Offener Raum

BERUFUNGSVERHANDLUNG ZWEITER ANLAUF: PLÄDOYERS DER ANGEKLAGTEN

Plädoyer allgemein, Ende


1. Plädoyer allgemein, Anfang
2. Rahmenbedingungen eines jeden Gerichtsverfahrens
3. Spezielle Rahmenbedingungen dieses Verfahrens
4. Plädoyer allgemein, Ende
5. Symbolisch: Polizeigewalt am 2.3. und 11.4. in/vor dem Landgericht
6. Anklagepunkt „Wahlplakate“
7. Anklagepunkt "Farbschmierereien an der Gallushalle"
8. Anklagepunkt "Körperverletzung" (vermeintlicher Fusstritt)
9. Anklagepunkt "Hausfriedensbruch" (Gaile Lügen)
10. Anklagepunkt "Körperverletzung" (Puffs Daumen-Kino)
11. Anklagepunkt "Beleidigung" (Gülle prügelt)

Dies ist eine unvollständige Sammlung von Aspekten zum Anklagepunkte, zum Teil ohne voll ausgeschriebene Sätze und ohne jegliche Korrekturlesung. Sie dient als Manuskript zum Plädoyer des Angeklagten J.B. am 11. Prozesstag vor dem Landgericht Gießen, 29.4.2005. Alle Angaben sind ohne Gewähr, die Zitate von handschriftlichen Notizen übertragen. Mehr Infos zum Prozess und dieser Text im Internet.

Ideologische Unterschiede Angeklagte - Gericht
Nicht übersehen und nicht leugnen will ich auch bedeutende ideologische Unterschiede. Wir haben hier eine Vielzahl von Tagen zusammen verbracht und einiges voneinander mitbekommen – zumindest der Personen, die agiert haben. Von Ihnen beiden, die Sie als Schöffe bzw. Schöffin hier sitzen, habe ich nichts mitbekommen. Was auch immer Sie von mir bzw. uns gerade halten – es bedarf keiner großen Interpretationskunst, um klarzuhaben, dass in politischen Einschätzungen Gräben zwischen uns sind:
  • Ich lehne Stellvertretung ab, d.h. Parlamente und Parteien halte ich für die falschen Orte, um Gesellschaft zu gestalten – eben stellvertretend für wählende und nicht wählende Andere, gleichzeitig von oben nach unten. Wenn hier zwei SchöffInnen sitzen, die praktizierende KommunalpolitikerInnen, so ist unübersehbar, dass zwischen Ihnen und mir bzw. uns politische grundsätzliche Unterschiede bestehen. Das muss sich nicht auf ein Urteil auswirken. Aber Menschen sind keine Maschinen – was gut ist, solange sie nicht übereinander richten. Genau das soll aber geschehen und so besteht die Gefahr, dass politische Abneigungen sich auswirken.
  • Ich lehne ebenso Strafe und Autorität ab. Dass dürfte mehr als deutlich geworden sein und ich stehe dazu. Dieser ganze Raum hier ist aufgeladen von Autorität ... Mobiliar ... Kleidung ... die Verregelungen und Erstarrung ... Rituale und Traditionen ... Paragraphen und mehr. Als Berufsrichterin müssen Sie, Frau Brühl, eine grundlegend andere Auffassung haben, sonst könnten Sie es hier nicht aushalten. Ich habe deutliche Kritik an Strafe und Justiz, d.h. auch an Ihrer Tätigkeit. Das leugnen kann und will ich nicht. Es ist nicht notwendig, aber zu befürchten, dass das auf das Urteil eine Auswirkung haben wird. Bei Amtsrichter Wendel war das offenkundig und findet sich im Urteil: Weil ich keine Reue gezeigt habe, kann ich auch nicht mit Milde rechnen. Das ist von oben herab, riecht nach der Logik von Gnade. Auch in der Berufung habe ich keine Reue gezeigt, sondern klar gekämpft dafür, dass ich meine Meinung und meine Kritik auf kreative Art zeigen kann – auch wenn es die Autoritäten dieser Gesellschaft richtig nervt. Ich habe aber auch klargestellt, dass ich Aktionen gegen die Personen in ihrem Dasein als Menschen nicht für richtig halte. Leider kann ich nicht gewährleisten, dass diejenigen, denen ich begegne bei Aktionen, auch selbst unterscheiden können zwischen sich als Mensch und ihrer Rolle in dieser Gesellschaft – oftmals als willige VollstreckerInnen der Obrigkeit. Ich kann daran arbeiten, in meinen Aktionen das wirksam herauszuarbeiten – aber es ist nicht meine Schuld. Strafrechtlich ist es ohnehin irrelevant, aber darauf will ich meinen Blick nicht verengen. Es ist schlimm genug, dass ich es hier im Gericht aufgrund der Regeln, die auch mir aufgezwungen wurden, doch immer wieder tun muss. Meine Kommunikation mit Menschen will ich eigentlich ganz anders gestalten. Gerichtsverfahren sind das Gegenteil selbstbestimmten Lebens und gleichberechtigter Kommunikation.
  • Ich lehne die Rahmenbedingungen und Regeln vor Gericht ab. Für mich sind diese Wochen des Prozesses eine ständige Unterwerfung unter Bedingungen, die ich für falsch halte, für unmenschlich und für mitverantwortlich an einer Welt voller Unterdrückung, Ausgrenzung und Gewalt. Ich habe an symbolischen Punkten Widerstand zeigen, d.h. klarmachen wollen, dass ich nur unter Zwang an dieser Form der Kommunikation teilnehme. Niemandem von Ihnen hätte ich jemals ein Gespräch oder auch eine Vereinbarung verweigert. Aber hier sind wir unter nicht freiwillig gewählten Regeln zusammengesperrt und müssen unter diesen kommunizieren. Das gilt nicht nur für mich – auch Sie sind unfreiwillig hier, jedenfalls solange Sie Ihren Job nicht gefährden wollen, weil Sie Angst haben vor einem selbstbestimmten Leben jenseits geregelter Tagesabläufe und bevormundender Hierarchien und Dienstpläne. Ich muss damit rechnen, dass mein Protest gegen die Ordnung hier negativ auf das Urteil wirkt, weil es sein kann, dass es manche hier geärgert hat und Sie nicht unterscheiden können zwischen dem Protest gegen die Rahmenbedingungen und denen, die sie – selbst oft unter Zwang – herstellen und sichern. Aber ich kann nicht anders. Es ist meine Überzeugung, dass diese Form des menschlichen Miteinanders, was u.a. in diesem Gerichtssaal stattfindet, falsch ist.

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