Offener Raum

KURZNACHRICHTEN ZU REPRESSIONSTHEMEN

2013


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Dezember
Aufenthaltsverbote rechtswidrig
Wenige Tage vor der Großdemonstration “Wir haben Agrarindustrie satt”, während der am 31. August die Rothkötter-/Schlachtfabrik im niedersächischen Wietze (Landkreis Celle) mit Menschenketten eingekreist wurde, wurden mehrere halbjährigen Aufenthaltsverbote erteilt. Den Betroffenen wurde ausdrücklich untersagt, an der Großdemonstration teilzunehmen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg (Aktenzeichen: 6 B 40/13) erklärte das Aufenthaltsverbot nach einem dreimonatigen Eilklageverfahren für sowohl formell als auch “materiell” (inhaltlich) rechtswidrig. Formell rechtswidrig sei es, weil es vermeintlich um die Verhinderung von Straftaten ging, und somit die Polizei zuständig gewesen wäre. Materielle Rechtswidrigkeit stelle das Gericht zum einen fest, weil in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 GG nur auf Grundlage des Versammlungsgesetzes und nicht, wie hier, auf Grundlage des Polizeigesetzes eingegriffen werden darf. Zum anderen hätte das Verbot – selbst, wenn es an sich rechtmäßig gewesen wäre – viel zu lange gegolten. Genauere Informationen hier und hier.

Trauriges Jubiläum
Am 24.11.1933 führten die Nazis die Sicherungsverwahrung in das deutsche Strafrecht ein: Schon Kurt Tucholsky kämpfte in den 20'er Jahren gegen diese Maßregel („Die Weltbühne“ 1928, S. 839) erfolgreich. Aber die Nazis nahmen die SV ins Strafgesetzbuch auf. Das ist nun 80 Jahre her. Und so wie nach 1945 Juristen, Diplomaten, Wirtschaftsführer, Politiker und viele Nazis mehr, in Amt und Würden blieben (oder nach kurzer Zeit wieder kamen) überdauerte auch die SV alle Zeitläufe. Zwar ist heute nicht mehr die unmittelbare physische Vernichtung der ca. 500 männlichen und 3 weiblichen Sicherungsverwahrten angestrebt. Die Haftbedingungen sind, im Vergleich zur NS-Zeit, auch deutlich besser. Aber in der Verzweiflung dürften sich die heutigen Untergebrachten Seit' an Seit' mit jenen von damals fühlen, denn auch wenn viele akzeptieren, dass sie für das, was sie im Leben verbrochen haben, eine Strafe verbüßen müssen und bis zum letzten Tag verbüßt haben, danach weiter eingesperrt zu sein in einem Gefängnis - das zermürbt. Ein längerer Text von Thomas Meyer-Falk dazu steht auf Indymedia.

Prozessmarathon nach dem Klimacamp 2013
Einen ganzen Rattenschwanz an Gerichtsverfahren zieht das mehr als zweiwöchige Klimacamp mit Reclaim-the-fields-Aktionstagen im August/September 2013 bei Kerpen-Manheim nahe des Hambacher Braunkohletagebaus nach sich. Neben etlichen Strafverfahren wegen Hausfriedensbruch (z.B. gegen einen kompletten Workshop, der auf RWE-Gelände stattfand) wollen die Veranstalter_innen die versammlungsrechtlichen Einschränkungen vom Verwaltungsgericht überprüfen lassen. Klage und Klageerwiderung dokumentieren, wie hart die Fronten sind: Auf der einen Seite die mit dem Großkonzern RWE vielfach verflochtenen Verwaltungsstrukturen, auf der anderen Seite die Demonstrant_innen, die mit eigener Kraft dem Klimawandel und der Zerstörung der Region etwas entgegensetzen wollen – aber nicht dürfen. Skurril ist eine gegenseitig Strafanzeige zwischen einem Polizeiführer und einem Aktivisten. Letzterer hatte sich darüber geärgert, dass die Polizei von Festgenommenen Geld haben wollten, sonst würden sie nicht freigelassen. Der Aktivist bezeichnete dies als Erpressung – und kassierte dafür jetzt eine Gegenanzeige wegen Beleidigung. Es wird also zwei Gerichtsprozesse geben, bei denen die beiden je einmal auf der Anklagebank und einem als Zeuge dabei sind. Es sei denn, wie es bei Justiz üblich ist, dass das Verfahren gegen den Polizeiführer einfach nicht stattfindet. Ein Überblick über alle Verfahren mit Links auf die Dokumente findet sich unter www.projektwerkstatt.de/kohle.

Vier Tierbefreiungsaktivist_innen aus Prozess geworden und dann verurteilt
Am Donnerstag, den 24.10.2013, fand der Prozess gegen vier mutmaßliche Schlachtfabrikblockierer_innen am Amtsgericht Straubing statt. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, sich an einer Blo-ckade der Wiesenhofschlachtfabrik bei Bogen am 9. März diesen Jahres beteiligt zu haben, indem sie sich an mehrere Betonfässer ketteten. Die Anklagepunkte lauten Hausfriedensbruch, Nötigung und Körperverletzung.
Das Rechtssystem versucht Missstände, wie tagtägliche Ausbeutung und Tötung von Tieren, und legitime Proteste dagegen durch ein Gerichtsverfahren zu kriminalisieren. Während dieses Prozesses zeigte die Justiz zudem, wie sie mit Leuten umzugehen gedenkt, die sich nicht unterwürfig verhalten. Das von den Robenträger_innen selbst hochgehaltene Recht missachteten sie dabei. Denn als eine Angeklagte wider der richterlichen Untersagung, aber rechtmäßig das Wort ergriff, um einen Befangenheitsantrag zu stellen, eskalierte die Situation im Saal. Der Richter ließ den gesamten Zuschauerraum und die Angeklagten polizeilich räumen. Die vier Angeklagten und ein Zuschauer wurden in Ordnungshaft gebracht. „Wir wurden von den Polizist/innen misshandelt, sie haben uns die Handgelenke verdreht, an den Haaren gezogen und uns mit Schmerzgriffen in die Zelle gebracht. Dort wurden wir vor männlichen Polizisten untersucht. Ich habe Schmerzen und bin mit den Nerven am Ende. Ich fühlte mich nicht mehr verhandlungsfähig“ , berichtete eine ange-klagte Aktivistin später. Trotzdem wurde die Verhandlung nun unter Ausschluss der Angeklagten und der Zuschauer_innen fortgesetzt. Nach 90 Minuten wurden die Beschuldigten wieder in den Gerichtssaal geführt und versuchten erneut, Einspruch gegen das richterliche Verhalten zu erhe-ben. Die Reaktion bestand darin, nach kurzer Zeit eine erneute Ordnungshaft gegen die Angeklag-ten zu verhängen. Die Beweisaufnahme fand demnach in Abwesenheit der Angeklagten statt. Diese hatten weder Möglichkeit sich selbst zur Sache zu äußern, noch die geladenen Zeug_innen zu befragen. Erst nach dem Prozessende wurden die Inhaftierten wieder frei gelassen. Das Gerichts-urteil erfuhren sie von Pressevertreter_innen, die den Prozess bis zum Ende verfolgt hatten. Von Seiten des Gerichts wurde ihnen die Auskunft darüber verwehrt.

