Demorecht

ZUR GEWALTFRAGE

Verwirrung hoch zehn: 20. Juli 1944


1. Um was es geht
2. Was ist eigentlich Gewalt?
3. Verwirrung hoch zehn: 20. Juli 1944
4. Gewalt als zentraler Punkt - pro und contra
5. Perspektiven
6. Vermeintliche Ursachen von Gewalt
7. Links

Nicht einfacher wird all das durch Fälle, in denen zwar völlig klar ist, dass blanke Gewalt im Spiel ist, aber trotzdem genau diese Jahr für Jahr von Teilen derer, die den Verzicht von Gewalt predigen, zum Musterbeispiel politischen Protestes hochstilisiert werden. Gemeint sind diesmal nicht die dogmatisch Gewaltfreien, sondern die Inhaber_innen politischer Autorität. Sie haben ihre eigenen Interessen, für Gewaltfreiheit zu streiten - sind sie doch im Besitz des sogenannten Gewaltmonopols, d.h. des Rechts auf Gewalt. Von ihren Gegner_innen verlangen sie Gelübde zur Gewaltfreiheit, während sie selbst ihre Truppen bis an die Zähne bewaffnen - ein durchsichtiges Spiel. Dennoch wäre aus diesem Blickwinkel überraschend, wenn sie politische Widerstandskämpfer_innen loben, die bei einem Bombenattentaten viele Menschen töten - einschließlich vieler, die gar nicht das Ziel solcher Attentate waren.

Aber genau so geschieht es, jedes Jahr von Neuem. Von Regierung bis zu bürgerlicher Breite werden die Attentäter des 20. Juli 1944 jedes Jahr aufwendig gefeiert. Nicht Georg Elser, der vor (!) dem Krieg versuchte, Hitler zu töten, um unter anderem den Krieg zu verhindern. Auch nicht andere Widerstandskämpfer_innen, die mutig, aber gewaltfrei, jedoch auch wirkungslos protestierten und bei Entdeckung schnell einen Kopf kürzer gemacht wurden. Nein, abgefeiert werden ausgerechnet die, die erst einschritten, als aller Greuel schon geschehen war oder auf Hochtouren lief. Die das Deutsche Reich retten statt stoppen wollten und die bis Mitte 1944 die ganze Scheiße mitmachten, d.h. Gewalt auch in ihrer brutalsten Form akzeptierten. Schon diese Auswahl macht fassungslos, denn viele andere Widerstandkämpfer_innen sind vergessen oder wurden noch nach 1945 von den neuen Regierenden malträtiert. Die Gedenkstätte für die "guten" Gewalttäter und das deutsche Verteidigungsministerium liegen am gleichen Ort. Dort fand viele Jahre das wichtigste öffentliche Gelöbnis der Berufsgewalttäter_innen heutiger Zeit, nämlich von Soldat_innen, statt. Völlig frei irgendwelcher kritischen Töne feiert das offizielle Deutschland jedes Jahr ausgerechnet die Menschen, die Eroberungen, Vernichtungskriege, Holocaust und vieles mehr gebilligt oder sogar mitentwickelt und angezettelt hatten - und kassiert dafür kaum Kritik der überfallenen Länder oder Nachfragen der wenigen Überlebenden.
Der Gipfel des Absonderlichen aber ist, dass fast alle derer, die jährlich den Attentätern des 20. Juli huldigen, gleichzeitig fanatische Propagandist_innen des Verzichts auf Gewalt in der politischen Auseinandersetzung sind. Der treu ergebene Faschist Stauffenberg hingegen legte 1944 eine Bombe, die Menschen tötete (nur nicht den, für den sie bestimmt war). Die Kreise, für die eine Sitzblockade, des Ausreißen gentechnisch veränderter Pflanzen oder zumindest ein Steinwurf schon Terrorismus sind, machen Stauffenberg zum Helden. Welch seltsame Welt, mag manche_r denken. Doch unlogisch ist diese Wertung nicht. Denn der Gewaltbegriff ist einfach nur frei jeglichen Inhaltes - wie sonst auch. Tatsächlich kommt es darauf an, welchen Zweck die Tat verfolgt. Der deutschnationale, zur Rettung von Reich und Faschismus durchgeführte Bombenanschlag war gut, ein staatskritischer wie der seitens Georg Elsers hingegen schlecht (mit leichten Veränderungen in den letzten Jahren). Unter solchen Realpolitiken ist die Geißelung von Gewalt nur vorgeschoben. Das Problem für diejenigen, die aus der Position der Herrschenden heraus die Gewalt kritisieren, meinen nicht die Gewalt als solches, sondern nur diejenige, die ihnen schadet. Was ihnen nützt, nehmen sie gerne in Kauf - einschließlich Polizei- und militärischer Gewalt, für die sie oder ihnen Gleichgesinnte das Personal der Ausführung bezahlen und befehligen.

