Stiftung Freiräume

Ö-PUNKTE NULLNUMMER 1997: SCHWERPUNKT WINDENERGIE

Windkraft heute


1. Zum künftigen Umgang mit der Windkraft: Das rechte Maß finden!
2. In der Anfangszeit
3. Literatur
4. Feststellungen zum Naturschutz
5. Windkraft heute

Will man die aktuelle Diskussion um die Windkraft charakterisieren, so muß zwischen küstennahen Regionen und dem Binnenland unterschieden werden. An der Küste ist die Euphorie einer Nüchternheit, vielfach auch einer Ablehnung gegenüber der Windkraft gewichen. Unterschriftenlisten in kleinen Dörfern gegen jeglichen weiteren Ausbau der Windkraft und massive, gut begründete Proteste von Naturschützern gegen die Verbauung wichtiger Vogelrastplätze machen deutlich, daß Windkraftnutzung z.B. in Ostfriesland ihre Grenzen der Umwelt- und Sozialverträglichkeit überschritten hat. Manche Fremdenverkehrsgemeinde beschleicht mittlerweile sogar die Ahnung, Einbußen bei den Übernachtungszahlen könnten auf das Konto der Windenergie gehen. Abmachungen, wie sie die Hannoversche Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 21.10.1995 berichtete, legen zudem offen, daß es nicht immer nur um alternative Energie, sondern auch um üppige Geschäfte geht: "Eine fragwürdige Vereinbarung über die Errichtung eines Windparks hat die Gemeinde Holtgast (Kreis Friesland) mit den künftigen Betreibern abgeschlossen. Darin verpflichtet sich die Kommune, alles zu tun, daß die 47 Windkraftanlagen behördlich genehmigt werden. Im Gegenzug zahlt die Betreiberin 10639 DM pro genehmigter Anlage, insgesamt also 500033 DM." Im Küstenraum scheint der Windkraft-Ausbau seinen Boom hinter sich zu haben, in manchen Gemeinden zielen Planungen eher auf nackte Schadensbegrenzung für Landschaftsbild und den gemeindlichen Frieden als auf wirtschaftliche Fragen oder eine alternative Energiepolitik.

Oben: Als Kulisse für "Ferien auf dem Bauernhof" ist dieses Ensemble nicht geeignet.

Unten: Empfindliche Vogelarten (hier: Goldregenpfeifer) meiden weite Bereiche um Windkraftanlagen.


Trotz aller küstenspezifischer Erfahrungen und negativer Schlagzeilen planen Kommunen mancherorts aber nach wie vor in für den Naturschutz wertvolle Bereiche: Der Entwurf des Flächennutzungsplans der Gemeinde Krummhörn im Landkreis Aurich sieht Standorte vor, die national bis internationale bedeutsame Rastplätze sind. Die der Gemeinde bekannten ornithologischen Daten wurden aber vorsichtshalber erst gar nicht abgerufen und in die Abwägung eingearbeitet. ähnlich in der Stadt Emden: Hier wird mit Hilfe des Landes Niedersachsen der größten Windpark Europas in ein bekanntermaßen national bedeutsames Rastgebiet für Gänse und Watvögel hineingeplant, ohne die ornithologischen Daten in die Abwägung einzubeziehen, deren Erhebung das Land selbst finanziert hat. In "küstenfernen" Regionen dagegen wiederholen sich die Diskussionen, die an der Küste Anfang der neunziger Jahre das Bild bestimmten: Idealistische Argumente zur Verhinderung des Klimawandels und zur Energieeinsparung, aber erhebliche Skepsis bei Verwaltungen, oft auch Bürgern und Umweltorganisationen. All das, was es an tatsächlichen Fehlentwicklungen im Küstenraum gegeben hat, wird teilweise unreflektiert und ohne sachliche Basis auf binnenländische Regionen übertragen: "Verspargelung der Landschaft", "Zerstörung von Vogelrastgebieten" usw. Die schwer zu objektivierenden Einwände gegen Landschaftsbildveränderungen scheinen zwar die Hauptmotivation zu stellen, "meßbare" avifaunistische Argumente werden in der Diskussion aber vorangestellt, wie ein besonders extremes Beispiel aus Bayern veranschaulicht: Dort wurden drei Windkraftanlagen abgelehnt, weil in 1,4 km Entfernung ein Uhupaar sowie Heidelerche und Flußregenpfeifer in einem Steinbruch brüten und durch die Anlagen beeinträchtigt würden. Ferner brüteten zwei Rotmilanpaare in sieben bis zehn Kilometer Entfernung, und deren Aktionsradius werde gestört. Für beide Begründungen gibt es nach meiner Kenntnis sachlich nicht einmal Anhaltspunkte! Überlagert wird diese heterogene Diskussion durch ein ständiges Wechselbad bei zentralen gesetzlichen Regelungen: Während Windkraftanlagen anfangs im Baugesetzbuch als "sonstige Vorhaben" eingestuft wurden und nur als Nebenanlagen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe privilegiert (also in ihrer Genehmigungsfähigkeit begünstigt) waren, wurden Windkraftanlagen im Rahmen der Änderung des ? 35, Abs. 1, Nr. 7 Baugesetzbuch zu privilegierten Vorhaben. Gemeinden können jedoch eine Privilegierung bis zum 31.12.1998 aufschieben, wenn sie beabsichtigen, durch Ausweisung von Vorrangflächen für Windkraftanlagen im Flächennutzungsplan ihre raumordnerische Steuerung im Gemeindegebiet zu erreichen.

