Offener Raum

BOLO'BOLO (AUSZÜGE)

Dysko


1. Der grosse Kater
2. Die drei Grundbestandteile der Maschine
3. Drei Deals in Krise
4. Der A-Deal: enttäuscht vom Konsum
5. Der B-Deal: frustriert vom Sozialismus
6. Der C-Deal: genug von der Entwicklung des Elends
7. Der Bankrott der Realpolitik
8. Die Schattenwirklichkeit
9. Substruktion
10. Dysko
11. Triko ... und: bolo'bolo - Grundrisse für ein Projekt
12. Fahrplan
13. ibu
14. bolo
15. sila
16. taku
17. kana
18. nima
19. kodu
20. yalu
21. sibi
22. pali
23. sufu
24. gano
25. bete
26. nugo
27. pili
28. kene
29. tega
30. fudo
31. sumi
32. asa
33. buni
34. mafa
35. feno
36. sadi
37. fasi
38. yaka
39. Anmerkungen
40. Sechs Jahre bolo'bolo
41. Abfahrt

Dysinformation, Dysproduktion und Dysruption müssen kombiniert und multipliziert werden, damit eine für die Maschine kritische oder tödliche Situation entstehen kann. Die Trennung zwischen den drei Funktionen und den jeweiligen Arbeitern muss überwunden werden, damit eine solche Gegen-Konjunktur zustande kommt. Es muss also eine Kommunikation hergestellt werden, die nicht im Sinn des Bauplans der Maschine ist, Dyskommunikation. Das Endspiel gegen die Maschine heisst also: ABC-Dysko.

Das Problem der Dyskommunikation ist selbstverständlich keine neue Entdeckung - es hat die Arbeitergeschichte seit langem beschäftigt. Klasseneinheit, Solidarität, Volksfront, Einheits programm, Einheitspartei - so lauten etwa die historischen Lösungen. Diese Volksfrontpolitik ist heute aber nicht mehr möglich. Sie vermag es nicht, eine wirkliche Dyskommunikation herzustellen, weil sie "von aussen" kommt und immer bei einem Minimalprogramm endet, das in Reform-Realpolitik versandet. Parteien sind sehr verletzliche Gebilde, die leicht der Kontrolle entgleiten und schliesslich zu Statthaltern der Maschine werden. Parteien bringen die Beteiligten nicht wirklich zusammen und verändern sie dabei nicht. Sie bilden nur das zentralistisch/anonyme Muster der Maschine ab. Ähnliches gilt auch für jene Guerillabewegungen, die nichts mehr sind als bewaffnete Parteien. (Das bedeutet nicht, dass sich bewaffneter Kampf und Dyskommunikation ausschliessen - entscheidend ist jedoch die Dysko und nicht die Form der Subversion. Die "höchste" Kampfform ist die jeweils angepasste.)

Wo können echte ABC-Knoten entstehen? Kaum dort, wo die Arbeiter sich in ihren Maschinen-Funktionen gegenüber treten, also am Arbeitsplatz, im Supermarkt, im Haushalt. Die Betriebsorganisation beruht auf Spaltung und die Gewerkschaften spiegeln diese mit ihrer Branchen- und Berufseinteilung auch nur wieder ab. Einheitsgewerkschaften wiederum stellen einen minimalen Zusammenhang nur indirekt und zentralistisch her und verfallen der Parteilogik. Die Funktionäre, nicht aber die Mitglieder, treffen zusammen. Die wirtschaftlichen Interessen sind eine zweischneidige Motivation zur Organisation: sie sind von der Maschine so definiert, dass sie genauso spalten wie vereinigen. Der Betrieb sperrt die Arbeiter ein, isoliert sie und der Geräuschpegel (akustisch, sprachlich, kulturell) ist äusserst hoch. ABC-Dyskos können heute kaum mehr im direkt wirtschaftlichen Kernbereich der Maschine entstehen. Die alten Arbeiterkämpfe haben der Maschine zuviele gute Lektionen darüber erteilt, wie man Solidarität am Arbeitsplatz verhindert. Sie kann vielleicht wieder entstehen, aber nur über einen "Umweg".