Im Original: Deutsches Denken zum 20. Juli 1944
Aus denen, die jahrelang alles mitmachten oder sogar vorantrieben, werden Helden ...
Frage in einem Interview mit der Tochter von Stauffenberg, in: FR, 19.7.2008 (S. 24)
Ihre Eltern gehörten zu der Minderheit, die der Verführung widerstanden hat.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Bundestag (Bundestags-Drucksacke 16/2178), zitiert in: Junge Welt, 5.8.2006 (S. 10)
Die Bundesregierung ist daher nicht willens, das vorbildliche menschliche Verhalten der Männer und Frauen des 20. Juli 1944, das in besonderer Weise den unserem Grundgesetz immanenten Anforderungen entspricht, in Frage zu stellen.
Im militärischen Widerstand gegen Hitler und das verbrecherische NS-Regime dokumentiert sich in besonderer Weise vorbildhaftes und wertegebundenes Verhalten. Aus dem Handeln der Soldaten des 20. Juli 1944 lassen sich an unveräußerlichen Menschenrechten und dem eigenen Gewissen orientiertes Handeln, Opferbereitschaft und die Grenzen der Gehorsampflicht ableiten.


Auf der Seite der Bundesregierung selbst
In einer Gedenkstunde im ehemaligen Strafgefängnis Plötzensee würdigte die Bundesregierung den Mut der Widerstandskämpfer um Graf von Stauffenberg. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt eröffnete die Feierstunde und hob hervor, dass an diesem Tag aller Menschen gedacht werden solle, die gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime aufgestanden seien. …
Minister Schmidt erinnerte daran, dass die Geschichte des deutschen Widerstands aktueller ist denn je: "Sie handelt von inneren Kämpfen, vom Ringen mit dem Gewissen, von Anstand und Ehre, von Mut und Zivilcourage". Dies seien keine "altmodischen Themen". Der 20. Juli sei vielmehr ein "Aufruf zum Handeln: eine Ermutigung, für Recht und gegen Unrecht einzutreten", sagte Schmidt. …
Am Abend des Gedenktages fand in Berlin traditionell auch ein feierliches Gelöbnis statt. In diesem Jahr legten 320 Freiwillig Wehrdienstleistende aller Waffengattungen und aus verschiedenen Standorten ihren Eid auf das Grundgesetz ab. Sie gelobten öffentlich vor Vorgesetzten und Kameraden, Angehörigen und Freunden, "der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen".

Aus einer deutschen Dorfzeitung
Von Reinhard Mürle, in: Die Dorfkirche, Reiskirchen (Sommer 2004, S. 6)
Vor 60 Jahren: Attentat auf Hitler

Am 20. Juli 1944, vor sechzig Jahren also, ist es Graf von Stauffenberg gelungen, eine Zeitzünderbombe an den im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" hermetisch abgeriegelten Hitler heranzubringen. Die Bombe explodierte, vier Offiziere wurden getötet, aber Hitler überlebte, nur leicht verletzt. Ein grausames Strafgericht brach über die Widerstandsgruppe um Carl Goerdeler und Ludwig Beck herein. Das Nazi-Regime aber hatte wieder einmal Gelegenheit, propagandistisch darzulegen, dass die "Vorsehung" Hitler gerettet habe. Es war nicht das einzige Attentat gegen ihn. Aber alle überstand dieser Mann.