Empfehlung: Günstige Gesetzessammlungen
Bei der Bundeszentrale für politische Bildung kann für 4,50 € eine Sammlung von Grundgesetz, Staatsverträgen, europäischen Rahmengesetzen, Partei- und Wahlgesetzen plus einem umfangreichen Stichwortverzeichnis bezogen werden. Sie erschien 2012 unter dem Titel „Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland“ und umfasst satte 527 S. Das dicke Buch ist auf www.bpd.de zu finden und bestellbar.

Was Polizist_innen so lernen …
Rechtsbrüche und Willkür durch Polizeibeamt_innen sind oft durch eine Ausbildung bedingt, in der fast uneingeschränkte Machtbefugnisse suggeriert werden. Davon zeugen auch die entsprechenden Schulungsbücher, z.B. die Reihe „Kompendium für Studium, Praxis und Fortbildung“ aus dem Nomos-Verlag in Baden-Baden. So bietet zum Beispiel das Werk „Polizei- und Ordnungsrecht Hessen“ (Autoren: Lothar Mühl/Rainer Leggereit/Winfried Hausmann, 4. Auflage 2013, 237 S., 26 €) zwar eine übersichtliche und komprimierte Darstellung der Eingriffsmöglichkeiten von Ordnungsbehörden nach dem allgemeinen Polizeirecht (in Hessen vor allem: HSOG) bzw. zur Gefahrenabwehr. Es schildert, illustriert mit Beispielen, die praktischen Fälle des Handelns von Polizei und anderen Ordnungsbehörden, vermittelt aber zu weite Handlungsbefugnisse. Zudem sind die gesetzlichen Grundlagen zwar meist genannt, leider aber nur selten zitiert. Für den Lesefluss wäre es mitunter besser, der Paragraph stände ausformuliert im Text (Internetseite zum Thema).

November
Beleidigung von Polizei gibt nicht gleich auch noch Schmerzensgeld
Wer Polizist_innen duzt oder beschimpft, hat meist ein Verfahren am Hals und wenig Chancen auf Freispruch. Denn die Schergen der Macht schützen sich gegenseitig. Umgekehrt ist es, wenn Polizei prügelt oder beleidigt. Das ist eher Alltag, geführt aber so gut wie nie überhaupt zu einer Anklage. Nun hat ein Gericht wenigstens festgestellt, das beim Beschimpfen von Polizist_innen nicht auch noch ein Schmerzensgeld oben drauf kommt. Angesichts der hohen Zahl ausgedachter Vorwürfe durch Uniformierte wäre das sonst ein einfacher Zusatzverdienst gewesen. Auf einer Internetseite wird das Urteil beschrieben: „Wird ein Polizeibeamter mit Kraftausdrücken beschimpft, so rechtfertigt dies regelmäßig keine Zahlung von Schmerzensgeld. Denn Voraussetzung für eine Geldentschädigung ist eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies ist bei Ausdrücken wie "Scheiß Bullenschwein" oder "dummes Arschloch" nicht der Fall. Das Landgericht Oldenburg entschied gegen den Polizeibeamten. Ihm habe kein Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 823 BGB zugestanden. Zwar habe ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 und 2 GG) vorgelegen. Die Verletzung dieses Rechts begründe jedoch nur dann eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise ausgeglichen werden kann.“

Sicherungsverwahrte protestieren!
„Acht Sicherungsverwahrte in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rosdorf bei Göttingen sind nach eigenen Angaben in den Hungerstreik getreten. ... Sie protestieren damit gegen angebliche Mißstände bei der Unterbringung und der Versorgung.“ So schrieb es die Junge Welt am 22.10.2013 (S. 4). Was dort als Grund benannt wurde, scheint auch andernorts zuzutreffen. So sitzen in der JVA Freiburg rund 55 männliche Sicherungsverwahrte. Angesichts der schon länger bekannten Mängel (siehe unter anderem archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/09/348487.shtml) regt sich weiter Unmut unter ihnen. Einige Vorfälle der jüngsten Zeit listete der dort inhaftierte Thomas Meyer-Falk auf.