Es gibt Lebensbereiche - für die Maschine Randbereiche - wo die ABC-Dysko leichter entstehen kann. Nicht alles lässt sich von der Maschine ganz reduzieren und in Waren verwandeln: Religion, Sprache, Natur, Sexualität, Gefühle, Spleens, Flipps, mystische und irrationale Erfahrungen. Die rationale, digitale Kultur der Maschine kennt ihre Unzulänglichkeit in diesen Bereichen. Natürlich versucht sie, sie in den Griff zu bekommen, da sie festgestellt hat, dass sie wider Erwarten nicht einfach ausgerottet werden können. Religion wird zum Sektenbusiness, Naturschutz zum Geschäft der Öko-Industrie, Erotik zum Sex-Geschäft, Flipps zur Mode; für Gefühle gibts Psycho-Institute. "Irrationale" Bedürfnisse sind heute Material für eine Wachstumsbranche - doch die Maschine ist dort am "weichsten" und verletzlichsten, wo sie wächst. Die Reduktion zur Ware gelingt hier erst unvollständig und viele merken den plumpen Betrug. Ethnische und regionale Befreiungsbewegungen, Umweltschutzbewegungen, autonome Gesundheitsprojekte, neue Bewegungen in den Kirchen, homosexuelle Subkulturen, gegenkulturelle Strömungen, beruhen wohl auf diesem Unvermögen der Maschine. All diese Bewegungen haben kein wirtschaftliches Programm, sondern sie beruhen auf Identitäten (neu belebten oder neu geschaffenen), die jenseits der Wirtschaftslogik liegen. Und gerade im Rahmen solcher Bewegungen haben sich ABC-Knoten bilden können. Warum wurden heute die schon tot geglaubten Kirchen plötzlich zu Orten des Widerstands? Nicht weil die Leute wieder "religiös" werden, sondern weil es dort die Möglichkeit zu Begegnungen über die Funktionsgrenzen hinweg gibt. Intellektuelle, Arbeiter und Hausfrauen treffen sich so. Als Schwule kommen Offiziere, Chauffeure und Verkäufer zusammen. Als Indianer vereinigen sich Rechtsanwälte, Bergarbeiter und Kindergärtnerinnen. Arbeitslose, Beamte und Künstler können sich in einer Initiative gegen eine verkehrsreiche Strasse zum ersten Mal begegnen. Der substruktive Schwung solcher Bewegungen beruht auf diesen ABC-Begegnungen. Das erste, was die Maschine (bzw. ihre Politiker) daher versuchen, ist, diese Begegnungen durch Delegation abzublocken oder die einzelnen Komponenten gegeneinander aufzubringen. (Im Stile von: die und jene nützen Euch aus.) Das Begegnungsprinzip steht dem Abstimmungs- und Wahlprinzip diametral gegenüber. Beim ersten zählt der lebendige, persönliche Austausch, beim zweiten nur eine anonyme Aneinanderreihung gleichwertiger, monotoner Stimmen. (Ist denn jedes Ja oder Nein gleich ernst gemeint?) Wenn diese Scheinrealität sich durchsetzen konnte, zerfielen die Bewegungen rasch. Am Schluss bleiben noch einige A-Typen, die die historischen Leichen verwerten.

Die erwähnten "neuen" sozialen Bewegungen haben allerdings nur oberflächliche und kurzfristige ABC-Knoten zustand gebracht und mehr das Bedürfnis nach solchen ausgedrückt. Es handelte sich dabei hauptsächlich um DysinformationsBewegungen. Doch blosse gemeinsame Meinungen oder Ideologien genügen nicht, um so starke Barrieren wie Einkommen, Ausbildung oder gesellschaftliche Stellung zu neutralisieren. Die ABCTypen müssen dazu kommen, sich auch im Alltag zu kompromittieren und nicht nur in "künstlichen" Ausnahmesituationen (Demos, Blockaden, Versammlungen, Festivals). Eine gemeinsame kulturelle Identität müsste umschlagen in das Entstehen praktischer Keimformen von Schattenwirklichkeit. Wie das geschehen könnte, kann nur praktisch ausprobiert werden. Vielleicht sind Quartierzentren, Tauschmärkte, Clubs, Treffpunkte, Salons, Gemeinschaftsläden usw. solche ABC-Foyers oder könnten es werden. Formen gegenseitiger Hilfe, Ersatz von Geldbeziehungen, Austausch von Diensten, Partnerschaften zwischen Nachbarschaften und Bauern könnten aus solchen Dyskos entstehen. Oder sie könnten einen "Schattenplan" für einen Häuserblock oder ein Quartier auf stellen, der die zukünften bolos skizziert.

