Demorecht

ZWANGSREGIME DER PSYCHIATRIE
EINSPERREN, FIXIEREN, ZWANGS"THERAPIE"

Kritik


1. Einleitung und allgemeine Kritik
2. Unsere Sofortforderungen und weitere Aufrufe gegen Zwang und Willkür
3. Wahlrechtsentzug
4. Einblicke
5. Was ist Krankheit?
6. Freiheit ist besser
7. Geschichte
8. Kritik
9. Links
10. Buchvorstellungen zum Themenbereich

Info aus dem Werner-Fuss-Zentrum: Selten hat ein Psychiater so klar und deutlich vor seinem Fachgebiet gewarnt, wie Fritz B. Simon in der 3-Sat TV-Sendung “Scobel” am 8.5.2014 zum Thema “Normalität”. Mit guten Gründen bezeichnete er es als “gefährlich“, die Metapher (also bildlich gesprochen) “psychisch krank” überhaupt je für sich zu akzeptieren.

Zitat aus der Sendung:
Simon: Die Frage ist ja: “Gibt es Leid?” Und das gibt es natürlich – psychisches Leid – und was mache ich damit? Und das finde ich gut, dass es Möglichkeiten gibt, da Hilfe zu finden, aber ist es wirklich sinnvoll, da mit dieser Krankheitsmetapher zu arbeiten? Weil, es hat ja weitreichende Konsequenzen: Ob ich, wie erkläre ich – jetzt sind wir wieder bei dem, was ich am Anfang gesagt habe – wie ich was erkläre, was normal ist, oder nicht. Ich weiche von den Erwartungen ab, z.B. zu leisten. Wie erkläre ich das? Erkläre ich das durch eine Krankheit? Dann bin ich nicht mehr das handelnden Subjekt, das irgendwas ändern könnte. Ich muss warten, bis irgendein magischer Stoff erfunden wird, der mich rettet. Wenn ich aber sage: “Mir ist das zu viel, ich will nicht mehr!”, dann kann ich schauen, wo habe ich Einflussmöglichkeiten?
Scobel: Im einem Fall zahlt die Krankenkasse, hier…
Simon: …aber das ist gefährlich…
Scobel: ich kriege das Medikament, das andere Mal zahlt niemand – ich verliere meinen Job oder gehe, verlasse die Firma.
Simon: Aber langfristig hole ich mir sozusagen eine selbsterfüllende Prophezeiung ein, ja und ich definiere mich als “hilflos, als ich kann nichts tun, als machtlos” und gebe irgendeiner höheren Autorität – der Pille, dem Psychiater, der Anstalt – die Macht darüber, über mein Schicksal zu entscheiden. Das ist gefährlich!


Papst Franziskus in einer Rede am 23.10.2014 (Zitat aus der Übersetzung, ca. Mitte)
Die Folter wird nicht mehr nur als Mittel angewandt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie ein Geständnis oder die Denunziation – Praktiken, die für die Doktrin der nationalen Sicherheit kennzeichnend sind –, sondern sie stellen einen echten zusätzlichen Schmerz dar, der zu den Übeln, die die Inhaftierung mit sich bringt, noch hinzukommt. Auf diese Weise wird nicht nur in geheimen Internierungs- oder modernen Konzentrationslagern gefoltert, sondern auch in Gefängnissen, Jugendstrafanstalten, psychiatrischen Kliniken, Kommissariaten und anderen Strafanstalten.

