Seitenhieb-Verlag

WIDERSTAND ALS UTOPISCHES FELD

Und was heißt das praktisch?


1. Einleitung
2. Emanzipatorische Organisierung und Strategie
3. Widerstand ... ohne sich an Machtkämpfen zu beteiligen
4. Und was heißt das praktisch?
5. Wer schafft den Wandel?
6. Links

Im Original: Was kann man hier tun?
Aus "Freie Menschen in Freien Vereinbarungen" (1. Auflage, S. 54 f.)
(1) Rausgehen aus Verwertungsstrukturen: Wenn wir erkennen, dass die subjektlose Verwertungsmaschine des Kapitalismus unsere Lebensbedingungen zerstört, können wir nicht die politische Arbeit gegen den Kapitalismus auf seinen Verwertungsstrukturen aufbauen. Ein Beispiel aus dem realen Leben: Zunächst sollte der Verkauf politischer Bücher die politische Arbeit finanzieren, dann sollte der Verkauf politischer Bücher den Verlag finanzieren und schließlich wurden die Krimis entdeckt, die viel mehr Geld brachten als die politischen Bücher. Nun muss jedes Buch selbst seine Kosten “erwirtschaften”, denn auch die (Selbst-) Angestellten wollten “bezahlt” sein, und die politischen Bücher starben aus. - Andere Beispiele sind Abhängigkeit von Spenden oder gar staatlichen Subventionen, um “den Laden am Laufen” zu halten. Natürlich kostet politische Arbeit auch Geld, und Geld zu nehmen ist nichts Verwerfliches. Doch der Rubikon wird überschritten, wenn die eigene, individuelle Existenz von der Existenz der Gruppe abhängig wird, was bedeutet, den Erhalt der Gruppe im eigenen partialen Überlebensinteresse als Selbstzweck zu betreiben. Politische Gruppen müssen ohne existenziellen Schaden ihrer Mitglieder untergehen können, und Mitglieder müssen Gruppen verlassen können, ohne dass ihre Existenz infrage steht. Das geht nur in autonomen Strukturen, die nicht nach Verwertungsprinzipien funktionieren.
(2) Individuelle Selbstentfaltung als Grundlage der Bewegung: Das Dominantwerden von partiellen Individualinteressen auf Kosten anderer und das Entstehen “informeller Eliten” können weder durch bürokratische Verfahren (“Wahlen”) noch moralische Appelle (“Du sollst nicht instrumentalisieren”) verhindert werden. Die einzige funktionierende Grundlage ist die Selbstentfaltung der beteiligten Individuen, die Durchsetzung ihrer allgemeinen Interessen. Das schließt ein, allen auch die Chance, den Raum, die Möglichkeit zur Selbstentfaltung zu lassen, denn wer weiß schon von vornherein, wie das geht! Das “Möglichkeiten ... lassen” ist jedoch nicht die “Verantwortung” bestimmter Personen - etwa, der “Schlaueren”. Gerade eine solche “Verantwortungshaltung” Weniger festigt die personalisierten Strukturen, die sie zu bekämpfen meint: Es gibt niemanden, der das “Recht” hat, anderen “Möglichkeiten zu lassen” - genauso wie niemand das Recht hat “Möglichkeiten zu nehmen”. Das eine schließt das andere logisch mit ein! Es ist die “Verantwortung” aller und jedes Einzelnen, Strukturen zu schaffen, in denen das Lassen und Nehmen von Möglichkeiten keine Frage mehr ist! Dort, wo sich Menschen unbeschränkt entfalten, ist für “Eliten” kein Platz mehr.
(3) Kritik und Reflexion der Bedingungen, nicht der Personen: Wir schreiben immer wieder gegen die Moralisierung in emanzipatorischen Bewegungen an. Wie aber sollen sich Subjektbeziehungen durchsetzen, wenn es keine moralischen Leitlinien gibt, an die sich die Menschen halten können? Subjektbeziehungen setzen sich nur dann durch, wenn ich es will. Will ich die Selbstentfaltung, dann geht das nur in intersubjektiven kooperativen Beziehungen. Was aber ist, wenn diese theoretische Erkenntnis sich praktisch nicht durchsetzt? Dann gibt es keine andere Chance, als die Gründe für das Unterlaufen anzusprechen, und die strukturellen Ursachen, die das Unterlaufen nahelegen, aufzudecken. Das geht nur in offener Kritik und Reflexion des eigenen Tuns. Jedes Zurückhalten und Unterlassen von Kritik um der “Harmonie willen” ist kontraproduktiv - jede Unterdrückung erst Recht. Eine unterbliebene Kritik ist eine vertane Chance - für mich und alle. Problematisch ist jedoch personalisierende Kritik. Es geht niemals um “Schuld”, sondern immer um die Gründe für mein Handeln. Es gibt kein unbegründetes Verhalten, sei es auch noch so daneben. Es gibt immer nur das Noch-nicht-Kennen der Gründe für das Handeln des anderen. Über das Kennenlernen der Gründe können wir die individuellen Prämissen für das Handeln verstehen, die auf die Bedingungen verweisen. Um diese Bedingungen geht es, ihre Rolle als strukturelle Handlungsvoraussetzung ist aufzudecken. Gerade die Offenheit und Kritikfähigkeit entlastet mich von der Notwendigkeit, die anderen auch zu “mögen”. Dort, wo Gruppen nur noch über Sympathien funktionieren, wo sich verschiedene sympathiegetragene Klüngel bilden, ist etwas faul.
(4) Kollektivierung von Entscheidungen: Die Beteiligung an oder Gründung von Gruppen auf der Grundlage der individuellen Interessen ist die eine Sache. Eine andere ist es, Entscheidungen für das gemeinsame Handeln zu fällen. Nicht immer liegt auf der Hand, ob diese oder jene Entscheidung im allgemeinen oder nur partiellen Interesse liegt. Dennoch muss entschieden werden, will die Gruppe nicht zur einer “Gruppe auf dem Papier” mutieren. Spehr schlägt ein “collective leadership” vor: “Es reicht nicht, dass alle ihre Interessen formulieren und in ihrer Unterschiedlichkeit einbringen; irgend jemand muss den jeweils nächsten Schritt formulieren, der daraus folgt, und in einer freien Kooperation sollte diese Fähigkeit soweit wie möglich kollektiviert sein” (Spehr 1999, 302).
Kollektivierte Entscheidungsformen kann es viele geben, wichtig ist, dass sie der Lage angemessen und leicht veränderbar sind: Delegationen mit Mandat, Rotationen in Entscheidungspositionen, zeitliche Befristungen für bestimmte Aufgaben etc. Wichtiges Merkmal ist hierbei, dass nicht immer “alle alles” entscheiden, das wäre viel zu uneffektiv, sondern das es ein transparentes Verfahren für gemeinsame Entscheidungen gibt.