Aktionen für und Repression gegen Flüchtlinge
Der Kampf um Bleiberechte für Flüchtlinge, um offene Grenzen für Menschen statt für immer mehr Kapitalverkehr sowie um ein Ende der weltweiten Ausbeutungs- und Eroberungspolitik als Grund, dass Menschen ihre Dörfer und Städte verlassen, nimmt weiter zu. In etlichen Städten prägen Demonstrationen, Besetzungen und direkte Aktionen die politische Debatte. In Hamburg wurden die scharfen Kontrollen gegen Flüchtlinge, die auf oder vor Lampedusa strandeten, zum Auslöser. In einem offenen Brief an den Bürgermeister heißt es: "Seit Frühjahr 2013 leben in Hamburg etwa 300 afrikanische Flüchtlinge, die dem libyschen Bürgerkrieg und dessen Eskalation durch die militärische Intervention der NATO entkommen konnten und dann über Lampedusa nach Italien gelangten. Diese Menschen (in der Mehrheit Männer) waren Arbeitsmigranten in Libyen, wo sie ihren Lebensunterhalt verdienten und Geld nach Hause an ihre Familien oder communities schickten. Als das EU-Programm für Geflüchtete aus dem Libyenkrieg endete, wurden sie auf die Straße gesetzt. Sie bekamen alle eine Anerkennung als Flüchtlinge, aber ihre Papiere erlauben ihnen nur in Italien, zu arbeiten und sich niederzulassen. Wegen der wirtschaftlichen Krise und der fehlenden Unterstützung von Seiten der italienischen Behörden waren sie nicht in der Lage, in Italien ein selbstbestimmtes Leben zu führen und kamen nach Hamburg, um hier ihr Leben wieder aufzubauen, ähnlich wie es andere in verschiedenen europäischen Ländern versuchen. Aber hier werden sie behandelt als hätten sie keine Rechte." (lampedusa-in-hamburg.siehe.website) Zu einer antirassistischen Demonstration am 24.10.2013 gingen nach dem St. Pauli-Heimspiel mehr als 10 000 Menschen auf die Straße, darunter Refugees, antirassistische Gruppen, Autonome, Stadtteilinitiativen, Anwohner_innen und Fans des FC St. Pauli. Es war ein starkes Signal, dass die Proteste nach zwei Wochen mit vor allem spontanen Demonstrationen sich noch weiter steigern könnten (mehr).

Polizeifunk und Mithörmöglichkeiten
Es gibt unterschiedlichste Situationen in denen ein Mensch die Informationen aus dem Polizeifunk benötigt, z.B. für gut geplante Aktionen oder während dieser. Eine Anleitung wurde hier veröffentlicht, die aus verschiedenen Auszügen diverser Webseiten besteht.

Debatte um Zwangspsychiatrie
Gustl Mollath ist nicht nur eine Person, der übel mitgespielt wurde. Der Name ist auch ein Symbol für eine besonders weitgehende Form der Freiheitsentziehung und Bevormundung: Ein Mensch wird im Zusammenspiel medizinischen Orakelns und richterlicher Allmachtsphantasie einfach weggesperrt, eventuell noch fixiert, auch gegen den Willen mit Medikamenten vollgepumpt und völlig ohne feste Perspektive auf Entlassung aus dem bisherigen Leben gerissen. So hilfreich freiwillige Hilfsstationen sein können für Menschen, die psychische Probleme haben, so autoritär ist die Zwangspsychiatrisierung. Ein Prozess in Gießen gegen den Fraktionschef der Linken im Gießener Kreistag zeigte im Oktober und November 2013 erneut, wie stark Willkür und Demütigung in der Zwangspsychiatrie reichen. Um Kritik zu verhindern, verhängte die Vitos-Klinik Gießen eine Kontaktsperre nach außen und schottete den Gefangenen damit von Besuchen ab. Als Grund wurde u.a. ein Text in der Jungen Welt benannt. Selbst die Person, die eine Vorsorgevollmacht vorweisen konnte und mit dieser vor Gericht auch bereits akzeptiert war, wurde zunächst nicht auf das Gelände gelassen. Stattdessen wurde gegen sie ein Hausverbot erlassen. Erkennbar war, dass es hier um die Durchsetzung psychiatrischer Definitionsmacht ging.

Passendes Buch von Roland Schleiffer: Das System der Abweichungen
Trotz Ausblendung einer grundlegenden Kritik an Psychiatrie und der Definition von "Krank" und "Gesund" dürfte das Buch einen spannenden Beitrag zur Frage bieten, welche Kriterien bei der Beurteilung vermeintlich "kranker" Menschen herangezogen werden sollten. Der Autor versucht (sprachlich oft etwas umständlich), die Systemtheorie von Niklas Luhmann für die Psychopathologie nutzbar zu machen. Doch schon im Versuch wird spürbar, dass gerade dieser Blickwinkel die Frage hätte erweitern müssen. Denn systemtheoretisch steht die Einteilung in normal und nicht normal im Zentrum gesellschaftlicher Diskurse. Abweichung ist Voraussetzung für die Schaffung von Standards des Lebens, des Denkens, für richtig und falsch. Systemtheorie hat das zu entlarven statt zu den ideologisch aufgeladenen Einteilungen auch noch selbst beizutragen. Insofern ist das Buch eine verkürzte Kritik an den Verhältnissen in der Psychopathologie. (2012, Carl Auer in Heidelberg, 266 S., 34 €)

