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BESTRAFEN DES "SCHWARZFAHRENS": RECHTSWIDRIG, UNSINNIG, AUFWÄNDIG

Jura-Wissenschaft zum § 265a


1. Wer fährt "schwarz"? Wieviele werden dafür bestraft?
2. Richter*innen, Staatsanwält*innen und Polizei gegen § 265a StGB
3. Jura-Wissenschaft zum § 265a
4. Parteien und Politiker*innen fordern Entkriminalisierung des "Schwarzfahrens"
5. Medientexte und -kommentare gegen Strafen für "Schwarzfahren"

Noch entschlossener als die amtierenden Jurist*innen argumentieren Wissenschaftler*innen gegen den Unsinn des Bestrafens - und zwar gleich komplett aus dem Grund, dass Nichtstun keine "Erschleichung" sei. Jede Form des einfachen Schwarzfahrens sei vom Paragraphen gar nicht erfasst. Nur wenn eine Kontrolle umgangen, ein*e Kontrolleur*in ausgetrickst würde oder ähnliches, wäre der Tatbestand erfüllt.

Hamburger Strafrechts-Prof.: "endgültig Zweifel, ob diese Handlung nach Paragraph 265a strafbar"
Aus "Einschätzung vom Experten für Strafrecht : Darf man mit diesem Schild straffrei Schwarzfahren?", in: SHZ.de am 13.2.2019
Manuel Erhardt heißt der Dauersünder, der sich aktuell wegen 23 Fällen der Leistungserschleichung vor dem Starnberger Jugendgericht verantworten muss. Ihm gehe es dabei allerdings nicht allein darum, Geld zu sparen, sondern auch um den Klimaschutz. Deshalb fordert er kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr.
Ganz neu ist dieses Vorhaben allerdings nicht. Bereits im Jahr 2013 machte Aktivist Jörg Bergstedt erstmals Schlagzeilen mit der Forderung nach einer Abschaffung des Paragrafen 265a des Strafgesetzbuches, der das Schwarzfahren unter Strafe stellt.
Seither beschäftigten sich viele Gerichte mit der Entscheidung darüber, ob das Fahren mit einem Schild auf dem klar zu lesen ist, dass man ohne gültigen Fahrausweis unterwegs ist, eine strafbare Handlung darstellt. Und so richtig einig wurde man sich dabei nicht. Denn Bergstedts Ansatz darf durchaus als ausgefuchst bezeichnet werden.
Nach gründlichem Studium juristischer Fachliteratur habe sich die rechtliche Lage laut Bergstedt im Jahr 2013 so dargestellt, dass ein "offen gekennzeichnetes Schwarzfahren", wie beispielsweise mit einem Hinweisschild, nicht auf den Wortlaut des Paragrafen 265a, der vom "Erschleichen einer Leistung" spricht, passe und die Handlung somit straffrei gewesen sei. Die Gerichte schlossen sich dieser Auffassung sogar teilweise an.
Aber wie ist das heute, reicht ein Schild tatsächlich aus, um den öffentlichen Nahverkehr dauerhaft kostenfrei zu nutzen und dafür keine Strafe fürchten zu müssen? "Es handelt sich hier definitiv um einen umstrittenen Tatbestand", sagt Alexander Baur, Professor für Strafrecht an der Uni Hamburg.
Bei dieser Frage gehe es vorrangig um den Terminus "Erschleichen", wie Baur erläutert: "Es lässt sich aus rechtswissenschaftlicher Sicht bereits vortrefflich darüber streiten, ob das Erschleichen von Leistungen grundsätzlich auf Schwarzfahren zutrifft. Wenn man allein den Anschein ordnungsgemäßer Nutzung eines Verkehrsmittels erweckt, ist das schon ein Erschleichen?"
Im Fall des 20-Jährigen Oberbayers spitze sich diese Frage sogar noch zu, weil dieser mit dem Schild völlig transparent macht, dass er keine gültige Fahrkarte mitführe. "Spätestens da habe ich persönlich endgültig Zweifel, ob diese Handlung nach Paragraph 265a strafbar ist."


