Kopfentlastung

AUTONOMIE UND KOOPERATION: WO EIGENNUTZ UND GEMEINNUTZ SICH GEGENSEITIG FÖRDERN!

Eigennutz und Gemeinnutz


1. Eigennutz und Gemeinnutz
2. Autonomie und Kooperation
3. Beziehungskisten: Auf die Art der Kooperation kommt es an
4. Voraussetzungen für „Autonomie und Kooperation“
5. Der Weg zu Autonomie und Kooperation
6. Links und Lesestoff

Dieser Text ist Teil der Gesamtabhandlung "Freie Menschen in Freien Vereinbarungen" ... zum Anfang

Wir leben in einer seltsamen Welt. Der Kapitalismus ist organisierte Ellbogenmentalität, dennoch gelten der Blick auf die Welt vom eigenen Standpunkt aus (Egozentrik) und das Handeln zum eigenen Vorteil (Egoismus) als moralisch minderwertige Charakterzüge. Der Welt grenzenloser Ausbeutung und Unterdrückung ist eine Moral beiseitegestellt, die gegensätzlicher nicht sein könnte. Das zeigt sich sogar in den Sphären, die Moral produzieren: Ob Kirche, Parteien, NGOs oder andere - selbst bei ihnen geht es um Marktanteile (z.B. an Spenden oder Aufmerksamkeit), um Hegenomie und Markenkonkurrenz. Moral ist selbst Gegenstand erbitterter Konkurrenzkämpfe. Bei genauerem Hinsehen nützen diese den in sie verstrickten Menschen nur selten. Es ist gerade nicht der Egoismus der Einzelnen, der die ständige Wertverwertung, Ausbeutung und Hierarchien schafft, sondern meist die Ausrichtung auf kollektive Identitäten, also der Egoismus von Organisationen, Nationen oder anderen Kollektiven. Wer hat das nicht schon erlebt: In einem Streit zwischen verschiedenen Gruppen können die einzelnen Personen im direkten Gespräch oft gut miteinander diskutieren. Treten aber die Gruppen im Gruppenzusammenhang auf, sinkt die Kooperations- oder auch nur Verständigungschance. Genau weil die Einzelnen dann nicht mehr egoistisch handeln, ist es vorbei! Denn außerhalb des Zwangs zur Konkurrenz bilden sich zwischen Menschen schnell gemeinsame Interessen heraus, z.B. mehr Informationen, mehr Handlungsmöglichkeiten, besserer Zugang zu Ressourcen, naheliegenderweise sogar mehr Kooperation. Das hilft dem Einzelnen, aber ebenso den Anderen. Ist der Zugang kontrolliert, so ist er nur den InhaberInnen der entsprechenden Privilegien offen. Derer kann sich niemand sicher sein, d.h. der unbeschränkte Zugang ist auf Dauer für alle die beste Variante. Daher entsteht aus Egoismus das für alle Nützliche - und der Egoismus der anderen schafft die von einem selbst nutzbaren Möglichkeiten. Egoismus ist wertvoll.

Im Original: Eigennutz und Gemeinnutz
Aus Mümken, Jürgen: "Keine Macht für Niemand"
Gegen Feuerbach wendet Stirner ein: „Egoismus und Menschlichkeit (Humanität) müßten das Gleiche bedeuten, aber nach Feuerbach kann der Einzelne (das 'Individuum') 'sich nur über die Schranken seiner Individualität erheben, aber nicht über die Gesetze, die positiven Wesensbestimmung seiner Gattung'. ...

Beitrag von Stefan Meretz auf Opentheory "Alles für alle"
Das eigene Nutzen eines Reichtums ist häufig wiederum ein Produzieren für andere. Die These lautet also: Sind die Menschen von der (Wert-)Leine gelassen, werden sie in ihrer Vielfalt all jenen stofflichen und nichtstofflichen Reichtum schaffen, den eben diese Menschen brauchen - stabil und verlässlich: Alles für alle.

