Gießen autofrei

GEFAHR, MACHT UND ANGEMESSENE HANDLUNG
IST DER WIDERSTAND GERECHTFERTIGT?

Fragen zum Gentechnikrecht


1. Einleitung
2. Interviews mit Feldbefreier*innen
3. Wann ist eine Feldbefreiung ein angemessenes Mittel?
4. Das Feld in Gießen: Warum ist der konkrete Gengerstenversuch rechtswidrig?
5. Fragen zum Gentechnikrecht
6. Notstandsregelungen und Urteile in anderen Ländern

Geltendes EU-Gentechnikrecht "organisierte Unverantwortlichkeit"
Aus einem AP-Pressetext vom 4.7.2008
Frankreich hat die Möglichkeit eines Verbots genmanipulierter Pflanzen gefordert. Die EU-Staaten, die Genmais- oder Genkartoffel-freie Zonen einrichten wollten, müssten dazu das Recht bekommen, erklärte die französische Umweltstaatssekretärin Nathalie Kosciusko-Morizet am Freitag auf einem EU-Umweltministertreffen in Saint-Cloud bei Paris. Die Frage nach einer Neuregelung des Zulassungssystems wurde auf dem Treffen zur Chef-Sache erklärt. Der EU-Gipfel im Dezember solle die Vorschläge einer am Freitag ins Leben
gerufenen Arbeitsgruppe dazu aufgreifen, hieß es in einer Erklärung. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel begrüßte den Vorstoß. "Das bisherige System ist die organisierte Unverantwortlichkeit", erklärte er. Weil sich die zuständigen Minister bislang nie auf ein Verbot oder eine Zulassung von gentechnisch veränderten Produkten einigen konnten, fällte die Kommission die Entscheidungen. Grundlage sind Risikoeinschätzungen der EU-Lebensmittelagentur EFSA. "So kann sich Jeder hinter Jedem verstecken", sagte Gabriel. "Zudem ist die EFSA als Zulassungsbehörde inakzeptabel."


