Kopfentlastung

Ö-PUNKTE 2/2001 ("SOMMER")

Atomausstieg versus Klimaschutz: Wer aussteigt, muß auch einsteigen


1. Atomausstieg versus Klimaschutz: Wer aussteigt, muß auch einsteigen
2. Klimarisiken durch radioaktives Krypton-85 aus der Kernspaltung

Langfassungen und weitergehenden Internetadressen zu den Texten der Ö-Punkte 2/2001.

von Renate Backhaus,
atompol. Sprecherin des Bundesvorstandes Bund für Umwelt und Naturschutz ? BUND
aus anti atom aktuell 113

Spätestens bei der Frage Atomkraftwerke und Klimaschutz glaubt die Atomlobby jedesmal, nun habe sie die überzeugenden Argumente für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken in den Händen. Mit Statistiken und Folien werden Vorträge gehalten und Artikel geschrieben, aus denen hervorgeht, daß weltweit insgesamt 430 Atomkraftwerke rund 1,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid sparen. Die 19 deutschen Atomkraftwerke würden 150 bis 160 Millionen Tonnen Kohlendioxid sparen- ein knappes Fünftel der deutschen Klimabelastungen.
Da stellt sich dann für die Betreiber nicht die Frage des Atomausstieges, sondern konsequenterweise müßten die Betreiber - sofern sie den Klimaschutz ernstnehmen - zu dem Schluß kommen, daß der Ausbau der Atomenergienutzung der Königsweg für den Klimaschutz ist.
Wie wenig haltbar eine solche These wäre, haben diverse Studien in der Vergangenheit gezeigt. Unabhängig von den Risiken der Atomenergienutzung und der ungelösten Entsorgung ist auch die Frage der Wirtschaftlichkeit zu stellen. Dabei wird klar, daß die Nutzung der Atomenergie nicht nur lebensbedrohend ist, sondern auch die teuerste Art zum Klimaschutz wäre. Der Neubau von Atomkraftwerken ist eine teurere Klimaschutzvariante als das Energiesparen oder moderne Gaskraftwerke. 1988 wiesen beispielsweise Umweltforscher vom Rocky Mountains Institute in Colorado erstmals daraufhin, daß nach ihren Berechnungen für dasselbe Geld mindestens zweieinhalbmal mehr Kohlendioxid durch Energiesparen vermieden werden kann als durch den Bau neuer Atomkraftwerke.
Das Öko-Institut kam 1996 im Auftrage des hessischen Umweltministeriums zu dem Schluß, daß der Klimaschutz mit Atomkraftwerken drei - viermal teurer ist als mit einem ? Mix von Alternativen - von Stromeinsparen und Kraft-Wärme-Kopplung bis zu Biomasse und Wind?. Fazit : ?Anstatt - wie immer behauptet - 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid zu vermeiden, entstehen durch Investitionen in Atomkraftwerke in Deutschland knapp 500 Millionen Tonnen mehr als bei den Alternativen?, schreibt Gutachter Fritsche. ? Kohlendioxid-Einsparungen durch Atomkraftwerke erweist sich als reines Märchen?.
Soweit eine kurze Replik auf die These Klimaschutz und Neubau von Atomkraftwerken. Nun gibt es in Deutschland seit Jahren keinen Antrag auf Neubau eines Atomkraftwerkes. Das allerdings aus wirtschaftlichen Überlegungen. Jeder Neubau wäre ökonomisch unsinnig. Moderne Gaskraftwerke liefern den Strom billiger. Sie sind schneller gebaut und erfordern eine geringere Investition- das mindert natürlich auch die Risiken für die Unternehmer, denn auf dem liberalisierten Strommarkt kann sich niemand mehr auf einen langfristig sicheren Stromabsatz verlassen.
Wie ist es aber nun bei den bestehenden Anlagen ? Vernachlässigen AtomkraftgegnerInnen bei den Forderungen nach einem Sofortausstieg den Klimaschutz ? Sollte man nicht doch noch aus Klimaschutzgründen das Risiko der Atomenergie über Jahre hinweg eingehen? Sollte man sich nicht aus Klimaschutzgründen dem sog. Atomkonsens anschließen, der ja angeblich den Atomausstieg regelt ? Ein klares und eindeutiges Nein, den Klimaschutz mit Atomkraftwerken regeln zu wollen, die noch jahrelang weiterlaufen, hieße, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen.
