Demorecht

WELTGIPFEL IN JOHANNESBURG (“RIO+10“)

Nachhaltig marktfetischistisch


1. Nachhaltigkeit: Argument für die Modernisierung der Demokratie
2. Was ist Nachhaltigkeit?
3. Die Inhalte von Nachhaltigkeit und Agenda 21: Mehr Atomtechnik, mehr Gentechnik, universelle Lebensentwürfe
4. Nachhaltig marktfetischistisch
5. Nachhaltige Umweltbildung
6. Governance, Runde Tische, Zivilgesellschaft: Hilfe, noch mehr Demokratie droht!
7. NGOs: Schwach, anbiedernd, inhaltsleer:  Umwelt-NGOs als Akzeptanzbeschafferinnen von Staat und Wirtschaft
8. Aufruf zu Aktionen gegen Rio+10

Der folgende Text stammt aus dem Kapitel "3.9 Öko-Betriebe und Geldinstitute als AkteurInnen" des Buches "Reich oder rechts?" und beschreibt konkrete Auswirkungen der Marktorientierung ökologischer Konzepte, die auch in der Nachhaltigkeitsdebatte prägend sind.

Ökokapitalistische Politik
Klimaschutz
Ein beeindruckendes und umfassendes Beispiel ökokapitalistischer Orientierung ist der Klimaschutz47. Das Kyoto-Protokoll unterwirft mit dem Deckmantel der Ökologie bisher nicht der Verwertung unterliegende Bereich dem Diktat von Kauf und Verkauf, der Akkumulation von Produktionsgrundlagen, denn das Recht, Luft zu verschmutzen, wird handelbar. In der Folge werden reiche Konzerne und Länder zum einen diese handelbaren Zertifikate bei sich konzentrieren können (und damit auch das Recht auf ungehinderte Produktion, Mobilität und Energieverbrauch) sowie gleichzeitig denen, die die Zertifikate nicht mehr nutzen können, neue Technologien zur Emissionsreduktion anbieten. Das bringt wirtschaftliche Macht und Profite.

Im Original: Aus Sebastian Oberthür/Hermann E. Ott, 2000: Das Kyoto-Protokoll, Leske+Budrich in Opladen
... könnten die Mechanismen zur wegweisenden Innovation werden, da sie Prinzipien des Marktes in bisher nicht gekanntem Ausmaß in die internationale Umweltpolitik einführen. (S. 136)
Der Emissionshandel, die Gemeinsame Umsetzung und der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (...) verfügen zweifellos über alle Voraussetzungen, um sich zu den wichtigsten Elementen des Klimaregimes zu entwickeln. Ihre politische Bedeutung kann wohl kaum zu hoch bewertet werden. Mit der Nutzung dieser Instrumente wird sich das Klimaregime von einer in erster Linie auf den Umweltschutz gerichteten Vereinbarung in einen 1/4harten1/2 Wirtschaftsvertrag verwandeln. Es wäre denkbar, dass der CDM eines Tages in Konkurrenz zur multilateralen Entwicklungshilfe tritt. Mit der Schaffung eines Systems für den Handel mit Emissionen (und abgeleiteten Produkten wie Termingeschäften) könnte ein riesiger neuer Markt entstehen, auf dem umfangreiche Finanztransaktionen stattfinden. (S. 350)


Diese Art von Umweltschutz als Erweiterung von Marktlogik gefällt denn auch Kreisen, sie als Vordenker und Lobbyisten des neoliberalen Umbaus gelten.

Im Original: Aus Die Frohe Botschaft Nr. 848
Maurice Strong, Vorsitzender des Umweltgipfels in Rio 1992 hat die aus seiner Sicht zwölf wichtigsten Schritte vorgeschlagen, mit denen den weltweiten Umweltproblemen am besten begegnet werden kann. Die meisten davon sprechen uns zutirefst aus dem liberalen Herzen. Zum Beispiel Vorschlag Nummer Drei: Behandelt die Erde und ihre Ressourcen als ob sie ein Unternehmen wäre.
Aus der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zum Klimaschutz von November 2000 (Quelle: www.bmu.de/fset800.htm)
Solange die "Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge" erfolgreich umgesetzt und gemäß Ziff. V gemeinsam weiterentwickelt wird, wird die Bundesregierung keine Initiative ergreifen, um die klimaschutzpolitischen Ziele auf ordnungsrechtlichem Wege zu erreichen.


