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RECHTFERTIGENDER NOTSTAND

Wann gilt der rechtfertigende Notstand (Kriterien)?


1. Gesetzestexte und Kommentare zum § 34 Strafgesetzbuch (StGB)
2. Notstand im Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
3. Notstand im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)
4. Wann gilt der rechtfertigende Notstand (Kriterien)?
5. Wo wird der Rechtfertigende Notstand bisher akzeptiert?
6. Weitere Anwendungen?
7. Ähnliche Wirkung: Grundrechts-Rechtsgüterabwägung
8. Ähnliche Anwendungen in anderen Ländern
9. Links und Materialien

Aus Wikipedia zu "Rechtfertigungsgründe"
Allen Rechtfertigungsgründen ist gemeinsam, dass sie objektiv vorliegen, wenn eine bestimmte Gefahr, ein Angriff oder sonst ein schädigendes Ereignis abgewehrt werden soll. Subjektiv ist erforderlich, dass der Täter, der sich auf den Rechtfertigungsgrund beruft, auch mit dem Willen zur Abwehr dieser Gefahr oder des Angriffs handelt. Einige Rechtfertigungsgründe sind:
  • Notwehr, § 32 StGB
  • rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
  • defensiver Notstand, § 228 BGB
  • aggressiver Notstand, § 904 BGB
  • Selbsthilfe, § 229 BGB
  • Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB
  • Einwilligung
  • Jedermann-Festnahmerecht, § 127 Abs. 1 StPO
  • Sachwehr, §§ 859, 860 BGB
  • Widerstandsrecht, Art. 20 Abs. 4 GG
  • Die medizinische oder kriminologische Indikation beim Schwangerschaftsabbruch, § 218a StGB
  • Pflichtenkollision (umstritten, ob nicht Entschuldigungsgrund)

Tatbestandsmerkmal: Gegenwärtige Gefahr

Diese und weitere Scans aus Tröndle/Fischer, Kommentar zum § 34 StGB


Gegenwärtig ist eine Gefahr, wenn „nach menschlicher Erfahrung der ungewöhnliche Zustand bei natürlicher Weiterentwicklung jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, wenn also der Eintritt eines Schadens sicher oder doch höchstwahrscheinlich ist, sofern nicht sofort Abwehrmaßnahmen ergriffen werden.“ (Lackner/Kühl, Kommentar zum StGB, RNr 2 zu § 34)
Auch sog. Dauergefahren können gegenwärtig sein, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung die Gefahr jederzeit in einen Schaden umschlagen kann.
Das heißt: Langzeitschäden sind dann notstandsfähig, wenn 1. der Schadenseintritt als sicher gelten kann und 2. der Eintritt des zu erwartenden Schadens bei längerem Abwarten nicht mehr abgewendet werden kann. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr ist im Polizei- und Verwaltungsrecht weit verbreitet und hat hier eine umfangreiche Rechtsprechung nach sich gezogen. Rechtsprechung, die sich speziell auf den Begriff der gegenwärtigen Gefahr im Zusammenhang mit der Agrogentechnik bezieht, ist uns bislang nicht bekannt. (Jura-Selbsthilfe)
  • Was müsste bewiesen werden?
    Entweder, dass die Schäden unmittelbar bevorstehen, oder, dass der (irgendwann eintretende) Schaden nur abgewendet werden kann, wenn jetzt sofort eingegriffen wird.

Im Original: Weitere Definitionen und Kommentierungen
Aus Kindhäuser, Urs (2002): Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, Nomos in Baden-Baden (§ 34, Rd-Nr. 19)
(1) Ein Rechtsgut ist im Sinne einer Notstandslage gefährdet, wenn seine Schädigung aufgrund der gegebenen Umstände als (zumindest) sehr wahrscheinlich erscheint (BGHSt 18, 271 ff.; BGH GA 1967, 113). Das Gefahrurteil ist nach h.M. im Wege einer objektiv nachträglichen Prognose vom Standpunkt eines neutralen Beobachters aus zu treffen (vgl. BayObLG StV 1996, 484 [485]; Hirsch Kaufmann, Arth.-FS 545 [546 ff.]; Jescheck/Weigend § 33 IV 3a; Schaffstein Bruns-RS 89 [103]; ...
(§ 34, Rd-Nr. 20-23)
(3) Die Gefahr ist gegenwärtig, wenn Maßnahmen zu ihrer Abwendung alsbald zu treffen sind. Für die Gegenwärtigkeit kommt es also weniger auf den Zeitpunkt der erwarteten Gefahrrealisierung, als vielmehr auf die Notwendigkeit sofortigen Handelns zur Abwendung des drohenden Schadens an (RGSt 66, 98 11001; BGHSt 5, 371 [373]; BGH NJW 1979, 2053; NStZ 198K 554; NJW 1989, 176; 1989, 1289; Schönke/Schröder/Lenckner Rn. 17).
Die Gegenwärtigkeit ist damit die Kehrseite des Erfordernisses, dass die Gefahr nicht anders abwendbar sein darf (näher zur einschlägigen Entscheidungssituation Kindhäuser/Wallau StV 1999. 379 [380 f.]). Nach h.M. werden daher vom Notstand auch Situationen erfasst, die einer Notwehrlage vorgelagert sind (vgl. § 32 Rn. 19 f.; ferner BGHSt 13, 197 [201 f.]); einschlägig ist etwa die Rechtfertigung heimlicher Tonbandaufnahmen (§ 20 1) zur Abwehr einer späteren Nötigung oder Erpressung (vgl. hierzu BGH NJW 1982, 277 [278]; KG NJW 1956, 26; Arzt JZ 1973, 508; Haug NJW 1965, 2391 f.; Otto Kleinknecht-FS 319 [335]).
Bei bereits eingetretener Verletzung kann die Gefährdung in der Wahrscheinlichkeit der Intensivierung des Schadens liegen. Gegenwärtig sind auch Dauergefahren, die bereits bestehen, aber jederzeit in einen Schaden umschlagen können (vgl. BGH NJW 1979, 2053 mit Anm. Hirsch JR 1980, 115 f. und Hruschka NJW 1980, 21 ff.; Hillenkamp Miyazawa-FS 141 [154]-, Schroeder JuS 1980, 336). Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr ist damit weiter als der des gegenwärtigen Angriffs im Sinne der Notwehr (vgl, § 32 Rn. 16-, vgl. auch BGHSt 39, 133 [136 f.]; Roxin AT I § 16/17).