Politik am Abgrund
Auch andere, genauso gefährliche Formen des Widerstandes hat es gegeben, die vom Flugblattverteilen bis zur Sabotage in den Rüstungsbetrieben reichten. Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen, bürgerliche Politiker und Militärs kämpften aus unterschiedlichen Motiven gegen die NS-Diktatur: aus ideologischen, religiösen oder ethisch-moralischen Gründen, aber auch wegen der sachlichen Erwägung, die Politik der Nazis müsse früher oder später in den Abgrund führen.
Doch es waren nur wenige und oft genug nur Einzelpersonen, die den Todesmut aufbrachten, sich gegen ein Regime aufzulehnen, das das Individuum missachtete und mit Terror bis in den Tod verfolgte. Niemand der-Nachgeborenen kann sagen, wie er sich verhalten hätte. Deshalb sind Fragen, warum sich manche, auch die Verschwörer des 20. Juli 1944, erst dann zum Widerstand entschlossen hatten, als der Krieg verloren war, schwer zu beantworten.


Andenken wach halten
Aber die Frage belastet noch heute, warum es insgesamt doch recht wenig Widerstand gegeben hat, auch unter den Christen.
Es hat zu viele gegeben, die mitmachten bis zum Ende, aus Bequemlichkeit, fehlender Verantwortung oder falsch verstandener Treue heraus.
Schon deshalb sollte unsere freiheitlich verfasste Republik das Andenken an die Widerstandskämpfer wach halten. Sie alle haben dazu beigetragen, dass das Vergeben auch denen leichter fällt, in deren tiefer Schuld die Deutschen stehen.

Aus Wikipedia
Graf von Stauffenberg verübte das misslungene Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 und war als Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres entscheidend an der daran anschließenden „Operation Walküre“ beteiligt, dem Versuch eines Staatsstreiches. Am 21. Juli wurde er hingerichtet. Stauffenberg war „ein glühender Patriot, ein leidenschaftlicher deutscher Nationalist“ und sympathisierte zunächst mit den nationalistischen und revisionistischen Aspekten des Nationalsozialismus, bevor er den verbrecherischen Charakter des nationalsozialistischen Regimes erkannte und auch wegen der Aussichtslosigkeit der militärischen Gesamtlage der Wehrmacht zum aktiven Widerstand fand.

Distanzierungen von diesem peinlichen Ehrenkult sind selten. Aber es gibt sie. So benannte sich eine Schule um. Sie wollte die Täter des 20. Juli 1944 und des faschistischen Terrors davor nicht länger ehren (Junge Welt, 23.7.2008 (S. 15).

Weitere Beispiele für das Bejubeln von Gewalt durch die, die sie verbal ablehnen
US-Präsident Donald Trump ruft zu mehr Gewalt auf - Cops jubeln
Aus: Huffingtonpost, 28.7.2017
US-Präsident Donald Trump hat Polizisten zur Anwendung von mehr Gewalt etwa bei Festnahmen ermuntert. Bei einer Veranstaltung von Gesetzeshütern auf Long Island in New York sagte er, für ihn sei ein viel härterer Umgang mit Festgenommenen völlig in Ordnung, etwa indem man ihren Kopf gegen den Polizeiwagen schlagen lasse.
Der Präsident sagte auch, Polizisten sollten nicht zu nett sein, wenn sie Kriminelle in den Laderaum eines Polizeitransporters werfen würden.
Mehrere Hundert Polizisten in Uniform im Publikum jubelten daraufhin laut und stimmten "USA, USA"-Sprechchöre an. Trump bezeichnete Mitglieder bestimmter Banden als Tiere. Er werde der Polizei immer 100 Prozent Rückendeckung geben, anders, als das in früheren Zeiten der Fall gewesen sei.


Aus Stephan D’Arcy (2019), „Sprachen der Ermächtigung“ (S. 143)
„Ein besonderes Problem ist, den Bürger zur aktiven Praxis einfacher Sabotage anzuspornen und ihn dazu zu bringen, diese Sabotage für längere Perioden weiterzubetreiben“. Doch im Idealfall und wenn alles gut geht, »entwickelt der Bürger-Saboteur ein Verantwortungsgefühl und beginnt mit der Ausbildung anderer in simpler Sabotage.« So heißt es in einem 1944 von der US-Regierung herausgegebenen Trainings-Handbuch in effektiven Sabotagetaktiken.

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