Seitenhieb-Verlag

FEHLURTEILE UND IHRE GRÜNDE

Rahmenbedingungen


1. Einleitung
2. Fehlerhafte Ermittlungen und Beweisaufnahme
3. Äußere, u.a. politische Beeinflussung
4. Rahmenbedingungen
5. Brutal, aber häufig: Irrtum bei Todesstrafe und lange Freiheitsstrafen
6. Rechtsbeugung: Straftaten der Anklagenden und Richtenden
7. Gerichtete Justiz
8. Auf verlorenem Posten: Zeug*in vor Gericht
9. Links

Fehlende Sammlung von Fehlurteilen
Fehlurteile basieren zumeist auf denselben, immer wiederkehrenden Ursachen. Es sind nur wenige. Umso erstaunlicher ist die hohe Zahl der Fehlurteile. Die genaue Zahl kennt niemand. Das mag auch daran liegen, dass es bis heute keine amtliche Sammlung aller Fehlurteile gibt, keine Chronik oder Kodifikation, anhand derer die Fehlurteile und ihre häufigsten Ursachen untersucht werden könnten.
Das ist gewiss bedauerlich und sollte schnellstens geändert werden. Denn eine solche Sammlung von Fehlurteilen gäbe den Richtern die Möglichkeit, sich an lehrreichen Fällen zu orientieren und sie genauestens zu studieren, um dadurch weitere Justizirrtümer zu vermeiden.

Hohe Arbeitsbelastung der Richter*innen und "ökonomische Prozessführung"
Für einen Richter, der zu viele Fälle auf einmal erledigen muss und nachts Akten studiert oder Urteile schreibt, um mit dem Termindruck klarzukommen, wächst die Gefahr eines Irrtums ständig. Er hat keine Zeit mehr, sich fortzubilden oder in Ruhe über einen Fall nachzudenken. Die Aktenflut und die Routinearbeiten erschlagen ihn. Deshalb mag auch die durch leere Staatskassen bedingte Sparsamkeit der Justiz eine Ursache für so manches Fehlurteil sein.

Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S. 94)
Das enorme Arbeitspensum zwingt die Amts- und Landgerichte zur Knappheit. Angesichts von durchschnittlich 100 bis 130 Entscheidungen pro Jahr fehlt jedem Richter für große lyrische Ergüsse schlichtweg die Zeit.

Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Winfried Hassemer
Es wächst die Entschlossenheit, die Güte des Justizsystems vorwiegend oder ausschließlich an ökonomischen Parametern zu bemessen: Menge pro Zeit. Das ist ein Begriff von Effizienz, der mit den Aufgaben der Justiz nur am Rande zu tun hat und der deshalb, sollte er sich als zentral durchsetzen, zu verzerrter Wahrnehmung und verheerenden Fehlurteilen führen wird.

Elisabeth Dittrich, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Im Zentrum justizpolitischen Denkens steht die schnelle Verfahrenserledigung. Sie wird zum Maß der Dinge und beeinflusst zunehmend die Arbeitsweise der Rechtspfleger, Staatsanwälte und Richter, die schon lange zu Fließbandarbeitern geworden sind. Nur die Erledigung zählt. Auf ihre Qualität und darauf, ob sie endgültig ist, kommt es grundsätzlich nicht an. Erledigungen sind quantitativ messbar.

BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juli 2016 (2 BvR 661/16)
Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass das gegenwärtige System der Bewertung richterlicher Arbeit nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt und hierdurch zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite schafft (vgl. BVerfGE 133, 168 172 Rn. 3). Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht – jedenfalls für die Strafjustiz – festgestellt, dass die Länder steigenden Belastungen nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen haben (vgl. BVerfGE 133, 168 172 Rn. 3)

Filz
RichterInnen, StaatsanwältInnen und auch die AnwältInnen, die Angeklagte verteidigen, kennen sich häufig vom Studium her, flanieren in den gleichen Zirkeln, Cafes, Kantinen, auf den Gerichtsfluren usw. Für VerteidigerInnen sind die ProzessgegnerInnen in Roben oft kulturell näher als die Personen, die sie verteidigen. Kungel und Absprachen auch ohne Wissen der verteidigten Personen sind Alltag. Die StaatsanwältInnen haben ständigen Kontakt zu RichterInnen, oftmals erfolgen Beeinflussung und Vorabsprachen schon vor einem Prozessbeginn.

Abhängigkeiten
RichterInnen und StaatsanwältInnen sind Angestellte des jeweiligen Bundeslandes. Bei RichterInnen ist formal eine Unabhängigkeit vorgeschrieben. Angesichts der ökonomischen Abhängigkeit und der von der Politik getroffenen Entscheidungen, wer welche Karrieresprünge macht, ist trotz dieser formalen Regel praktisch ein wohlgefälliges Verhalten gegenüber den Regierenden zu erwarten.
Die SchöffInnen in Strafkammern u.ä. werden ausgelost. Mangels Interesse werden sie jedoch meist von Parteien vorgeschlagen - und gehören diesen folglich auch an. Wer nicht nur vor einem/r EinzelrichterIn steht, kann von Glück sagen, wenn wenigstens die/der RichterIn keiner Partei angehört. Bei den SchöffInnen ist das eher die Regel.

Vorentscheidungen und Manipulation durch Staatsanwaltschaften
StaatsanwältInnen entscheiden, welche Anklagen erhoben werden. Das Einstellen ist fast gleichbedeutend einem Freispruch. Da die Staatsanwaltschaft auch formal nicht unabhängig ist, sondern der Landesregierung untersteht, kommt es immer wieder zu Einstellungen bei Verfahren gegen Staatsbedienstete (v.a. Polizeiangehörige) und PolitikerInnen. Damit ist der Zugang zu Gerichten faktisch versperrt.

Geld- und Zeitaufwand
Bossi, Rolf (2006): „Halbgötter in Schwarz“, Goldmann in München (S. 76)
Allerdings enden nur ganze zwei Prozent aller Strafverfahren in Deutschland mit einem völligen Freispruch. Daraus könnte man zunächst den Schluss ziehen, dass die Staatsanwaltschaften gute Arbeit leisten und die Erhebung unberechtigter und wackliger Anklagen erst gar nicht betreiben. Bei näherem Hinsehen stimmt das aber nicht so ganz. Die Gerichte bevorzugen - nicht zuletzt aus Kostengründen - die Einstellung des Verfahrens gegenüber dem Freispruch, wenn sich während der Hauptverhandlung die Unschuld eines Angeklagten herausstellt. So wurden 2002 zwar 20 Prozent aller Angeklagten nicht verurteilt, in vier von fünf dieser Fälle wurde das Verfahren aber schlicht eingestellt. Von allen Möglichkeiten, einen Prozess zu beenden, ist ein Freispruch schließlich am aufwändigsten.


Grundsätzliche Probleme der Rechtsprechung
Strafe ist immer falsch
Bestrafung verschärft die Probleme, die sie zu lösen vorgibt. Wer bestraft wird, neigt durchschnittlich mehr zu weiteren Gewalttaten. Daher ist jede Strafe eher die Absicherung der Wiederholung statt der Verhinderung. Mehr zum Unsinn von Strafe hier ...

Einseitige Interessen
Polizei, Justiz und Strafe schützen nicht in erster Linie die Menschen untereinander, sondern die Interessen von Staat, Herrschenden und (ökonomisch) Privilegierten. Mehr dazu ...

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