Demorecht

DIRECT ACTION

Hetze gegen Klimaschutz-/Verkehrswendeaktionen allgemein und die Kritik daran


1. Provokante Aktionen und ihre Bedeutung für politischen Protest
2. Aktionen von "Letzte Generation" und der Streit darum
3. Abseilen über Autobahnen - der Streit um eine spektakuläre Aktionsform
4. Hetze gegen Klimaschutz-/Verkehrswendeaktionen allgemein und die Kritik daran
5. Rechtsfragen bei provokanten Aktionen

Wir fordern: Umweltpreise statt Strafen für Klimaschützer*innen – egal ob sie klettern oder kleben!

Der gleiche Film auf Facebook

Der Text des Films "Alte weiße Männer gegen Letzte Generation"
Immer nachdrücklicher warnen Klimaforscher*innen und Umweltschützer*innen vor dem Klimawandel, schon in den 70er- und 80er-Jahren unter dem Schlagwort "Treibhauseffekt" diskutiert, aber ohne Folgen in der Politik. Seit aber nun mehrere Jahre hintereinander Temperaturanstieg und Unwetter zunehmen, dadurch immer mehr Menschen zur Flucht aus verwüsteten Landschaften gezwungen sind und alle Anzeichen auf eine langfristige Verschärfung all dieser Folgen rücksichtsloser Profitgier stehen, ist das Thema zum zentralen Politikfeld geworden. Jedoch: Die Menge leerer Worte nimmt ständig zu, während konsequentes Handeln ausbleibt. Ganz im Gegenteil: Neue Straßen, immer mehr Autos, immer mehr Flugbewegungen, neue LNG-Terminals - fast könnte mensch eine Sehnsucht nach kollektivem Suizid attestieren.
Nachdem auch die Massenproteste von Fridays for Future und unterstützenden Umweltgruppen keine Wirkung zeigten, begannen verzweifelte Menschen unter dem Label "Letzte Generation", mit spektakulären Aktionen eine Art Feueralarm zu spielen. Dabei nutzten sie eine seit Jahrzehnten verbreitete, eher zurückhaltende Aktionsform: Die Sitzblockade auf der Straße - mal mit, mal ohne Ankleben. Das zwingt Autofahrende zu Umwegen oder Wartezeiten - eine Folge eigentlich jeder Demonstration, von Streiks oder anderen Aktionen auf der Straße. Doch diesmal fiel die Reaktion völlig anders aus - vom Ruf nach harten Strafen über den Vorwurf der kriminellen Vereinigung oder der Demokratieverachtung bis zu völlig absurden Debatten. Eine davon lief am 20. Juli 2023 im ZDF - mit drei alten weißen Männern, die ihren Hass auf alles, was ihre Privilegien in Frage stellt, sehr deutlich zur Schau stellten. Ihre Namen: Markus Lanz, der Talkmaster des Abends und bereits aus früheren Sendungen bekannt für parteiische Moderation mit konservativen Ansichten. Dazu Michel Friedman, typischer Vertreter privilegierter Männerkreise, die Ideen von Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zwar predigen, aber nicht verstehen. Und Manfred Lütz, gleichzeitig päpstlicher Berater, vielfacher Schriftsteller und Psychiater.
Neben ihnen saß Alena Buyx in der Runde, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Wissenschaftlerin zur Geschichte der Medizin. Sie diskutierte zwar überlegter, aber kam in der Männerrunde nur wenige Male zu Wort. Den Gegenpart spielte, wie bei den Lanzschen Sendungen häufig, einsam der Aktivist der Letzten Generation, Theodor Schnarr.
Das Ziel der Sendung war von Beginn an klar: Die Deligitimierung von Protestformen, die weh tun. Dabei könnte die Lage kaum dramatischer sein, wie selbst Lanz in seinen einleitenden Worten beschrieb:
  • Einblendung aus dem Original: "WORUM GEHT's"

Umfangreicher führte das, nach einer langweiligen, inhaltsleeren Eingangsrunde, der Aktivist der Letzten Generation aus - leider etwas blutleer, wie auswendig gelernt:
  • Einblendung aus dem Original: "WORUM GEHT's"

Alena Buyx wies auf das Versagen der Bundesregierung hin - und Theodor Schnarr von Letzte Generation, dass sie eigentlich hätte längst handeln müssen.
  • Einblendung aus dem Original: "WORUM GEHT's"

Dann ging's zur Sache. Und zwar in einer seltsamen Doppelzüngigkeit. Einerseits wiederholten alle immer wieder das Bekenntnis, den Klimawandel wichtig zu finden, um dann, oft noch im gleichen Atemzug, gegen alle zu wettern, die in ihren Protestformen über das Maß ohnmächtigen Appellierens hinausgehen. Es war das klassische "Ich bin auch für Klimaschutz, aber ..." - also die tyische Wortwahl derer, die eben nicht für Klimaschutz sind, aber den Schein wahren wollen.
  • Einblendung aus dem Original: "ALLE FÜR KLIMASCHUTZ?"