Aus dem Kommentar von Christian Bommarius, "Schwarzfahrerei: Strafe muss nicht sein", in: FR, 20.2.2015 und Berliner Zeitung, 19.2.2015
Mit schlechten Strafgesetzen verhält es sich wie mit Vorurteilen: Erst einmal entstanden, sind sie kaum mehr aus der Welt zu schaffen. Selbst wenn sie sich als lebensfremd, sozialschädlich und unangemessen hart erweisen, ist den meisten Strafgesetzen wie den Vorurteilen doch in der Regel eine lange Lebensdauer beschieden.
§ 265 a Strafgesetzbuch (StGB) zum Beispiel wird in diesem Frühjahr 80 Jahre alt. Er stellt die „Beförderungserschleichung“ – umgangssprachlich: Schwarzfahren – unter Strafe. Seit Juni 1935 steht es so geschrieben: „Wer die Leistung eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes, die Beförderung durch ein Verkehrsmittel oder den Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft (...)“.
Was einer tun muss, um die Fahrt zu „erschleichen“, war damals leicht zu ermitteln. Denn es gab Beamte, die den Zutritt zum Bahnsteig kontrollierten und mit einer falschen Bahnsteigkarte getäuscht werden konnten, und es gab Schranken, die der Zahlungsunwillige erst überwinden musste, um in den Zügen Platz zu nehmen. Die Täuschung, die das „Erschleichen“ verlangt, war also klar zu erkennen.
Seit aber im Zeitalter des Massentransports die Zugangskontrollen beseitigt sind und einer nicht kontrollierenden Willkommenskultur Platz gemacht haben, also niemand mehr da ist, der mit einer Handlung täuscht,und sei es auch nur, weil niemand mehr da ist, der getäuscht werden könnte, greifen die Gerichte auf immer kühnere Definitionen des „Erschleichens“ zurück, um die Strafandrohung des Gesetzes zu retten. ...
Es ist unverständlich, dass das Bundesverfassungsgericht § 265 a StGB nicht schon längst wegen verfassungswidriger Unbestimmtheit beseitigt hat. Und es ist ärgerlich, dass bisher auch alle entsprechenden Reformversuche gescheitert sind, das Schwarzfahren zu entkriminalisieren und von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herunterzustufen. § 265 a StGB widerspricht nicht nur, er verhöhnt geradezu die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Strafrecht stets „Ultima Ratio“ zu sein habe: „Zu besonderer Zurückhaltung ist der Gesetzgeber verpflichtet, wenn es sich um einen Eingriff durch ein Strafgesetz handelt, also um die schärfste Sanktion, über die die staatliche Gemeinschaft verfügt.“
Die Zurückhaltung läge hier schon deshalb nahe, weil die Verkehrsbetriebe selbstverständlich wie in Paris und London Zugangssperren oder geschlossene Systeme – etwa durch Drehkreuze oder Schleusen – installieren und so das Schwarzfahren beträchtlich erschweren könnten. Sie verzichten darauf aus Kostengründen. Das ist ihr gutes Recht.
Aber warum soll das Strafrecht für sie Bütteldienste leisten, wenn sie selbst auf fast jede Schutzmaßnahme verzichtet? 40 Euro „erhöhtes Beförderungsentgelt“ – demnächst werden es 60 Euro sein – zahlt der ertappte Schwarzfahrer, und dieses Entgelt ist nach jeder erfolgreichen Kontrolle fällig. Das wird von jedermann als Strafe begriffen – ist es aber nicht, sondern eben nur das erhöhte Beförderungsentgelt. Wozu aber dann die Strafe?
Die Leidtragenden der Strafandrohung sind keineswegs nur die „Täter“, gestraft ist damit auch die Allgemeinheit, die die Inhaftierung verurteilter Schwarzfahrer bezahlt, und gestraft ist nicht zuletzt die Justiz, auf deren Schreibtischen sich die Verfahrensakten stapeln. Allein in Berlin beziehen sich 25 bis 30 Prozent aller Gerichtsverfahren auf so genannte Leistungserschleichungs-Delikte, im Jugendstrafrecht 15 bis 20 Prozent. In der Justizvollzugsanstalt Plötzensee war im Jahr 2011 von 500 Gefangenen ein Drittel Schwarzfahrer.
Schon vor Jahren haben Jugendrichter gefordert, Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit zu erklären und so die Justiz zu entlasten. Aber, wie gesagt: Schlechte Gesetze sind so haltbar wie Vorurteile.