Oktober
Zur Lage der Sicherungsverwahrten
Im langen Streit verschiedener Gerichte um die Frage, ob bzw. wie Menschen eingesperrt werden dürfen, die ihre Strafe abgesessen und damit freigelassen werden müssten, die der Staat aber nicht freilassen will, kann nun in ersten Fällen in der Praxis geschaut werden, wozu das geführt hat. Als eine Art 'Kompromiss' - für die Betroffenen sicherlich ein hämisches Wort - hatte das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass Sicherungsverwahrung im Prinzip weiter möglich bleiben soll, die Betroffenen aber besser gestellt werden müssen als andere Inhaftierte. In der Folge rückten Bagger, Kräne und BauarbeiterInnen an, um die Vorgabe umzusetzen. Eine erste Bilanz zieht nun der in einer solchen Einrichtung einsitzende Thomas Meyer-Falk. Unter anderem schreibt er zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, kurz BVerfG bezüglich der Sicherungsverwahrung (SV) : „Das BVerfG forderte mit Urteil vom 4. Mai 2011, unter Hinweis auf eine vorangegangene Entscheidung aus dem Jahr 2004, die Justizbehörden auf, den Vollzug der SV 'in deutlichem Abstand zum Strafvollzug' zu gestalten, d.h. die Verwahrten auch im Vollzugsalltag zu privilegieren. Dies deshalb, weil diese nicht (mehr) zur Strafe festgehalten würden, sondern ein 'Sonderopfer', so das Gericht, brächten, ihnen die Freiheit aus rein präventiven Gründen entzogen würde.“
Wie steht es nun in der Praxis um dieses 'Besserstellungsgebot'? Bei nüchterner Betrachtung ähnelt der Vollzugsalltag dem im Strafvollzug auf verblüffende Weise. Die Verwahrten in der JVA Freiburg können bislang keine echte Besserstellung erkennen, sondern vielmehr eine Gleichstellung und in vielen Punkten sogar eine Schlechterstellung gegenüber dem Strafvollzug. Wobei das in Teilen auch ein spezifisch baden-württembergisches Problem sein mag, da sich hier die Grün/Rot geführte Landesregierung weigerte, für den Bereich der Sicherungsverwahrung ein eigenes Haftgebäude neu zu bauen. Das Ministerium widmete kurzerhand durch Federstrich eine Untersuchungshaftanstalt zur Sicherungsverwahrungsanstalt um.
Während beispielsweise in Niedersachsen vorbildlich die Hafträume der Verwahrten 20 Quadratmeter groß gebaut wurden, mit integrierter Dusche, Herd, Kühlschrank und Computer, nebst Telefon, sucht man all das in Freiburg vergeblich. Hier erschöpft sich im Wesentlichen die 'Besserstellung' in der Erlaubnis private Oberbekleidung zu tragen und die Zellen sind ein paar Stunden mehr auf als im angegliederten Strafhaftbereich.
Und selbst Letzteres ist nicht immer gewährleistet. So werden die Verwahrten der 'Individualstation' nach Willen des juristischen Leiters, Oberregierungsrat R. abends früher weggeschlossen als alle anderen Verwahrten, also jene, die auf den drei Therapiestationen brav mitarbeiten, ja sogar früher als die Strafgefangenen im „Wohngruppenvollzug“ besagter Hauptanstalt, sobald ein Wärter 'ausfällt', z.B. weil er einen ins Krankenhaus verbrachten Verwahrten zu bewachen hat. Andernfalls, so ORR R., könnten unkontrollierbare Zustände auf der Individualstation einkehren, bis hin zu Ausbruchsversuchen. Den Strafgefangenen im Haupthaus, so R. weiter, sei es nicht zumutbar, dass sie ihrerseits früher weggeschlossen würden, um hierdurch frei werdendes Personal in die SV-Abteilung umsetzen zu können. So entleert die Anstalt im Alltag das Besserstellungsgebot zur Lachnummer.“

Kreative Plakataktion gegen Repression
Nach verschiedenen Räumungen besetzter Häuser im grün-schwarz regierten Frankfurt, tauchten während des Bundestagswahlkampfes im Nordend, der Hochburg der Frankfurter Grünen, die grünentypisch duzenden Plakate, diesmal aber mit dem Slogan „WIR RÄUMEN BESETZE HÄUSER!“ auf. Rechts unten war der obligatorische Zusatz der aktuellen Grünen-Wahl-Kampagne „UND DU?“ zu lesen. Auf dem Plakatfoto stand einer der zivil gekleideten, mit Teleskopschlagstöcken bewaffneten Schläger der Frankfurter Polizei, die am 7. September ohne Vorwarnung die Besetzer_innen der Krifteler Straße 84/86 überfallen hatten. Ein längerer Bericht und ein Foto des Plakates sind hier zu finden.

EU will mehr Stress für "reisende Gewalttäter"
Fußballfans und Gipfeldemonstrant_innen bekommen es mit einer neuen EU-Institution zu tun: Die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit soll durch einen „Europäischen Koordinator für Großereignisse“ verbessert werden. So jedenfalls steht es in der Beschreibung des EU-Forschungsprojekts THE HOUSE, das innerhalb des 7. EU-Forschungsrahmenprogramm eingerichtet wurde. Das Vorhaben endet im Februar 2014, dann sollen Ergebnisse präsentiert werden. Beteiligt sind die Innenministerien nahezu aller 27 EU-Mitgliedstaaten, Deutschland wird durch die Hochschule der Polizei in Münster repräsentiert. Die Aufsicht obliegt dem italienischen Ableger des UN-Instituts UNICRI, das die internationale Zusammenarbeit zu allerlei Erscheinungsformen von Kriminalität und Terrorismus fördern will (mehr).

Hausdurchsuchungen nach Blockupy-Soli
Am 24.9.2013 kam es in Rostock und Greifswald zu Hausdurchsuchungen in der linken Szene. Mehrere Privatwohnungen und ein Geschäftsraum wurden von Polizist_innen durchkämmt, auch in Berlin gab es eine Durchsuchung. Offenbar geht es um Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Spontandemonstration in der Rostocker Innenstadt, bei der im Juni Sachschaden an Schaufenstern und Banken entstand. Bei der Demonstration handelte es sich um eine Solidaritätsbekundung mit der am Wochenende davor von der Polizei brutal aufgelösten Blockupy-Demonstration in Frankfurt/Main. Die Ortsgruppen Greifswald und Rostock der Rechtshilfeorganisation Rote Hilfe kritisierten die zum Teil massiven Rechtsverstöße bei den Durchsuchungen durch die Polizei (mehr).