Wenig überraschend bildete die Aktionsform des Anklebens einen Streitpunkt - und Talkmaster Markus Lanz startete gleich mit einer satten Vorwurfs-Arie, der dann die anderen folgten.
  • Einblendung aus dem Original: "ANKLEBEN"

Angesichts all dieser Äußerungen könnte mensch schnell vergessen, dass hier darüber geredet wird, dass Menschen wegen eines politischen Protests die eine oder andere Unannehmlichkeit im Alltag erleiden, die bei entsprechendem Pech auch mal sehr bitter sein kann. Dennoch bleibt klar: Verkehrsbedinderungen sind die typischen Folge fast aller politischen Demonstrationen, von Streiks, von Straßenfesten, Schwertransporten, Unfällen, Baustellen, Treffen und Auftritten wichtiger Politiker*innen - und niemensch käme auf die Idee, das für grundsätzlich falsch zu halten - oder? Wer so argumentiert wie hier, enttarnt sich als Gegner jeglichen Protest außer politischen Sandkastenspielen, die einer imperialen Wirtschaftsmacht wie Deutschland das Antlitz eines freiheitlichen Staates geben.
Michel Friedman setzt dann aber noch einen drauf und verkündet, sich selbst als Experte ins Spiel bringend, ein paar juristische Wahrheiten.
  • Einblendung aus dem Original: "STGB"

Friedman stellt diese rechtliche Bewertung wie eine Wahrheit dar, obwohl er im Verlauf der Debatte bei Markus Lanz mehrfach betonte, dass er Leute, die Wahrheiten verkünden, ablehnt. Seine Wahrheit hat aber noch einen anderen Haken - sie ist schlicht falsch. Ob Sitzblockaden Nötigung sind, ist zumindest umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat solche Aktionen, bei denen nur der eigene Körper in den Weg gestellt oder gesetzt wird, vom Verdacht der Nötigung freigesprochen. Findige Jurist*innen in ihrem Verfolgungseifer politischer Oppositionen haben mit der sogenannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung zwar eine Notlösung gefunden, die aber gilt gerade auf mehrspurigen Straßen mit ihrer Vorschrift zur Bildung einer Rettungsgasse nicht. Freiheitsberaubung, die Friedman auch attestiert, ist noch absurden. Kein Mensch wurde festgehalten. Alle konnten sich frei bewegen - sie konnten nur ihren umweltzerstörenden, klimaverändenden und Unfallgefahren provozierenden Blechhaufen nicht mitnehmen. Leider hat keine*r der Teilnehmenden Friedman widersprochen, auch der Letzte-Generations-Aktivist nicht, der ohnehin selten die absurden Ausführungen der anderen widerlegte, sondern seine wie einstudiert wirkenden Klimareden wiederholte. Friedmans Pseudojura wäre nicht die einzige Behauptung gewesen, die als ideologiegetriebene Lüge hätte entlarvt werden können.

Dann die nächsten Absurditäten. Zwar erkannten alle den Klimawandel als Realität an, dennoch verfielen sie in ihrer Wut mehrmals in den Jargon der Klimawandelleugner*innen.
  • Einblendung aus dem Original: "KLIMAWANDELZWEIFEL"

Die Falschdarstellungen, der Zweifel am Klimawandel bei gleichzeitiger Beteuerungen, den für dramatisch zu halten, und die Ablehnung druckvoller Aktionen - all das paart sich mit dem rhetorischen Trick, an die anderen zu appellieren, sich an Fakten zu halten.
  • Einblendung aus dem Original: "IDEOLOGIE+WAHRHEIT"

Da ist dann auch kein Wunder, dass das Versagen der Regierungen im Klimaschutz bestritten wird.
  • Einblendung aus dem Original: "POLITIKVERTEIDIGUNG"

