Demorecht

VERSAMMLUNGEN ZU AKTIONEN MACHEN

Besetzungen und Blockaden als Versammlungen


1. Einheitslatschen oder kreativ-widerständige Vielfalt?
2. Besetzungen und Blockaden als Versammlungen
3. Viele Aktionsideen und -beispiele
4. Reclaim the streets & Co.
5. Links und Materialien

Umstritten ist bei Besetzungen und Blockaden gleich Mehreres. Zum einen geht es darum, was alles zu der Versammlung dazugehört. Viele Behörden versuchen, die Begleitinfrastruktur vom Meinungskundgabeteil zu trennen und dann außerhalb des Versammlungsschutzes zu bekämpfen oder zumindest zu verregeln. Das betrifft zum Beispiel Übernachtungsbereiche, Essensversorgung, Toiletten usw. Die gängige, auch Verfassungsgerichtsrechtssprechung ist hier aber eigentlich eindeutig: Alles, was nötig ist, um die Versammlung in der gewünschten Form durchzuführen, gehört zur Versammlung (bei einer mehrtägigen Versammlung also auch Schlafzelte).
Zum zweiten geht es um die Frage, ob eine Versammlung auch direkt etwas verhindern darf (sogenannte Verhinderungsblockade). Das ist deutlich umstrittener.

Versammlungsfreiheit und Verhinderungsblockaden
Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Es dominiert aber die Auffassung, dass eine Verhinderungsblockade immer noch eine Versammlung ist, wenn sie zwar etwas direkt verhindert, aber die Meinungskundgabe immer noch im Vordergrund steht. Auch das Verhindern selbst kann ein Ausdruck einer Meinung sein.

Aus dem Beschluss des VG Stuttgart vom 12.06.2014 (Az. 5 K 808/11)
Steht im Vordergrund der Blockade einer Baustellenzufahrt auf einer öffentlichen Straße der öffentliche Protest mit der Absicht, öffentliche Aufmerksamkeit für bestimmte politische Belange (hier: Protest gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21) zu erzielen und auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken, so handelt es sich um eine unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fallende demonstrative Blockade.
Art. 8 Abs. 1 GG schützt das Teilnahmerecht der Versammlungsteilnehmer, weshalb Maßnahmen aufgrund des allgemeinen Polizeirechts erst nach Auflösung der Ver-sammlung nach § 15 Abs. 2 VersG oder nach versammlungsrechtlich begründetem Ausschluss des Teilnehmers ein Platzverweis nach Polizeirecht in Betracht kommt. Diese Sperrwirkung des Versammlungsrechts ist nicht dadurch aufgehoben, dass vor der Anordnung des Platzverweises gegenüber Versammlungsteilnehmern wegen des Verdachts der Nötigung die strafprozessualen Maßnahmen des Sicherungsgewahrsams und der Identitätsfeststellung erfolgt sind und sich die Versammlung dadurch zum Zeitpunkt des im Anschluss an die strafprozessualen Maßnahmen angeordneten Platzverweises schon aufgelöst hatte.


Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestages dazu (Az. WD3-3000-082/19 vom 16.4.2019)

Übernachten, Kochen und mehr auf Versammlungen
Das dürfte inzwischen als geklärt gelten - durch Verfassungsgerichts- und Verwaltungsgerichtsentscheide, z.B. rund um den Danni 2020 und zur Waldbesetzung auf der A14 im Jahr 2021.