Aktuelle Buchempfehlung zu den Befugnissen der Polizei
Das in der Reihe „Kompendium für Studium, Praxis und Fortbildung“ erschienene Werk bietet eine äußerst komprimierte Darstellung der Eingriffsmöglichkeiten von Ordnungsbehörden nach dem allgemeinen Polizeirecht, in Hessen vor allem: HSOG-Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, bzw. zur Gefahrenabwehr. Es schildert, illustriert mit Beispielen, die praktischen Fälle des Handelns von Polizei und anderen Ordnungsbehörden. Die gesetzlichen Grundlagen sind dabei genannt, leider aber meist nicht zitiert. Für den Lesefluss wäre es mitunter besser, der Paragraph stände ausformuliert im Text.
Lothar Mühl/Rainer Leggereit/Winfried Hausmann: Polizei- und Ordnungsrecht Hessen; 4. Auflage 2013, Nomos in Baden-Baden, 237 S., 26 €

Juni bis September
KREATIVE ANTIREPRESSION PRAKTISCH
Zwei Wochen Demonstrieren erlaubt – aber bitte ohne Schlafen

Eine absurde Auseinandersetzung um die Möglichkeiten und Grenzen des Versammlungsrecht fand rund um das Klimacamp in Manheim (Stadt Kerpen) statt.
Die Verwaltungsklage von Klimacamporganisator_innen beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Auflagen für das Klimacamp/RtF-Camp von der Kreispolizeibehörde Rhein-Erft-Kreis wurde abgelehnt. Die Kreispolizeibehörde hatte die versammlungsrechtliche Anmeldung der Camps genehmigt, jedoch es verboten, dass „Infrastruktur in Form von Übernachtungsmöglichkeiten und Verpflegungsstellen“ eingerichtet werden (mehr). Das Klimacamp reagierte offensiv: „Die Entscheidung der Kerpener Polizei und des Verwaltungsgerichts Köln, keine Infrastruktur zur Versorgung und keine Zelte zum schlafen aufstellen zu dürfen, ist eine nicht hin zu nehmende Anmaßung, unser Rechts auf Meinungsfreiheit, Versammlung und Organisierung einzuschränken. Solchen Verboten, müssen wir uns solidarisch und entschlossen entgegen stellen.“ (mehr).

Sieg für Laienverteidigerinnen in Potsdam
Wegen drei verschiedenen Kletteraktionen aus den Jahren 2007 und 2008 bekam eine Aktivistin Bußgeldbescheide über insgesamt 700 Euro. Da es sich bei den Vorwürfen um Verstöße gegen die EBO (Eisanbahn-Bau- und Betriebsordnung) handelte, landete das Verfahren in Potsdam vor Gericht. Während gegen einen Mitbetroffenen bei einer anderen Richterin alle Verfahren eingestellt wurden, endete der Prozess gegen die Aktivsitin mit einer Verurteilung zu 200 Euro durch Richterin Ahle. Der dagegen von ihrer Laienverteidigerin, ebenfalls einer Aktivistin, eingelegte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde führte nun zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens – ein gutes Beispiel, dass auch Mittel der Selbstermächtigung schlagkräftig sein können. Weitere Informationen zu diesem und anderen in Potsdam angesiedelten Bußgeldverfahren finden sich unter nirgendwo.info/potsdam.

Ladung einer Abkürzung
Im Strafprozess gegen zwei Anti-Atom-Aktivist_innen, die 2012 durch eine Ankettaktion im Münsterland einen Urantransport für mehrere Stunden aufgehalten hatten, begann der erste Verhandlungstag mit einer Auseinandersetzung um die Existenz eines Zeugen. Der Richter hatte es sich einfach gemacht und die von der Staatsanwaltschaft im Strafbefehl aufgeführten Zeugen einfach übernommen und zum Termin geladen. Dabei übersah er, dass es sich bei TMÖL Kraft mitnichten um eine Person handelt, sonder schlicht um eine Abkürzung für „Technische Maßnahmen Öffnen und Lösen“. Statt den Hinweis auf diesen peinlichen Fehler einfach zu übergehen, manövrierte sich der sichtlich überforderte Richter in ein skurriles Konstrukt von Behauptungen und beharrte darauf, er habe den Fehler zwar selbstverständlich sofort bemerkt, jedoch die Abkürzung dennoch geladen. Möglicherweise lag es an vielen Fehlern wie diesem, dass der Prozess wegen „Störung öffentlicher Betriebe“ nach wenigen Stunden erstmal ausgesetzt wurde (weitere Infos).

Einstellungen
Erstmals werden FeldbefreierInnen, die eine militante Aktion gegen ein Genversuchsfeld starteten, ohne Verurteilung bleiben. Die drei von sechs AktivistInnen, die 2008 den gv-Weizen in Gatersleben zerstörten und nach dem erstinstanzlichen Schuldspruch in Berufung und dann Revision gingen, haben nach ihrem Revisionserfolg beim OLG Naumburg nun ein Einstellungsangebot auf Staatskosten erhalten - und angenommen. Es ist ein Triumph einer klaren Kritik an den dubiosen Forschungsfeldern der Agrogentechnik und einer offensiven Prozessführung (Bericht).
Fast vier Jahre nach einer Protestaktion gegen Gentechnik ging am Dienstag, 25. Juni das Amtsgericht Tiergarten ein langwieriger Prozess zuende. Einer Gentechnikgegnerin war vorgeworfen worden, sich widerrechtlich auf dem Gelände des Julius-Kühn-Instituts (JKI) in Berlin-Dahlem aufgehalten zu haben. Im Rahmen von Aktionstagen im Sommer 2009 war vor dem Institut gegen dessen Rolle bei der Genehmigung von Gentechnik-Freisetzungen protestiert worden. Das Verfahren wurde am Dienstag gegen Auflage eingestellt (mehr).
Sogar mit einem Freispruch endete ein Prozess gegen einen Tierbefreier. Dem Tierbefreiungsaktivisten Karl-C. wurde vorgeworfen, am 23.5.2012 mit anderen Aktivist_innen eine sogenannte Anhörung zum geplanten Neubau von zwei Mastanlagen im Kreis Celle „gestört“ und der Aufforderungen den Saal zu verlassen nicht Folge geleistet zu haben. Richterin Precht vom Amtsgericht Celle verurteilte ihn zu 20 Tagessätzen. Gegen dieses Urteil legte Karl-C. Und die Staatsanwaltschaft Berufung ein. So das die selbe Verhandlung vor dem Landgericht in Lüneburg nochmal verhandelt wurde. Hier kam es zu einem Freispruch. Der Bericht zählt weitere Fälle auf, wie durch offensive Prozessführung Repression abgewehrt werden konnte.