Einen Hinweis darauf, dass es gar nicht Aktionsformen der Letzten Generation sind, die den Empörungskanal geöffnet haben, sondern dass es schlicht um die Verteidigung von Privilegien geht, auch um solche, die Umwelt und andere Menschen zerstören, zeigte am Ende Markus Lanz, der pauschal der These widersprach, dass Reiche übermäßig viel zum CO2-Ausstoß beitragen würden.
  • Einblendung aus dem Original: "PRIVILEGIEN DER REICHEN"

Immerhin widersprach an diesem Punkt die Ethikratsvorsitzende Buyx.
  • Einblendung aus dem Original: "PRIVILEGIEN DER REICHEN"

Obwohl es hier also sehr einfach gewesen wäre, eine klare Gegenargumentation aufzubauen, schwächelte der Letzte-Generation-Vertreter wieder, ruderte teilweise zurück statt Markus Lanz klar vorzuwerfen, ganz platt Privilegien von Reichen zu verteidigen. Dass Lanz behauptete, die Zahlen überprüft zu haben, aber keine Quelle nannte, hätte auffallen müssen - und wie bei einer einfachen Recherche schnell klar wird: Er hatte schlicht gelogen.

Die inhaltliche Schwäche der Aktiven von Letzte Generation zeigte sich auch beim Hauptthema des Abends, dem Gesellschaftsrat als noch einzig verbliebene Forderung der Gruppe. Noch unfassbarer aber war dann, dass die drei alten weißen Männer, die sich als so demokratisch, aufgeklärt und faktenorientiert inszenierten, offenbar alle noch nie etwas von solchen Bürger*innenräten gehört hatten, obwohl die tatsächlich sowohl in Deutschland als auch international schon oft durchgeführt und auch beachtet wurden.
Theodor Schnarr versuchte, das Prinzip zu erklären - und traf auf völlig ungläubige Ohren.
  • Einblendung aus dem Original: "GESELLSCHAFTSRAT"

Die Bemerkungen sind entlarvend: Lanz, Friedman und Lütz verteidigen mit aller Inbrunst ein System, welches sie Demokratie nennen, und in dem sie, die Reichen und Mächtigen, das Sagen haben - durchaus der Normalzustand von Demokratie, wo der "demos", von dem laut Grundgesetz alle Gewalt ausgeht, nur in Form seiner Eliten überhaupt handelt und existiert. Nirgendwo anders als in der Herrschaft der Funktions- und Deutungseliten, wie die Soziologie die demokratischen Gesellschaften beschreibt, können sich solche Männer ihrer Macht und ihrer Privilegien so sicher sein. Sie nehmen der Letzten Generation übel, dass sie mit der direkten Aktion und der Idee des Gesellschaftsrates das Weiter-so der Eliten in Frage stellen.
  • Einblendung aus dem Original: "LANZ ZU DEMOKRATIE"

Lütz geht noch einen Schritt weiter und hält es für undemokratisch, für das Überleben der Menschheit einzutreten. Er hält die Menschenwürde für wichtiger - und dazu gehört bei ihm die Freiheit, immer und überall mit dem Auto fahren zu können.
  • Einblendung aus dem Original: "LÜTZ ZU DEMOKRATIE"

Töten ist also wichtiger als Überleben. Wer derart perverse Ideologien vertritt, ist in einer Diskussion leicht angreifbar. Nur - das bekommt der Vertreter der Letzten Generation nicht hin. Und genau das ist die Hauptschwäche dieser Gruppe: Sie hat keinen überzeugenden Inhalt. Der Gesellschaftsrat ist abstrakt, würde wirksame Klimaschutzmaßnahmen nur weiter verzögern und auch nur die gleichen Ergebnisse bringen können, die ja längst erarbeitet, bekannt und laut Lippenbekenntnissen sogar Konsens sind. Zudem hat es einen solchen Bürger*innenrat zu Klima vor Kurzem schon gegeben - mit guten Ergebnissen. Die jetzt durchzusetzen und anzukreiden, dass die Regierungen sich weder daran noch an Gesetze oder den Spruch des Verfassungsgericht hält, würde den Aktionen der Letzten Generation viel mehr Akzeptanz und Durchsetzungskraft verleihen.
  • Einblendung aus dem Original: "LG ZIELE"