Rechtliche Bedenken gegen die „Grüne Gentechnik“ im Allgemeinen
Fehlende Fähigkeit der Koexistenz
Das geltenden Gentechnikgesetz schreibt die Ko-Existenz von gentechnischer und gentechnikfreier Landwirtschaft vor. Es muss also u.a. für einen konventionellen oder biologischen Betrieb, der auf Gentechnik verzichtet, möglich sein, ohne jeglichen Eintrag gentechnisch veränderter Materialien auf Dauer zu existieren. BefürworterInnen der Gentechnik behaupten, dieses sei möglich oder – so die selbstkritischeren unter den Gentechnik-Fans – noch zu erreichen. Tatsächlich aber spricht alles dagegen, dass Ko-Existenz überhaupt möglich ist. Das Gerede von der "Ko-Existenz" von gentechnischer und ökologischer Landwirtschaft ist schlicht ein Märchen:
  • Auskreuzung von Pollen: Fast jedes gentechnische Experiment im landwirtschaftlichen Bereich wurde bisher von lautstarken Ankündigungen der Pro-Gentechnik-Lobby und –Forschung begleitet, dass eine Auskreuzung unmöglich ist. Allerdings war es immer nur eine Frage der Zeit, bis diese doch stattfand. Die Komplexität der Natur hat für die aktuelle Forschung offenbar weiterhin nicht erfassbar, so dass ständige Überraschungen vorprogrammiert sind. Gentechnik ist unter diesen Gesichtspunkten eine Black-Box-Technologie, d.h. das Risiko ist nicht einmal annähernd bestimmbar.
    Auch beim Gießener Anbauversuch hat Versuchsleiter Prof. Kogel die Auskreuzungswahrscheinlichkeit als minimal bezeichnet. Schon der Begriff „minimal“ deutet an, dass nicht einmal er garantieren kann, dass keine Auskreuzung stattfindet. Damit ist der Versuch rechtswidrig, weil die Ko-Existenz in Gefahr ist. Das Gentechnikgesetz schreibt nämlich nicht vor, dass die Ko-Existenz wahrscheinlich gewährleistet sein soll, sondern vollständig. Hinzu kommt, dass Kogel eine Antwort gibt, die er noch gar nicht beurteilen kann. Die komplexen Auskreuzungsvorgänge in der Natur sind schlicht unerforscht. Auch bei Gerste wird wieder geschehen, was bislang immer bei der Gentechnik geschah: Die Praxis widerlegte die Werbeaussagen der ForscherInnen und Konzerne. Danach war es zu spät. Die Taktik, die Gentechnik durch fortgesetzte Forschungs- und Anwendungspannen per Faustrecht durchzusetzen, läuft weiter. Sie widerspricht dem Gentechnikgesetz. Das Gengerstenfeld in Gießen war daher rechtswidrig und seine Zerstörung vor Erreichen des Pollenfluges geboten.
  • Streuung von Samen im Anbau: Spätestens beim Beginn des kommerziellen Anbau kommt ein Problem hinzu, dass als technisch unbeherrschbar gelten kann. Die Ausbringung des Saatgutes auf dem Acker sowie die Drift durch Wind und Tiere ist nicht exakt auf die Parzelle begrenzbar, die als Anbaufläche dient. Daher kommt es zu einer ständigen Durchmischung an den Rändern sowie entlang der Wegstrecken zum Acker, auf denen das Saatgut transportiert wird. In den USA und in Kanada haben bei den seit einigen Jahren zugelassenen Sorten bereits derartige Mischungen stattgefunden, dass eine Ko-Existenz nicht mehr möglich ist. Eine garantiert gentechnikfreie Landwirtschaft ist nicht mehr vorhanden. Ironischerweise ist das eine Situation, wie sie für die Gentechnikkonzerne von Vorteil ist, da nun keine konkurrierenden, gentechnikfreien Zonen mehr bestehen. Daher kann verschärfend davon ausgegangen werden, dass die Gentechniklobby und –anwenderInnen auch keinerlei Interesse an der Nichtausbreitung haben. Die Verhinderung der Ko-Existenz aber widerspricht dem Gentechnikgesetz.
  • Verunreinigung der Saattransporte: Einen ähnlichen Effekt hat die technik unmögliche vollständige Trennung des Saatgutes in Betrieben, die sowohl gentechnik verändertes wie auch gentechnikfreies Saatgut vertreiben. Transportfahrzeuge, -bänder, Sortieranlagen und vieles mehr werden für beide Saatgutarten verwendet. Einzelne Körner werden immer unentdeckt bleiben und in den folgenden Vorgang gelangen. So setzt eine ständige, schleichende Durchmischung ein, die dem Gentechnikgesetz widerspricht.
  • Gentransfer per Mikroorganismen: Jahrelang behauptete die Forschung, dass Gentransfers über Artgrenzen in der Natur nicht möglich sind. Auch hier hat der Feldversuch erst das Gegenteil bewiesen – allerdings bereits nicht rückholbar. Der Feldversuch bringt Genveränderungen in die Natur ein. Das Argument, dass bei Fehlschlag selbiger abgebrochen werden kann, zieht nicht, denn der Transfer selbst ist nicht mehr zurückzudrehen. Daher ist jeder Feldversuch ein Spiel mit dem Feuer – der Fehlschlag kann nur festgestellt, nicht aber verhindert werden.
  • Bienen und andere Insekten: Etliche Bereiche sind erstaunlicherweise kaum forscherisch erfasst und jahrelang auch gar nicht beachtet worden. Dazu gehört die Imkerei. Sie gilt fraglos als Form der Landwirtschaft, folglich gilt auch für sie das Gentechnikgesetz, in dem die Ko-Existenz von gentechnikanwendender und –freier Landwirtschaft gewährleistet sein muss. Bienen aber fliegen fast alle Pflanzen, auch etliche Windbestäuber wie Mais an und sammeln Pollen und/oder Nektar. Eine Möglichkeit, die Bienen vom Anfliegen der gentechnisch veränderten Pflanzen abzuhalten, besteht nicht. Daher ist ein klarer Bruch des Gentechnikgesetzes erkennbar. Die Gentechniklobby und –forschung hat diesen Aspekt bemerkenswert lange verdrängt und überhaupt nicht an Bienen gedacht. Erst massive Proteste der Betroffenen, u.a. in der Aktion „Gendreck weg“ hat überhaupt die Aufmerksamkeit auf das Problem gelenkt – nach Jahren der Forschung ein peinliches Zeugnis für die Gentechnik-BefürworterInnen. Wer sich als ForscherIn oder Konzern in diesem Bereich tummelt und nach Jahren noch nicht einmal daran gedacht hat, dass Bienen und andere Insekten die Pflanzen besuchen, beweist vor allem sein Desinteresse, über Risiken überhaupt nachzudenken. Offenbar geht es schlicht um schnelle Durchsetzung per platter Propaganda, leeren Versprechungen und Bruch geltender Gesetze. Welche weiteren Verbreitungsmechanismen über andere Tierarten bestehen, wird zur Zeit kaum untersucht. Die Nichteignung gentechnisch veränderter Pflanzen hinsichtlich der Ko-Existenz muss wahrscheinlich ständig durch die Betroffenen nachgewiesen werden – und zwar immer dann, wenn es zu spät ist. Der Gesetzesbruch im Sinne der Verunmöglichung von Ko-Existenz ist offensichtlich eher der Standard in der praktizierten Agro-Gentechnik denn die Ausnahme.