Aus James C. Scott: "Applaus dem Anarchismus" (S. 101)
Unter den schlimmsten Formen der „Institutionalisierung“ (der Begriff selbst ist diagnostisch) wie Gefängnissen, Anstalten für Geisteskranke, Waisenhäusern, Arbeitshäusern für die Armen, Konzentrationslagern und Altersheimen kommt es zu einer Persönlichkeitsstörung, die manchmal institutionelle oder Anstaltsneurose« genannt wird. Sie ist das direkte Ergebnis einer langzeitigen Institutionalisierung. Die darunter leiden sind apathisch, ergreifen keine Initiative, zeigen wenig Interesse an ihrer Umgebung, zeigen keine Initiative und Spontaneität. Weil sie kooperativ sind und keinen Ärger machen, erscheinen solche institutionellen Subjekte bei denen, die das Sagen haben, in einem vorteilhaften Licht, auch weil sie sich gut an die institutionelle Routine anpassen. In den schwerwiegendsten Fällen können sie kindisch werden, eine charakteristische Körperhaltung und Gangart zur Schau tragen (in den Konzentrationslagern der Nazis wurden solche Gefangenen, die dem Tod durch Entbehrung nahe waren, von den anderen Gefangenen „Musselmänner“ genannt) und sich reserviert und unnahbar geben. Dies sind institutionelle Effekte, hervorgerufen durch Kontaktverluste mit der Außenwelt, den Verlust von Freunden und Besitztümern und den Charakter der Macht, den das "Personal" über sie ausübt.

Zitate von Franco Basaglia, aus: "Franco Basaglia und die Freiheit eines jeden" von Wolfgang Jantzen
In diesem Zusammenhang muss man festhalten, dass alle bisherigen Therapien und Behandlungsmethoden den Menschen nicht erlaubten, sich als Subjekte zu erleben. [...] Hierbei geht es nicht primär um Schuld, sondern es ist zwangsläufig die Folge einer allgemeinen Struktur, der sich die Psychiatrie nicht entziehen kann. Nur wenn es der Psychiatrie gelingt, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem sie aufhört, Psychiatrie zu sein, und zum Leben wird, zur Beziehung, kann der Versuch einer neuen Wissenschaft vom Menschen, eines neuen Humanismus, Form annehmen. ...
Im großen und Ganzen sind Gefängnis und Irrenhaus austauschbar. Man kann einen Gefangenen ins Irrenhaus sperren oder einen Irren ins Gefängnis. Die Institutionen funktionieren nach den gleichen Prinzipien. ...
Die Irrenhäuser schaffen sich ihre Kranken nach Maß, d.h. sie produzieren Passivität, Apathie und deformieren die Persönlichkeitsstruktur der Insassen.


Franco Basaglia 1924-1980*
Aus meiner Sicht ist der Arzt einer der schlimmsten Feinde des Kranken, nicht etwa, weil er böse wäre, sondern weil die Struktur, in der er arbeiten muss, ihn zwingt, den Kranken zu unterdrücken und ihm Gewalt anzutun. ...
Die Medizin ist zu wichtig, als dass man sie in den Händen der Ärzte lassen könnte.
(1979)

Juan E. Mendez (2013), UN-Sonderberichterstatter über Folter*
Es ist unverzichtbar, dass an allen Orten, an denen Menschen die Freiheit entzogen wird, so auch in psychiatrischen und Sozialpflegeeinrichtungen, ein absolutes Verbot aller unter Zwangsanwendung und ohne Einwilligung angewandter Maßnahmen, einschließlich der Fixierung und Isolierung von Menschen mit psychologischen oder geistigen Behinderungen, zum Tragen gelangt. ...
Dieser Mandatsträger ebenso wie auch die Vertragsorgane der Vereinten Nationen haben befunden, dass in Gesundheitseinrichtungen stattfindende unfreiwillige Behandlungen und sonstige psychiatrische Eingriffe Formen der Folter und Misshandlung darstellen.


Dainius Puras (2017), UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf bestmögliche Gesundheit*
Seit Jahrzehnten folgt die psychiatrische Versorgung einem reduktionistischen biomedizinischen Krankheitsverständnis. Dieses hat dazu beigetragen, Menschen mit intellektuellen, kognitiven und psychosozialen Behinderungen sowie Menschen mit Autismus und solche, deren Lebensweise von vorherrschenden kulturellen, sozialen und politischen Normen abweicht, auszuschließen, sie zu vernachlässigen und Zwang und Misshandlung auszusetzen. ...
Staaten müssen angemessene Indikatoren und Maßstäbe zur Überprüfung des Fortschritts nutzen, auch hinsichtlich der Verringerung und Abschaffung medizinischer Zwangsmaßnahmen. ...
In Bezug auf das Recht auf psychische Gesundheit bedeutet dies, dass eine nationale Gesundheitsstrategie zu entwickeln ist, die Zwangsbehandlungen aufhebt und einen gleichberechtigten Zugang zu rechtebasierten und in ausreichendem Maße vorhandenen psychosozialen Versorgungsangeboten ermöglicht.