"Einige Notizen zu aufständischem Anarchismus"
Individualität kann nur blühen wo die Gleichheit zum Zugang der Existenzgrundlagen eine soziale Realität ist. Diese Gleichheit zum Zugang ist Kommunismus; was Individuen mit diesem Zugang machen liegt an ihnen und an ihrem Umfeld. Folglich ist also in realem Kommunismus keine Gleichheit oder Identität von Individuen impliziert. Was uns in eine Identität oder eine Gleichheit zwing, sind die sozialen Rollen, die uns übergestülpt wurden durch das präsente System. Es besteht kein Widerspruch zwischen Individualität und Kommunismus.

Aus Wilde, Oscar (1970): "Der Sozialismus und die Seele des Menschen", Diogenes (S. 66)
Es ist nicht selbstsüchtig, auf seine Art zu denken. Wer nicht auf seine Art denkt, denkt überhaupt nicht.

Aus Cindy Milstein (2013), "Der Anarchismus und seine Ideale" (S. 12)
Eine Person kann nur dann frei sein, wenn jede Person sich im weitesten Sinne individuell aktualisieren und entfalten kann.

Aus: P.M. 2000: Subcoma, Paranoia City in Zürich
Menschen bringen sich nur dann nicht um, wenn sie so leben, dass sie keinen Vorteil davon haben können. Menschen schliessen eigentlich gar keine Verträge, sie verhalten sich einfach auf Grund von Interessen und Erfahrungen, gemäss dem, was sie "sind". Geben und Nehmen ist in einer sozial verwobenen Lebensweise kaum auseinanderzuhalten. Dass es für einen Beobachter so aussieht, als ob Menschen dauernd Verträge schlössen, ist eine typische Fehlinterpretation liberaler Ideologien, die sich unser Leben nur als eine Reihe von Tauschhandeln vorstellen können. Erst wenn die Gesellschaft in ihre Atome zerfallen ist, muss sie mit "Verträgen" und "Regeln" notdürftig reorganisiert werden.Was geändert werden muss, ist also die Interessenlage der Menschen, die sich wiederum historisch entwickelt hat.

Auszug aus Schlemm, Annette: "Ums Mensch sein geht es" (S. 13)
Das Gesellschaftliche ist nicht die Beschränkung des Individuellen, sondern seine Grundlage: vgl.: Vernunft und Freiheit als Vernunftwesen ist nicht mehr Vernunft und Freiheit, sondern ein Einzelnes; und die Gemeinschaft der Person mit anderen muss daher wesentlich nicht als eine Beschränkung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen werden. (Hegel: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, Hegel-W. Bd. 2, S. 82)

Pierre Kropotkine, L'anarchie: sa Philosophie - son Ideal, Paris 1896, S. 17-18 (Quelle)
Der Anarchismus strebt nach der vollsten Entfaltung der Individualität und gleichzeitig nach dem höchsten Grad freiwilliger Assoziierung in allen ihren Formen, in jeder nur möglichen Intensität und zu jedem nur denkbaren Zweck ständig wechselnde Assoziierungen, die in sich selbst die Elemente ihrer Dauerhaftigkeit tragen und immer die Form annehmen, die den vielfältigen Bestrebungen aller jeweils am besten entsprechen.

Otfried Höfe (1979): „Ethik und Politik“, Suhrkamp Verlag in Frankfurt (S. 409)
Aufgrund der Hilfs- und Erziehungsbedürftigkeit von Neugeborenen und Kindern, dann aufgrund der Sexualität, weiterhin aufgrund der Lebensnotwendigkeit von Arbeit und ihrer Erleichterung durch Arbeitsteilung, Handel usf., aufgrund der Vernunft- und Sprachbegabung (als der Fähigkeit, aber auch dem Verlangen, sich anderen mitzuteilen) drängt es die Menschen schon zum Zweck der Selbsterhaltung und des Überlebens der Art, dann auch zum sicheren, leichteren und angenehmeren Leben zum Zusammensein mit ihresgleichen.