JUSTIZ/POLIZEI GEGEN POLITAKTIVISTiNNEN (und umgekehrt)
Gelderpressung durch die Polizei?

Im Kölner Raum passiert es immer wieder: Polizei greift Menschen in der Landschaft ab und verlangt von ihnen Geld, sonst würden sie nicht mehr freigelassen. Es ist also eine Art erpresstes Geld, um sich freizukaufen. Diese Praxis ist im Kölner Raum nicht neu und wird leider auch von einigen "linken" Rechtshilfestrukturen unterstützt. Wie letztes Jahr beim Klimacamp setzte das Legal Team dem illegalen Treiben ein Ende: Unter Drohung weiterer Schritte ließ die Polizei alle ohne sogenannte Kaution frei.
Inzwischen ist Strafanzeige wegen räuberischer Erpressung und Bildung krimineller Vereinigung gestellt worden, weil das rechtsgrundlagenlose Einfordern von "Lösegeld" für die Polizei im Raum Köln eher typisch ist (Bericht).

Riesiges Polizeiaufgebot schützt Schlachtfabrik
Am 9. Juli 2013 wurden ca. 30 Personen auf dem Weg zu einer Protestaktion vor der Rothkötter-Schlachtfabrik in Wietze von der Polizei von 6 bis 10 Uhr festgehalten und durchsucht. Dabei stellten sie Transparente und Blockademittel sicher. Polizei und Staatsschutz hatten einen drei Hundertschaften umfassenden Großeinsatz eingeleitet, welcher mögliche Blockaden oder ähnliches unterbinden sollte. Die geplante Aktion ist im Vorfeld aufgeflogen, da dieser offensichtlich massive Überwachungsmaßnahmen der Polizeibehörden vorausgegangen waren. „Die Polizei zeigte mit ihrem Vorgehen, wie viel Aufwand es bedarf, um eine kleine Zahl motivierter Aktivist_innen von ihrem Vorhaben abzuhalten. Dies zeigt auch, wie viele Ressourcen in dieser Gesellschaft bereitgestellt werden, um einen Ausbeutungsbetrieb am Laufen zu halten“, so Arthur, einer der Beteiligten (Bericht).

Blockupy
Sieben Thesen hat die autonome antifa [f] zum Verlauf der Blockupy-Aktionstage 2013 und zur Frage, wie es jetzt weiter gehen könnte, veröffentlicht.

STAATSMACHT IM ALLTAG
Ob CDU oder SPD: Überall ist „mehr Polizei“ drin!

Mit der Bundestagswahl wurde in Hessen auch der Landtag gewählt. Ob das für seine rabiaten Polizeimethoden schon bekannte Bundesland in Hinblick auf autoritäre Praktiken Auswirkungen haben würde, ist eher unwahrscheinlich. Denn während die CDU unter Volker Bouffier die Fortsetzung der obrigkeitsstaatlichen Linie ankündigt, kritisierte seine rote Konkurrenz eine „miserable Bilanz auch bei der inneren Sicherheit“ und plakatierte Sprüche wie „1000 Polizisten fehlen in Hessen“. Eine Übersicht, dass solche Orientierungen für die SPD nicht neu sind, findet sich hier.

KNAST UND STRAFE
Thomas Meyer-Falk in Sicherungsverwahrung „angekommen“

Der politisch aktive Gefangene Thomas Meyer-Falk, der schon seit 1998 in der JVA Bruchsal einsaß, wurde am 8. Juli 2013 in die JVA Freiburg verlegt, um dort die Sicherungsverwahrung zu verbüßen. Damit hat er keine gesicherte Perspektive mehr, jemals frei zu kommen. Sicherungsverwahrung ist ein Instrument, Menschen festzuhalten, ohne dass dieses als Strafe gilt. Der Staat definiert dann, dass eine trotzdem nicht frei rumlaufen darf.

Innenansichten der Isolationshaft
18 Jahre saß Peter Wegener in Isolationshaft. Jetzt wurde sie aufgehoben. Thomas Meyer-Falk schrieb einen Bericht, wie solche Haftbedingungen aussehen: „Peter … durfte anfangs die Zelle nur gefesselt verlassen … Die Zellenausstattung spartanisch zu nennen, wäre noch geschmeichelt. Dazu das entwürdigende Prozedere sich vor Verlassen der Zelle nackt ausziehen zu müssen, um andere Kleidung anzuziehen; wie dann auch vor Rückkehr in die Zelle: das Ganze nochmal. Wenn er also mal in den Hof wollte für seine Stunde Spaziergang im Käfig oder er Besuch bekam, hieß das stets: mehrfach nackt ausziehen.“ Der ganze Text hier.

Umfangreicher Hungerstreiks in Gefängnissen
In den Knästen in Kalifornien findet seit einiger Zeit der 3. Massenhafte Hungerstreik binnen 2 Jahren statt. Ziel sind bessere Haftbedingungen, insbesondere die Einschränkung der Isolationshaft. Im Rahmen der letzten Hungerstreiks war es zu massiver Repression gegen Beteiligte bekommen. Seit Februar läuft zudem ein Hungerstreik von ungefähr 100 Guantanamo-Häftlingen, die in dem Militärgefängnis seit Jahren ohne Anklage festgehalten werden. Derzeit werden etwa 45 von ihnen mit brutalen Methoden zwangsernährt. Die Justiz hat sich für unzuständig erklärt. Der Hintergrund ist auch rassistisch. Die USA haben die höchste Gefangenenrate weltweit. Es werden insbesondere
arme Nicht-Weiße inhaftiert. Zugleich erreichen in den USA auch die Kämpfe gegen das Knast-System die höchste Intensität. Mehr Informationen zum Hungerstreiks in Kalifornien hier.
Zum Streik in Guantanamo hier und hier.