Nachhaltigkeit & Co.49
Der tiefgreifendste Diskurs zur Verbindung von Ökologie und Ökonomie sowie zur Modernisierung von Herrschafts - und Verwertungslogik unter sozial-ökologischen Gesichtspunkten ist die Nachhaltigkeitsdebatte. Sie versucht, die Vereinbarkeit von Effizienz, Profit, Kontrolle sowie Herrschaft und Verwertung auf der einen und sozialen und ökologischen Zielen auf der anderen Seite herzustellen. Tatsächlich schafft sie das aber nur in einem konstruierten Rahmen, d.h. in der öffentlichen Wahrnehmung, in den Debatten in Medien und Wissenschaft, nicht aber im realen Leben. Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter auseinandergegangen, die Herrschafts- und Verwertungslogik erfaßt die letzten Bereiche des Lebensalltags und beim Schutz der Umwelt stehen wenigen Prestigeerfolgen alarmierende Trends gegenüber.
Dennoch hat die Nachhaltigkeitsdebatte sowie ihre Teilelemente unter den Begriffen "Zukunftsfähigkeit", "Zukunftsfähiges Deutschland", "sozialökologische Erneuerung" oder "Agenda 21" die Brutalität von Herrschaft und Verwertung vernebelt. In diesem Sinne wird sie auch weiter denen dienlich sein, die auch den Umweltschutz als praktisches Mittel zur Legitiminierung von Herrschaft und Ausbeutung einsetzen. Entsprechend deutlich sind die Reaktionen aus der Wirtschaft selbst - dort wird der Nachhaltigkeitsdiskurs als große Chance bewertet, selbst in der Umweltdebatte die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Zwanzig Jahre vorher stand die Industrie noch in der Sündenbockrolle.

Im Original: Bundeswirtschaftsminister Werner Müller in seinem Grußwort zum B.A.U.M. Jahrbuch, Quelle: B.A.U.M. News Nr. 16 vom 8.10.2001
Die Wirtschaft in Deutschland richtet sich mehr und mehr am Leitbild der Nachhaltigkeit aus. Der Diskurs hierüber wird offensiv geführt und der Erfolg zeigt, dass Nachhaltigkeit mit Gewinn für das Unternehmen und die Umwelt umsetzbar ist. Bislang sind es jedoch vorwiegend Großunternehmen, die Engagement zeigen und Schrittmacherfunktion übernehmen.


Es bleibt noch abschließend darauf hinzuweisen, daß die Entwicklung erst am Anfang ist. Die Aktienkurse haben nach den euphorischen Anfangsjahren die Zone normaler Kursgewinne und verluste erreicht, Öko-Unternehmen bilden ihre eigenen Lobbyverbände und agieren in den Wirtschaftsvereinigungen mit. Sie fordern mehr Liberalisierung des Marktes - wie ihre konventionellen KollegInnen auch. Selbst in der Schule wollen ÖkologInnen heute nicht mehr den Ökologieunterricht, sondern die Schulung in Unternehmensgründungen. Unter den Überschriften "Earning oder Learning" und "Erziehung zu Eigeninitiative und Unternehmensgeist" warb die ökopädagogische Zeitung "21"50 für die Gründung
von SchülerInnenfirmen als neue Lernform - nachhaltig, versteht sich.

Die Diskussion um die Weiterentwicklung ökokapitalistischer Konzepte wird in den passenden Kreisen geführt - unter Ausschluß unabhängiger UmweltschützerInnen. Ein prägnantes Beispiel sind die jährlichen "Umweltkonferenzen" in Berlin Kreuzberg51, wo hochrangige ManagerInnen der Großkonzerne (Deutsche Bank, Bayer, Novartis, Preussen Elektra usw.) mit den Führungspersonen der Umwelt NGOs und der Grünen über Ökologiestrategien diskutieren. Im Jahr 2001 kam es zu Protestaktionen von unabhängigen UmweltaktivistInnen.

