Stiftung Freiräume

OFFENER RAUM - WAS IST DAS?

Kontrollfreier und bedingungsfreier Raum


1. Einleitung
2. Kontrollfreier und bedingungsfreier Raum
3. Merkmale, Probleme und Lösungsmöglichkeiten verschiedener Räume
4. Debatten um konkrete Experimente offener Räume
5. Offener Raum versus Schutzraum?
6. Offene Wohnungen
7. Abschreckendes Vorbild: Linke "Frei"räume als Übungsfeld für Hierarchien
8. Links zu mehr ...

Hirnstupser - politische Analyse und Nachdenktexte
Hirnstupser am 3.5.2020: Offene Räume oder Hausrecht – notwendige Aufklärungen für einen notwendigen Streit
Zunächst für alle, die die Debatte nicht kennen: Offene Räume sind experimentelle Orte als Häuser, Grundstücke, Veranstaltungen oder im Internet, in denen auf die Anwendung jeglicher Machtmittel verzichtet oder das zumindest versucht wird. Das bedeutet erstens den radikalen Verzicht auf formale Privilegien durch Hausrecht, Schlüsselgewalt, Passwörter oder Administratorenstatus – entweder gibt es das nicht oder alle haben es. Damit sind aber nur die internen, formalen Ungleichheiten weg. Es bleiben der Einfluss von außen und die informellen, oft sehr versteckten Hierarchien zwischen den Menschen. Daher heißt es, auch die darüber hinaus bestehenden Hierarchien und Ungleichberechtigungen abzubauen. Dazu gehören unsere Zurichtungen auf verschiedene Rollen und Verhaltensweise in sozialen Prozesse, Wissens- und Statusunterschiede, Sprach- und andere Barrieren, Hang zu Dominanz oder Mitlaufen usw. Offene Räume sind in Folge ihrer Grundideen nicht fest strukturiert und der ständigen Dynamik von Aushandlungsprozessen unterworfen. Das ist in der heutigen, hierarchischen Gesellschaft gegenkulturell und damit grundsätzlichen Problemen unterworfen, die auftreten, wenn Menschen, die eine bestimmte Art des Lebens gewohnt sind, in andere Verhältnisse kommen. Offene Räume müssen selbst organisiert und gestaltet werden. Das trifft sowohl bei Menschen auf Probleme, die gewohnt sind, Richtungen vorzugeben und Effizienz durch Vorgaben seitens der jeweils geschulten bzw. erfahrenen Personen zu erreichen, als auch bei denen, die gerne nur mitmachen, sich irgendwo unverbindlich dranhängen und nirgends das Gefühl haben wollen, für etwas verantwortlich zu sein. Letztere bilden in einer Gesellschaft, die den Menschen zwecks Funktionierens im kapitalistischen Verwertungsprozess und obrigkeitsstaatlichen Rahmen feste Rollen anbieten und Regeln auferlegen, die deutliche Mehrheit.
Der Sinn von offenen Räumen liegt zunächst im Experimentieren mit utopischen Zuständen. Es geht nicht nur darum, im Hier und Jetzt möglichst effizient zu agieren, sondern Erfahrungen mit Herrschaftsfreiheit zu sammeln und daraus neue Ideen und Weiterentwicklungen abzuleiten. Allerdings soll das nicht auf Kosten der Handlungsfähigkeit gehen, denn Herrschaftsfreiheit ist ein Ziel, dass erkämpft werden muss gegen die bestehenden Verhältnisse. Das geht nicht durch den Rückzug in experimentelle Räume, die keine oder nur noch wenig Wirkung auf die Welt haben. Offene, aber innen-gewendete Räume als quasi-therapeutische oder Selbsterfahrungsbereiche werden scheitern, weil gerade solche Ansätze unter Regellosigkeit schnell zusammenbrechen. Schließlich bedarf es einer gewissen kämpferischen Einstellung, um nicht den direkten und perfiden Einflüssen von außen zu erliegen. Zudem tragen offene Räume als Rückzugsnischen eher zur Schwächung politischer Veränderungskraft bei, weil sie bislang politisch Aktive mit einer Menge neuer Fragestellungen und Probleme im Alltag überhäufen.
Der Versuch, Zusammenlebensprojekte und/oder Aktionsplattformen als offene Räume zu organisieren, ist selten, denn bereits der Entschluss dazu setzt einen starken Willen voraus, sich jenseits der bestehenden Kanäle, die zum Mitschwimmen im Strom einladen, zu organisieren. Die allermeisten alternativen Projekte definieren sich nur in ihren Werbebotschaften als gegenkulturell oder eben „alternativ“. Tatsächlich suchen sie von der ersten Sekunde an nach ausgetretenen Pfaden: Fördergelder und Direktkredite, Vereinsrecht, Hausbesitz, Regeln – und das alles in ganz normaler Absicht, also nicht, wie es ja noch möglich wäre, in subversivem Gebrauch.