Aktionsformen und Inhalte müssen in einem Einklang stehen. Radikale Aktionen brauchen radikale Forderungen. Diesem Appell von Alena Buyx ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Dennoch muss noch auf eine letzte Gemeinheit der Kritiker*innen radikaler Aktionen eingegangen werden - der Versuch, die Bewegung zu spalten. Tobte noch vor wenigen Jahren die Debatte um Fridays for Future und deren Schulschwänzen, so sind sie heute die Braven, die ungefragt gegen die Letzte Generation ausgespielt werden. Dabei sind es viele, die damals aktiv waren und dann gesehen haben, wie wenig Regierungen auf die Umwelt und das Wohl der Menschen weltweit achten, die sich heute an Straßen kleben oder auf andere Art nachdrücklicher aktiv sind. Und ganz nebenbei: Auch hinter den Demos der Fridays stauten sich die Autos. Aber das erwähnten Lanz, Friedman und Lütz natürlich lieber nicht ...
  • Einblendung aus dem Original: "FFF und LG"

Viele Worte, kurzer Sinn: Auf die, die ihre Privilegien auf Kosten von Mensch und Natur geschaffen haben, können wir nicht hoffen. Der Wandel muss erkämpft werden - gegen die Profiteur*innen und Nutznießer*innen eines brutalen, auf Ausbeutung, Hierarchien und sozialer Ausgrenzung beruhenden Systems. Dafür sind mutige Aktionen und mutige Forderungen nötig. Das erste macht die Letzte Generation richtig gut, aber ohne anderer, klarerer und mutigere Inhalte wird es nichts bringen außer Frust und Burnout bei den einen sowie Anpassung bei den anderen. Das ist das gute Fazit aus der törichten Männerarroganz des 20. Juli 2023: Wir können es selbst besser machen und dann auch wirkungsvoller werden!

Das Bashing an Beispielzitaten
Klimaschützer*innen verprügeln? Oberster Rechtsgelehrter sagt: Ja!
Der Chefkommentator des StGB-Kommentars und damit Inhaber der Definitionsmacht darüber, was Strafparagraphen bedeuten, Thomas Fischer, hält Gewalt gegen Demonstrant*innen auf Straßen für gerechtfertigt, auf: LTO Online am 4.12.2022
Straßenblockaden sind im Grundsatz tatbestandliche und rechtswidrige Nötigungen, denn es gibt kein allgemeines Recht, unbeteiligte Dritte mit Gewalt zum Werkzeug eigener Meinungskundgebung zu machen.
Von Blockaden betroffene Verkehrsteilnehmer befinden sich im Grundsatz in einer Notwehrlage, nicht betroffene Dritte in einer Nothilfelage im Sinn von § 32 StGB. 
Der Einsatz von Gewalt gegen Täter eines fortdauernden Angriffs ist im Grundsatz gerechtfertigt, wenn keine schnelle Hilfe durch Polizisten zu erwarten ist. 
Die Provokation oder Inkaufnahme von Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit im Fall der Notwehr durch Nötigungstäter ist im Grundsatz nicht geeignet, in Notwehr ausgeübte Handlungen rechtswidrig zu machen. Das gilt namentlich dann, wenn die potenzielle oder tatsächliche Selbstbeschädigung erklärtes Ziel demonstrativer Rechtsverletzungen ist.
In allen Fällen kommt es auf Abwägungen im Einzelfall an. Auf Opferseite (Genötigte) ist namentlich auch die subjektive Intensität des rechtswidrigen Angriffs zu berücksichtigen. 
Allgemeine "Fernziele", Postulate und Erkenntnisse sind für die (straf)rechtliche Bewertung in der Regel ohne Belang. 


Julian Reichelt, ehemals Bild-Chefredakteur, auf Twitter am 13.11.2022
Fridays For Future ist die größte, mächtigste und geefährlichste antisemitische Jugendorganisation seit 1945.

Sogar Klimawissenschaftler hetzen gegen Aktivistis
Ottmar Edenhofer, Chef des führenden Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PiK), im Interview mit dem Spiegel
Die Klimabewegung hat es nicht ausreichend geschafft, Klimapolitik dauerhaft mehrheitsfähig zu machen. Sie wurde als zu abgrenzend, belehrend und moralisierend wahrgenommen. Es war auch ein Fehler der Klimabewegung, die Kapitalismuskritik zu einer Identitätsfrage zu machen. Einige suggerierten, die Klimakrise sei nicht ohne eine Revolution zu lösen. Das führt nicht zu tragfähigen Kompromissen. Man hat das Klimathema damit überladen. Das fällt nun auf uns zurück.