Unabhängig wie der Gentransfer in die Umwelt aussieht – durch die dann immer schnell einsetzende Verbreitung des Erbgutes ist kein einmal eingebrachtes Saatgut mehr in der Umwelt zu stoppen. Eine garantiert gentechnikfreie Landwirtschaft, Imkerei u.ä. gibt es nicht, wo immer auch Gentechnik angewendet wird. Das beweisen längst die USA, Kanada und andere Länder, wo Gensaaten verbreitet sind und inzwischen überall auftauchen - gewollt oder nicht. Ebenso beweisen es die bisherigen Ergebnisse der Feldversuche, bei denen ständig unerwartete Verbreitungen auftraten. All das ist klar ein Bruch des Gentechnikgesetzes – und die Versuche damit illegal.

Risiko ohne Nutzen: Der grünen Gentechnik fehlt ein Grund
Es gibt genug Nahrungsmittel auf der Welt (2x soviel, wie für alle Menschen reichen würde). Zudem wird viel Essen verschwendet durch Verfüttern an riesige Mengen von Tieren in der Fleischindustrie. Zur Reduzierung von Gifteinsatz, Erosion usw. versprechen Forschungen im ökologischen Landbau oder angepassten Allianztechnologien in der Natur viel mehr als die Gentechnologie.

Prinzipielle Unbeherrschbarkeit
Die ständigen unerwarteten Effekte in der Gentechnik zeigen, dass diese Technologie prinzipiell unbeherrschbar ist. Nicht nur die Genbausteine selbst, sondern vor allem das Geschehen in der Natur ist derart komplex, dass sie immer nur sehr ausschnitthaft forscherisch erkundet werden können. Damit bleiben aber unausweichlich viele Bereiche offen, in denen nicht einmal eine Kontrolle der Wirkung von Gentechnik besteht. Untersucht werden kann nur, was auch als Untersuchungsgegenstand definiert ist. Da die Natur aber unzählige biologische und chemische Wechselbeziehungen aufweist, ist es technich nicht möglich, alle zu beobachten. Daher ist jederzeit ein unerwarteter Gentransfer möglich, auch andere Effekte (Stoffwechselveränderungen in den Organismen, Resistenzen usw.) können ständig auftreten – und würden oft nicht einmal erkannt, weil nur bemerkt werden kann, wonach auch gesucht wird.

Interessensgeleitete Forschung und Anwendung
Solange Profit- und Kontrollinteressen die Forschung dominieren, wird jedes Forschungsergebnis in ihrem Interesse verwendet. Was auch immer hier in Gießen erforscht wird, es wird verwertet von denen, die die Macht im Lande haben. Neutrale Forschung gibt es in einer herrschaftsförmigen Welt nicht.
Solange Forschung unter den Bedingungen herrschaftsförmig durchgesetzter Kontroll- und Profitinteressen stattfinden, gibt es keine offene Situation. Was mit den Ergebnissen dieses Genversuches geschieht, bestimmen nicht Versuchsleiter Kogel und sein Team, sondern die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Staat und Wirtschaft aber sind den Menschen derart überlegen, dass nicht das bessere Leben, sondern Profit und Macht das Geschehen bestimmen werden. Versuchsleiter Kogel ist - vielleicht gegen seinen Willen - nichts als ein williger Vollstrecker mächtigerer Interessen.

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