Aus Michael Pawlik (2002): "Der rechtfertigende Notstand", Walter de Gruyter in Berlin
Nach den Bemerkungen unter 1. ist die Gefahr gegenwärtig, wenn der Betroffene zu ihrer Anwendung jetzt handeln muß, ihm also ein weiteres Abwarten nicht zugemutet werden kann. ... (S .177)
Der Aggressivnottäter kann die solidarische Aufopferung fremder Güter nur verlangen, wenn ihm ein erheblicher Schaden droht. ...
(S. 315)
Zugespitzt ist die Situation, wenn der Notstand durch riskantes Vorgehen entstand:
Der Umstand, daß der EIngriffsadressat seinen Rechtskreis unerlaubt riskant organisiert hat, führt nach der Begründungslogik des abstrakten Rechts zu einer weitreichenden Ausweitung der Reaktionsbefugnisse. Der Eingriffsadressat hat demnach sämtliche Maßnahmen hinzunehmen, die erforderlich sind, um die Integrität der von ihm bedrohten Rechtssphäre wiederherzustellen. ... (S. 311)

lexexakt.de
Von einer Notstandslage spricht man bei einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut des Einzelnen oder der Allgemeinheit, soweit sie nicht von Rechts wegen hinzunehmen ist (z.B. der Freiheitsentzug bei Haftstrafen). ...

juraforum.de
Notstandslage
Für ein notstandsfähiges Rechtsgut (Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut) muss eine gegenwärtige Gefahr vorliegen. Gefahr bedeutet, dass der alsbaldige Schadenseintritt auf Grund objektiven Umständen als wahrscheintlich erscheint und gegenwärtig bedeutet, dass die Gefahr alsbald oder in sehr kurzer Zeit in einen Schaden umschlagen kann. Die Notstandshandlung erfolgt bei dem rechtsfertigenden Notstand im Gegensatz zur Notwehr nur gegen Rechtsgüter eines Dritten!


Aus www.lawww.de zu Notwehr und Notstand:
Notstandslage
Eine Notstandslage besteht, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut droht, die nicht anders abgewendet werden dann als durch Einwirkung auf ebenfalls rechtlich anerkannte Interessen.
Unter gegenwärtiger Gefahr wird ein Zustand verstanden, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten läßt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. Dazu zählt auch ein gefahrträchtiger Zustand von längerer Dauer, der jederzeit in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umschlagen kann (sog. Dauergefahr).

Wikipedia zu "Rechtfertigender Notstand":
Vorausgesetzt wird also zunächst eine Notstandslage. Die Notstandslage besteht in einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut, die nicht anders abgewendet werden kann als durch Einwirkung auf ebenfalls rechtlich anerkannte Interessen.
Notstandsfähig sind also die Rechtsgüter des Einzelnen als auch die der Allgemeinheit. Dazu zählen alle rechtlich geschützten Interessen. Voraussetzung ist nicht, dass eine Verletzung der Interessen unter Strafdrohung steht; entscheidend ist allein, dass das zu erhaltende Gut, Recht, Interesse von der Rechtsordnung überhaupt anerkannt beziehungsweise geschützt ist.
Unter einer gegenwärtigen Gefahr, die für das geschützte Rechtsgut gegeben sein muss, ist ein Zustand zu verstehen, dessen Weiterentwicklung den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. Das heißt, dass der Eintritt eines Schadens für das Rechtsgut naheliegt oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts droht.
Bei solch einer Wahrscheinlichkeitsprognose kommt es nicht auf die Sicht und das Wissen des Notstandstäters/Notstandshandelnden an, sondern auf den Standpunkt eines objektiven, alle relevanten Umstände kennenden Betrachters.
Vom Gefahrenbegriff des § 34 wird auch die sog. Dauergefahr umfasst. Darunter ist ein gefahrdrohender Zustand von längerer Dauer, der (z.B. mögliche unvorhersehbare Einsturzgefahr eines alten baufälligen Gebäudes) jederzeit in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umschlagen kann, ohne aber die Möglichkeit auszuschließen, dass der Eintritt des Schadens noch eine Weile auf sich warten lässt. Gegenwärtig ist eine solche Dauergefahr, wenn sie so dringend ist, dass sie nur durch unverzügliches Handeln wirksam abgewendet werden kann.


Aus dem Input bei der Tagung zum § 34 StGB (Gendreck-Rechtshilfe)
Es soll heute Vormittag um die „Gefahren und ihren Beweis“ gehen. Wir dachten, dass es vielleicht hilfreich ist, dem ein Input voranzustellen, wie denn der Jurist mit dem Begriff der Gefahr umgeht.
Im normalen Alltag sprechen wir schnell und leichtfertig von einer Gefahr und meinen damit oft: Ich glaube, es könnte irgendwas passieren. Auch juristischer Sicht ist das aber ein Risiko. Der Lauf der Dinge kann zu einem guten Ende führen, aber unter bestimmten, nicht klar vorhersagbaren Voraussetzungen auch zu einem Schaden.
Im juristischen Alltag hat die Feststellung einer Gefahr Folgen, nämlich Rechtsfolgen, die auch zu einem Eingriff in Rechte führen können. Darum haben Generationen von Juristen (und in neuerer Zeit auch Juristinnen) den Gefahrbegriff immer komplexer definiert und immer weiter ausdifferenziert. So gibt es bei den Juristen den Gefahrverdacht, den Anfangsverdacht, den hinreichenden, den erheblichen, den gegenwärtigen ...
Aber keine Angst: Ich werde Euch nicht mit Hunderten von Kommentaren, Entscheidungen und Definitionen quälen. Worum es mir vor allem geht: Deutlich zu machen, dass die juristische Gefahrenprognose auf Tatsachen, auf Fakten beruhen muss. Beweisen müssen wir nicht die Gefahr, sondern die Tatsachen und Fakten, auf denen unsere Gefahrenprognose beruht.
Gefahr im juristischen Sinne liegt nicht deshalb vor, weil uns die Situation Angst macht. Für den Juristen ist Gefahr „ein Zustand, in dem nach den konkreten Umständen der Eintritt eines Schadens nahe liegt“ (Lackner, Kühl/ StGB-Kommentar, Rdnr. 2 zu § 34, 2004), so einer der Standardkommentare.
Wenn ich einen Ball in der Hand halte und ihn loslasse, besteht die Gefahr, dass er auf dem Boden aufkommt.