Zum Streit um offene Räume
Die Kritik an der Idee der offenen Räume basiert im Kern auf zwei Vereinfachungen. Die erste ist der Verweis auf schlechte Erfahrungen, insbesondere auf massive Probleme der Menschen untereinander und oftmals ein zerstörerischer Umgang mit den Ressourcen. Zu bestreiten, dass das (leider!) immer wieder vorkommt, wäre angesichts der offensichtlichen Schwierigkeiten absurd. Dennoch ist die Kritik nicht berechtigt, denn sie ist schlicht eine populistische Verbindung zweier Beobachtungen, ohne zu prüfen, ob die wirklich etwas miteinander zu tun haben: Da ist ein offener Raum und da läuft es schlecht. Also muss die Idee des offenen Raumes schuld sein. Doch so einfach ist es nicht. Bei näherer Betrachtung der Abläufe in offenen Räumen in den letzten Jahren fällt schnell auf, dass Streit, Spaltung und Zerstörung vor allem von Menschen gehen, die sich mehr oder weniger dauerhaft in dem Projekt aufhalten. Die regelmäßigen Nutzer*innen kümmern sich wenig um die Infrastruktur, nutzen diese aber intensiv ab. Selbst Diebstähle, immer wieder der Anstoß, mehr Kontrolle und verschlossene Türen einzufordern, stellen sich meist als Handlungen nicht von Gästen, sondern von den Menschen im Projekt selbst heraus. Das legt zunächst eine Analyse nahe, dass das Projekt als solches in jedem Fall gescheitert wäre – ob mit oder ohne offenen Charakter. Denn die Menschen, die den Niedergang auslösen, wären auch bei einer nicht-offenen Struktur dort gewesen. Also ist nicht der offene Raum die Ursache, sondern hier sind Projekte auf eine Art zum Erliegen gekommen, wie sie an verschiedenen Orten immer wieder vorkommt. Auch viele Projekte mit Hausrecht und anderen Hierarchien scheitern – nur kommt dort niemensch auf die Idee, dem Hausrecht die Schuld zu geben. Bei offenen Räumen wird aber immer sofort in dieser Besonderheit die Ursache lokalisiert. Das ist typisch für den Umgang von Menschen in der Hauptkultur gegenüber gegenkulturellen Experimenten. Es geht offenbar darum, sich selbst gegenüber die Richtigkeit der Hauptkultur immer wieder zu bestätigen, um mit gutem Gewissen im hierarchisch-kapitalistischen Normalzustand zu verbleiben.
Eine zweite Vereinfachung der Kritik am offenen Raum ist das Weglassen des Scheiterns der nicht-offenen Räume. Wer sagt, keinen offenen Raum zu wollen wegen der dortigen schlechten Erfahrungen, sagt zwischen den Zeilen aus, dass nicht-offene Räume besser funktionieren. Das ist aber nicht der Fall – sie scheitern nur anders. Statt Herabnutzung von Infrastruktur und Gleichgültigkeit dominieren bei ihnen nach einigen Jahren oft Anpassung, Orientierung auf Gelderwerb, formale Hierarchien und eine starke Entpolitisierung. Angesichts der Gründungsideen ist das klar ein Scheitern, nämlich der Verrat politischer Ideale. Doch seltsamerweise wird das nicht als Scheitern betrachtet. Dabei geschieht es sehr häufig. Sich als alternativ verstehende Projekte setzen auf Hausrecht, orientieren ihre Aktivitäten an Förderprogrammen und versorgen sich mit den Produkten der kommerzielle Tätigkeiten anderer (Lohnarbeit, Kleingewerbe, Dienstleistung). Sie verwandeln sich in der Regel sehr schnell zu Wohnprojekten, in denen die Menschen einem weitgehend kapitalistisch-normalen Leben nachgehen und das Projekt keinerlei gegenkulturelle Impulse mehr setzt. Das gilt auch für solche Zusammenhänge, die ein alternatives Projekt starten, um dort effizienter politisch aktiv sein zu können. Binnen weniger Jahre formen Geldbedarf, Hausinstandhaltung, zwischenmenschliche Probleme und Familienbildung das Projekt um. Die Räume für Gruppentreffen kosten jetzt Miete – selbstorganisierte Gruppen sind seitdem verschwunden. Die Werkstätten dürfen nur noch von bestimmten Menschen genutzt werden oder dienen der Produktion von Waren. Das eigene Wissen wird als Buch, Vortrag oder digitale Programmierung verkauft – urheberrechtlich geschützt. Der Kontakt zu den kleinen, selbstorganisierten Basisgruppen, anfangs noch das Umfeld des Projekts, reißt ab. Das ist der typische Weg der nicht-offenen Räume. Es wird nur gar nicht als schlechte Erfahrung gewertet, weil Anpassung an die Normalität von denen, die das vollziehen, als vernünftig angesehen wird. Dass dabei Menschen rausgedrängt, etliche Gruppen von der Nutzung von Ressourcen ausgeschlossenen und solche Projekte mitunter sogar sehr spießig werden, wird ausgeblendet. Der Streit um offene Räume braucht daher mehr Ehrlichkeit. Schritt eins ist, klarzustellen: Im Hier und Jetzt scheitern wir alle – Adorno lässt grüßen. Räume nicht als offene Experimente zu organisieren, hilft nicht gegen das Scheitern. sie scheitern dann an anderen Sachen. Der Umgang damit in offenen Räumen ist ehrlicher. Scheitern wird dort auch Scheitern genannt. Das ist wichtig, damit daraus neue Impulse entstehen. In nicht-offenen Räumen wird Scheitern als Weiterentwicklung verschleiert. Dann gibt es nicht einmal die Chance zur tatsächlichen Weiterentwicklung, die etwas anderes ist als Anpassung.
Und als letzte Bemerkung: Angepasste Varianten alternativer Projekte gibt es viele. Kooperationen und solidarischer Austausch sind trotzdem selten. Offene Räume, die sich als gegenkulturell verstehen und politisch-kämpferisch agieren, gibt es nur wenige. Auch das ist ein Grund für das häufige Scheitern. Gäbe es mehr solcher Orte und würden die solidarisch kooperieren, könnte schon manches besser laufen.


