäugt werden. Oder besser: überhaupt alles. Denn dazu ist der Kopf da - und das beste Gegengift zu "Verschwörungstheorien" und Regierungspropaganda heißt schlicht, immer skeptisch zu sein, zu hinterfragen und viele Quellen zu nutzen. Beginnt gleich mit diesem Text: Auch er ist keine unhinterfragbare Weisheit. Nichts ist eine Bibel - schon gar nicht die Bücher, die sich dreist auch noch so nennen, um besonders wichtig genommen zu werden. Dein Kopf ist der Partner, auf den Du Dich am meisten verlassen kannst in dem Sinne, dass Du einen immer Einfluss auf die Faktoren hast, die in ihm wirken. Jedoch bedenke, dass jeder Mensch - also auch Du - eine lange soziale Zurichtung abbekommen hat, unter den Diskursen der Zeit steht und sich all das in der Art der Wahrnehmung und Wertung verfestigt hat. Das lässt sich nicht abstellen, aber es gibt Hilfsmittel, um den eigenen Projektionen und erst recht denen anderer auf die Schliche zu kommen.
Kritisches Hinterfragen hat viele Vorteile, unter anderem auch eine bessere Abwehr gegen das Eindringen rechten und anti-emanzipatorischen Gedankenguts in eigene Überzeugungen. Das ist vielerorts nötig, z.B. in der Gentechnikkritik: Da treiben sich mitunter mehr oder weniger offen NPDler_innen herum, weit häufiger aber noch krude Heimatschützer_innen bis zu Menschen, die einem erzählen wollen, hinter allem stünden jüdische und/oder US-amerikanische Konzerne, Geheimdienste oder gar Außerirdische. Die Ausweitung einer herrschaftskritischen und emanzipatorischen Position bietet die notwendige und deutliche Abgrenzung gegenüber solchen und anderen antiemanzipatorischen Blickwinkeln. Am besten wird sie mit dem offensiven Formulieren einer Zukunft kombiniert, in der nicht die Zunahme von Kontrolle, Macht und Reglementierung, sondern deren Verschwinden die menschliche Produktivkraft für ein besseres Leben nutzbar macht. Solange aber nur Sorgen um Gesundheit und Umwelt die Kritik ausmachen, können sich Rechtsextreme, Freund_innen entfesselter Regulierungswut durch immer neue Gesetze und Ordnungstruppen ebenso problemlos einreihen wie die Anbeter_innen fremder Mächte von kosmischer Energie bis zu irgendwelchen Göttern, deren Willen zu befolgen sei oder deren Werke mit der Gentechnik besudelt würden. Die Unterschiede würden nicht auffallen. Sie wären im Kern ja auch gar nicht vorhanden. Wo aber eine emanzipatorische Orientierung prägend wird, entspannt sich die Lage. Wer sich um die Machtfülle von Staaten oder Göttern, die Reinheit von Völkern oder die Unversehrtheit von Heimat sorgt, steht dann im Widerspruch dazu. Abgrenzungen wären nicht mehr nötig, weil eine inhaltliche Nähe fehlt.

Dem skeptischen Hinterfragen steht der Verlust einfacher Orientierung im Leben gegenüber. Die schönen Klarheiten, die bisher den festen Anker des eigenen (politischen) Denkens bildeten, verschwinden. Ebenso fehlen geistige Führungsfiguren, Leitideologien und -kulturen. Fortan ist nichts mehr selbstverständlich, sondern die - sich durch Übung schärfenden - Sinne beobachten, hinterfragen, analysieren. Bei Bedarf werden Menschen selbst recherchieren, unangenehme Fragen stellen. Nichts ist schon vorher klar, nichts mehr einheitlich. Die Gesellschaft besteht nicht weiter aus festen Kategorien, sondern zerfällt in eine unendliche Vielfalt, die zudem dynamisch ist, d.h. sich ständig verändert. Sie ist eine Welt, in der viele Welten Platz haben.

Was immer gilt: Kritische Analyse statt feststehender Wahrheiten
Zum skeptischen Denken gehört auch die prinzipielle Skepsis gegenüber eigenen, gerade für sinnvoll gehaltenen Analysen und Überzeugungen. Es gibt keine Dogmen und keine Wahrheiten. Jede Meinung, die sich selbst für ewig richtig hält, ist ein Dogma. Denn wer heute meint, dass eine Überzeugung auch morgen noch Bestandskraft haben soll und wird, definiert sich selbst außerhalb der Fortentwicklung von Wissen und Möglichkeiten. Das machen aber nicht einmal PhysikerInnen auf der Suche nach dem Ursprung der Materie - warum also sollte es bei Erklärungsmodellen für soziale Abläufe gelten, wo doch dort deutlich mehr verändernde Einflüsse und grundsätzliche Möglichkeitserweiterungen hineinspielen.