Um die Gefahr zu beweisen, könnte ich verschiedene Methoden anwenden:
  • Der empirische Nachweis. Ein Ball, der unter den genannten Voraussetzungen losgelassen wird, kommt zu 99,9 % auf dem Boden auf physikalische Gesetze (z.B. Newton)
Ich könnte aber die Gefahrenprognose erschüttern, indem ich z. B. beweise,
  • Der Ball ist leichter als Luft
  • Es ist etwas zwischen meiner Hand und dem Boden
  • Ich befinde mich nicht auf der Erde
Dann habe ich Tatsachen widerlegt, die Grundlage für die Gefahrenprognose waren.
Das ist noch einfach.
Ich behaupte nun:
Wenn ich den Ball werfe, besteht keine Gefahr! Es gibt eine berechenbare ballistische Bahn und eine Person, die den Ball auffängt. Nun beweist mir das Gegenteil!
Wenn ich den Ball geworfen hätte, könntet ihr wahrscheinlich beweisen, dass eine Gefahr bestanden hat, z.B. durch Inaugenscheinnahme des Schadens. Nachher ist man immer klüger.
Das Problem der Gefahrenprognose besteht darin, etwas noch nicht eingetretenes, etwas zukünftiges zu belegen.
Empirisch betrachtet führen solche Spielereien früher oder später meistens zu einem Schaden. Ihr müsstet also nachweisen, dass entweder die Wahrscheinlichkeit eines Schadens so hoch ist, dass von einem quasi normalen, vorhersehbaren Verlauf gesprochen werden kann (Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 %).
oder ihr weist nach, dass bei geringerer Wahrscheinlichkeit der Schaden besonders hoch ist. Ob dann beispielsweise bei einer Wahrscheinlichkeit von sagen wir 30 % und einem zu erwartenden Schaden von 10.000 € von einer Gefahr im rechtlichen Sinne gesprochen werden kann, ist dann wieder eine Frage der Subsumtion und der Wertung.
oder ihr weist nach, dass die empirische Studie allgemein fehlerhaft ist (aufgrund welcher Tatsache), oder auf meinen Fall gar nicht anwendbar ist. Die Beweiskette könnte (ganz grob) lauten:
  1. Die Studie definiert einen Durchschnittswerfer
  2. Der Werfer im konkreten Fall unterschreitet den Durchschnitt erheblich (z.B. keine Kraft oder kurzsichtig oder zittrig oder alles zusammen)
Die Gentechnik, selbst wenn wir nur die Gentechnik im Agrarbereich ins Auge fassen, hat es mit äußerst komplexen Vorgängen und Wirkungsmechanismen zu tun. Es wird uns daher nie gelingen, ihre Gefährlichkeit mit einem einzigen Beweis zu belegen. Wir brauchen in jedem Fall eine Beweiskette.
Wir können beispielsweise unter Beweis stellen:
  • bisherige Erfahrungen aus anderen Ländern (müssen dann aber auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse Acht geben)
  • wissenschaftliche Arbeiten aller Art (empirische Statistiken, biologische Studien, Versuchsergebnisse, Berechnungen)
  • technische, biologische oder biotechnische Abläufe und Gesetzmäßigkeiten
  • Fehler in Pro-Studien (falsche Berechnungen, falsche oder veraltete Methoden, aber nicht „falsche“ Wertungen).
Die Zukunft kann man weder voraussagen noch beweisen. Aber man kann über eine Reihe von Indizien, Tatsachen und Fakten beweisen, dass bei vorgesehenem Verlauf der Dinge ein Schadenseintritt nahe liegt.

Ausnahmen, benannt in Einzelquellen
  • Prof. Dr. Wolfgang Wohlers u.a.: Tutorat zur Vorlesung „Strafrecht I“:
    Duldungspflicht des Bedrohten, z.B. aufgrund besonderer Gefahrtragungspflichten (Polizisten, Feuerwehrleute); (vorsätzliche oder fahrlässige) Herbeiführung der Notstandslage.

Tatbestandmerkmal: Gefahr für Rechtsgüter (allgemein)



Aus Kindhäuser, Urs (2002): Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, Nomos in Baden-Baden (§ 34, Rd-Nr. 20)
(2) Notstandsfähig sind alle Rechtsgüter, namentlich Leib, Leben, Freiheit, Ehre und Eigentum. Auch Maßnahmen zum Schutz überindividueller (kollektiver) Rechtsgüter können durch Notstand gerechtfertigt sein (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 136). Der Begriff des Interesses, den § 34 verwendet, ist als Oberbegriff für rechtlich bewertete Güter und Handlungen zu verstehen und bezieht sich nicht etwa (nur) auf materielle Bedürfnisse (vgl. Gallas ZStW 80 [1968], 1 [27]).

Tatbestandsmerkmal: Gefahr für Leben


Gefahr für das Leben ist gegeben, wenn der zu erwartende Schaden der Tod eines (oder mehrerer) Menschen ist. (Jura-Selbsthilfe)

Tatbestandsmerkmal: Gefahr für Leib
Gefahr für Leib ist gegeben, wenn gesundheitliche Schäden für einen (oder mehrere) Menschen zu erwarten sind. (Jura-Selbsthilfe)

Tatbestandsmerkmal: Gefahr für Freiheit
Der Begriff der Freiheit ist sehr breit. Er umfasst letztlich alle Lebensäußerungen des privaten und gesellschaftlichen Lebens. § 1, Nr. 2 GenTG erklärt die Wahlfreiheit von Erzeugern und Verbrauchern zum Gesetzeszweck und macht damit selber die Koexistenz zu einem Rechtsgut, mit welchem das in der Verfassung garantierte allgemeine Freiheitsrecht verwirklicht werden soll. In der Verfassung speziell geregelt, aber auch unter den Begriff der Freiheit zu subsumieren, ist die Berufs- und Gewerbefreiheit. (Jura-Selbsthilfe)

Tatbestandsmerkmal: Gefahr für Eigentum
Tatbestandsmerkmal: Gefahr für ein anderes Rechtsgut
Umwelt als Rechtsgut
Als „anderes Rechtsgut“ in Sinne des § 34 StGB gilt Umwelt- und Naturschutz. Die natürlichen Lebensgrundlagen sind in Art. 20 a GG unter besonderen staatlichen Schutz gestellt. § 1 Nr. 1 GentTG sieht unter anderem den Schutz der „Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, Tiere und Pflanzen“ als Zweck des Gesetzes an. Dem ist auch im Strafrecht Rechnung zu tragen. Umstritten ist, wie weit dieser Schutz geht, also ob er schon greift, wenn beispielsweise eine Schmetterlingsart ausstirbt oder erst, wenn gravierendere Schäden im Umweltgefüge zu verzeichnen sind. (Jura-Selbsthilfe)
  • Was müsste bewiesen werden: Dass die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge nachhaltig geschädigt wird.