*Aus den Vortragsfolien von Martin Zinkler zu "Was wäre, wenn es keine Zwangsbehandlung mehr geben würde?"


Im Original: Probleme durch Zwangspsychiatrie
Zwangspsychiatrie schafft oder verstärkt die Probleme, die sie angeblich lösen will
Aus Marc Rufer, "Traumatisierung in der Psychiatrie"
Mit der unfreiwilligen Unterbringung, insbesondere wenn es sich um den ersten Kontakt mit der Psychiatrie handelt, ist die Betroffene meistens unvorbereitet dem Schock ihrer ersten Diagnose ausgesetzt. Psychiatrische Diagnosen, insbesondere die Diagnose "Schizophrenie", von der jede und jeder in unserer Gesellschaft eine Vorstellung haben, verändern auf einen Schlag das Selbstverständnis eines Menschen. Fast unmöglich, sich dieser Wirkung zu entziehen. Dies vor allem auch, weil sämtliche Bezugspersonen, sowohl in der Klinik wie die Angehörigen der Betroffenen außerhalb, von der Diagnose hören und sie als Expertenmeinung akzeptieren. Zudem werden Betroffene nach der Zwangsbehandlung isoliert. Isolation, bzw. der damit verbundene Wegfall der gewohnten Sinnesreize (sensorische Deprivation), führt zum Auftreten von außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen (ABZ), zu deren Erscheinungsbild unter anderem Wahrnehmungsverzerrungen, Halluzinationen, Veränderungen der Emotionalität und auch Hypersuggestibilität gehören. Die Betroffenen können leicht beeinflusst werden. Wer zwangsbehandet wurde, dem kann die Diagnose und das mit ihr verbundene Wissen besonders leicht als neue Identität übergestülpt werden. Und zur Diagnose, zur neuen "kranke" Identität, gehört fast zwingend zunehmend "krankhaftes" Verhalten. Die Einverleibung des Fremdbildes, das der Täter vom Opfer hat bedeutet in der psychiatrischen Situation die Übernahme der Krankenrolle. Nur indem die Betroffene die Krankenrolle den Vorstellungen der Psychiaterinnen entsprechend zu spielen vermag mit anderen Worten krankheitseinsichtig ist , vermag sie in gewissem Ausmaß Zuwendung und Anerkennung von denjenigen, denen sie ausgeliefert ist, zu erlangen. So erschaffen den Zwangsbehandlungen gleichsam bis heute den "echten Geisteskranken", genauso wie früher Vergewaltigungen Frauen zu Huren machten: "Dieser Mensch muss "echt schizophren" sein, "echt gefährlich"; die vollzogene Zwangsbehandlung beweist es." So lautet die unausgesprochene Argumentation der Menschen, die in psychiatrischen Kliniken und ihrem Umfeld beruflich tätig sind. Zwangbehandlungen stigmatisieren, brennen den Betroffenen das Kainsmal auf die Stirne.
Die geschilderten Verschmelzungswünsche, die Sehnsucht nach Liebe, schaffen eine existenzielle Bindung an und Abhängigkeit der Betroffenen von der Psychiatrie und den dort tätigen Menschen. Äußerst schwierig, sich diesem Sog zu entziehen.
Zu alldem kommt die mit der Traumatisierung verbundene gesteigerte Tendenz, Selbstmord zu begehen, hinzu, die wiederum von der entsprechenden Wirkung der Neuroleptika potenziert wird.
Nicht nur geht es Betroffenen, die Zwangmaßnahmen erlebten sehr schlecht, ihr Zustand kann zudem von den Psychiaterinnen mit Leichtigkeit als schwer "krank", "psychotisch" oder "schizophren" bezeichnet werden.
Genau die Symptome also, die die Psychiaterinnen zu behandeln vorgeben - Verwirrungen, Halluzinationen, die Neigung, Selbstmord zu begehen sowie die Hilflosigkeit der Betroffenen -können durch ihre Eingriffe potenziert, verfestigt, ja sogar neu erschaffen werden. Mit ihren Behandlungen rechtfertigen sie im Grunde ihre eigene Existenz.
Die Abspaltung des traumatischen Komplexes verhindert auf lange Zeit hinaus die bewusste Auseinandersetzung mit den Ereignissen, die in der Klinik stattgefunden haben, was den Betroffenen daran hindert, sein Leben wieder autonom organisieren und bewältigen zu können.
Wer je mit traumatisierten Menschen Kontakt hatte, weiß, wie wichtig es ist, ihnen sorgfältig, einfühlend und zurückhaltend zu begegnen. Schon nur den Ort der Traumatisierung wiederzusehen, bedeutet für sie oft eine riesengroße Belastung. Besonders schlimm für sie ist das Wiederleben des Traumas, die Retraumatisierung.
Genauso wie das Rehospitalisationsrisiko für zwangsuntergebrachte Betroffene besonders groß ist, ist auch die Wahrscheinlichkeit groß, dass Zwangsbehandlungen im Laufe früherer Hospitalisationen Zwangsbehandlungen während weiterer Unterbringungen nach sich ziehen. Erklärt wird dadurch, wieso sich der Zustand vieler Psychiatriepatientinnen im Laufe sich folgender Hospitalisationen fortwährend verschlechtert.
Zwangsmassnahmen sind also auch eine wesentliche Ursache der langfristigen Veränderungen, die von den Psychiaterinnen als Chronifizierung bezeichnet werden.