Aus Erich Fromm, "Psychoanalyse und Ethik" (S. 149-150)
Calvin und Luther lehren, der Mensch müsse seinen "Eigennutz" unterdrücken und sich nur als Werkzeug Gottes empfinden. Fortschrittliche Denker dagegen lehren, der Mensch dürfe seine Bestimmung nur in sich suchen und dürfe sich nicht als Mittel einer ihn transzendierenden Macht ansehen. Folgendes geschah: man akzep- tierte den Inhalt der Calvinischen Doktrin, ließ aber deren religiöse Formulierung fallen. Der Mensch machte sich zwar nicht zum Instrument Gottes, aber zu einem Instrument der Wirtschaft oder des Staates. Er fand sich mit der Rolle des Werkzeuges ab, nicht für Gott, sondern für wirtschaftliche Zwecke; ...
Die Folge ist, daß der heutige Mensch nach den Prinzipien der Selbstverleugnung lebt, aber eigennützig denkt. Er glaubt in seinem Interesse zu handeln, wenn er tatsächlich nur Geld und Erfolg anstrebt; er täuscht sich über die Tatsache hinweg, daß seine wichtigsten Möglichkeiten unverwirklicht bleiben und daß er sich selbst verliert, während er das angeblich Beste sucht.


Friedhelm Solms, "Ich will nicht Ich sein; ich will Wir sein", in: Diefenbacher, Hans (Hrsg., 1996): "Anarchismus", Primus Verlag in Darmstadt (S. 126 f.)
Alles gesellschaftliche Leben ist nichts anderes als die beständige gegenseitige Inter dependenz zwischen dem Einzelnen und der Masse. Jedes Individuum, selbst das ausgeprägteste und intelligenteste, ist in jedem Augenblick sowohl der Produzent als auch das Produkt des Willens und der Handlungen der Massen.


Wer nicht an die eigenen, sondern übergeordnete Interessen denkt, findet kaum gemeinsame Interessen. Denn die übergeordneten Einheiten (Firmen, Nationen, Verbände ...) sind sich Selbstzweck. Denkbar sind höchstens Bündnisse, in denen im Einzelfall einmal zwei oder mehr Partner Vorteile aus einer Situation ziehen - oft aber selbst da auf Kosten nichtbeteiligter Dritter.

Links: Die Grafik entstand im Unperfekthaus in Essen.

Außerdem: Altruismus, wie das Menschen moralisch abverlangte, selbstlose Handeln bezeichnet wird, hat vielfach mehr negative Folgen als gedacht. Er stabilisiert Ungleichheit, weil er dem Bessergestellten das Gewissen beruhigt. Gesellschaftlicher Wandel bedarf aber regelmäßig auch des Willens zur Veränderung zumindest bei einem Teil deren, die von einer Situation profitieren. Altruismus, der nicht die Ursache der Ungleichheit beseitigt, fördert den Aufbau von Strukturen zur Verwaltung des Elends. Hinzu können Abhängigkeiten kommen. In jedem Fall aber verklärt er das Drama. So gelten z.B. die reichen Industriestaaten als Entwicklungs"helfer", sie veranstalten "Geber"konferenzen, während sie tatsächlich die ärmeren Regionen der Welt, ihre Menschen und ihre Natur, gnadenlos ausquetschen.

Aus Wilde, Oscar (1970): "Der Sozialismus und die Seele des Menschen", Diogenes (S. 8)
Sie suchen etwa das Problem der Armut dadurch zu lösen, dass sie den Armen am Leben halten, oder - das Bestreben einer sehr vorgeschrittenen Richtung - dadurch, dass sie für seine Unterhaltung sorgen. Aber das ist keine Lösung: Das eigentliche Ziel ist der Versuch und Aufbau einer Gesellschaft auf einer Grundlage, die die Armut unmöglich macht. Und die altruistischen Tugenden haben tatsächlich die Erreichung dieses Ziels verhindert.