Mai
Rechtfertigender Notstand gestärkt - Feldbefreiung in Gatersleben neu vor Gericht!
Am 22. Juli 2011 verurteilte das Landgericht Magdeburg drei FeldbefreierInnen zu Geldstrafen. Diese hatten im Frühjahr 2008 in einer spektakulären Aktion ein Feld mit gentechnisch verändertem Weizen in Gatersleben so stark zerstört, dass der Versuch abgebrochen werden musste. Sie begründeten dieses mit den Gefahren, die von dem Feld im Allgemeinen und speziell für die nahegelegene Saatgutbank für Weizen ausgehen würde. Das Gericht interessierte sich für diese Rechtfertigungsgründe ebenso wenig wie für die Frage, ob die Genehmigung für den Versuch angesichts der – bei solchen Feldern üblichen – Falschangaben und Abweichungen überhaupt gültig war. Dieses Desinteresse rügte jetzt das Revisionsgericht. Die Folge: Der Prozess muss neu aufgerollt werden. Mit den Formulierungen im Urteil (OLG Naumburg am 24.4.2013, Az. 2 Ss 58/12) setzte das Oberlandesgericht Maßstäbe in der Bewertung von direkten Aktionen gegen Gefahren insgesamt, d.h. nun besteht ein auf hoher Ebene geschaffenes Recht, welches nicht nur für Genmanipulationen, sondern auch für Atomkraft, Kohleverfeuerung und andere gesellschaftliche Streitfelder gelten dürfte. Erstmals in den inzwischen jahrelangen Auseinandersetzungen um Feldbefreiungen formulierte ein hohes Gericht Standards, wann Rechtfertigungsgründe verneint werden können. Bislang wurden die meist vom Tisch gefegt. Bericht mit Link zum Urteil auf archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/04/344058.shtml.

Durchsuchungen in besetzter Schule in Berlin
Am 14. April 2013 stürmte ein SEK die ehemalige Schule in der Ohlauertstraße/Berlin-Kreuzberg, wo AktivistInnen und Flüchtlinge seit Monaten campieren und politisch agieren. Die meisten Bewohner_innen schliefen noch. Türen zu den Schlafzimmern wurden aufgebrochen, teilweise ganz herausgetreten. Die Leute wurden mit vorgehaltenen Waffen in den verschiedenen Stockwerken zusammen getrieben und dort für mehrere Stunden festgehalten, teilweise nur in Unterwäsche. Einige wurden mit einer Waffe am Kopf aus dem Schlaf gerissen, andere geschubst und getreten. Niemand sagte ihnen, warum sie so behandelt wurden, welche Rechte sie hätten und weswegen ihre Zimmer durchwühlt wurden. Bericht unter archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/04/343584.shtml.

Neonazis im Knast
In den letzten Tagen machten neonazistische Netzwerke, die in den Knästen aktiv sind, bundesweit Schlagzeilen. Aus antifaschistischer Sicht handelt es sich hier um einen großen Bluff, schrieb Thomas Meyer-Falk, inhaftiert in der JVA Bruchsal: "Selbstverständlich gibt es auch in den Gefängnissen Neonazis, sind doch Knäste Abbild der Gesellschaft. Und kein Nazi gibt seine Gesinnung am Knasttor ab. Da gibt es jene, die ganz offen mit dem Hakenkreuz auf dem Rücken über den Flur spazieren, eine Kette tragen mit einer Münze aus dem Dritten Reich (inklusive Hakenkreuz), Bildern von Hitler an der Zellenwand. Oder jene, die dann antisemitische und rechtsextreme Parolen an Zellenwände schmieren. Aktuell ist jedoch fast nur von Gefangenen die Rede, die versucht hätten ein Netzwerk zu schaffen, nur en passant werden auch mal Bedienstete erwähnt, die „vielleicht“ Gesinnungskameraden unterstützen. ... worüber nun die bundesweite Presse teilweise sehr aufgeregt berichtet, ist in antifaschistischen Kreisen schon seit langem bekannt, nur interessierte sich weder die überregionale Presse dafür, noch die Politik." Der ganze Text auf archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/04/343500.shtml.

Tod nach Zwangsräumung: Amtsgericht Wedding mit Farbflaschen angegriffen
Das Amtsgericht Wedding ist in hohem Maße mitverantwortlich für den Tod von Rosemarie F., die am 09.04.2013 zwangsgeräumt wurde und zwei Tage später in den Räumen der Kälte-Nothilfe verstarb. Die zuständigen Richter_innen hatten zuvor eine Aussetzung der Räumung trotz eines vorliegenden ärztlichen Gutachtens - das eine Räumung als unzumutbar bezeichnete - abgelehnt. Daher wurde in der Nacht auf den 26.4.2013 der Eingangsbereich des Weddinger Amtsgerichtes am Brunnenplatz mit Farbflaschen umgestaltet, wodurch auch Fensterscheiben zu Bruch gingen. Verstärkt gibt es Anzeichen, dass nicht mehr alle Menschen sich den Plänen von Senat, Investor_innen und Vermieter_innen in Berlin unterwerfen. Immer öfter werden Zwangsräumungen von Protesten und Blockadeversuchen begleitet. Es ist nicht erst nach dem Tod von Rosemarie F. an der Zeit, die Proteste für ein Recht auf Stadt zu intensivieren und die Wut entschlossener zum Ausdruck zu bringen! Mehr auf linksunten.indymedia.org/en/node/84610.