Die Offenheit eines Raumes würde eingeschränkt durch Bedingungen des Zugangs oder der Nutzung von Teilen sowie durch tatsächliche oder optionale Kontrolle. Kontrolle erzeugt auch dann, wenn sie nicht konkret ausgeführt wird, Angstgefühle. Sie teilt Menschen oder Gruppen in (potentiell) kontrollierte und (potentiell) kontrollierende. Dieser Zustand bleibt auch dann bestehen, wenn die potentiell Kontrollierenden diese Funktion nicht ausüben wollen und es im Regelfall nicht tun. Allein die Möglichkeit verändert das Verhältnis von Menschen untereinander.
Ist eine Metastruktur als Kontrollinstanz nutzbar, z.B. ein Plenum, so verlagert sich die Kommunikation um die Weiterentwicklung des Raumes, bei Interessenkollisionen und oft auch bei Kooperationen zwischen Teilen des Ganzen auf diese Metastruktur. Das steht einer freien Entfaltung aller Teile des Ganzen im Weg, da in der Metastruktur eine andere Form der Kommunikation herrscht, die von Regeln, taktischem Verhalten und einer mehr auf Sieg/Niederlage orientierten Redeform geprägt ist.
Direkte Kommunikation und freie Vereinbarung gedeihen nur dort uneingeschränkt, wo Kontrolle und damit die mögliche Alternative, Konflikte auch herrschaftsförmig zu klären, gar nicht bestehen. Zweitrangig ist dabei, wie die Kontrolle organisiert ist - ob in der Dominanz einer Einzelperson oder -gruppe (z.B. Hausrecht, Faustrecht, rhetorische Dominanz) oder in demokratischen Prozesse. Demokratische, auch basisdemokratische Entscheidungskompetenz auf Metaebenen ist Kontrolle, zerstört direkte Kommunikation und erschwert freie Vereinbarung " wenn auch verschleierter. Die einzig grundlegende Alternative zu allen Formen von Kontrolle ist die totale Kontrollfreiheit: Es gibt keine Möglichkeit mehr, außerhalb gleichberechtigter Kommunikation eigene Interessen durchzusetzen.
  • Zitate zum Thema "Kontrolle"