Im Original: Waldbesetzungen gegen Autobahntrassen sind Versammlungen
Aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg am 22.6.2021 zur Waldbesetzung auf der A14-Trasse (Az. 3 B 150/21 MD)
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners unterfällt das „Protestcamp“, dessen weiteren Ausbau und Nutzung er untersagt und dessen Beseitigung er verlangt, dem Schutz der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG. ...
Gerade in der vom Antragsgegner zitierten Entscheidung und hierzu ergangenen Entscheidung der nächsten Instanz unterfallen „Protestcamps“ nur dann nicht dem Schutz der Versammlungsfreiheit, wenn sie weder ausschließlich noch überwiegend kommunikativen Zwecken, sondern von ihren Bewohnern primär als Obdach und als Ausgangsbasis für anderweitige auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit zielende Aktionen genutzt werden (vgl. VG Aachen, U. v. 21.05.2015 – 5 K 1344/13 -, juris, Rdnr. 64; OVG NRW, U. v. 07.12.2016 – 7 A 1668/15 -, juris, Rdnr. 40). Dass das „Protestcamp“ von seinen Bewohnern primär nur als Obdach und als Ausgangsbasis für anderweitige auf die Meinungsbildung gerichtete Aktionen gerichtet ist, ist nicht ersichtlich. Vielmehr sprechen gerade – wie bereits ausgeführt – die Form seiner Errichtung, insbesondere durch Baumhäuser und sein Ort direkt an der geplanten Trasse der Verlängerung der A 14 für einen Bezug des „Protestcamps“ zum Versammlungszweck.


Aus dem Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 2.7.2021 (Az. 2 M 78/21)
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das streitige Protestcamp von dem in Art. 8 GG verbürgten Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt ist.

Im Original: Baumhäuser und Übernachtungsunterkünfte können Versammlungsmaterial sein
Aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg am 22.6.2021 (Az. 3 B 150/21 MD)
Ob bestimmte Gegenstände oder infrastrukturelle Einrichtungen, die von den Veranstaltern der Versammlung zur Durchführung der Versammlung als notwendig erachtet werden, in diesem Sinne unmittelbar versammlungsbezogen sind, ist von der Versammlungsbehörde nach einem objektiven Maßstab im Einzelfall zu beurteilen. Grundlage für diese Beurteilung ist das Vorbringen der Veranstalter. Sie legen gegenüber der Versammlungsbehörde dar, welche Gegenstände sie zur Durchführung der Versammlung in der geplanten Form benötigen. Auch bei der Entscheidung darüber, ob überhaupt eine Versammlung vorliegt, richtet sich die rechtliche Beurteilung danach, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als Versammlung darstellt, und ob der Veranstalter sein Konzept schlüssig dargelegt hat (vgl. OVG NRW, B. v. 16.06.2020 – 15 A 3138/18 -, juris, Rdnr. 46 ff.). …
Enthält eine Versammlung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese "gemischte Versammlung" ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln ist (vgl. OVG NRW, B. v. 16.06.2020 – 15 A 3138/18 -, juris, Rdnr. 60 m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen weist das u. a. aus Baumhäusern bestehende „Protestcamp“ im Waldgebiet bei Losse einen hinreichenden funktionalen und konzeptionellen Zusammenhang zum Versammlungszweck auf. Das „Protestcamp“ ist eine Zusammenkunft von Personen mit dem Ziel der kollektiven Meinungskundgabe gegen den Weiterbau der A 14 auf die Öffentlichkeit und deren Meinungsbildung einzuwirken. Dies soll einerseits durch Transparente, Plakate und Gespräche mit Gegnern und Befürwortern des Auto-bahnbaus geschehen. Andererseits sollen die Baumhäuser der plakativen und der Aufmerksamkeit erregenden Meinungskundgabe dienen. Die Baumhäuser sollen symbolisch für ein Leben in unmittelbarer Verbundenheit mit dem Wald stehen und allein durch ihre Anwesenheit soll eine Position ausgedrückt werden, die sich gegen die Zerstörung der Natur durch den geplanten Autobahnweiterbau an dem Ort des Camps wendet. Verstärkt wird der Bezug des Camps zum Versammlungszweck dadurch, dass es mit den Baumhäusern direkt am Ort der beabsichtigten Trasse liegt. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners spricht der von ihm behauptete und auch mögliche Zweck, das Protestcamp diene der Blockade des Weiterbaus der A 14, gerade für einen Zusammenhang mit dem Versammlungszweck. Denn die Blockade des Autobahnbaus ist ein Mittel der kollektiven Meinungskundgabe gegen die Errichtung der Autobahn. Auch die sonstigen Versorgungsgegenstände (Wassertonne, Toilette) dienen zusammen mit den vorhandenen Schlafmöglichkeiten in Zelten und Baumhäusern dazu, die Kundgabe der Meinung der Versammlungsteilnehmer zu gewährleisten. …
Art. 8 Abs. 1 GG schützt auch infrastrukturelle Ergänzungen der Versammlung in Form von Informationsständen, Sitzgelegenheiten, Imbissständen oder auch Zelten, sofern sie funktional-versammlungsspezifisch eingesetzt werden. Infrastrukturelle Begleiteinrichtungen einer Versammlung sind damit nicht in jedem Fall dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zuzuordnen. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional, symbolisch oder konzeptionell im Sinne der konkreten kollektiven Meinungskundgabe notwendig sind. Ob bestimmte Gegenstände oder infrastrukturelle Einrichtungen, die von den Veranstaltern der Versammlung zur Durchführung der Versammlung als notwendig erachtet werden, in diesem Sinne unmittelbar versammlungsbezogen sind, ist von der Versammlungsbehörde nach einem objektiven Maßstab im Einzelfall zu beurteilen. Grundlage für diese Beurteilung ist das Vorbringen der Veranstalter. Sie legen gegenüber der Versammlungsbehörde dar, welche Gegenstände sie zur Durchführung der Versammlung in der geplanten Form benötigen.