Die kritisch-skeptische Analyse sei daher geübt und zum Alltag des Denkens gemacht. Sie stellt mindestens die folgenden Fragen an jede Information:
  • Zahl und Qualität der Quellen: Werden überhaupt welche genannt? Wenn ja: Welche sind das? Was verbirgt sich hinter ihnen: Nur noch einmal die gleiche Aussage? Vielleicht sogar einfach der gleiche Textbaustein, diesmal im Internet oder in einem Buch, aber da ohne Quellen? Sind Zitate belegt hinsichtlich Zeit, Ort usw.?
  • Welche Interessen oder Motive stehen hinter Entstehen oder Verbreitung der Information?
    Wie gesagt: Es gibt keinen Text frei von Interessen. Aber diese können verschleiert werden. Werden Interessen/Motive genannt? Oder gibt es gar einen Objektivitäts-/Sachlichkeitsschein? Lassen sich Motive aus dem Kontext (Veranstalter_in, Verlag, weitere Texte drumherum, Anzeigenschaltung, Herausgeberschaft …) erschließen?
  • Gibt es gar eine Mission? Also z.B. eine übergeordnete politische Botschaft, das Ziel maximaler Spendeneinnahme oder Mitgliedwerbung hinter dem Text? Kommt er aus religiösen oder ideologisch ausgerichteten Quellen? Welchen und wie eng engebunden?
  • Enthalten die Informationen Projektionen, d.h. werden bestimmte Vorurteile oder vorher feststehende Bilder in ein Geschehen hineininterpretiert? Projektionen sind Denkmuster, die schon vor dem Verfassen des Textes oder vor der im Text niedergeschriebenen Analyse vorhanden waren. Will der Text also am beschriebenen Sachverhalt nur beweisen, was vorher schon feststand? Ähnlich ist es mit Axiomen, also Grundannahmen, die den Ausgangspunkt der Analyse darstellen (z.B. USA sind eine Militärmacht, Deutschland hatte mal eine soziale Phase, Afrika ist unterentwickelt, Finanzkapital ist besonders böse, Heinz war schon immer etwas komisch, der Holocaust ist erfunden, die TwinTowers wurden vom CIA/von Islamisten zerstört ...). Die sind nicht immer vermeidbar, können aber benannt oder eben auch verschleiert werden.
  • Sind Analogien, wenn sie vorgenommen werden, passend? Ist also eine beschriebene Sache tatsächlich so etwas Ähnliches wie xy? Oder behaupten sie Scheinähnlichkeiten, die sich tatsächlich nicht vergleichen lassen - nur um zu diskriminieren, stigmatisieren, Denkmuster oder Kategorien zu bilden??
  • Wo finden sich Zirkelschlüsse, d.h. wo wird A mit B begründet und dann B mit A?
  • Werden aus Einzelinformationen Verallgemeinerungen gemacht und/oder Pauschalisierungen abgeleitet?
  • Werden komplexe Sachverhalte auf einzelne Informationen vereinfacht bzw. aus vielen denkbaren Ursachen nur eine genannt?
    Hinweis auch hier: Jeder Begriff ist eine Vereinfachung, ohne die Kommunikation gar nicht möglich ist. Sie kann aber als solche dargestellt, auf dahinter verborgene und komplexere Wirkungssysteme hinweisen. Die Frage ist daher: Sind Vereinfachungen gekennzeichnet bzw. eingebettet?
  • Welche Sprache (z.B. mit zu einem bestimmten Denken drängenden Wörtern wie "sollst, wirst, ist, wahr, objektiv, bewiesen ...") und welche kulturellen Codes enthält die Information?

Das ist sicherlich nur eine unvollständige Liste, wie mensch auf Texte, Informationen usw. gucken kann. Dabei bitte immer bedenken: Wahrheit, „das ist bewiesen“ oder Objektivität sind Kategorien von Herrschaft. Tatsächlich können Menschen nicht frei von Zurichtungen, Interessen und Vorlieben denken und formulieren! Das ist daher auch nicht verwerflich, es kommt aber darauf an, diese mitschwingen Intentionen zu entdecken und abzuwägen. Denn des Menschen Stärke ist seine Fähigkeit, abzuwägen – und sich dafür ganz gezielt auch skeptische bis abweichende Meinungen einzuholen.
Neben dem skeptischen Blick auf alle Informationen hilft es, ganz gezielt nach abweichenden Meinungen zu suchen – also in den Quellen, die mensch selbst vielleicht nicht so mag: Wie wird dort argumentiert, wie sind die Interessen gelagert usw.? Gibt es gar Entgegnungen zur gerade erhaltenen Informationen? Und was bieten die?