Tatbestandsmerkmal: nicht anders abwendbar (Erforderlichkeit)



Im Original: Weitere Definitionen und Kommentierungen
Tröndle/Fischer/ Kommentar zum StGB, 51. Aufl., Randnr. 5 zu § 34
Nicht anders abwendbar als durch die betreffende Tat muss die Gefahr sein; d.h. es darf kein weniger einschneidendes Abwendungsmittel (...) zur Verfügung stehen, also auch nicht durch rechtzeitiges Herbeiführen obrigkeitlicher Hilfe.

äuser, Urs (2002): Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, Nomos in Baden-Baden (§ 34, Rd-Nr. 29-34)
aa) Erforderlicher Eingriff: Die Notstandshandlung, der Eingriff in die Güter eines unbeteiligten Dritten, muss erforderlich sein: Dies setzt voraus, dass die Handlung zur Abwendung der Gefahr geeignet ist und zugleich die mildeste zur Verfügung stehende Abwehrmaßnahme darstellt (vgl. BGHSt 2, 242; OLG Hamm NJW 1976, 721 f.; OLG Karlsruhe JZ 1984, 240 mit Anm. Hruschka; Lenckner Lackner-FS 95 [111]).
Die Erforderlichkeit ist auf der Basis eines objektiven und sachverständigen ex-ante-Urteils festzustellen; die Einschätzung des Notstandstäters selbst ist insoweit ohne Belang. Keine Rolle spielt es, ob das verletzte Rechtsgut typischerweise als Rettungsmittel zur Gefahrabwendung anzusehen ist; auch ungewöhnliche Rettungsmaßnahmen können erforderlich sein (vgl. Grebing GA 1979, 81 [86 ff.]; Küper JZ 1976, 515 [516]; a.A. Bockelmann JZ 1959, 498 f.).


Kommentar aus juraforum.de
Die Gefahr darf nicht anders abzuwenden sein, dass heißt das aus den zur Verfügung stehenden Mitteln das Mildeste ausgewählt werden muss.

Wikipedia zu rechtfertigendem Notstand:
Die Gefahr darf „nicht anders abwendbar“ sein als durch die Notstandshandlung. Diese muss objektiv erforderlich sein und subjektiv mit einem Rettungswillen vorgenommen werden. Ausgeschlossen sind damit zunächst alle Handlungen, durch die die drohende Beeinträchtigung des Rechtsgutes nicht abgewehrt werden kann.

Tröndle/Fischer/ Kommentar zum StGB, 51. Aufl., Randnr. 5 zu § 34
Nicht anders abwendbar als durch die betreffende Tat muss die Gefahr sein; d.h. es darf kein weniger einschneidendes Abwendungsmittel (...) zur Verfügung stehen, also auch nicht durch rechtzeitiges Herbeiführen obrigkeitlicher Hilfe.“

Input bei der Tagung zum § 34 StGB (Gendreck-Rechtshilfe)
Heute Vormittag haben wir uns mit den Gefahren und der Gefahrenprognose befasst. Die Diskussion müsste natürlich eigentlich noch weiter gehen und sie wird sicherlich auch weitergehen. Trotzdem wollen wir uns heute Nachmittag dem Komplex der Erforderlichkeit und Angemessenheit zuwenden.
Würde das Vorliegen einer Gefahr ausreichen, um den § 34 StGB anzuwenden, wäre dem Faustrecht Tür und Tor geöffnet. Die heutige herrschende Rechtsphilosophie aber betrachtet es als fundamentalen zivilisatorischen Fortschritt: Die Ersetzung des Faustrechts durch das Gewaltmonopol des Staates.
Es soll jetzt nicht darum gehen, das Gewaltmonopol zu diskutieren, sondern darum, den Hintergrund der einzelnen Regelungen des Rechtfertigenden Notstandes zu verstehen, um dann auf dieser Basis damit agieren zu können – meinetwegen auch gerne gegen das Gewaltmonopol des Staates.
Nach herrschender Theorie und Rechtslehre steht das Gewaltmonopol über dem Recht und wird auch durch § 34 StGB nicht aufgehoben. Der Staat sichert dem Bürger den vollen Schutz gegen Gefahren zu und erwartet als Gegenleistung Rechtstreue.
Wenn ich angegriffen werde, darf ich nach dem Gesetz zurück schlagen (Notwehr). Steht aber ein Polizist daneben, muss ich es ihm überlassen. Aber nicht immer steht ein Polizist neben Dir, um Dich zu schützen – Wer will das schon? Damit also der Bürger nicht schutzlos ist, wenn staatliche Organe mal nicht zur Stelle sind, gibt es die Rechtfertigungsgründe des StGB.
Das ist eine Lesart, aber wohl die in der herrschenden Lehre verbreitetste.
Man kann es auch herleiten aus Rosseaus Gesellschaftsvertrag, in dem alle Mitglieder der Gesellschaft sich wie auch immer auf gemeinsame Regeln geeinigt haben. Auch dieses Modell braucht eine Regelung für den Fall, dass eine Notlage nur unter Missachtung des Gesetzes zu bewältigen ist.
Eine 3. Herleitung will ich noch erwähnen:
Wer eine Tat begeht (und wir sprechen von Straftaten), schädigt jemanden anderen. Unabhängig davon, ob wir aus christlicher, humanistischer, anarchistischer oder welcher Sicht auch immer argumentieren: Einem anderen Schaden zufügen, gilt immer als mindestens fragwürdig. Also bedarf es einer besonderen Begründung, wenn man es trotzdem tut:
1. eine Notlage
2. die Notlage ist nicht ohne Schaden für andere zu beseitigen! Beispiel Brennendes Haus: Ich darf nicht mit der Tür ins Haus fallen, wenn ein Fenster offen steht. Das ist die Erforderlichkeit.
Und ich kann mich nicht damit herausreden, dass ich das offene Fenster nicht gesehen habe. Ich muss zumindest mal die Augen aufmachen und mich umschauen! Das betrifft die Angemessenheit! Die beschreibt nämlich auch, welche Anstrengungen von mir verlangt werden können, bevor ich zur rechtswidrigen Tat schreite.
Es ist also zu prüfen:
1. Welche Mittel stünden grundsätzlich zur Verfügung?
2. Wie wirken sie und welche Erfolgsaussichten haben sie?
3. Welche Schäden verursachen sie und in welchem Verhältnis stehen diese Schäden zu den Schäden durch die Tat?


