Gießen autofrei

RECHTFERTIGENDER NOTSTAND

Weitere Anwendungen?


1. Gesetzestexte und Kommentare zum § 34 Strafgesetzbuch (StGB)
2. Notstand im Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
3. Notstand im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)
4. Wann gilt der rechtfertigende Notstand (Kriterien)?
5. Wo wird der Rechtfertigende Notstand bisher akzeptiert?
6. Weitere Anwendungen?
7. Ähnliche Wirkung: Grundrechts-Rechtsgüterabwägung
8. Ähnliche Anwendungen in anderen Ländern
9. Links und Materialien

Gentechnik
In den meisten Prozessen rund um die Feldbefreiungen von "Gendreck weg!" prüften die RichterInnen den rechtfertigenden Notstand, verneinte aber bislang in allen Fällen die Frage, ob er im konkreten Fall zutreffend wäre. Skandalös war dagegen ein Prozess gegen zwei Feldbefreier in Gießen (26.8.-4.9.2008) - nicht nur wegen des spektakulär hohen Urteils. Richter Oehm verbot die Thematisierung des § 34 StGB und sogar jegliche Fragen zum beschädigten Genversuch bzw. zur Gentechnik. Um das sicherzustellen, schmiss er einen Angeklagten sogar aus dem Saal und verhandelte am Ende ohne Angeklagte und Verteidiger ...
  • Extra-Seite zum rechtfertigenden Notstand, den Tatbestandsmerkmalen und den spezifischen Anwendungsmöglichkeiten bei strafbaren Handlungen gegen die Gentechnik (z.B. Feldbefreiungen, Feldbesetzungen)

Kohle und Klima

Aus "RLP-Verfassungsrichter hält Proteste der Bewegung "Letzte Generation" für gerechtfertigt", auf: SWR am 24.11.2022
Der rheinland-pfälzische Verfassungsrechtler und Richter am Verfassungsgerichtshof, Michael Hassemer, erkennt im Klimawandel durchaus eine Notstandssituation, die sich in absehbarer Zeit noch verschärfen werde. Die Proteste hält er für gerechtfertigt. "Die Konsequenzen, die der Menschheit durch das Unterlassen von Klimaschutzmaßnahmen entstehen, sind jedenfalls so gravierend, dass Rechtsbeeinträchtigungen durch Protest bis zu einem gewissen Maß durch Notstand gerechtfertigt und darum hinzunehmen sind." ...
Hassemer betont gleichzeitig, jeder Fall müsse einzeln betrachtet werden. "Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung wird jeweils darauf zu achten sein, wie schwer der jeweilige, durch den Protest verursachte Rechtsgutseingriff ausfällt“, erklärt er. "Wenn man sich auf der Straße festklebt, geht ja erst mal nichts kaputt, und wir leben in einem Land der Falschparker und Rettungsgassenverweigerer."

Tierrechte
Aus der Presseinformation des OLG Naumburg zum Revisionsurteil am 22.2.018 (Az. 2 Rv 157/17)
Nach den Feststellungen des Landgerichts sind die drei Angeklagten Mitglieder einer Tierschutzorganisation. Aus einem Hinweis erfuhren die Angeklagten, dass in den Stallungen eines Tierzuchtunternehmens diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung vorliegen sollten. So seien insbesondere die Kastenstände für Schweine deutlich zu klein. Aus vorherigen Fällen verfügten die Angeklagten über die Erfahrung, dass eine Anzeige bei der zuständigen Behörde ohne dokumentierte Beweise nicht erfolgversprechend war. In den Nachtstunden des 29. Juni und des 11. Juli 2013 überstiegen jeweils zwei der Angeklagten die Umzäunung der Anlage und betraten über geöffnete Türen die Ställe, um dort Filmaufnahmen zu fertigen. Sie stellten Verstöße gegen die vorgeschriebenen Haltungsbedingungen fest und dokumentierten diese filmisch. Die Angeklagten handelten hierbei auf Grund ihres stark ausgeprägten Mitgefühls für Tiere mit dem Ziel, die zuständigen staatlichen Stellen dazu zu veranlassen, auf die Einhaltung der Tierschutzregeln hinzuwirken. In der Folgezeit legten sie das Filmmaterial den zuständigen Behörden vor und erstatteten Strafanzeige gegen die verantwortlichen Personen des Tierzuchtunternehmens. Im Zuge der hierdurch veranlassten behördlichen Kontrollen in den Stallungen wurden diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung festgestellt.
Das Amtsgericht Haldensleben hat die Angeklagten freigesprochen. Die dagegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Magdeburg verworfen. Allerdings hätten die Angeklagten den objektiven Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt, weil sie in das befriedete Besitztum des Tierzuchtunternehmens eingedrungen seien. Die Verletzung des Hausrechts sei jedoch unter anderem unter dem Gesichtspunkt des Notstandes gerechtfertigt gewesen.
Der 2. Strafsenat hat die Revision der Staatsanwaltschaft durch Urteil vom heutigen Tage als unbegründet verworfen. Der Senat hat die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung bestätigt, wonach rechtfertigender Notstand vorlag. Das Tierwohl stelle ein notstandsfähiges Rechtsgut dar, dem durch die von den Angeklagten dokumentierten Missstände dauerhafte Gefahr gedroht habe. Die Tat sei zur Abwendung der Gefahr erforderlich gewesen, weil mit einem Eingreifen der zuständigen Behörden nach den zuvor erzielten Erfahrungen nicht zu rechnen gewesen sei. Das von den Angeklagten geschützte Tierwohl sei im vorliegenden Fall deutlich höher zu bewerten als das verletzte Hausrecht. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Gefahr für das von den Angeklagten geschützte Tierwohl vom Inhaber des Hausrechtes ausgegangen war.
Die Freisprüche sind damit rechtskräftig.

In anderen Ländern
  • In Groß Britannien wurden Öko-AktivistInnen freigesprochen, weil ihnen ein rechtfertigender Notstand zugebilligt wurde.

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