Aus "Eine herrschaftskritische Warnung" von Jörg Bergstedt, im Text: "Gentechnik und Herrschaft: Eine Kritik aus emanzipatorischer Perspektive"
Aus der Idee von Unbestimmtheit der Zukunft folgt aus herrschaftskritischer Sicht eine Position, die manch radikalem/r GentechnikgegnerIn vielleicht zunächst aufstößt: Es ist nie emanzipatorisch, die Zukunft festschreiben zu wollen. Über das Geschehen in einigen Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten entscheiden nicht die Menschen jetzt, sondern dann. Deshalb ist es problematisch, nicht rückholbare Veränderungen vorzunehmen. Zwar ist Wandel auch immer ein Teil von Natur und Kultur (die ohnehin nicht trennbar sind), aber dennoch müssen grundlegende Eingriffe besonders gut überlegt und begründet werden. Das ist ein wichtiges Argument gegen Gentechnik. Allerdings folgt daraus nicht, dass auch unter gewandelten, z.B. herrschaftsfreien Verhältnissen jede Gentechnik abzulehnen ist. Denn diese Situation ist aus der heutigen heraus nicht wirklich plan- und vorstellbar. Daher wäre eine Festlegung ein anti-emanzipatorischer Akt, weil es Menschen der Zukunft Handlungsschranken auferlegen will. Daher sollte eine emanzipatorische Kritik der Gentechnik immer die konkreten Formen dieser Technik benennen und die Rahmenbedingungen, unter denen sie steht. Daraus kann eine grundlegende Ablehnung der Gentechnik folgen, denn alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens unterliegen aktuell sowohl der Profit- wie auch der Machtmaximierung, z.B. auch die Medizin. Es ist sogar sehr naheliegend, die Gentechnik unter aktuellen Bedingungen ganz abzulehnen. Aber eben nicht für immer, weil es grundsätzlich nicht sinnvoll ist, für Situationen etwas festlegen zu wollen, die mensch nicht kennt. Jedenfalls aus herrschaftskritischem Blick wäre das fatal. Denn die radikal herrschaftskritische Perspektive ist dort aufgehoben, wo aus politischen Positionen, die aus aktuellen emanzipatorischen Überlegungen resultieren, feststehende, nicht mehr hinterfragbare Dogmen werden. Herrschaftsfreiheit kennt keine Klarheiten außer der, dass immer die Menschen selbst der Ausgangspunkt sind. Nichts steht höher als sie - keine Religion, Moral, kein Gesetz und keine Ideologie, auch wenn viele das behaupten oder mit Macht durchsetzen.


Von Schein gesteuerter Verhältnisse
Der Verdacht, etwas sei von zentraler Hand gesteuert, entsteht oft (auch) deshalb, weil sich Verhältnisse ähneln.
  • Alle Industrienationen reißen sozialpolitische Standards ab und pumpen Großindustrie, neue Technologien und Banken voll Geld. Das kann doch kein Zufall sein ...
  • NATO-Länder und ihre Verbündeten zettern Kriege an und halten zusammen. Da zieht doch einer die Strippen ...
  • Bürgerliche Medien verschweigen Informationen, die bestehende Verhältnisse grundlegend in Frage stellen. Die werden doch von irgendwoher alle kontrolliert ...
  • Immer wenn ich mich über mir bislang unbekannte Firmennamen informiere, stecken große Konzerne dahinter. Da zeigt sich doch, dass nur Wenige Welt beherrschen ...

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Doch der Schein trügt. Wer die tatsächlich spürbare Gleichschaltung von Verhaltensweisen als Beleg für die Steuerung durch zentrale Gruppen wertet, unterschätzt die Macht der Diskurse und Verhältnisse. Diese dringen nämlich viel tiefer in die Poren des Lebens ein, bis in die kleinsten Ritzen des Alltags. Fast alle Menschen, die über genügend Geld verfügen, leben in Wohnungen, wollen arbeiten, jagen Billigangeboten hinterher, gucken stundenlang pro Tag Fernsehen und Internet, glauben an die Existenz voneinander unterscheidbarer Geschlechter, Rassen usw. Für all das gibt es nirgends Steuerungsgruppen, die solches Denken verordnen. Sondern die Gesamtheit der Einflüsse prägen die Menschen (auch jede_n Einzelne_n von uns). So ist es auch im Großen: Alle Firmen müssen Profite machen und Kapital akkumulieren - bei Strafe der Insolvenz. Ihre Angestellten sind die Vollstrecker_innen dieses Zwangs. Sie sind damit Marionetten - aber nicht konkreter Machtkreise, sondern der Verhältnisse und Interessen, die von einer amorphen Sphäre von Elite exekutiert wird.