Das beim Ausstieg aus der Atomenergie das Klimaschutzziel erreicht werden kann, hat u. a. eine Untersuchung des Wuppertal-Instituts gleich zu Beginn der rot-grünen Regierung ergeben. Die Wissenschaftler halten es für möglich, bis 2005 alle Atomkraftwerke abzuschalten und trotzdem dem Klimaschutz gerecht zu werden. Bedingung ist allerdings, daß ?der Ausstieg von einer erheblich offensiveren Energiespar- und Klimaschutzpolitik als bisher flankiert wird?. Nach dem Konzept des Instituts müßte der Gesamt-Stromverbrauch durch eine offensive Einsparstrategie von derzeit rund 500 Millionen Kilowattstunden pro Jahr auf 430 Millionen gesenkt werden. Verzicht auf Stand-by-Funktionen, Nutzung von Energiesparlampen, beim Neukauf von Haushaltsgeräten nur energiesparsame Modelle erwerben, Modernisierung von Beleuchtungsanlagen in Industrie und Gewerbe, Umstellung auf effiziente Pumpen und Antriebe in Fabriken, Ersatz von Nachtspeicherheizungen - das ganze ( im Grundsatz längst bekannte) Arsenal der Effiziensstrategien müßte flächendeckend zum Einsatz kommen.
Doch das Einsparen könnte nur etwa die Hälfte des Atomstromes ersetzen. Die andere Hälfte steuern nach dem Wuppertal-Konzept neue Gas-Kraftwerke mit insgesamt 10.000 Megawatt-Leistung ( ein hoher Anteil in Kraft-Wärme-Kopplung, bei der gleichzeitig Striom und Wärme genutzt werden) , ein verstärkter Ausbau der Windenergie und die CO2-neutrale Zufeuerung von Biomasse ( Restholz, Stroh ) in Kohlekraftwerken bei.
Professor Peter Hennicke vom Wuppertal-Institut räumt ein , daß die 2005-Strategie sehr ambitioniert sei. Das Energiesparen, Hauptpfeiler des Konzeptes, zum Beispiel sei ? zwar durchaus wirtschaftlich, aber mühsam durchzusetzen?, gibt er zu. Aber es sei zu schaffen.
Dazu gibt es genug Beispiele: So betreiben die Stadwerke Hannover seit 1995 ein u. a. vom Öko-Institut Darmstadt erarbeites Energiesparkonzept auf der Basis von sogenanntem ?Least-Cost-Planing?. Wenn es billiger ist, Strom einzusparen als ihn zu erzeugen, bezahlen die Stromlieferanten alle dafür notwendigen Maßnahmen wie z.B. die Anschaffung stromsparender Geräte und holen sich das Geld in den folgenden Jahren wieder herein. Der Kunde bezahlt dann zwar pro Kilowattstunde mehr, benötigt aber weniger Kilowattstunden. Die monatliche Rechnung wird dann insgesamt meist billiger. Die Stadtwerke lassen sich das für die Umrüstung vorgestreckte Geld genauso verzinsen wie Investitonen in neue Kraftwerke verzinst würde, machen also ebenfalls ein Geschäft.
Egal, ob Beleuchtungsanlagen in Tennishallen, Kneipen oder Geschäften, Klimaanlagen in Bürogebäuden oder Kühlhäusern : Das Potential an sparsamen Lösungen ist überaschend groß. Würde das für Hannover erarbeitet Konzept auf die ganze Bundesrepublik übertragen, wären bereits neun Atomkraftwerke schlicht überflüssig. Die Reihe dieser Beispiel ließe sich fortsetzen : Kein Heizsystem ist energetisch so ineffektiv wie eine Elektroheizung. Jeder Ersatz von Nachtspeicheröfen bedeutet eine Minderung der Kohlendioxid-Emmissionen.