Tatbestandsmerkmal: "bei Abwägung der widerstreitenden Interessen (...) das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“


Es handelt sich hier um eine klassische Rechtsgüterabwägung.
  • Schwierig: Der monetäre Wert des geschützten Rechtsgutes und des verletzten Rechtsgutes. Die Abwägung selber ist eine Frage der Auslegung und daher einer Beweiserhebung nicht zugänglich.

Im Original: Weitere Definitionen und Kommentierungen
Aus Kindhäuser, Urs (2002): Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, Nomos in Baden-Baden (§ 34, Rd-Nr. 9-11)
c) Der rechtfertigende wie auch der entschuldigende Notstand sind jeweils Fälle, in denen zur Abwendung einer Gefahr in die Güter Dritter eingegriffen wird, allerdings mit einem erheblichen Unterschied:
- Dient der Gütereingriff zur Abwendung der Gefährdung eines erheblich höher zu bewertenden Interesses, so ist er rechtmäßig (§§ 34 StGB, 16 OWiG, 904 BGB); der unbeteiligte Dritte muss also die Beeinträchtigung seiner Güter zur Gefahrabwendung dulden.
- Ist dagegen die Güterbeeinträchtigung mangels erheblichen Übergewichts des gefährdeten Interesses nicht gerechtfertigt, so kann gleichwohl eine Strafbarkeit zu verneinen sein, wenn dem Handelnden die Hinnahme der eigenen Gefahr nicht zuzumuten ist. Die Tat ist dann entschuldigt (§ 35), jedoch nur in sehr engen Grenzen. Gefährdet sein müssen existentielle Güter (Leib, Leben, Freiheit) des Handelnden selbst oder ihm nahestehender Personen.

(§ 34, Rd-Nr. 29-34)
bb) Interessenabwägung: Das durch die Notstandshandlung geschützte Interesse muss das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen:
- Ausgangspunkt der Abwägung ist der abstrakte Wert. der den betroffenen Rechtsgütern in der Rechtsordnung zukommt; als Anhaltspunkt kann der Strafrahmen der einzelnen Delikte dienen.
- Sodann ist das Ausmaß der drohenden Schäden zu berücksichtigen: Bei quantifizierbaren Rechtsgütern (z.B. Gesundheit. Eigentum) fällt nicht nur ihre Qualität, sondern auch die Quantität der Verletzungen ins Gewicht. Dies gilt insbesondere bei der Kollision gleichwertiger Güter. Das Rechtsgut Leben ist dagegen nicht quantifizierbar (Rn. 36).
- Schließlich ist bei der Interessenabwägung der Grad der den Rechtsgütern drohenden Gefahren zu berücksichtigen; die Abwägung kann daher auch zugunsten eines geringerwertigen Gutes ausfallen, wenn das höherwertige Rechtsgut nur einer vergleichsweise minimalen Gefährdung ausgesetzt ist.


"Der rechtfertigende Notstand", Walter de Gruyter in Berlin (S. 129)
Die in § 34 StGB kodifizierte Notstandsregelung weist dem Begriff des Interesses und dem Vergleich der kollidierenden Interessen eine zentrale Rolle zu.

Aus der Infoseite zu rechtfertigender Notstand bei lexexakt.de
In die bei § 34 StGB zu prüfende Interessenabwägung sind alle schutzwürdigen Interessen einzubeziehen, die durch den Notstand und die Notstandshandlung berührt werden. Dazu gehören z.B. Art, Ursprung Intensität und Nähe der Gefahr, Art und Umfang der drohenden Werteinbußen, Rang- und Wertverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter, das Vorliegen besonderer Gefahrtragungspflichten oder Schutzpflichten und die Wahrscheinlichkeit eines Rettungserfolges (siehe Wessels, AT, Rn. 311). Die Abwägung entscheidet zugunsten des Täters, wenn sein Interesse das beeinträchtigte Interesse wesentlich Überwiegt. ...

juraforum.de
Im Gegensatz zur Notwehr muss beim Notstand das Interesse am Schutz des bedrohten Rechtsgutes das Interesse am beeinträchtigten wesentlich überwiegen (Interessenabwägung).

Lackner/Kühl, Kommentar zum StGB, RNr 6 zu § 34:
Das Abwägungsergebnis hängt von der Gesamtheit aller widerstreitenden Interesse und Gründe ab; namentlich der Rang der betroffenen Rechtsgüter, der Grad der ihnen drohenden Gefahren und das Bestehen besonderer Gefahrtragungspflichten.

Angeklagte Person muss über alles nachgedacht und andere Mittel geprüft haben (Beweisanträge dazu stellen!)
Aus einem Urteil des Bayr. OLG am 10.6.1953 RevReg 1 St 517/52, NJW 53, 1563)
Eine Tat lässt sich aus diesem Gesichtspunkt (gemeint: Rechtfertigender Notstand; Anm. jb) nur rechtfertigen, wenn der Täter gewissenhaft geprüft hat, ob ein Widerstreit rechtlich geschützter Güter nur durch Verletzung des einen Gutes gelöst werden kann.


Zusatz zum vorherigen Tatbestandsmerkmal: Grad der drohenden Gefahren

Tatbestandsmerkmal: angemessenes Mittel

Angemessen ist die Tat dann, wenn sie unter verschieden denkbaren, die mildeste noch Erfolg versprechende Handlungsweise ist. (Jura Selbsthilfe)
  • Was müsste bewiesen werden? Dass alle anderen in Frage kommenden Handlungsweisen
    - nicht erfolgversprechend
    - nicht möglich (z. B. weil Fähigkeiten oder Technik fehlte)
    - einen höheren Schaden verursacht hätten

Im Original: Weitere Definitionen und Kommentierungen
Aus Kindhäuser, Urs (2002): Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, Nomos in Baden-Baden (§ 34, Rd-Nr. 38)
Angemessenheit (S. 2): Nicht angemessen i.S. von § 34 S. 2 ist die Gefahrenabwehr insbesondere dann, wenn hierfür rechtlich geordnete Verfahren zur Verfügung stehen (vgl. Jakobs 13/36; Jescheck/Weigend § 33 IV 3 d; Joerden GA 1991, 411 [427]; Roxin AT I § 16/80 ff.). Exemplarisch: Ein Meineid (§ 154) ist ein unangemessenes Mittel zur Abwendung der Verurteilung eines Unschuldigen; im Rahmen eines Verfahrens dürfen allein prozessual zulässige Maßnahmen ergriffen werden.

Aus Michael Pawlik (2002): "Der rechtfertigende Notstand", Walter de Gruyter in Berlin (S. 246)
Im Rahmen der Angemessenheit müsse ... geprüft werden, ob das Ergebnis der Interessensabwägung "sachgemäß, billigenswert und im Interesse der Gerechtigkeit erlaubt" sei.

