Demorecht

TIPPS FÜRS PLÄDOYER: RECHTFERTIGUNG, SCHULD, MOTIV ...

Aspekt Strafe: Strafe verschlechtert Sozialpronose, daher nicht erlaubt


1. Aspekt Tathergang: Ist eigentlich bewiesen, was behauptet wird?
2. Aspekt Rechtfertigung: Der § 34 StGB
3. Aspekt Schuld: Gedanken zum § 46 StGB
4. Aspekt Motiv: Für die Strafhöhe von Bedeutung
5. Aspekt: Fehlende Reue, fehlendes Geständnis
6. Aspekt mildernde Umstände
7. Aspekt Strafe: Strafe verschlechtert Sozialpronose, daher nicht erlaubt
8. Links

Blick ins Jahr 2004: Eine Studie erschien – aus berufenem Munde. Überraschend war sie nicht vom Inhalt her, sondern dass das zu Erwartende nun auch offiziell bestätigt wurde. Berufener Mund deshalb, weil Auftraggeber das Bundesjustizministerium war und es schon glaubwürdig klang, wenn die oberste Regierungsstelle des Strafens selbst über ihre eigene Strategien sagt: Alles Unsinn - Strafe und Knast machen alles schlimmer! Das war das Fazit der vom Justizministerium veröffentlichten „Rückfallstatistik“. Das spannende Ergebnis liest sich so: „Die zu einer freiheitsentziehenden Sanktion Verurteilten weisen ein höheres Rückfallrisiko auf als die mit milderen Sanktionen Belegten.“ Also - je härter die Strafe, desto sicherer die Kriminalisierung durch selbige. Strafe erzeugt das, was sie zu verhindern vorgibt. Das deckte sich mit allen Beobachtungen zu Autorität: Je autoritärer die Erziehung, desto gewaltförmiger in der Tendenz der Umgang der so Erzogenen mit ihren Mitmenschen. Je autoritärer das persönliche Umfeld, desto gewaltförmiger der Umgang der Menschen untereinander (z.B. im Knast). Je autoritärer ein Staat, umso mehr Gewalt zwischen den Menschen in ihm - jeweils in der Tendenz. Die Forderung nach Abschaffung von Knästen, Justiz und Polizei ergibt sich schon aus diesen Überlegungen. Mehrere weitere kommen hinzu:
  • Die Existenz von Repressionsstrukturen ist selbst immer auch Ursache für den Wunsch nach Einsatz derselben zu bestimmten Zwecken. Herrschaft und Herrschaftsausübung folgen unmittelbar aus der Möglichkeit dazu. Wenn ich die Waffe in der Hand habe (oder eine Polizei durch entsprechende Gesetze zum Handeln veranlassen kann), steigt meine Neigung, mich mit meinen Mitmenschen nicht mehr zu einigen, sondern sie zu zwingen.
  • Fast alle Gewalttaten zwischen Menschen haben spezifische Gründe, die nicht wiederkehren. Wer einen anderen Menschen aus Rache, angestautem Ärger oder Neid umbringt oder verletzt, wird das nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder tun wie andere Menschen auch. Das macht die Tat nicht besser, es zeigt aber, dass Strafe der Genugtuung Dritter dient, aber nicht zu Veränderung von Verhalten führt. Ganz im Gegenteil: Die asozialisierten Verhältnisse im Knast können bewirken, was ohne den Knast nicht passieren würde - die Fortsetzung von gewaltförmigem Verhalten.
  • Viele Gewalttaten haben eine Vorphase, z.B. sexueller Missbrauch in Form von verbalen Übergriffen oder Drohungen, Schläge bis hin zum Mord in Form von massivem Streit. Wenn hier das soziale Umfeld nicht weggucken würde („Darüber redet man nicht“ über „das geht Dich nichts an“ bis zu „das beschmutzt die Ehre unserer Familie“), sondern intervenieren und die VerursacherInnen zur Rede stellt, würden die meisten Eskalationen hin zu Gewalttaten gar nicht mehr stattfinden. Strafe dagegen greift erst ein, wenn es zu spät ist.
  • Die weitaus meisten Straftaten, Häftlinge und auch Paragraphen im Strafgesetzbuch haben mit Gewalt zwischen Menschen aber gar nichts zu tun. Es sind Handlungen mit wirtschaftlichem Hintergrund oder Ungehorsam bzw. Sabotage gegen den Staat. Erstere sind bei genauerer Betrachtung fast immer Umverteilungen von Oben nach Unten, d.h. Menschen holen sich etwas, wo es mehr davon gibt - oftmals sogar, ohne dadurch andere Menschen zu schädigen. Wer jemand anders das Fahrrad klaut, schädigt die andere Person. Wer aber kein Handy hat und Karstadt, T-Punkt oder Vodafone bieten Tausende an, so ist das Wegnehmen von einem Umverteilung. Aus Profitinteressen ist das unter Strafe gestellt. Mit dem zweiten großen Block im Strafgesetzbuch schützt sich der Staat selbst - mensch darf seine Hymne und Fahne nicht verunglimpfen oder PolizistInnen nicht beleidigen. Und etliches mehr.
  • Zu alledem gibt es verbotene Dinge, die niemanden stören - nur der Staat will eine bestimmte Ordnung aufrechterhalten. Drogenkonsum, Partys auf der leeren Straße, bunte Graffitis an grauen Behördenwänden und ähnliches gehören dazu.

