Gießen autofrei

Ö-PUNKTE 1/1998

Trans-Europäischen Netze (TEN)


1. Rubrik Verkehr
2. Nulltarif in Templin und Lübben
3. Daten und Fakten?
4. Die Herstellung
5. Trans-Europäischen Netze (TEN)
6. Flug-Aktionstage: Ich gehe nicht in die Luft!
7. Lufthansa startet neue Startbahn West-Bewegung
8. Freie Fahrt für die Schumi-Brothers

ls in den 80er Jahren in den einzelnen Mitgliedsländern der EG die Hochgeschwindigkeitszüge entwickelt wurden, muß irgendjemandem aufgefallen sein, daß so ein nationales Eisenbahnprogramm im Widerspruch steht zu der Idee des europäischen Zusammenwachsens. Diesem Geistesblitz entsprangen die TEN zunächst als Eisenbahnvernetzungsplan. Es sollten die Technik und die Fahrpläne harmonisiert werden, Züge über die Grenzen fahren und davon Güter- und Personenverkehr profitieren. Wie zu erwarten, wurde die Idee TEN im Laufe der Zeit auf alle anderen Verkehrsträger ausgedehnt. Verknüpft werden sollen nun auch die einzelnen Verkehrsträger untereinander und eine europäische Telematikstruktur soll dem Autofahrer den kürzesten Weg in den internationalen Stau weisen. Folgende Aufgaben sollen die TEN offiziell erfüllen:
  • Ökonomische Ziele: Handelshemmnisse werden abgebaut, unter dem Stichwort "Standort Europa" soll der Verkehrswegebau die Konjunktur ankurbeln und ein paar Arbeitsplätze...
  • Regionale Ziele: Abgelegene Regionen werden besser an die Zentren angebunden und erleben so einen Entwicklungsimpuls
  • Umweltziele: Mehr Verkehrswege führen zu weniger Stau = weniger Luftverschmutzung = umweltfreundlich, die Eisenbahn wird unterstützt und das ist sowieso öko.

Was heute als TEN geplant und diskutiert wird, entstand durch Addition der für wichtig erachteten Strecken aller nationalen Verkehrswegeplanungen (VP). Das heißt, das jeweilige nationale Verkehrsministerium ermittelt den Bedarf für neue Verkehrswege, setzt Prioritäten, plant die Strecke und baut sie. Die Gremien der EU (Rat und Kommission ) entscheiden lediglich mit, ob das Projekt in die TEN aufgenommen wird und damit, ob es durch EU-Gelder mitfinanziert wird. Diese Tatsache ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: zum einen werden nirgendwo Straßen im Auftrag der EU gebaut, diese oft vorgebrachte Ausrede ist sachlich nicht richtig. Zum anderen fehlt bei dem additiven Verfahren eine koordinierende Stelle, die die nationalen Planungen überprüft und im Gesamtzusammenhang bewertet. Die Leitlinien für die TEN, die von Rat und Parlament der EU 1996 erlassen wurden (dazu unten mehr!), könnten bei konsequenter Anwendung durchaus ein Maßstab sein. Aber in der Realität ist die Verkehrswegeplanung bekanntlich keine rationale Angelegenheit und so werden noch immer Autobahnen und Eisenbahnstrecken parallel gebaut und so ist es möglich, daß der Transrapid ein Projekt der TEN ist oder das "vorrangige öffentliche Interesse" den Bau der A20 durch das Peenetal legitimiert. Was dagegen bis heute fehlt, ist grenzüberschreitender Eisenbahnverkehr. Für die nationalen Regierungen sind die TEN ein gutes Geschäft, denn in den Bau dieser Projekte fließen aus diversen Töpfen EU-Fördermittel (direkt, aus dem Strukturpolitiktopf, Kohäsionsfonds, Kredite der europ. Investitionsbank), die insgesamt ca. 1/3 der Finanzierung decken.

Auswirkungen der TEN
Sicher wächst Europa zusammen, der Raum wird kleiner. Doch die ökonomischen Ziele werden wohl nur hinsichtlich des Abbaus der Handelshemmnisse erreicht, die Konjunktur- und Arbeitsplatzeffekte dürften kaum meßbar sein, wie auch die europ. Kommission schon erkannt hat. Das Beispiel Eurotunnel zeigt, daß sich die TEN auch betriebswirtschaftlich nicht unbedingt lohnen. Den Regionen, vor allem den peripher gelegenen, werden die TEN ebenfalls wenig Nutzen bringen, denn sie verbinden vorrangig die großen Zentren miteinander. An den Rändern und in den dünn besiedelten Gebieten Europas werden höchstens die Autobahnen für Lärm und Gestank und für schnelle Fluchtwege für die mittelständische Industrie sorgen. Es muß hier nicht betont werden, daß die TEN Klimaschutz sowie Verkehrsvermeidungsversuche sehr erfolgreich behindern.

Was können wir tun?
In den schon erwähnten Leitlinien für die TEN ist ein Kontrollinstrument vorgesehen, daß als Grundlage für alle umweltschützerischen Aktivitäten dienen kann: die strategische Umweltverträglichkeitsprüfung (str. UVP). Die str. UVP soll am Anfang jeder Planung stehen und wenn nötig und möglich die umweltverträglichste Planungsvariante herausarbeiten. Das heißt nicht, daß die "umweltfreundliche Autobahntrasse" gesucht wird, sondern daß beispielsweise dort, wo eine leistungsfähige Eisenbahnstrecke vorhanden ist, überhaupt keine Autobahn fehlt. Würde die str. UVP konsequent angewendet, könnte tatsächlich so etwas wie umweltverträgliche TEN dabei herauskommen, nämlich eine Verknüpfung der genügend vorhandenen Verkehrswege. Für die Umweltverbände und Bürgerinitiativen bedeutet das, daß sie die nationalen VP auf Unsinnigkeiten überprüfen und die Anwendung der str. UVP und damit eine Revision der VP fordern müssen. Eine Überprüfung und eventuelle Revidierung der TEN plant die EU-Kommission bis Mitte 1999, Vorschläge können bis Mitte 1998 eingereicht werden. Die EU-Kommission ist mit dieser Aufgabe allerdings überfordert und bisher auf die freiwillige Mitarbeit der nationalen Verkehrsministerien angewiesen, mit den bekannten Folgen. Wichtig wäre hier allerdings, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle einzugreifen: wenn die Bagger schon vor der Türe stehen, also dann, wenn die BIs im allgemeinen ihre Aktivitäten entfalten, ist es meistens zu spät. Dringend notwendig für eine effektive Umweltschutzarbeit ist also ein Informationsaustausch und die Vernetzung zwischen den lokalen BIs, den bundesweiten Verbänden und den europäischen Verkehrsinitiativen.

Wer sich an dieser Arbeit und an der Diskussion um die noch strittigen Punkte beteiligen möchte, melde sich bitte bei Sonja Klingberg, c/o VCD, Eifelstr. 2, 53119 Bonn, vcd-Bgst@oln.comlink.apc.org

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