Offensives Herstellen des offenen und kontrollfreien Raumes
Offenheit und Kontrollfreiheit entstehen nicht durch bloßes Weglassen form aler Verregelung. Das würde übersehen, dass die Gesellschaft durchzogen ist von Zurichtungen der Einzelpersonen und sozialer Gruppen, die auch in einem von formalen Unterschieden freien Raum weiterwirken. Hierzu gehören di e autoritären Aufladungen im Verhältnis zwischen Menschen, z.B. der Respekt vor älteren Menschen, Titeln, sog. ExpertInnen oder Amtspersonen, aber auch die Rollenmuster nach Geschlecht, Bildungsgrad oder Herkunft. Mit dies en Vorprägungen betreten alle Menschen auch einen offenen, kontrollfreien Raum und werden sich entsprechend gegenüber anderen verhalten " es sei denn, es gibt einen aktiven Prozess, der Zurichtungen überwindet oder zur Überwindung beiträgt. Dazu gehören:
  1. Bewusstmachung von Zurichtungen, Dominanzen usw. über Texte, Gespräche, Reflexionen und mehr vor, während und nach dem Gruppenprozess. Offensive Erklärungen aller Möglichkeiten, also der Technik, der Nutzbarkeit von Räumen und ihrer spezifischen Ausstattungen, des Zugangs zu Wissen (falls dieses nicht direkt sichtbar ist) und informierten Personen, der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten des offenen Raumes usw. Bereitstellung der räumlichen und technischen Möglichkeiten sowie des Wissens für dominanzmindernder Gruppenverfahren, z.B. Räume für Fish-Bowl, Wände zur Visualisierung usw.
  2. Workshops, Seminare und Einführungen in die Nutzung technischer Ausstattung, in Aktionsmethoden, Gruppenverfahren und vieles mehr. Herstellung einer hohen Transparenz des "Was läuft wo?", "Welche Streitpunkte bestehen und werden wo diskutiert/geklärt?", "Was fehlt?", "Wer braucht Hilfe?", "Welche Weiterentwicklungen des offenen Raumes laufen oder werd en angestrebt?" usw. Dazu sollten ein oder mehrere Informationspunkte geschaffen werden, an denen alles, was läuft oder geplant wird, angeschrieben wird mit Treffpunkt, Kontakt u.ä. (siehe Verfahren "Open Space").

Raum als sozialer Begriff
Mit Raum ist in diesem Text nicht nur ein umbauter Bereich, also ein Gebäude oder Zimmer, ein Zelt oder eine Fläche, sondern auch ein sozialer Raum. Es ist denkbar, einen solchen herzustellen, ohne dass sich die Menschen überhaupt direkt begegnen - eine Internetkonferenz mit dem Ziel, z.B. eine Aktion zu planen oder Software zu entwickeln, kann als ein solcher sozialer Raum betrachtet werden. Klassischer ist das Treffen einer Gruppe, ein Camp, ein Kongress oder ein Projekttreffen. Der konkrete Ort ist oft völlig unwichtig, wichtiger ist das, was die Beteiligten mitbringen an Wissen, Erfahrungen, Know-How, handwerklichen Fähigkeiten, Informationen, materieller und finanzieller Ausstattung. Sie verbinden sich oft mit unterschiedlichen rhetorischen und sonstigen Möglichkeiten zu Dominanzstrukturen. Experimente zur Dominanzminderung und zur Öffnung allen Wissens und aller Möglichkeiten für alle Beteiligten gestalten auch eine Gruppe, ein Seminar oder ein andere Treffen zum "offenen Raum".

Besondere Raumtypen
Nicht alles muss überall möglich sein. Offene Räume können besondere Zweckbestimmungen haben – aber innerhalb derer gibt es keine Regeln. Alle daran Beteiligten leben in freien Vereinbarungen ohne formale Regeln und Hierarchien. Ein Beispiel seien Aktionsplattformen. Das wären dann Räume u.ä., in denen Aktionsmaterialien und -möglichkeiten für alle zugänglich lagern und genutzt werden können (je nach Aktion Handwerkzeug, Transpis, Farbe usw.). Sie sind offene Räume (siehe oben), aber mit einer besonderen Zweckbestimmung. Das bedeutet, dass sie nicht beliebig für andere Zwecke genutzt werden können, aber zu allen Ideen in einem dynamischen Prozess der freien Menschen/Aktionsgruppen in freien Vereinbarungen zu Zwecken des Aufbau und der Aufrechterhaltung einer Infrastruktur für politische Projektarbeit.

Barrierefreiheit
Damit Ressourcen bzw. gebaute und soziale Räume für alle zugänglich sind, müssen Zugangsbarrieren beseitigt werden.

Bauliche Maßnahmen
Das ist mitunter aufwändig und für selbstorganisierte Projekte kaum zu schaffen, wenn Räume nicht im Erdgeschoss liegen. Aber versucht es. Die Projektwerkstatt in Saasen hat es zum Beispiel inzwischen im Selbstbauverfahren und ohne große Finanzaufwendungen geschafft, alle Erdgeschossbereiche und die wichtigsten Veranstaltungsräume bzw. Bibliotheken zugänglich zu machen.

Internet und digitale Dokumente

Besondere Sperranlagen
Schlösser, Passwörter usw. versperren gezielt Wege. Gleichberechtigung herrscht nur dort, wo diese fehlen oder alle an die Schlüssel rankommen.

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