Demorecht

REVISIONSSCHRIFT DES ANGEKLAGTEN P.N.

Verletzung des § 260. Abs. 1 (Verfahrensrüge)


1. Revisionsschrift des Angeklagten P.N.
2. Verletzung des § 275 und § 338 Abs. 7 (Verfahrensrüge)
3. Verletzung des § 260. Abs. 1 (Verfahrensrüge)
4. Verletzung des § 147, Abs. 7 StPO (Verfahrensrüge)
5. Gewalttätiges Auftreten an der Eingangskontrolle
6. Entfernung von Personen mit abweichender Kleidung
7. Verletzung des § 261 II StPO (Verfahrensrüge)
8. Verletzung des § 261 im Urteil zu den Anklagepunkten 1-8 (Verfahrensrüge)
9. Verletzung StPO § 24, Abs. 2 und Verletzung des Gesetzes nach StPO § 338, Satz (Verfahrensrüge)
10. Ablehnung der Beiordnungsanträge (Verfahrensrüge)
11. Bruch von Vereinbarungen bei Terminplanung u.a. (Verfahrenrüge)
12. Sachrüge
13. Sachliche Fehler zum Anklagepunkt 9 (Hausfriedensbruch am 27 März 2003)
14. Links 

Gerügt wird die Verletzung der Vorschriften über die Verkündung des Urteils, § 260, Abs. 1 StPO.

Der elfte Verhandlungstag, der 29. April 2005, endete mit den Plädoyers der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sowie dem letztem Wort der Angeklagten. Im Protokoll der Hauptverhandlung vom 29. April 2005 heißt es dazu: "Die Angeklagten hatten das letzte Wort." Am zwölften Verhandlungstag, dem 3. Mai 2005, erschein statt Staatsanwalt Vaupel der Oberstaatsanwalt Hübner als Vertreter der Staatsanwaltschaft. Der Unterzeichner erschien an diesem Tag nicht. Der Angeklagte Bergstedt, der vor dem Gerichtsgebäude anwesend war, wurde von zwei Polizeibeamten vorgeführt. Das Gericht eröffnete überraschenderweise nochmals die Beweisaufnahme. Im Protokoll des 3. Mai 2005 heißt es dazu: "Es wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten." Nach geheimer Verhandlung verkündete das Gericht zwei Beschlüsse. Danach wurde die Beweisaufnahme geschlossen und die Plädoyers wiederholt. Der Angeklagte Bergstedt hatte das letzte Wort.

Die Urteilsverkündung erfolgte dann ohne jede Unterbrechung. Weder eine offene, noch eine geheime Beratung fand statt. Während der erneuten Beweisaufnahme hatte das Gericht das schriftlich fixierte Urteil, das als Anlage dem Protokoll der Hauptverhandlung beigefügt wurde, bereits vor sich liegen. Sowohl die letzte Phase der Beweisaufnahme wie auch die Plädoyers haben damit faktisch keinen Einfluss mehr auf das Urteil gehabt. Und zwar nicht aufgrund einer Abwägung, sondern aufgrund der Tatsache, dass das Urteil zum Zeitpunkt der Plädoyers schon geschrieben war.

Nach § 260 StPO muss der Urteilsverkündigung eine entsprechende Beratung zum Urteil vorangehen - und zwar zeitlich direkt. Diese darf nicht schon während der noch laufenden Beweisaufnahme erfolgen. Im Kommentar zur Strafprozeßordnung von L. Meyer-Goßner heißt es zum § 260: "Unmittelbar nach der Beratung und Abstimmung ergeht das Urteil (BGH NJW 51, 206; 87, 3210). Zur Beratung und Abstimmung (vgl. §§ 192-197 GVG, § 263), die geheim (§§ 43, 45 I S. 2 DRiG) und kein Teil der Hauptverhandlung sind, so dass auch eine Protokollierung nach § 273 I nicht in Betracht kommt (8 zu § 273), zieht sich das Gericht idR in das Beratungszimmer zurück."

Im vorliegenden Fall ist das Urteil direkt und ohne Unterbrechung nach dem Ende der nochmaligen Beweisaufnahme erfolgt. Dieses widerspricht dem § 260 StPO: "Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils".

Das Gericht hat die Hauptverhandlung vor dem Urteilsspruch weder unterbrochen noch verlassen. Es hat auch keine Beratung im Gerichtssaal selbst durchgeführt. Eine solche Beratung wäre auch nötig, wenn in der wieder aufgenommenen Beweiserhebung keine relevanten neuen Aspekte aufgetreten sind. Kommentar zur Strafprozeßordnung von L. Meyer-Goßner zum § 260: "Wird nach der Beratung nochmals in die Verhandlung eingetreten, so ist erneut nach § 258 zu verfahren (dort 27); danach muss abermals beraten werden (BGH 24, 170, 171), auch wenn der Wiedereintritt keinen neuen Prozessstoff ergeben hat (BGH NStZ 88, 470)."

Das Urteil wurde als Anlage zu Protokoll der Hauptverhandlung gegeben. Der Urteilsspruch befindet sich in der Akte ohne Blattangabe dort, wo das Blatt 238 (Band V) sein müsste. Die Höhe der Bestrafung ist mit Hand in einen dafür bewusst freigestellten Bereich nachgetragen, während die Verurteilung und die Tatvorwürfe schon ausgeschrieben sind. Das deutet auf eine vorbereitete Fertigstellung des Urteils hin.

Die Verletzung des § 260, Abs.1 ist von Gewicht für das Urteil, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die vorgeschriebene Beratung der Kammer - hätte es sie gegeben - zu einem anderen Urteil geführt hätte.

An dieser Stelle tritt für die Verfahrenrüge ein Dilemma auf. Nach der üblichen Auslegung des § 344, Abs. 2 ist die Beweisgrundlage für die Verfahrensrüge in erster Linie das Sitzungsprotokoll. Im vorliegenden Fall stimmt das Protokoll allerdings nicht mit dem realen Verlauf der Hauptverhandlung überein. In der Sitzungsniederschrift zum 3. Mai 2005 steht: "Nach geheimer Beratung wurde anliegendes Urteil Durch Verlesen der Urteilsformel sowie unter mündlicher Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe verkündet." Auffällig ist, dass im Protokoll jegliche Angaben dazu fehlen, die eine Unterbrechung der Hauptverhandlung oder ihre zeitliche Dauer bis zum Wiedereintritt in die Verhandlung anzeigen.

Aufgrund des Fehlens dieser Angaben und der falschen Darstellung des Verfahrensablaufs im Protokoll der Hauptverhandlung ist das Sitzungsprotokoll aber nicht geeignet, aus sich heraus den Beweis zu führen, dass eine Verletzung des § 260 Abs. 1 gegeben ist.

Dadurch ist jedoch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, den Verfahrensverstoß mit anderen Mitteln nachzuweisen; diese Möglichkeit muss hier sogar eröffnet sein, wenn anders nicht der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) entscheidend beeinträchtigt werden soll.

Zur Glaubhaftmachung der vorgebrachten Verletzung des § 260 Abs. 1 beantrage ich daher eine dienstliche Erklärung der Vorsitzende n Richterin der 3. kleinen Strafkammer am Landgericht Giessen. Ergänzend wird eine dienstliche Erklärung der beiden Schöffen beantragt. Zudem stelle ich Antrag auf Protokollberichtigung.

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