Ein ? Energiesparprogrmm für alle? wäre der Verzicht auf Stand-by. Der BUND hat errechnet, daß für unnütz vergeudeten Stand-by-Strom jährlich DM 4,5 Millarden ausgegeben und 14 Millionen Tonnen Kohlendioxid abgegeben werden. Eine Summe, die immerhin rund einen Anteil von 2 Prozent an den energiebedingten Emmissionen ausmacht und damit ihren Teil zum gefährlichen Treibhauseffekt beiträgt. Viele Menschen glauben, daß ausgeschaltete Elektrogeräte gar keinen Strom verbrauchen. Unzählige Geräte befinden sich jedoch im sogenannten Stand-by-Modus und fressen weiterhin Strom. Viele Geräte verbrauchen also 24 Stunden am Tag Strom, oft genug gibt es gar nicht mehr die Möglichkeit, daß die Geräte mit einem Schalter vom Stromnetz getrennt werden.
Eine Enegieversorgung ohne Strom kommt nicht ohne die Sonne aus. Jährlich strahlt die Sonne auf Deutschland viermal soviel Energie, wie die gesamte Menschheit in diesem Zeitraum verbraucht (Dr. Herman Scheer, Eurosolar) Es ist also grotesk, wenn immer noch behauptet wird, der Energiebedarf der Menschheit könne nicht mit Hilfe der Sonne gedeckt werden. In Deutschland liegt die durchschnittliche Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter und Jahr bei 1100 Kilowattstunden. Der Gesamtbedarf an Strom liegt demgegenüber bei rund 500 Millionen Kilowattstunden. Lt. Hermann Scheer wäre beispielsweise bei einem Systemertrag von Solarzellen ( Photovoltaik-Anlagen ) von 10 Prozent der Sonneneinstrahlung Solarmodule mit einer Gesamtfläche von etwa 5000 Quadratkilometer erforderlich, um damit soviel Strom zu erzeugen, der dem heutigen Gesamtbedarf entspricht. Dafür müßten weniger als 10 Prozent der überbauten Fläche auf Dächern, an Hauswänden und Autobahnrändern mit Solarzellen ausgestattet werden.
Aber natürlich wird man statt einer ausschließlichen Fixierung auf Photovoltaik einen Strommix aus Sonnen-und Windenergie und andern erneuerbaren Energien anstreben Es gibt keine Zweifel, daß bei einem Atomausstieg eine vollständige Energieversorgung mit erneuerbaren Energien möglich ist, so Hermann Scheer.
Das unterstützt auch ein aktuelles Gutachten der Deutschen Luft- und Raumfahrt ( DLR ) Interessanterweise war an der Studie auch das Bonner Forum für Zukunftsenergie beteiligt, das maßgeblich von Unternehmen der Atomwirtschaft sowie der Deutschen Bank getragen wird. Nach Berechnungen der Autoren liegt das weltweit technisch nutzbare Potential von Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie in der Größenordnung des Dreifachen des derzeit weltweiten Energieverbrauches. (Endenergie) Es kann also auch ein noch steigender Energiebedarf der Menschheit ?prinzipiell vollständig? und auf Dauer gedeckt werden. In Deutschland könnten lt. DLR mit erneuerbaren Energien jährlich 525 Terrawattstunden Strom und 1000 Terrawattstunden Wärme gewonnen werden. Das entspricht etwa 100 Prozent des heutigen Stromverbrauches und 60 Prozent des heutigen Wärmebedarfes.

Eine Anmerkung zum Schluß: Bei vielen Diskussionen um den Atomausstieg und den Klimaschutz wird versucht, die Frage des Klimaschutzes ausschließlich bei der Energieversorgung zu lösen. Das ist nicht zulässig, denn der am stärksten wachsende Bereich Verkehr- und Flugverkehr muß und kann seinen Beitrag dazu leisten. Doch kaum werden Geschwindigkeitsbeschränkung oder Öko-Steuer diskutiert, kommt es zu einem Geschrei der Lobbyisten mit der Folge, daß die Regierung keine oder halbherzige Maßnahmen ergreift. Und über eine Begrenzung der steigenden Zahl von Flugreisen, Besteuerung des Flugbenzins oder Verhinderung von Flughafenausbauten wird nicht diskutiert.
Klimaschutz ist für den BUND eine vordringliche Aufgabe, er ist aber nur mit einem umfassenden Konzept zu betreiben, in dem nicht nur die Energieversorgung eine Rolle spielt. Sonst wären der Klimaschutz und die beschlossenen Einsparziele bei den Kohlendioxidemmissionen zum Scheitern verurteilt.

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