Praktisch zeitgleich mit der Privilegierung der Windkraft begann dann allerdings die Diskussion um die Einspeisevergütung für den aus Wind erzeugten Strom, die das zentrale Fundament des Windkraftausbaus in Frage stellte. Mit dem vorläufigen Verzicht auf deren Reduzierung ist auch hier erst einmal Ruhe eingekehrt. Alles in allem gab es in dieser Zeit ständige Unsicherheit über Genehmigungsbedingungen (Untersuchungsumfang zur ökologischen Standortbegutachtung, Ablehnungs- oder Genehmigungsgründe) und den wirtschaftlichen Rahmen für Windkraftanlagen, die damit ebenso beständig Anlaß für politische und fachliche Auseinandersetzungen lieferten.

Windkraft zukünftig

Die Extreme, die in den genannten Beispielen, aber auch in der ganz unterschiedlichen Diskussion zum Ausdruck kommen, zeigen, daß das rechte Maß beim Ausbau der Windkraft noch nicht gefunden ist, daß es derzeit an etlichen Stellen noch nicht einmal gesucht wird.

Ich möchte nachfolgend einige Schlußfolgerungen formulieren, die einen sachlichen Rahmen für die weitere Diskussion bilden könnten:

1) Die Windkraftnutzung kann keine zentrale Säule der Stromversorgung sein und auch keinen Ausstieg aus der Atomkraft gewährleisten. Sie bildet trotzdem einen notwendigen Baustein für eine umweltverträglichere Energieproduktion.

2) Eine fehlerhafte Standortwahl für Windkraftanlagen führt zur Zerstörung von Vogelbrut- und rastgebieten sowie zu unstreitig nachteiligen Veränderungen des Landschaftsbildes. Trotzdem gibt es genügend Standorte, an denen diese Konflikte nicht oder nur in geringem Umfang auftreten.

3) Widerstände in der Bevölkerung gegen Windkraftanlagen zeigen, daß für diese Form der Energiegewinnung auch eine Grenze der Sozialverträglichkeit existiert.

Daraus ergeben sich Anforderungen an den weiteren Ausbau der Windkraftnutzung und an dessen Planung: Standorte für Windparks und Einzelanlagen sollten auf Ebene von Regionen und nicht allein in den Grenzen einzelner Gemeinden gesucht werden. Erst hier lassen sich Schutzgüter wie Landschaftsbild und großräumige Vogelrastgebiete angemessen berücksichtigen. Der Planungsrahmen einer einzelnen Kommune hingegen kann optische Auswirkungen von Anlagen, die 15 km und weiter zu sehen sind, nicht adäquat behandeln. Die Ausweisung von Flächen sollte schrittweise erfolgen. So kann erreicht werden, daß zuerst die am wenigsten problematischen Standorte mit Windkraftanlagen aufgefüllt und bei weiterem Bedarf und dann noch vorhandener Akzeptanz weitere Standorte "freigegeben" werden.

Die Suche nach Windkraftstandorten sollte durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit und Diskussionen zwischen Betreibern, interessierter Bevölkerung und Skeptikern begleitet werden. Dabei können Vorurteile abgebaut werden, hier gilt es aber auch, allzu forsche Investoren wieder einzufangen ...

In den Regionen schließlich, in denen in der Anfangsphase des Windkraftaufbaus eindeutige Fehlplazierungen - z.B. in wichtige Rastvogelgebiete - erfolgten, sollte eine Neugestaltung der Windparklandschaft in Angriff genommen werden, um nach Ablauf der Lebensdauer jetziger Anlagen zu einer verträglichen Standortwahl von Windparks und Einzelanlagen zu kommen.

Das rechte Maß finden - dies sollte auch die Maxime der WindkraftbefürworterInnen sein. Dauerkritik und Dauerdiskussionen um die Windkraft könnte sonst leicht wieder die aktivieren, die der Windkraft - z.B. über eine Reduzierung der Stromeinspeisevergütung - die wirtschaftliche Basis entziehen möchten.
Einstmals prägende Landschaftselemente (hier: der Leuchtturm von Pilsum in der Krummhörn) werden durch Windkraftanlagen überformt.



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Zuletzt überarbeitet am 3. Januar 1998
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