Repression und Hetze gegen Öko-Aktivistis: "Weiter so" eint Schwurbler und Regierung
"Aus "Im Fadenkreuz der Verdrängungsgesellschaft", auf: Netzpolitik am 11.11.2022
Die Verdrängungsgesellschaft fühlt sich gestört von Menschen, die unnachgiebig und mit Mitteln des zivilen Ungehorsams auf die drohende Klima-Katastrophe hinweisen. Sie baut bis in höchste Regierungskreise ein neues Feindbild auf – und attackiert Versammlungsfreiheit und Demokratie. Das ist gefährlich. ...
Die bayerische Polizei steckte Klimaaktivist:innen in Präventivgewahrsam, die CDU fordert Strafverschärfungen und will das Versammlungsrecht indirekt beschneiden, der Kanzler rüffelt die Klimaproteste der Letzten Generation, der Bundesjustizminister spricht von Gefängnisstrafen für die Demonstrierenden, die Innenministerin unterstützt ein hartes Durchgreifen der Polizei während andere Politiker:innen die Proteste als „demokratiefeindlich“ bezeichnen. Der hessische CDU-Justizminister brachte gar Terror-Anklagen ins Spiel. Es fehlte nur eigentlich nur noch, dass jemand das Verbot von Warnwesten und Sekundenkleber forderte. ...
Es sind Proteste, die man nicht einfach umarmen oder ignorieren kann, so wie das mit den bunten, netten Großdemos von Fridays for Future leider zu oft passiert ist. Es sind Proteste, die stören und verstören, die nerven und irgendwie nicht aufhören wollen. Doch die Protestform des zivilen Ungehorsams ist der Dramatik der Situation angemessen. Man wundert sich doch fast, dass angesichts des apokalyptischen Szenarios, auf das die Menschheit mit Scheuklappen zusteuert, nicht schon ganz andere Aktionen auf der Tagesordnung stehen. ...
Die Methode des Zivilen Ungehorsams ist klar und unmissverständlich. Wer sich über die Störungen echauffiert, will entweder über die eigene Unfähigkeit zur Lösung der Klimakrise hinwegtäuschen, hat ein Problem mit demokratischem Protest generell – oder Klimaprotest im Besonderen. Um das zu kaschieren, reden Anhänger:innen der Verdrängunsgesellschaft von einem blockierten Rettungswagen. Und reiben sich dabei erfreut die Hände, dass sie endlich draufhauen können. Endlich hat man einen Sündenbock, auf den man einprügeln kann, weil er die ignorante Routine stört. (Quelle: netzpolitik.org/2022/klimaproteste-im-fadenkreuz-der-verdraengungsgesellschaft/)
Der Hirnstupser macht zudem einen Vergleich der Abwehrkämpfe von einerseits Regierungen und Kapital sowie andererseits den Schwurbler*innen und Verschwörungsgläubigen - die sind sich ähnlicher als sie voneinander denken.



Juristische Hardliner und die große Razzia
Am 24.5.2023 stürmten Polizeieinheiten mehrere Wohnungen, beschlagnahmten die Konten der Letzten Generation und übernahmen die Internetseite, auf der sie selbst dann die folgenden Sätze einstellten:

Das ist nicht nur ziemlich unverschämt, sondern auch schlicht eine Straftat - üble Nachrede, denn die Polizei ist gar nicht befugt, eine solche juristische Bewertung zu machen. Ob es jemals zu Verurteilungen oder auch nur Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung geben wird, ist völlig offen. Aber die Polizei gibt schon mal das Ergebnis vorab bekannt - und die Staatsanwaltschaft gleich mit. Diese Behörde soll nun also neutral ermitteln, ob das stimmt, was sie schon bekanntgegeben haben?

Einen Tag später überfiel die Polizei mit Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts das Projekthaus "Amsel44" in Wolfsburg - mit genauso fadenscheinigen Gründen.

Auch der Chefkommentator des StGB, Thomas Fischer, hat aus dem Anlass gleich wieder "zugeschlagen" (verbal): Ja, der Kern von LG sei eine kriminelle Vereinigung ...