Aus der Infoseite zu rechtfertigender Notstand bei lexexakt.de
Bei der Angemessenheit des § 34 S. 2 StGB ist gemäß der Begründung des Gesetzgebers eine "sozialethische Gesamtwertung" vorzunehmen.

Kommentar aus juraforum.de
Nach § 32 S. 2 StGB muss die Notstandshandlung auch angemessen sein. Dadurch wird sichergestellt, dass die Handlung nicht gegen anerkannte Wertvorstellungen und Rechtsprinzipien verstößt.

Aus www.lawww.de zu Notwehr und Notstand:
Notstandshandlung
Die Notstandshandlung muß erforderlich sein (geeignetes und mildestes Mittel).
1. Interessenabwägung
Die Notstandshandlung ist dann nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, d. h. der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahr, das vom Täter geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
2. Angemessenheit
Es ist umstritten, ob die Angemessenheit unter einem gesonderten Prüfungspunkt zu behandeln ist. Auch in diesem Zusammenhang wird eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen vorgenommen. Vor allem sollen hier besondere Gefahrtragungspflichten berücksichtigt werden (z. B. Feuerwehrleute, Soldaten). Je nach Umfang der bei der Interessenabwägung vorgenommenen Prüfung kann sich eine gesonderte Angemessenheitsprüfung überflüssig sein.

Aus Wikipedia zu rechtfertigendem Notstand:
Angemessenheit der Notstandshandlung

Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 34 StGB ergibt, muss die Handlung zur Abwehr der Gefahr nicht nur geeignet, sondern auch angemessen sein. Angemessenheit setzt voraus, dass die Notstandshandlung eine möglichst geringe Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter als des verteidigten Rechtsgutes darstellt. Es darf kein milderes Mittel geben.
Verhältnismäßigkeit
Bei der Prüfung, ob eine Rechtfertigung wegen allgemeinen Notstandes vorliegt kommt es – im Gegensatz etwa zur Notwehr – ganz wesentlich darauf an, dass die Notstandshandlung auch verhältnismäßig war. Dies setzt voraus, dass bei einer Abwägung eines objektiven Dritten das durch die Notstandslage beeinträchtigte Rechtsgut erkennbar schwerer wiegt, als das durch die Notstandshandlung beeinträchtigte Rechtsgut. So wäre zum Beispiel bei einem schweren Krankheitsanfall, der das Leben des Kranken bedroht, ein Diebstahl des Medikamentes gerechtfertigt, wenn der Eigentümer - und sei es gegen ein angemessenes Entgelt - dieses nicht herausgeben will. DasRechtsgut Eigentum weicht insofern dem Rechtsgut Leben.


Tatbestandsmerkmal: Geeignetheit (zielführende Handlung)


Im Original: Weitere Definitionen und Kommentierungen
Aus Wikipedia zu rechtfertigendem Notstand:
Die Gefahr darf „nicht anders abwendbar“ sein als durch die Notstandshandlung. Diese muss objektiv erforderlich sein und subjektiv mit einem Rettungswillen vorgenommen werden. Ausgeschlossen sind damit zunächst alle Handlungen, durch die die drohende Beeinträchtigung des Rechtsgutes nicht abgewehrt werden kann.

Aus BGH StV 2003, 665 ff.
Außerdem muss der Verteidiger mit Gefahrabwendungswille handeln. Er muss die rechtfertigende Sachlage kennen und aufgrund der ihm dadurch verliehenen Befugnis handeln.Tötet ein Angehöriger heimtückisch handelnd einen äußerst gewalttätigen ‚Familientyrannen', von dem eine Dauergefahr (i. S. d. § 35 Abs. 1 StGB) für die Familienmitglieder ausgeht, so hat der Tatrichter grundsätzlich die weiteren Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes zu prüfen. Bei der Prüfung der anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr (§ 35 Abs. 1 StGB) ist regelmäßig vom Täter zu verlangen, dass er zunächst die Hilfe Dritter, namentlich staatlicher Stellen, in Anspruch nimmt. Für die Straffindung ist eine etwaige obligatorische Milderung nach § 35 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB der Milderung wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände beim Heimtücke (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB analog, gemäß BGHSt 30, 105) vorgreiflich.

Feldbefreiungen und -besetzungen sind wirksam
Aus "Monsanto: Stopp der Versuche mit Gen-Mais denkbar", in: Ruhr Nachrichten am 29. Juli 2008
Stellt der amerikanische Agrarkonzern Monsanto seine Gen-Mais-Versuche in Werne ein? Fast sieht es danach aus: Denn obwohl das Unternehmen nach eigenen Angaben noch drei bis vier Jahre in Schmintrup aktiv sein darf, lassen Sabotage-Akte von Gentechnik-Gegnern den Konzern zweifeln. Vermutlich mit einer Machete hatten Unbekannte das Maisfeld zerstört. Monsanto-Pressesprecher Dr. Andreas Thierfelder am Montag: „Wir werden erst nächstes Jahr kurz vor der Mais-Aussaat entscheiden, ob wir weitermachen.“

Aus: OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.06.2004 - 3 Ss 187/03, StV 2005, 273
Für das Erfordernis der Geeignetheit der Notstandshandlung reicht es aus, dass die erfolgreiche Abwendung des drohenden Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist. Die Frage, wie hoch die Erfolgswahrscheinlichkeit sein muss, um die Beeinträchtigung des Eingriffsguts zu rechtfertigen, ist im Rahmen der Interessenabwägung zu beantworten.

Insgesamt gibt es zu diesem Punkt die verwirrendsten, teils absurden, sich vor allem aber oft widersprechenden Feststellungen in Urteilen. So urteilte das Landgericht Gießen schon mehrfach, dass direkte Aktionen gegen große Probleme nicht geeignet sind, weil ausschließlich eine Weltregierung oder ein Weltzusammenschluss der Staaten noch etwas ändern könne - so zum Beispiel bei einer Verurteilung zum Thema Gentechnik und am 3.1.2023 in einem Urteil (Freispruch aus anderen Gründen) zum Klimaschutz. Eine solche Auffassung widerspricht jeder soziologischen Erkenntnis. Tatsächlich sind es fast immer symbolische, ausdrucksstarke und druckvolle Aktionen, die etwas in Gang schieben, was dann von politischen Institutionen irgendwann nachvollzogen und dadurch rechtswirksam gemacht wird.