Wir sind nicht frei, aber wir können wählen zwischen Möglichkeiten - und sie schaffen!
Wer politisch aktiv ist, also etwas verändern bzw. als negativ empfundene Veränderungen verhindern will, kann immer zwischen verschiedenen Strategien wählen. Denkbar ist auch, neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
  • Ebenso kann gewählt werden zwischen einerseits dem Versuch, die eigenen Strukturen hierarchiefrei zu halten und allen Beteiligten gleichen Zugriff auf die gemeinsamen Ressourcen zu geben, oder andererseits - z.B. in der Hoffnung, dann mehr Schlagkraft zu haben - der Reproduktion üblicher gesellschaftlicher Organisationsformen mit Leitungsgremien, Disziplinierung und Normierung.
  • Gleiches gilt für Geschlechterrollen, Alterspyramiden und vieles mehr: Mensch kann sie hinnehmen und dadurch reproduzieren - oder zu überwinden versuchen.
  • Vereinnahmung und Stellvertretung sind Formen der Beherrschung, die in fast allen politischen Gruppen eine große Rolle spielen. Erforderlich ist das nicht. Jede Gruppe und jedeR AkteurIn kann für sich entscheiden, etwas Anderes zu wollen oder das Normale zu tun.
  • Mit dem Verzicht auf Einheit innerhalb politischer Bewegung kann diese zum Experimentierfeld werden. Labels und zentrale Gremien verlieren an Bedeutung zugunsten besserer Handlungsmöglichkeiten der Vielen, dann kann aus der bislang gepriesenen Einheitlichkeit und Geschlossenheit, die aber vor allem Steuer- und Berechenbarkeit bedeutet, eine Protestwelt, in der viele Welten Platz haben, entstehen.
  • Unversöhnlich stehen sich die Pole der optimalen Nutzung bestehender Machtverhältnisse für die eigenen Zwecke und die Überwindung dieser als Ursache der Probleme empfundenen Verhältnisse gegenüber. Viele politische Strömungen entzweien sich an diesem Gegensatz. Wer jedoch eine klare, selbstbestimmte Position und Handlungsfähigkeit hat, kann sich auch auf Verhandlungen mit den InhaberInnen formaler Macht einlassen - ohne allerdings die eigene Fähigkeit zum Protest aufzugeben. Wer abhängig ist vom guten Willen der Mächtigen, kann nur noch appellieren. Das ist zu wenig.