Fazit im Artikel "Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung?", auf: LTO am 22.5.2023
1. Die "Letzte Generation" als Gesamt-Zusammenschluss von "Aktivisten" erfüllt die Voraussetzungen des § 129 StGB (Kriminelle Vereinigung) vermutlich nicht.
2. Soweit die Gruppierung organisierte "Kategorien" von Mitgliedern erfasst, die sich nach der Bereitschaft bestimmen, Straftaten zu begehen und Bestrafungen in Kauf zu nehmen, liegt die Annahme einer "kriminellen Teilvereinigung" nahe.
3. Strukturen, Entscheidungsfindung und organisatorische Unabhängigkeit des Zusammenschlusses von Mitgliederwechsel entsprechen insoweit den Voraussetzungen des § 129 Abs. 2 StGB.
4. Die Begehung von Straftaten im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB ist nicht unwesentlicher Teil der Tätigkeit jedenfalls der genannten "Kategorien", sondern prägt deren Erscheinungsbild und die Organisationsstruktur.
5. Eine Überbetonung moralisierender Erwägungen zur Entlastung ist nicht gerechtfertigt; ebenso wenig eine Verneinung der Verhältnismäßigkeit einer Strafverfolgung mit Begründungen, denen ein medial-laienhaft überzogenes Bild des Straftatbestands zugrunde liegt.


Über den Paragraphen 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigung), auf: Legal Tribune Online am 25.8.2023
Die Norm macht es Staatsanwaltschaften angesichts unscharfer Kriterien verhältnismäßig leicht, das gesamte Arsenal strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen auf ganze Gruppierungen anzuwenden, mit erheblichen Auswirkungen auf die Grundrechte einer Vielzahl an Personen.

Aus Tim Wihl (2024), "Wilde Demokratie"
Wäre es nicht bei einer Blockade im Vorhinein unklar, wie legal die Aktion eigentlich ist beziehungsweise wie sie nachträglich gerichtlich bewertet wird, entfiele ein Gutteil ihrer demokratischen Schubwirkung. Der gesamte zivile Ungehorsam lebt davon, auf dieser juristischen Rasierklinge zu reiten. Evident legaler Protest wie eine friedliche und angemeldete Versammlung bleibt hingegen juristisch so eingedämmt, dass die protestative Macht als eigenständiger Faktor, die potentia multitudinis, letztlich kaum zur Geltung kommt. Evident rechtswidriger Protest wie gewaltsamer Widerstand ruft dagegen in der Regel große Abwehr in Staat wie Gesellschaft hervor. Selbstverständlich sind die Grenzen fließend und die realen Grenzfälle Legion, etwa bei der Bewertung von Sachbeschädigungen. Nur die juristische Mittelgruppe der Protestintensität schafft es, dasjenige Maß an rechtlicher Ambiguität zu erzeugen, das die verfasste Demokratie immer wieder auf ihre Blindstellen stößt und an ihre versteinerten Grenzen treibt. Die Protestierenden deuten dabei oft und häufig kreativ politische Freiheitsrechte neu aus, etwa wenn sie behaupten, dass ein Zeltlager eine politische Versammlung sei. ...
In zivil-kreativen Protesthandlungen zeigt sich, wie kollektive Handlungen ihre politische Bedeutung oft aus ihrem Austesten der Grenzen des Rechts beziehen, die wiederum teilweise durch die verfassungsdeutende Kraft solcher politischen Akte gezogen werden.
(S. 105f)


Einige Hardliner befürworten inzwischen sogar Verurteilungen wegen Freiheitsberaubung, wenn Autofahrende durch Versammlungen zum Anhalten gezwungen werden - so im Aufsatz "Freiheitsberaubung durch die absichtliche Blockade von Autobahnen und anderen Verkehrswegen?" von Christian Kaerkes.

Kritik am Bashing
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt, Samira Akbarian, sagt: "Das Gesetz durch zivilen Ungehorsam zu brechen, ist ein Beitrag zu Demokratie und Rechtsstaat und kann das Gesetz bzw. die Verfassung weiterentwickeln." Sie erhält für ihre Arbeit zu zivilem Ungehorsam, vor allem für Klima- und Umweltschutz, zahlreiche Preise.
In den Gerichtssälen wird gleichzeitig draufgehauen: Hohe Straßen, Gefängnis, Kriminalisierung. Und die Politik hetzt bis hin zu begriffen wie "Terror".