Aus einem Interview mit Martin Zinkler, in: taz am 20.7.2021
Taz: Solche Diagnosen haben weitreichende Konsequenzen. In Ihrem Aufsatz fordern Sie, dass die Polizei niemand mehr aufgrund einer Diagnose in die Psychiatrie bringen dürfte – was derzeit aber geschieht.
Zinkler antwortet: Nach der UN-Konvention darf das nicht sein, weil das eine Diskriminierung darstellt. Da wird aufgrund einer Zuschreibung ein Unterschied gemacht, der zu einer Benachteiligung führt. Jemand ohne Diagnose würde nicht eingeliefert.
Taz: Aber genau das meinte ich vorhin. Ich habe diesen Aufsatz als Paradigmenwechsel gelesen. Und einer meiner ersten Gedanken war der, den viele Laien haben werden: In der Konsequenz heißt das, dass die verrückten Straftäter in Zukunft frei herumrennen dürfen.
Zinkler: Nein, das steht dort nicht drin. Wenn sie straffällig werden, unterliegen sie den gleichen Gesetzen, unabhängig davon, ob sie psychisch krank sind.
Taz: Aber niemand könnte präventiv eingesperrt werden, weil er oder sie aufgrund ihres Geisteszustandes eine Straftat begehen könnte. Eine vermutete Fremd- und Selbstgefährdung wären dann eben kein Grund mehr, jemand in die Psychiatrie einzuweisen. Das wäre dann das Risiko, mit dem wir leben müssten.
Zinkler: Ja. Es gibt nur sehr eng gefasste Ausnahmen im Gesetz, um Menschen präventiv in Sicherheitsverwahrung zu nehmen, beim Terrorismus zum Beispiel. Aber wenn man das Diskriminierungsverbot ernst nimmt, dann müsste man sagen, so wie es das für die nicht psychisch Kranken nicht gibt, dürfte es das auch für die psychisch Kranken auch nicht geben.
Taz: Warum haben Sie eigentlich diesen Weg der Transformation nicht in Heidenheim fortgesetzt, wenn das so ein langer Prozess ist?
Zinkler: Was ich in Bremen so spannend finde, ist, dass es nicht der Psychia trie überlassen wird. Hier reden alle mit. Die Bürgerschaft, die Behörde, die Selbstorganisationen wie die Blaue Karawane. Und es gibt eine interessierte Öffentlichkeit. Ich habe noch nie mit einer Journalistin so detailliert über Psychiatrie gesprochen wie mit Ihnen, und ich mache meinen Job seit 1992.


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