Im Original: Aus Beiträgen auf der "Umweltkonferenz 2000"
Wer nicht zuerst auf die "Widerständler" starrt, sondern sich nach möglichen "Helfern" umschaut, dem bieten sich interessante Perspektiven.
(Reinhard Loske, B'90/Grüne, 2000)
Regierungen und Konzerne sind Täter, nicht Schützer.
(6m Transparent einer Protestgruppe vor der Bühne, 2001)

Anmerkungen zu diesem Abschnitt:
47 Weitergehende Informationen in den Ö-Punkten 2/2001 zum Klimaschutz und auf den Öko-Filz-Seiten.
48 Rundbrief von Dirk Maxeiner und Michael Miersch, die in etlichen Büchern sowie in wirtschaftsnahen bis hin zu rechten Zeitungen (eigentümlich frei, Novo, Junge Freiheit) UmweltschützerInnen seit Jahren beschimpfen (siehe www.maxeiner-miersch.de).
49 Nachhaltigkeit ist eine umfassende gesellschaftliche Debatte, die der Modernisierung von Herrschaft und Verwertung dient. Sie soll daher im zweiten Band dieser Buchreihe, wo es insgesamt um soziale und ökologische Konzepte als Vehikel für den Ausbau von Markt und Staat geht, vertiefend behandelt werden. Weitergehende Literatur: Siehe Anhang. Texte zur Nachhaltigkeitskritik sind in den Zitate Rubriken von www.projektwerkstatt.de zu finden.
50 Die Zeitschrift wird von der nachhaltigkeits und agendaorientierten Gruppe um den Berliner Prof. Gerhard de Haan herausgegeben und ist im ökom Verlag verlegt, der im Bereich ökokapitalistischer Konzepte führend ist.
51 Ca. Ende Januar in der Waldorfschule.

Nachhaltige Wirtschaft: Direkte Ökonomie, Selbstorganisation? Fehlanzeige ...
Das Wirtschaftsbild der Nachhaltigkeit ist einfach: Eine Effizienzrevolution, die Entwicklung neuer Techniken und ihre weltweite Anwendung stehen im Mittelpunkt. Riesige neue Märkte erschließen sich. Die europäische und vor allem deutsche Vorreiterrolle in der Nachhaltigkeitsdebatte hat hier ganz andere Gründe als die immer vorgeschobenen sozialen und ökologischen Verbesserungen. Hinzu kommen vor allem in lokalen Bezügen, z.B. den Agenda-21-Prozesse die punktuelle Unterstützung von Direktvermarktung oder ökologisch erzeugten Produkten. Doch das alles soll nur ein Randdasein fristen – Bauernmärkte werden als Nische eingerichtet, während z.B. große Agrarkonzerne weiterhin ungestört ihre Großstrukturen schaffen können. Ein Gentechnik-Konzern wie Schering ist in Berlin gleichzeitig Sponsor der Agenda und schafft sich so ein grünes Image.
Veränderte Wirtschaftsformen sind aber nur dort vorstellbar, wo direkte Ökonomie oder gar die Überwindung ökonomischer Verhältnisse zwischen Menschen tatsächlich spürbare Anteile an der Alltagsorganisation von Menschen einnimmt – durch Schenk- oder Tauschökonomie sowie, deutlich weiterentwickelt, freie Ware und freies Wissen (z.B. freie Software, Copyleft). Wo Menschen Eigentumsformen aufheben zugunsten kollektiven Besitzes oder gar Überwindung von Gewinnmöglichkeiten. Es ist kein Wunder, daß die wenigen Experimente solcher Prozesse, vom Mietshäusersyndikat in Freiburg über anarchistische Kommunen bis zur Projektwerkstatt in Saasen, von Umsonstläden bis zu selbstorganisierten Aktionen und Kampagnen mit Nachhaltigkeit oder Agenda 21 wenig am Hut haben.

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