Aus emanzipatorischer Sicht kommt es immer auf die Qualität, also die Inhalte und die Strategie an, nicht so sehr auf den Schein oder eine formale Regelung. Sie wäre nur so emanzipatorisch, wie sie mit Leben erfüllt ist. Ob ein Führungsgremium Vorstand oder Koordinierungskreis heißt, ob kleine oder große Schritte gemacht oder gefordert werden, ist nicht so entscheidend, sondern dass, was tatsächlich passiert oder an Herrschaftsverhältnissen besteht. Große, emanzipatorische Schritte sind schön, können aber eher ganz scheitern oder sogar unversucht bleiben, weil der revolutionäre Pathos bereits das Gruppenleben ganz ausfüllt und der Drang zur tatsächlichen Veränderung hinter den Parolen von Umsturz versandet. Kleine, emanzipatorische Schritte können ebenso im Alltagsgeschehen untergehen, wenn die Wirkung irgendwann gar nicht mehr spürbar ist oder das ständige Denken im System so abstumpft, dass die Frage nach dem emanzipatorischen Fortschritt irgendwann im Alltagstrott des politischen Klein-Klein hinten runterfällt.
Die Abschaffung von Vorständen ist gut, aber wenn das nur in intransparente Hintergrund-Machtzirkel mündet, hilft es wenig oder gar nichts. So bietet politische Bewegung in jeder Sekunde und an jedem Ort selbst die Möglichkeit zur Veränderung. Viele Möglichkeiten sind schon "erfunden", aber für eine horizontale Bewegungskultur wird es auch darauf ankommen, weitere soziale Innovation voranzubringen.

Kein Appell, sondern direkte Aktion
Gesellschaftliche Einzel-Missstände, die meist im Fokus von Protest liegen, hängen immer mit dahinterstehenden Hierarchien, Privilegien, Diskriminierungen oder anderen, grundlegenden Herrschaftsverhältnissen zusammen. Diese bilden tiefere Ursachen - es wäre also fatal, ausgerechnet die als RetterInnen anzurufen, die solche Missstände hervorgerufen oder willentlich Rahmenbedingungen geschaffen haben, die zu ihnen führten. Daher kann appellativer Protest an die Mächtigen nie emanzipatorisch sein, weil er die Macht legitimiert, wenn sie auch anders ausgeführt werden soll. Ebenso kann der Personenwechsel an der Macht nicht Ziel emanzipatorischer Aktion sein, da auch hierdurch Herrschaftsverhältnisse nicht abgebaut, sondern sogar zusätzlich legitimiert werden.
Das bedeutet nicht, auf klare Worte an Konzernleitungen, Aufsichtsbehörden oder Regierungen zu verzichten, aber sie sind nicht das primäre Ziel. Dieses liegt in der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, die das ermöglichen oder gar fördern, was kritisiert wird. KeinE AktivistIn muss traurig sein, wenn die willigen VollstreckerInnen in Herrschaftspositionen politische Forderungen umsetzen - aber dadurch sind diese nicht gefestigt. Jeder Personenwechsel oder schon der Wandel in den Interessen derselben Personen können einmal Erreichtes wieder in Frage stellen.
Der Appell an die Mächtigen legitimiert diese. Eine Akzeptanz oder gar Freude, wenn sie bei Druck nachgeben, darf gerne Teil von Widerstandskultur sein - prägend sollten allerdings das Ringen um grundlegendere Veränderungen und der Wille sein, die Verhältnisse ohne Anrufung höherer Mächte zu verändern.