Aus der Stellungnahme zur Frage der Straflosigkeit des Schwarzfahrens von Rechts-Prof. Heiner Alwart (Uni Jena/Hanoi)
Die gegenwärtige Diskussion über eine „Entkriminalisierung“ des Schwarzfahrens erweckt einen von Grund auf falschen Eindruck. Es wird nämlich so getan, als sei eine Bestrafung derjenigen, die z. B. die U-Bahn benutzen, ohne dafür bezahlt zu haben, im Gesetz vorgezeichnet. Das ist jedoch nicht der Fall. § 265 a StGB sanktioniert zwar verschiedene Formen eines „Erschleichens von Leistungen“. Aber das Schwarzfahren fällt nicht darunter. Das merkt man sofort, wenn man sich die Vorschrift, auf die sich die juristische Praxis – sei es wider besseres Wissen, sei es irrtümlich – zu stützen pflegt, einmal auf der Zunge zergehen lässt. Sie lautet: „Wer die Beförderung durch ein Verkehrsmittel in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Das Erschleichen einer Beförderung muss einer betrügerischen Täuschung ähneln. Andernfalls fehlt es an dem für die Strafbarkeit der Tat entscheidenden Element. Jedoch machen die Verkehrsbetriebe ihre Transportleistungen frei zugänglich, als ob in Deutschland bereits heute der Nulltarif gelten würde. So wird etwa auf jede Zugangskontrolle durch Personal oder Maschinen verzichtet. Wie soll da jemand, der sich genauso verhält wie alle anderen Fahrgäste auch, nicht nur als Schwarzfahrer, sondern als „Erschleicher“ seiner U-Bahn-Fahrt abgestempelt werden dürfen? Das ist völlig abwegig. Dass der Zahlungsunwillige den Vertrag bricht, den er der zivilrechtlichen Konstruktion nach durch bloße Benutzung des Verkehrsmittels mit dessen Betreiber geschlossen hat, ist wirklich nicht schön, aber keineswegs kriminell. In diesem Sinne also bleibt jeder Schwarzfahrer vollkommen unschuldig. Die Strafjustiz sollte ihn daher in Ruhe lassen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Politik und Justiz klagen über eine massive Überlast durch Schwarzfahrerfälle. ...
Überdies stellt sich heraus, dass jenes bis zur völligen Konturlosigkeit ausgedehnte Tatbestandsmerkmal des Erschleichens in der alltäglichen Praxis zu absurden Fragestellungen führt. Wie groß muss das Schild sein, auf dem sich ein Fahrgast als Schwarzfahrer outet, damit nach den Prämissen der Rechtsprechung von einem „Erschleichen“ keine Rede mehr sein darf? Was ist der Strafjustiz eigentlich wichtiger: dass sich Fahrgäste vor aller Welt anschwärzen oder dass sie den Beförderungsvertrag mit dem unsichtbaren Partner erfüllen und einen Fahrschein lösen? Sollte es bei uns tatsächlich Juristen geben, denen es Spaß macht, über einen solchen oder ähnlichen Blödsinn auch nur nachzudenken? ...
ist keineswegs die Schuld der Schwarzfahrer, dass Recht und Moral bei uns so fragil geworden sind. Wenn aber beispielsweise der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Wörter wie „Vertrauen“ und „Fairness“ eindimensionalen Interessen opfert und moralisches Pathos auf Sachverhalte bezieht, auf die es schon ansatzweise nicht passt, dann verschleißt er damit wertvolle Kategorien, die für ein intaktes Gemeinwesen unverzichtbar erscheinen. Auf den richtigen Kontext kommt es an, nicht auf das Pathos. Es klingt nämlich zumeist recht hohl.
Um Missverständnissen jeglicher Art vorzubeugen, sollte im Personennahverkehr von „Schwarzfahrern“ in Zukunft vielleicht überhaupt nicht mehr die Rede sein. Stattdessen ließe sich etwa von „Grünfahrern“ sprechen. Der hier gemeinte Grünfahrer löst zwar keinen Fahrschein. Das ist nicht schön. Aber im Vergleich mit dem Autofahrer verhält er sich wenigstens umweltfreundlich und schadstoffarm. Das soll durch die Umbenennung angedeutet werden. Anstatt mit einem Diesel in der Innenstadt ewig einen Parkplatz zu suchen, sitzt oder steht der Grünfahrer gemeinsam mit vielen anderen, allerdings vertragstreuen Fahrgästen in der U-Bahn. Die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschleicht er definitiv nicht. Die Strafjustiz darf ihn bereits heute nicht ins Visier nehmen. ...
Diese Vorschrift muss umgehend gestrichen werden. Und sie muss ersatzlos gestrichen werden. Kollateralschäden in Gestalt von „Strafbarkeitslücken“ stehen nicht zu befürchten. ... Im Vergleich zur Höhe der ursprünglich vorenthaltenen Fahrpreiszahlung erreicht das „erhöhte Beförderungsentgelt“ auch durch Einschaltung von Inkassounternehmen sehr schnell eine geradezu astronomische Höhe. An diesem Punkt ließe sich gewiss über eine gestaffelte, zukunftstaugliche Regelung nachdenken. Aber das wäre ein ganz anderes Thema und ein völlig anderer Streitgegenstand. Für ein neues Ordnungswidrigkeitengesetz jedenfalls besteht nach Lage der Dinge keinerlei Bedarf.

Die Rechtslehre (Jurawissenschaft) stand und steht ohnehin schon lange auf dem Standpunkt, dass die Strafbarkeit des Schwarzfahrens hoch zweifelhaft ist - selbst ohne Hinweisschild. Allerdings möchte sie mit denen, die das praktisch machen und durchsetzen wollen, auch nichts zu tun haben. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern ...


Zensur von Aktionsschwarzfahris auf einem Jurablog (obwohl der selbst kritisch ist)

Verkehrsbetriebe liefern selbst Argumente!
Aus der Begründung der Bahn für Online-Fahrkartenkontrollen in ICE (laut Focus, 1.4.2018)
Durch weniger Fahrscheinkontrollen sollen die Zugbegleiter demnach mehr Zeit bekommen, während der Fahrt auf Wünsche von Kunden einzugehen.
Ja, genau. Und das würde ein Nulltarif noch viel besser schaffen!

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