Es wäre naiv, sich vorzustellen, aus solchen ABC-Foyers könnte ganz allmählich und friedlich die Schattenwirklichkeit herauswachsen. Die ABC-Dysko muss zugleich ein Laboratorium für neue Subversionsformen sein, denn die Maschine schaut uns nicht einfach zu, wie wir unsere "Alternativen" organisieren. Erfahrungen und Informationen aus allen drei Sektoren können durch ABC-Dysko kombiniert und zu neuen, überraschenden, verwirrenden Aktionsformen führen. Die Gesamtheit der Dyskos kann immer wieder neue, für die Maschine rätselhafte Konjunkturen herstellen. Selbst dem Hirn der Maschine sind nicht so viele Informationen zugleich zugänglich, weil sie das Denken über sich selbst gespalten halten muss (Ressortprinzip, Hierarchie der Verantwortungen). Wer je eine solche (vielleicht zufällig entstandene) Dysko erlebt hat, weiss, wie viele Mittel und Möglichkeiten sich plöltzlich auftun, gerade weil jeder Beteiligte eine völlig andere Herkunft hat.

Der strategische Hauptvorteil der Dysko-Knoten ist ihre Beweglickeit und die Fähigkeit, Überraschungen herzustellen. Für die Maschine ist ihr Entstehen und Verschwinden oft undurchschaubar. Ihr "politisches" Verhalten ist schwer vorherzusagen, im Gegensatz zu Parteien oder Gewerkschaften. Ihre Organisation ist nicht vertikal und daher nicht leicht zu "enthaupten" und zu "kaufen". ABC-Knoten bilden keine Pyramiden, sondern Geflechte, Geschwüre, also horizontale Kontaktnetze. Auch hier bilden sie schon die Strukturen der Beziehungen dezentraler, persönlicher Gemeinschaften ab, die die einzige Alternative zur Maschine darstellen. Überraschung und Undurchschaubarkeit ist heute im substruktiven Kampf gegen die Maschine lebensnotwendig. Wir müssen sie sozusagen in Sicherheit wiegen, damit ihre militärischen und selbst mörderischen Instinkte nicht geweckt werden. Wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, eine Gegenmaschine aufbauen zu wollen, die sie konkurrenziert. Wenn wir das tun, provozieren wir nur eine Vernichtungsschlacht, die wir sicher verlieren. Das ist eine Lehre, die wir aus leninistischen Strategien oder auch aus den Erfahrungen der Guerilla ziehen können (RAF, Rote Brigaden usw.). Gegenmaschinen können zwar sehr viel Schaden anrichten (Bomben, Tod von Maschinenfunktionären), aber sie schaffen keine neuen Begegnungen und bleiben rein subversiv. Wenn Gegenmaschinen je gewonnen haben (in Regionen, wo die Maschine sehr schwach ist), dann hat sich sofort ihr Maschinen-Charakter durchgesetzt und sind die Gegen-Qualitäten regelmässig untergegangen. Diese Erfahrungen haben auch die polnischen Arbeiter respektiert, die trotz ihres erdrückenden zahlenmässigen Übergewichts jeder Konfrontation mit Polizei oder Armee ausgewichen sind. Der Feind befindet sich ja nicht vor uns, sondern unter uns. Solange also Polizei und Armee noch bereit sind, auf uns zu schiessen, bedeutet das, dass die ABC-Dysko noch zu schwach ist, dass zu grosse Teile des Organismus der Maschine noch "gesund" sind, dass sich noch zu viele einen Sonder-Deal von der Maschine erhoffen. Das heisst nun sicher nicht, dass jede Form von bewaffneten Aktionen sich gegen uns richtet. ABC-Knoten könnten auch "verwirrende" gewaltsame Aktionen einsetzen ohne damit eine Gegenmaschine in Gang zu setzen. In der Tat macht die heute entstehende "diffuse" Guerilla der Maschine viel mehr zu schaffen als die gute alte "klassische" Stadtguerilla. Sie folgt nicht der Logik des grösseren Schadens, sondern jener der Herstellung neuer Beziehungen unter Personen. (Und das ist der wirklich "grössere Schaden" für die Zukunft der Maschine.) Substruktion ist eine Form der praktischen Meditation, die mit folgendem Yantra abgebildet werden kann:


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