Als Beispiel mag Wikipedia dienen. Wer meint, das sei eine offene Plattform, bei der alle mitarbeiten können und so verschiedene Blickwinkel auf eine Sache geworfen werden können (was herrschaftstheoretisch und wissenschaftlich das Beste ist, was erreichbar ist), irrt. Wikipedia vertritt die - völlig unwissenschaftliche - These, dass es Wahrheit gibt. Diese folgt aus einem "neutral point of view" (NPOV). Doch so etwas können Menschen gar nicht haben. Tatsächlich ist es die Meinung derer, die bei Wikipedia die Macht haben. Wird etwas Abweichendes geschrieben, so zensieren die Adminstrator_innen (eine Art Wikipedia-Polizei) das Unerwünschte weg. Statt Argumenten wird einfach behauptet, es sei nicht NPOV - also nicht die Wahrheit. Wie von Geisterhand gesteuert neigt nun Wikipedia dazu, tendenziell vor allem fortschrittsgläubige und pro-kapitalistische Positionen zu fördern. Doch die Geisterhand sind auch hier die Diskurse und Verhältnisse. Die Administrator_innen sind kein Querschnitt der Bevölkerung, sondern Akademiker_innen, die viel am Computer machen. Sie wollen sich zudem bei den Bildungseliten einschleimen. Und schließlich braucht das Projekt nicht nur Anerkennung bei den Eliten, sondern schlicht auch Geld. Alles zusammen reicht, um einen Druck auszuüben, der sich in Einseitigkeit niederschlägt. Eine direkte Steuerung bedarf es dafür nicht.
  • Extraseite zu Herrschaftsausübung bei Wikipedia

Konkrete Kritik mit umfangreicher Analyse verbinden
Konkrete Gegenpolitik muss greifbare Missstände oder Symbole thematisieren und angreifen, um wahrnehmbar zu werden. Das schafft die Gefahr, die Kritik auch auf den Einzelpunkt zu reduzieren, um so schnelle Erfolge oder gute PR zu machen. Da aber die Missstände immer auch einen komplexe Hintergrund haben, läge darin bereits eine Form der Vereinfachung. Gegenmittel ist, mit der konkreten Kritik die Benennung der dahinterliegenden Gesamtverhältnisse zu verknüpfen.

Im Original: Konzern- mit Gesellschaftskritik verbinden
Aus einem Gespräch mit Axel Köhler-Schnura von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) zu Konzernkritik und zum Verhältnis zu den Gewerkschaften, in: Direkte Aktion, Nov 2014
Frage: Konzernkritik birgt ja immer so eine gewisse Gefahr, den Kapitalismus mit seinem Wachstumszwang zu verkürzen. Problematisch ist es ja etwa bei Banken, die gerne mal als Feindbild dienen. Besteht nicht schon eine gewisse Tendenz bei Kritik an einer Branche bzw. einem Unternehmen?
Das ist tatsächlich ein Problem. Es gibt die Gefahr, dass alle Probleme auf „die Konzerne“ oder „das Finanzsystem“ verkürzt werden. Deshalb ist es wichtig, dass Konzernkritik eingebettet ist in Gesellschafts- und Systemkritik und dass die gesellschaftlichen Zusammenhänge immer mitthematisiert werden. Das tun wir bei der CBG. Wir verstehen uns als kapitalismuskritisches Netzwerk und thematisieren die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihrem Profitzwang mit. Wir haben sogar in den 80er Jahren mal ein Umbauprogramm für den Bayer-Konzern debattiert. Wir haben dann zum 125-jährigen Jubiläum des Konzerns einen Umbau-Kongress in Leverkusen organisiert, und da hat das eine große Rolle gespielt. Man kann einen Konzern nicht umbauen, ohne die Gesellschaft umzubauen. Wir bringen das auf die Formel, dass der Bayer-Konzern unter demokratische Kontrolle gestellt werden muss – wie alle Konzerne überhaupt. Und da wird sofort deutlich: Unsere konzernkritische Arbeit zu Bayer ist beispielhaft für die konzern- und gesellschaftskritische Arbeit insgesamt, mit „Verkürzung“ und „Branchenblindheit“ hat das nichts zu tun.


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