Aus dem Urteil des Landgerichts Gießen vom 3.1.2023 (Az. 8 Ns 501 Js 14377/21)
Ein rechtfertigender Notstand liegt nur dann vor, wenn durch die deliktische Handlung eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für die in § 34 S. 1 StGB aufgeführten Rechtsgüter abgewendet werden soll. Abgesehen davon, dass die Baumbesetzung zur Blockade des Autobahnausbaus faktisch ungeeignet war (vgl. o.), hätte sie selbst im Falle einer Verhinderung des Ausbaus der A 49 keine nennenswerten Aus wirkungen auf den menschengemachten Klimawandel gehabt. Dieser kann nur durch koordiniertes Zusammenwirken der Bevölkerung (mindestens) ganzer Länder abgewendet werden, nicht aber durch punktuelles Verhindern einzelner Verkehrsprojekte.
Hinsichtlich der Verhinderung von Todesfällen im Straßenverkehr, die im Zuge eines künftigen Autobahnbetriebes zu besorgen wären, scheitert eine Anwendung von § 34 S. 1 StGB bereits daran, dass es sich hierbei nicht um eine gegenwärtige konkrete, sondern um eine in der ungewissen Zukunft liegende abstrakte Gefahr handelt. Zu deren Abwehr können die Notstandsvorschriften jedoch nicht herangezogen werden.

Fazit und Zusammenfassung

Weitere Voraussetzungen sind im Kommentar nicht benannt. Die genannten werden für ausreichent erklärt.

Im Original: Weitere Definitionen und Kommentierungen
Aus Kindhäuser, Urs (2002): Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, Nomos in Baden-Baden (§ 34, Rd-Nr. 54)
3. Prüfungsschema: Die Voraussetzungen des defensiven Notstands sind – gleichgültig ob nach § 34 oder § 228 BGB direkt oder anlog - in folgenden Schritten zu prüfen:
(1) Vorliegen einer Gefahr, die von einer Sache (oder einem nicht im Sinne der Notwehr angreifenden Menschen) ausgeht;
(2) Schädigung der Sache (oder des Menschen) zur Abwendung der Gefahr von sich oder einem anderen;
(3) Erforderlichkeit der Schädigung;
(4) die Schädigung steht nicht außer Verhältnis zur Gefahr;
(5) Kenntnis der Gefahr und ihrer Abwendung durch die Schädigung.


Aus AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 28. 4. 2004 - (284) 6 Op Js 2234/02 Ls (26/03), NStZ 2004, 281 f.
Nach § 34 StGB handelt nicht rechtwidrig, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für eines der dort genannten Rechtsgüter eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

§ 34 StGB muss umfassend geprüft werden, wenn Angeklagter sich darauf beruft
OLG Frankfurt hebt Urteil auf, weil § 34 StGB nicht geprüft wurde
Aus OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.10.1996 - 32/96, StV 1997 (78 f.)
Indes leidet das Urteil an dem sachlichen Mangel, daß die Frage, ob zu Gunsten des Angekl. von dem Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) ausgegangen werden könne, nicht geprüft wurde, obwohl sich dies nach den Urteilsfeststellungen aufdrängte. ...
Da das Urteil eine Auseinandersetzung mit der Frage des rechtfertigenden Notstandes insgesamt vermissen läßt und dies Auswirkungen auf den Schuldspruch haben kann, ist es mit den zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben. Ein Freispruch - wie der von der StA bei dem OLG Frankfurt/M. beantragt - im Durchgriff (§ 354 Abs. 1 StPO) kann angesichts des Umstands, daß die Voraussetzungen des § 34 StGB nicht ausreichend geklärt sind, nicht stattfinden. Weder lassen die Feststellungen des angefochtenen Urteils als einzig mögliches Ergebnis einer neuen Verhandlung die Annahme eines rechtfertigenden Notstands erwarten noch erscheint ausgeschlossen, daß in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen auch und insbes. zu Gunsten des Angekl., getroffen werden können. ...


Aus Hasso Lieber (2008): "Leitfaden für Schöffinnen und Schöffen", Kommunal- und Schulverlag in Wiesbaden (S. 52)
Hat der Täter den objektiven Tatbestand verwirklicht und vorsätzlich (ggf. fahrlässig) gehandelt, so wird vermutet, dass seine Handlung auch rechtswidrig war. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn der Täter Rechtfertigungsgrund wie etwa Handeln in Notwehr, die Einwilligung des Boxkampf) usw. für sein Handeln hatte. ... Der Grundsatz, im Zweifel immer das für den Angeklagten Günstigere gelten zu lassen, ist zunächst auf alle Umstände im Zusammenhang mit der Schuld (also der Frage, ob der Angeklagte die angeklagte Tat begangen hat und dafür verantwortlich ist) und der gegen ihn zu verhängenden Strafe anzuwenden. Das trifft ebenso auf das Fehlen von Entschuldigungs- und Rechtfertigungsgründen zu. ... Beruft sich der Angeklagte auf Ausnahmeregeln von einer Strafbarkeit (wie etwa Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe oder auf einen Rücktritt vom Versuch), muss das Gericht ihm nachweisen, dass diese Umstände nicht vorliegen. Ist das Gericht zu diesem Beweis nicht in der Lage, muss zu Gunsten des Angeklagten entschieden werden. Dies gilt auch für Umstände, die die Strafzumessung betreffen.