Weniger entscheidend ist die Frage, ob wir uns an kleine Veränderungen oder große Entwürfe machen. Oft werden die Wörter Reform und Revolution gewählt, um diesen Unterschied zu verdeutlichen, doch beschreibt dieses Begriffspaar nicht den Kern des Konflikt. Denn eine Reform kann auch ein Schritt zur Überwindung der Verhältnisse sein, während eine Revolution auch rückwärtsgewandt sein kann oder nur den Wechsel der MachtinhaberInnen, nicht aber einen Systemwechsel oder nur einen Wechsel zu einer anderen Form der Beherrschung anstrebt. Die Forderung nach revolutionärer Umwerfung kann Reformen auslösen. Viele Reformen können einer Revolution gleichkommen. Entscheidend ist, ob sie befreiend wirken oder Herrschaftsverhältnisse legitimieren bis modernisieren.

Viele Ideen konkreter, direkter Aktion sind schon entwickelt und ausprobiert worden. Unübersehbar viele weitere würden in politischer Bewegung, die ihre eigenen Normen, Hierarchien und Abhängigkeiten abschüttelt, erst noch erdacht werden. Eine Übersicht über die Vielfalt der Möglichkeiten lässt sich an den vielen Beispielen plus praktischen Handlungstipps auf den Direct-Actionen-Seiten im Internet und dem Direct-Action-Reader ersehen.


Im Original: Aktion und Vielfalt
Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 52)
Schließlich umfasst eine Politik der freien Kooperation auch eine Politik der Organisierung. Organisierung bedeutet, sich mit Gleichgesinnten (oder besser gesagt: in bestimmten Punkten ähnlich Gesinnten) gemeinsam für bestimmte Ziele einzusetzen und dabei gleichzeitig bereits eine alternative Praxis zu entfalten. Dies ist ein sehr breiter Begriff, der nicht unbedingt an feste Organisationen gebunden ist, sondern ebenso kulturelle Bewegungen, soziale Organisierung und Prozesse inhaltlicher Annäherung und praktischer Kooperation zwischen unterschiedlichen Emanzipationsbewegungen meint. Man muss nirgends eintreten, um sich zu organisieren (aber man kann), und es wird für eine Politik der freien Kooperation keinen Dachverband und kein Parteimonopol geben. Im Grunde gilt für Organisierung Ähnliches, wie für den Doppelcharakter der Demokratie: Organisierung kann zur Ausübung und zum Ausbau von Herrschaft dienen, aber es gibt keine Alternative zur Organisierung. Eine Politik der Organisierung, als Bestandteil einer Politik der freien Kooperation, schreibt daher keine formalen Organisationsmodelle vor, sondern umfasst praktische Elemente, in denen sich historische Erfahrungen niederschlagen, wie dem Herrschaftscharakter von Organisierung zu begegnen ist.