Aus "Nervige Kritik an Klimaaktivisten", im: tagesspiegel am 30.1.2023
Wer jahrzehntelang nichts gegen den Klimawandel unternommen hat, sollte jetzt nicht junge Demonstranten verhöhnen. Die Boshaftigkeit und Schadenfreude vieler Kritiker sind unerträglich. ...
Die Disziplin „Sich über Protestformen von Klimaaktivisten beschweren, ohne selbst den Arsch hochzukriegen“ treibt immer wildere Blüten. Der Wunsch, jede Protestform zu canceln, wirkt zunehmend totalitär. Selbst wenn die Aktivisten künftig bloß noch Schweigeminuten veranstalteten, müssten sie sich vermutlich den Vorwurf anhören, sie atmeten zu laut. ...
Wer jahrzehntelang selbst nichts gegen den Klimawandel unternommen hat, weder auf seinen eigenen ökologischen Fußabdruck achtete noch sich klimapolitisch engagierte, der sollte sich jetzt vielleicht besser zurückhalten, bevor er junge Menschen verhöhnt, die sich aus Verzweiflung auf Wege kleben. Die Nichtstuer hatten ihre Chancen.
Und nein, dies ist keine Pauschalkritik an älteren Menschen oder Generationen. Ganz im Gegenteil. Millionen Menschen haben sich in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg für Klima- und Umweltschutz eingesetzt. Wären sie in der Mehrheit gewesen, wären sie nicht überhört, angefeindet und diffamiert worden, müsste sich jetzt auch niemand festkleben.


Verkehrsforscher Andreas Knie im Interview, in: Freitag
Ich bin ein großer Anhänger des zivilen Ungehorsams. Nur deswegen haben wir übrigens das Recht, unser Auto einfach in die Gegend zu stellen! Das hat ein Bremer Kaufmann erzwungen, Ende der 1950er Jahre. Er hat sein Auto einfach nicht in eine Garage gestellt, sondern draußen stehen lassen. Damals durfte man das nicht. Er hat sich bis zum Bundesverwaltungsgericht durchgeklagt. 1966 entschied das Gericht: Wenn der Staat will, dass wir alle Autos haben und wir sogar die Kosten von der Steuer abziehen können, dann muss er auch dafür sorgen, dass die Leute überall parken können. Jetzt ist das Gegenteil dran.

Aus einem Kommentar in der Gießener Allgemeine am 18.3.2023
Mögen sich manche über die »Klimakleber« sehr aufregen, sie haben nun mal mit einem recht: Deutschland befindet sich in Sachen Verkehrswende im Tiefschlaf. Da kann man gar nicht laut genug rütteln, dass sich mal was bewegt.

Aus "Vereinte Nationen kritisieren deutsches Vorgehen gegen Klimaaktivisten", auf: Spiegel am 26.5.2023
»Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiter verfolgt. Sie müssen geschützt werden und wir brauchen sie jetzt mehr denn je«, sagte der Sprecher von Uno-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric, in New York.
Protestierende hätten in »entscheidenden Momenten maßgeblich dazu beigetragen, Regierungen und Wirtschaftsführer dazu zu bewegen, viel mehr zu tun«, sagte Dujarric weiter. Ohne sie wären die weltweiten Klimaziele bereits außer Reichweite.


Plötzlich war alles anders: Straßenblockaden für eigene Profite okay
Interessantes Spektakel im Dezember 2023: Wegen der Kürzungen von Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe (in der Tat: warum nur für die?) rollten massenweise Traktoren, blockierten Straßen, Kreuzungen und fuhren sogar illegal auf Autobahnen. Die Reaktion: Viel Verständnis und sogar Begleitschutz durch die Polizei auf der Autobahn. Wer für eigene Vorteile eintritt, hat es offenbar in dieser Gesellschaft besser als jemensch, der für allgemeine Ziele eintritt. Oder ist die Sache noch einfacher: Pro-kapitalistisch = gut. Kritisch bis anti-kapitalistisch = schlecht!