Beispiele bisheriger Anerkennung des § 34 StGB vor Gericht


Erfindung, Rettungsanker und Streitpunkt: Rechtswidrigkeit der Gefahr
Rechtswidrigkeit als neues Kriterium?
Eigentlich müsste vor Gericht geprüft werden, ob das Verhalten eines Angeklagten dem Paragraphen 34 entsprach. In Prozess wegen der Genfeldbefreiung 2006 in Gießen beriefen sich die Angeklagten auf den rechtfertigenden Notstand und zeigten in Einlassungen und Anträgen auf, dass alle Kriterien erfüllt waren. Aber – was passierte dann im Laufe des Prozesses? Ein Aus den Stichworten zum Plädoyer eines der Angeklagten:
  • An den ersten Tagen – wer kann sich noch erinnern – hatte die Staatsanwältin ein Lieblingsspiel: Sie frage mich ständig, was von den Gefahren, Schlampereien, Abweichungen von den Nebenbestimmungen und Rechtswidrigkeiten ich am Tag der Feldbefreiung schon kannte. Das Ergebnis ihres Fragens war ständig eindeutig: Im Großen und Ganzen war das Desaster dieses Versuchs schon damals klar – auch wenn bestimmte konkrete Skandale und Schlampereien wie das zweifache Totalversagen bei und nach der Ernte natürlich selbst PessimistInnen kaum klar sein konnte. An die StA: "Sie haben das erkennbar gefragt ... § 34 ..."
  • Am 3. Tag noch, ich kann mich auch daran genau erinnern, sagten Sie, Herr Nink (der Richter): "Wir hangeln uns an den Kriterien des § 34 entlang" ... ich bin auf dieser Basis geblieben, aber ...
  • Sie da vorne, die Sie HüterInnen des Rechts sein sollen, sind mittlerweile weit entfernt davon. Sie wollen von dem § und Ihrer Ankündigung am 3. Tag nichts mehr wissen. Und die StA interessierte nicht mehr, was am Tag der Feldbefreiung schon an Wissen über Gefahren und Rechtswidrigkeiten vorlag ... Die Kriterien des § 34 werden nicht mehr beachtet ... das haben wir schon amtlich, z.B. in mehreren Antragsablehnung
  • Und die StA? Im Plädoyer dazu nix mehr gesagt - kein Wort über die Lage am 2.6.2006
  • Haben Sie bemerkt, dass alle Kriterien des § 34 StGB zutreffen – und ein Freispruch deshalb passen und notwendig wäre?
  • Das aber wollten und wollen Sie nicht. Stattdessen: Erfindung eines neuen Kriteriums ... Rechtswidrigkeit ... so hieß es erst ... schon da formulierten Sie (der Richter): „Vielleicht will ich ja rechtsschöpfend werden“ ... damals ahnte ich nicht: Nicht nur dass, sondern die bestehenden Sachen außer Acht
  • Und als wir alles immer wieder belegen konnten, antworteten sie mit ständig steigernde Anforderungen. Inzwischen sind wir bei "offensichtliche Nichtigkeit" Ihre Idee der Rechtswidrigkeit, ja auch schon frei erfunden, war nämlich schnell erledigt, weil da in der Gentechnik so ziemlich alles rechtswidrig läuft ...

Selten benannt als Kriterium
  • Google: Kein Ergebnis bei Eingabe der Suchwörter "rechtfertigend Notstand nichtigkeit"

Außenseitermeinungen sind vorhanden

Professor Dr. Bernd Heinrich Stand: 1. Oktober 2008, Vorlesung Strafrecht – Allgemeiner Teil – Arbeitsblatt Nr. 15
Die Gefahr muss zudem rechtswidrig sein. Wie beim Notwehrrecht auch, darf eine Notstandshandlung dann nicht vorgenommen werden, wenn der Täter die Gefahr oder die Verletzung seiner Rechtsgüter hinzunehmen verpflichtet ist.

Als Nebenmeinung benannt in Michael Pawlik (2002): "Der rechtfertigende Notstand", Walter de Gruyter in Berlin
Hoyer verneint sie kategorisch. Erst eine Gefahrverursachung durch rechtswidriges (zumindest fahrlässiges) Verhalten des Rechtsgutinhabers lasse dessen Interessen als nur eingeschränkt schutzwürdig erscheinen. "Wer den Geboten der Rechtsordnung in vollem Umfang Genüge getan hat, verdient auch den vollen Schutz der Rechtsordnung".
Wichtig: In dieser Außenseitermeinung steckt selbst eine Einschränkung: Nur dann, wenn eine formal korrekte Sache (z.B. genehmigte Anlage) auch so besteht, wie vom Recht gedeckt, hat sie Bestandsschutz.

Offensichtliche Nichtigkeit
Dieses Kriterium erfanden Staatsanwaltschaft und Gericht in der Verhandlung um die Feldbefreiung 2006 in Gießen. Das einzige, was offensichtlich war, war der Grund dieser Rechtsverdrehung: Sowohl die Kriterien des § 34 StGB wie auch den Nachweis der Rechtswidrigkeit von Genehmigungsbescheid und konkretem Versuch konnten Angeklagte und Verteidigung glasklar erbringen. In der Rechtsprechung ist das daraufhin von den RobenträgerInnen erfundene Kriterium der offensichtlichen Nichtigkeit völlig unbekannt.

Im Original: Notstandsrecht gegen Staatsgewalt und -versagen
Aus Michael Pawlik (2002): "Der rechtfertigende Notstand", Walter de Gruyter in Berlin (S. 228 f.)
Die Notrechte schränken den staatlichen Rechtsschutzvorrang gerade in den besonders heiklen Fällen akut zugespitzter Konflikte ein. ... (S. 1)
Die Vorschriften über den rechtfertigenden Notstand stellen eine "begrenzte Ausnahme des Rechts von sich selbst" dar. ...
(S. 29)
Der rechtfertigende Notstand dient der "freihändigen" Schließung von Lücken, die sich aus der punktuell-zufälligen Abwesenheit von Repräsentanten des organisierten Staats ergeben. ...
(S. 184)
Die Freiheit, die der formelle Rechtsstaat immer gewährt, kann angesichts der Umstände des Einzelfalls gegenüber der Forderung nach realer, nicht nur auf dem Papier stehenden Freiheit als so defizitär erscheinen, daß ein einzelner Bürger diese Kluft unter Eingriff in die Rechtssphäre eines an sich "unschuldigen" Bürgers eigenmächtig schließen darf. Diese Voraussetzung ist freilich nur in seltenen Ausnahmefällen erfüllt. In aller Regel schließen die Regelungen der öffentlich organisierten Notbekämpfung des Recht zum privaten Tätigwerden aus. ...
(S. 220)
Die Pflicht zum Rechtsgehorsam, neben der allgemeinen Friedenspflicht die zweite "aprioriche Grundpflicht" des Bürgers, verlagt von diesem, den Burteilungs- und Regelungsprimat der staatlichen Amtsträger nicht mittels Notstands aus den Angeln zu heben.
Ähnlich wie unter 2. gilt freilich auch hier die Sperrwirkung insoweit nicht, wie das Tätigwerden des Bürgers keine Infragestellung des Kompetenzvorrangs der institutionalisierten Notbekämpfung bedeutuet, wie also, positiv gewendet, der Bürger als eine Art Geschäftsführer ohne Auftrag tätig wird. So legt es nach dem oben Ausgeführten dann, wenn angesichdts der Begrenztheit der öffentlichen Ressourcen in der konkreten SItuation keine praktikable Alternative zu der Zulassung privater Selbsthilfemaßnahmen besteht." ...
(S. 228 f.)
Im Buch werden keine Beispiele erörtert, wieweit das auch gilt, wenn ähnliche Gründe wie fehlende Unabhängigkeit, Bestechung, Seilschaften usw. zum Nicht-Handeln des Staates führen.

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