Fallen politischer Praxis
Aus einem Interview mit Jan Rehmann, in: Junge Welt, 3.1.2008 (faulheit&arbeit, S. 1 f.)
Die erste Falle ist eine abstrakte Ideologiekritik, die die ideologischen Felder wie Religion, Moral, Recht frontal von außen angreift, statt in sie einzugreifen. Dadurch verliert sie den Kontakt zur Bevölkerung und isoliert sich. Die zweite Falle besteht darin, dass man seine Forderungen in den herrschenden Diskursen ausdrückt und sich dabei an die hegemonialen Ideologien anpaßt. Das ist dann die Schleimspur, auf der man ausrutscht. Um diese Fallen zu vermeiden, braucht man eine kritische Ideologietheorie, die in der Lage ist, das Ensemble der ideologischen Normen und Werte so zu analysieren, dass man die Bruchstellen findet, an denen man effektiv intervenieren kann. Man kann eine solche Intervention als "interruptiven Diskurs" bezeichnen. ...
Immer wieder konzentrierte sich ein Teil darauf, im Hier und Jetzt alternative Lebensformen zu entwickeln, Genossenschaften, Kommunen, alternative Landwirtschaft zu gründen, am ausgeprägtesten vielleicht im israelischen Kibbuz, und immer wieder stellte sich das Problem, dass solche Projekte von gesamtgesellschaftlicher Politik abgeschnitten waren. Ein anderer Teil orientierte jeweils auf die Transformation der Makrostrukturen, sei es kommunistisch als Eroberung der Staatsmacht oder sozialdemokratisch als Reformversuch, und von dieser Warte wertete man dann die konkreten Alternativprojekte als utopisch, unpolitisch, kooptiert oder sektiererisch ab. Beide Seiten haben sich gegeneinander vereinseitigt.

Aus Cantzen, Rolf (1995): "Weniger Staat - mehr Gesellschaft", Trotzdem-Verlag in Grafenau (S. 238)
Im Rahmen einer integralen, d. h. alle gesellschaftlichen Teilbereiche einbeziehenden mehrdimensionalen Transformationsstrategie ist auch auf vielfältige Widerstands- und Protestformen nicht zu verzichten. Hier sind die von Anarchisten und revolutionären Syndikalisten propagierten "direkten Aktionen" wie Betriebsbesetzungen bei Konkurs, Hausbesetzungen und andere Maßnahmen sowie Aktionen zur Bloßstellung von Autoritäten heute durchaus von systematischer Bedeutung. Auf der Basis solcher nicht-frontalen und mehrdimensionalen Strategien der Gesellschaftsveränderung lassen sich die anarchistischen Entwürfe einer herrschaftsfreien Gesellschaft auf die heutigen hochkomplexen Industriegesellschaften beziehen. Die Vermittlung von utopischen Gesellschaftsentwürfen und der gesellschaftlichen Realität ist möglich, auch wenn der Gedanke eines alles verändernden revolutionären Umsturzes aufgegeben wird.

Aktion und Utopie
Ein besonderes Ansinnen ist, direkte Aktionen so zu organisieren, dass sie nicht nur für Änderungen im kritisierten Detail werben, sondern für weitergehende Veränderungen in der Gesellschaft. Oder die Debatte um Utopien anzetteln. Das gelingt dann leichter, wenn tragende Pfeiler herrschaftsförmiger Gesellschaft angegriffen werden: Eigentum, Strafe, Kategorien der Ausschließung, Privilegien oder die alles durchziehenden Mechanismen, also Gesetze, Diskurse usw. als Gesamtes.


Dezentral, vernetzt - von unten organisiert
Echte Netzwerke haben Knotenpunkte, aber keine Zentralen. Die Kunst ist, Kommunkationspunkte und Kooperationsanbahnung zu gewährleisten, so dass ohne die Rolle der Hierarchien schaffenden Apparate eine Miteinander immer möglich ist - in der Aktion, bei der effizienten Nutzung von Ressourcen, beim Austausch von Wissen und Erfahrungen, für gegenseitige Hilfe. Das ist keine leichte Aufgabe angesichts der starren Hierarchien und dem Konkurrenzkampf um Spendengelder, öffentliche Aufmerksamkeit, Adress- und Presseverteiler, Zugang zu den Tischen der Reichen und Mächtigen usw. Politische Bewegung muss auf den Kopf gestellt werden. Es gilt nicht mehr als primäres Interesse, starke zentrale Geschäftsstellen zu sichern und das eigene Label einheitlich zu vermarkten, sondern eine bunte, gut vernetzte Vielfalt handlungsfähiger Teile des Ganzen aufzubauen - von Basisgruppen bis zu selbstorganisierten überregionalen Projekten und Aktionen.