Wer Politik gegen Herrschaft machen will, greift in Gerichtssälen etwas sehr Symbolisches an, etwas aus dem Kern von Machtausübung. Deutschland oder der Kapitalismus ohne Nazis oder ohne Castor - das ist denkbar. Deutschland, das ewige Streben nach Verwertung und Profit oder autoritäre Gesellschaft als solches sind ohne Justiz und Polizei aber kaum. Ein Grund mehr, Repression grundsätzlich in Frage zu stellen und damit Visionen einer Gesellschaft jenseits von Staaten, Erziehung und Strafe überall ins Gespräch zu bringen. Das kann über den direkten Angriff auf Repression, Kontrolle und Strafe erfolgen (von Störung, Theater, Graffiti bis Militanz). Zudem ist jede Situation, in der Repression auftritt, eine Chance, selbige zu thematisieren, also Kontrollen, Verhaftungen oder Gerichtsprozesse in eine Aktion zu wenden. Und es kann Selbstzweck sein, das absurde System des Richtens und Strafens durch offensive Strategien zu stören, zu behindern und zu blockieren.

Im Original: Zweck der Strafe
BGH StV 2003, 222 (Quelle: Strafrechtslexikon)
Bei der Strafzumessung sind die Wirkungen einer Strafe auf den Täter unter dem 'spezialpräventiven Gesichtspunkt einer Resozialisierung' zu berücksichtigen. Deshalb sind Art und Umfang der Strafe so zu bestimmen, dass ihr Resozialisierungszweck erfüllt werden kann. Bei einer Verhängung einer sehr hohen Freiheitsstrafe gegen einen jungen Angeklagten, der eine lange Freiheitsstrafe während einer Zeit verbüßen muß, in der häufig noch entscheidende Weichenstellungen im Hinblick auf das zukünftige Leben getroffen werden können, besteht die Gefahr, dass wegen des Fehlens jeglicher Perspektive für ein eigenverantwortliches Leben die anzustrebende Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht erreicht wird.

BGH, Beschluss vom 29.09.1998 - 5 StR 464/98, StV 1998, 636 (Quelle: Strafrechtslexikon)
Wesentliche Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung sind das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind. Es ist daher rechtsfehlerhaft, wenn die Urteilsgründe keine 'Feststellungen zum persönlichen Werdegang' des Angeklagten enthalten und zudem nicht erkennen lassen, daß der Tatrichter sich - angesichts des Schweigens des Angeklagten zu seinem Lebenslauf - anderweitig um Aufklärung des Lebens des Angeklagten bemüht hat.

Hasso Lieber: Leitfaden für Schöffinnen und Schöffen (S. 127 f.)
Die Uberlegungen zum Strafmaß müssen immer eng gekoppelt sein mit der Frage nach dem Zweck der Strafe. Erst die Beantwortung der Frage „Wird die ausgewählte Strafe auch ihren Zweck erfüllen?" ermöglicht die Festsetzung einer "gerechten" Strafe. Es muss dringend vor der Gefahr eines „Automatismus der Strafen'' gewarnt werden. Bei durchaus gleichgelagerter Tatbegehung und Motivation kann es gerechtfertigt sein, unterschiedlich zu reagieren. Das Gericht hat nicht mit der Registrierkasse Preise für die „Ware" Strafe zu vergeben.

Aus dem Bericht einer Staatsanwältin, die Bestrafung für falsch hielt ...
Naja, das übliche strafmaß für die tat, bei den vorstrafen des angeklagten, wären mindestens ein paar monate freiheitsstrafe gewesen. Aber abgesehen davon, daß ich ohnehin keinen „dienst nach vorschrift“ ableisten wollte, kann ich auch ganz bestimmt keine freiheitsstrafe beantragen oder auch nur stumm an so einem urteil mitwirken. Bzw. ich hätte mir das bestimmt beibringen können. Aber ich glaube, daß es verkehrt ist, sich gewissensregungen abzuerziehen, und daß sowas eineN auch kaputt macht.


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