Aus "Letzte Generation versus Bauern: Gute und schlechte Blockierer?", auf: BR am 21,12,2923
Was haben die Proteste von Klimaaktivisten und Landwirten gemeinsam? Beide Gruppen blockieren Straßen. Beide setzen sich ihrer Meinung nach für gute Ziele ein. Und dennoch prallen in der öffentlichen Bewertung der Straßenblockaden Welten aufeinander.
Der Chef der Freien Wähler ist Landwirt. Daher zögerte Hubert Aiwanger auch keine Sekunde und schloss sich am Montag den Bauernprotesten in Berlin an. Die Streichung der Agrardiesel-Subventionen nannte der bayerische Wirtschaftsminister eine "Kriegserklärung an die Landwirtschaft". Nach Angaben der Berliner Polizei legten 1.700 Traktoren die Straße des 17. Juni lahm. Am Brandenburger Tor ging nichts mehr voran.
Mit Klimaaktivisten, die in vielen deutschen Städten für stundenlange Blockaden sorgten, ging Aiwanger dagegen hart ins Gericht: "Ich würde sie zu vier Wochen Waldarbeit verurteilen!" ...
Rein juristisch betrachtet, seien die Aktionen von Klimaaktivisten und die Bauernproteste insofern vergleichbar, als man beide als "strafbare Nötigung" werten könne, sagt der Kölner Strafrechtsexperte Christian Kemperdick dem WDR.
Tatsächlich teilten in mehreren Bundesländern die Polizeistellen mit, dass die Autobahn- und Sternfahrten der Traktoren nicht angemeldet gewesen waren. ...
Die Proteste der Bauern und der Klimaaktivisten werden in der Bevölkerung völlig unterschiedlich wahrgenommen. Protestforscher Teune beschreibt das so: Während die Proteste der Bauern als "wütend" beschrieben würden und anerkannt würde, dass deren "Existenz bedroht" sei, würde das Anliegen der Klimaaktivisten, "das existenzbedrohende Ausmaß der Klimakrise zu thematisieren", nicht so breit anerkannt.
Deren Proteste würden oft als "rücksichtslos" empfunden. Welcher Straßenprotest beim Einzelnen als legitim empfunden wird, ist also völlig unterschiedlich. Fakt aber ist laut Teune: Im Stau hinter Bauern wie Klimaaktivisten stünden jedenfalls immer die gleichen Menschen.


Verwirrte Politik - schlechte und gute Blockaden
Aus einem Interview mit der Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger (FDP), in: Gießener Anzeiger am 15.1.2023
Proteste sind erlaubt, solange die Gesetze eingehalten werden. Aber es muss auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.
Ist das im Fall der langen Warnstreiks der Lokführer der Fall?
Ich habe da meine Zweifel. Die Lokführergewerkschaft schränkt schließlich die Bewegungsfreiheit vieler Menschen empfindlich ein. ...
Und wie verhält es sich mit den Blockaden der Bäuerinnen und Bauern?
Sie machen von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch.

Die Bauern(funktionär*innen) selbst fanden Blockaden auf Straßen und von Autos übrigens richtig doof ... bevor sie es selbst machten. So veröffentlichte das Onlinemagazin agrarheute des Deutschen Landwirtschaftsverlags, hinter dem vor allem der Bayerische Bauernverband steht, am 12.02.2022 einen sehr deutlichen Kommentar unter dem Titel "An die Letzte Generation: Blockierer und Nötiger sind keine Helden!".
Ganz ähnlich die CDU: Sie stellte sich hinter die Bauerndemos, hatte aber zuvor gegen ähnliche Aktionen, als sie dem Klimaschutz dienten. Die CDU wollte, dass der Bundestag die Regierung auffordert, Straßenblockierer härter zu bestrafen.
Aus dem Antrag der CDU im Bundestag ++ Bericht dazu
1. die Bürgerinnen und Bürger besser vor mutwilligen Blockaden öffentlicher Straßen zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass diese Blockaden sowie die damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Einsätze von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst zukünftig härter und vor allem zeitnäher bestraft werden;
2. dazu im Straftatbestand des besonders schweren Falls der Nötigung (§ 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches – StGB) weitere Regelbeispiele zu ergänzen: Täter, die eine öffentliche Straße blockieren und billigend in Kauf nehmen, dass Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben behindert werden, sollen zukünftig mit Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren bestraft werden. Ebenso sollen Täter bestraft werden, die eine große Zahl von Menschen durch ihre Blockaden nötigen – etwa dann, wenn es durch die Blockaden im Berufsverkehr zu langen Staus kommt;

Und wer zeigte Verständnis, als sogar Angriffe auf Menschen Teil der Aktion wurden (Blockade und Versuch der Erstürmung einer Fähre, auf der sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befang)?
Aus dem Bericht "Deutscher Bauernverband distanziert sich von Blockade-Aktion gegen Habeck", auf: Deutschlandfunk am 5.1.2024
AfD-Chefin Weidel warf Habeck dagegen vor, er begehe lieber – Zitat – „Fährenflucht“, statt den Dialog zu suchen. Auch die Bundestagsabgeordnete Wagenknecht äußerte Verständnis für die Aktion der Bauern. Sie bezeichnete die Reaktion Habecks als „peinlich“ und „weinerlich“. Die Ampel mache Bauern zu „Melkkühen ihrer verfehlten Politik“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Jeder Euro Mehrbelastung für Landwirte in Deutschland sei einer zu viel. Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der Freien Wähler, Aiwanger, nahm die Bauern ebenfalls in Schutz.

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