Aus "Einige Notizen zu aufständischem Anarchismus"
Autonome Aktion: die Selbstverwaltung des Kampfes bedeutet dass die, die kampfen autonom sind in ihren Entscheidungen udn Aktionen; dies ist das Gegenteil einer Organisation der Synthese, die immer versucht, die Kontrolle des Kampfes zu übernehmen. Kämpfe die synthetisiert sind, durch eine einzelne kontrollierende Organisation, sind einfach integrierbar in die Machtstrukturen der gegenwärtigen Gesellschaft. Selbstverwaltete Kämpfe sind in ihrer Natur unkontrollierbar, wenn sie über das soziale Terrain verbreitet werden. ...
Deshalb sind kleine, leicht reproduzierbare Aktionen, die einfache Mittel erfordern, welche allen zugänglich sind, durch ihre Einfachkeit und Spontanität unkontrollierbar. Diese machen sogar die meist vorangeschrittensten technologischen Entwicklungen der Aufstandsbekämpfung zum Gespött.


Den Alltag zur Aktionsfläche machen!
Politischer Widerstand ist oft auf große Events orientiert. Das zehrt an Kräften, denn diese sind aufwendig, müssen komplett inszeniert werden. Zudem sind sie anfällig für Vereinnahmung und hierarchische Strukturen. Der Alltag bietet andere Ansatzpunkte: Er ist immer da, mensch muss nicht aufwendig zu ihm hinkommen. In ihm spiegelt sich die Totalität von Herrschaft. Die Menschen verfügen über ein Know-How des Umgangs mit ihm und können Veränderungen daher unmittelbar ausprobieren, die Wirkungen prüfen und eigene Strategien weiterentwickeln. Die Menschen sind von ihrem eigenen Handeln selbst betroffen. Das ist wichtig. Politische Strategien schaffen heute immer wieder Orte, die gefahrlos betreten werden können, weil sie mit dem eigenen Leben ohnehin nichts zu tun haben. Wer den Alltag zum Kampffeld macht, wird Widersprüche und auch den entstehenden Druck direkt spüren. Das kann verunsichern, zeigt aber, dass es hier um tatsächliche Veränderungen geht, nicht nur um symbolische oder gar nicht verbale Politikformen.

Wer im Alltag agiert, läuft Gefahr, nur für sich zu handeln und sich in einer Nische zu isolieren. Kooperation ist aber hier besonders interessant, denn sie schafft konkrete Kommunikation, ist stark durch die Menschen selbst steuerbar und kann anonyme Kooperationen zurückdrängen. Die eigene Handlungsmacht nimmt zu – im günstigen, nämlich erfolgreichen Fall auch die Handlungsmöglichkeiten durch bessere materielle Absicherung, Infrastruktur und mehr Zeit.

Aus Christoph Spehr (2003): "Gleicher als andere", Karl Dietz Verlag in Berlin (S. 107)
Dies ist gleichbedeutend mit der Frage "Wer soll das alles durchsetzen?", die sich gewöhnlich an Ausführungen über politische Utopie anschließt. So kompliziert und vielschichtig Herrschaft ist, so vielschichtig und vielgliedrig sind auch die Prozesse der Befreiung. Wir können uns heute kein historisch privilegiertes Subjekt mehr vorstellen, das die Veränderung der Verhältnisse bewirkt – keine nach Funktion, Ideologie oder Identität ausgewiesene Klasse, Gruppe, Organisation. Wir können uns heute auch keinen privilegierten Ort und keine privilegierte Form dieser Auseinandersetzung vorstellen. Und wir können uns nicht mehr vorstellen, dass dieser Prozess von formalen politischen Organisationen dominiert wird. Es geht um ein ganzes Bündel von Prozessen, einen komplexen Prozess, in dem Organisationen und soziale Bewegungen, Alltagsabsprachen und kulturelle Bewegungen, soziales Experimentieren, kulturelles Imaginieren und politische Kämpfe eine Rolle spielen und einander nicht untergeordnet werden können.



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