Aus dem Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 2.7.2021 (Az. 2 M 78/21)
Infrastrukturelle Begleiteinrichtungen einer Versammlung sind dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit zuzuordnen, wenn sie zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional, symbolisch oder konzeptionell im Sinne der konkreten kollektiven Meinungskundgabe notwendig sind. Baulichen Anlagen eines Protestcamps, wie Baumhäuser, im Bereich der Trasse einer geplanten Autobahn kann symbolische Bedeutung für den Zweck zukommen, auf die öffentliche Meinungsbildung zum beabsichtigten Autobahnbau einzuwirken.
Bei "veranstalterlosen" Versammlungen ist Grundlage für die Beurteilung, ob bestimmte Gegenstände und infrastrukturelle Einrichtungen versammlungsbezogen sind, das in alternativen Kommunikationsstrukturen - wie etwa persönliche Kontaktsysteme, Informationsblätter, Internetnutzung - zum Ausdruck kommende Konzept. …
Dagegen genügt allein der Verstoß gegen bauordnungsrechtliche und/oder bauplanungsrechtliche Bestimmungen nicht, um auf bauordnungsrechtlicher Grundlage eine Beseitigung von dem Schutz des Art. 8 GG unterfallender baulicher Anlagen anordnen zu können, solange die Versammlung nicht aufgelöst ist. Auch Maßnahmen ohne unmittelbaren Bezug zum Versammlungsrecht müssen - soweit sie im Ergebnis zu Beschränkungen der Ausübung der Versammlungsfreiheit führen - inhaltlich auch mit Rücksicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit legitimiert werden können; soweit Ermächtigungsnormen primär Ordnungscharakter haben, im konkreten Fall aber nicht zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben oder andere wichtige Rechtsgüter dienen, reichen sie regelmäßig nicht als Rechtsgrundlage, um die Ausübung der Versammlungsfreiheit beschränken zu können (OVG MV, Beschluss vom 2. Februar 2007 - 3 M 12/07 - juris Rn. 9). Bei der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die nicht aus dem Ablauf der Versammlung herrühren - etwa bei Brand- oder Einsturzgefahren umliegender Gebäude oder des Versammlungsgebäudes selber - würde eine bauaufsichtliche Verfügung zur Räumung in die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer eingreifen, bedürfte deshalb der vorherigen Auflösung (vgl. Kniesel, a.a.O., Teil I Rn. 285). Insoweit entfaltet der Schutz der Versammlungsfreiheit eine Sperrwirkung gegenüber bauaufsichtlichen Maßnahmen.

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