Wer Egoismus ablehnt und Altruismus predigt, ist aber nicht nur scheinheilig und stabilisiert das System. Mit dem Absterben des persönlichen Egoismus ginge noch etwas Weiteres verloren. Egoismus und Egozentrik bilden die entscheidenden Triebfedern des Menschen. Aus ihnen schöpft er die Energie zum Überleben, aus ihnen würde er auch die Impulse zur Selbstentfaltung erhalten. Jahrtausende versuchten politische Strömungen, Religionen oder andere, den Menschen diese Neigungen abzugewöhnen – vergeblich. Gut so. Denn wenn Menschen nicht mehr in den Mittelpunkt stellen, was sie selbst wollen und wahrnehmen, werden sie zu willigen VollstreckerInnen anderer Interessen. Mit verheerenden Wirkungen, wie gerade die deutsche Geschichte beweist. Der Schrecken des Dritten Reiches, in dem willige Vollstrecker im Dienste höherer Interessen selbst ihre eigenen Eltern, Kinder, FreundInnen oder PartnerInnen in KZs oder Vergasung schickten, ist nur der dramatische Höhepunkt einer Geschichte, die voll solcher Episoden ist. Kein deutscher Frontsoldat wird aus seinem Wirken persönliche Vorteile gezogen haben, sondern handelte im Glauben an das Gute im damit erkämpften allgemeinen Interesse. Was aber den Menschen nicht mehr selbst betrifft, ist viel einfacher diskursiv zu steuern. Ein Verblendungszusammenhang legt sich wie ein Teppich über die Menschen, begräbt ihre eigenen Interessen und lässt sie zu willigen VollstreckerInnen werden, die alles tun würden. Das wäre auch heute wiederholbar, denn der willige Vollstrecker kennt keinen Egoismus außer dem, sich einzureden, im Strom der Anpassung auch selbst besser durchzukommen und das nötige Geld zu verdienen, um sich im Überlebenskampf durchsetzen zu können - fremdgesteuert freilich.

Der Egoismus ist eine große Kraft. Die Egozentrik verhindert, dass fremde Interessen über das gestellt werden, was für das eigene Leben gut ist. Was mensch selbst nutzt, ist aber viel häufiger auch für andere sinnvoll (also ein allgemeines Interesse) als das, was für kollektive Identitäten gut ist. Letzteres wird zwar als allgemeines Interesse verkauft, tatsächlich ist es aber ein abstraktes Interesse, dass den Menschen nicht (mehr) dient.
Der Egoismus und die Egozentrik müssen wieder in den Mittelpunkt rücken, als Energiequelle für die Selbstentfaltung gestärkt werden. Es ist nicht peinlich, für sich selbst ein gutes Leben zu wollen. Ganz im Gegenteil. Wer das will und aufmerksam analysiert, was einem selbst hilft, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu der Einsicht kommen, dass es für eineN selbst am besten ist, wenn sie alle selbst entfalten. Eigennutz und Gemeinnutz treffen dann aufeinander.

Aus Enrico Coen (2012), „Die Formel des Lebens“ (S. 54)
In einem DNA-Molekül werden also benachbarte Basen tendenziell gemeinsam von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das bedeutet, dass eine mutierte Base an einer bestimmten Stelle im Genom, die den Reproduktionserfolg und damit ihre Ausbreitung in einer Population fordert, wahrscheinlich auch die Ausbreitung aller benachbarten fordern wird, weil sie sie „mitschleppt“. Ebenso wird diese Base davon profitieren, wenn irgendeine ihrer Nachbarinnen den Reproduktionserfolg steigern kann. Es besteht also für benachbarte Basen ein gegenseitiger Anreiz zur Kooperation, weil ihre enge physische Verbindung bedeutet, dass sie tendenziell gemeinsam vererbt werden. Mit dem Anreiz zur Kooperation meine ich natürlich nicht, dass eine Base an die andere denkt, sondern dass ein Vorteil, der einer Base zu besserem Reproduktionserfolg verhilft, wahrscheinlich auch der anderen von Nutzen ist. In dieser Situation bevorzugt die natürliche Selektion Fälle, bei denen benachbarte Basen effizient zusammenarbeiten, um ihren Reproduktionserfolg zu steigern.


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