Lässt der DGB seine Werbefähnchen für gute Arbeit im Knast fertigen
"Gute Arbeit für uns alle" stand auf vielen Fähnchen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für den 1. Mai. Gefangene der Justizvollzugsanstalt Willich in Nordrhein-Westfalen klebten sie nach Informationen der Jungen Welt für einen Tageslohn von 11,16 Euro zusammen. Tagespensum nach den Worten eines Gefangenen: 1600 Stück. Direkter Auftraggeber ist die Firma SUTHOR Papierverarbeitung GmbH & Co KG in Nettetal, die mit einer vom DGB beauftragten Werbeagentur zusammenarbeitet. Der Gewerkschaftsbund hatte nach den Worten seines Pressesprechers Klaus Harbers zunächst keine Kenntnis davon, kümmerte sich aber auch nicht. Und als er es erfuhr, lautete die Erklärung: „Solange die Arbeitsbedingungen stimmen, die Arbeit freiwillig erfolgt und im Rahmen der Gesetze bezahlt wird, ist gegen Arbeit im Strafvollzug nichts einzuwenden. Im Gegenteil: sie ist eine wichtige Vorbereitung für die Häftlinge auf das Leben in Freiheit nach der Haftzeit.“ (Quelle)

Datenbank zu Versammlungsrecht soll entstehen
ProgrammiererInnen und Mitschreiberlinge sind gesucht: Entstehen soll eine Datenbank mit Urteilen und Informationen zu den verschiedenen Auflagen und Verbotsgründen für Versammlungen – damit mensch sich schnell auf Urteile, Kommentare und Erfahrungen berufen kann. InteressentInnen können sich in der Projektwerkstatt, Tel. 06401-903283 und kobra@projektwerkstatt.de melden.

Neues Buch „Spannungsfeld Fiktion und Berufsalltag in deutschen Fernsehkrimis“
Wieweit stimmen die fernsehgemachten Bilder des Polizeidienstes aus Krimis mit dem realen Alltag im Beruf überein? Dieser Frage geht die Autorin an etlichen Beispielsequenzen aus Filmen nach. Ihr Urteil fällt je nach Situation recht unterschiedlich aus. Das Gesamtresümee aber verzichtet auf eine scharfe Kritik: Einige Bereiche würden immer wieder verzerrt, aber neben den zur filmischen Dramaturgie notwendigen Verfälschungen sei doch eine Nähe zum Original immer wieder gegeben. Eines vergisst sie dabei aber – nämlich dass, was sowohl im Film wie auch in den Selbstdarstellungen der Polizei gerne verschwiegen wird: Frustration im Job, Gewaltanwendungen, Übergriffe und Willkür – zusammen die gefürchtete „Cop Culture“ männerbündischer Machtspielchen. (Autorin: Barbara Steinhart , erschienen 2012 im Verlag für Polizeiwissenschaft, 164 S., 19,80 €)

April
Übersicht zum Stand der Repression vor, während und nach den M31- und Blockupy-Protesten 2012
Die Rote-Hilfe-Ortsgruppe Frankfurt hat einige Analyse und Auswertungen zu den Protesten in Frankfurt zusammengestellt und veröffentlicht. Es geht allgemein um den Stand der Ermittlungen, um Vorladungen zum Vorwurf des versuchten Totschlags, Hausdurchsuchungen u.a. bei JournalistInnen und versammlungsrechtliche Fragen. Der Bericht steht auf archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/03/342543.shtml.

Gericht klärt: Dauerüberwachung von Ex-Sicherungsverwahrten illegal
Wie das Verwaltungsgericht Freiburg (www.vgfreiburg.de) am 22.2.2013 entschied, ist die polizeiliche Dauerbewachung eines ehemaligen Sicherungsverwahrten illegal. Es untersagte der Polizei, einen ehemals inhaftierten und dann lange sicherungsverwahrten Menschen permanent zu überwachen. Zum einen, so die Kammer, fehle es an einer gesetzlichen Grundlage für solch eine gravierend in die Grundrechtspositionen des Klägers eingreifende Maßnahme. Zum anderen lägen keine Anhaltspunkte für eine „Gefährlichkeit“ vor. Hier nutzte der Polizei auch nicht ein etwas weinerlich klingender Vortrag des Vertreters des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Dieser hatte sich darüber mokiert, dass S. keine Bereitschaft zur „Kooperation“ mit den ihn bewachenden Polizeibeamten gezeigt habe. Vielmehr sei S. sogar „launisch“ gewesen, was sich daran zeige, dass S. es gewagt habe, früh am Morgen oder sogar bei Regen „urplötzlich Ausflüge mit dem Fahrrad“ zu unternehmen. Das Gericht wies die Polizei darauf hin, dass S. ein freier Mann sei, der tun und lassen könne, was ihm gefalle. Keinesfalls hätte S. eine Pflicht getroffen, „für das Gelingen der Observation Sorge zu tragen“, so das Gericht. Genauer auf archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/03/342060.shtml.

Nachträgliche Sicherungsverwahrung (SV) bleibt möglich
Ob unter Gefangenen oder in Medienberichten, allerorten heißt es, die nachträgliche SV sei abgeschafft; dies stimmt so jedoch nicht. Unter engen Voraussetzungen kann weiterhin die Sicherungsverwahrung, also die potentiell unbegrenzte Freiheitsentziehung, auch noch kurz vor Haftende beantragt werden, zumindest wenn die Betroffenen ihre Tat vor dem 1.1.2011 begangen haben. Das betrifft die Mehrzahl jener zur Zeit in den Gefängnissen einsitzenden Männer und Frauen. Tatsächlich beantragt wird die nachträgliche SV jedoch nur selten. Thomas Meyer-Falk, selbst inhaftiert und von der Sicherungsverwahrung bedroht, beschrieb den Fall von Uwe O., der kürzlich zur nachträglichen SV verurteilt wurde unter archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/03/342812.shtml.

Überdurchschnittlich viele Erfolge durch offensive Prozessführung
Nach wie vor verteidigen sich nur wenige Angeklagte offensiv und ohne Bevormundung durch bezahlte RechtsexpertInnen – also selbst, in gleichberechtiger Kooperation mit AnwältInnen (selten, aber es geht!) oder mit anderen politisch Aktiven als Rechtsbeistand (Laienverteidigung). Die Gründe dafür sind mangelndes Wissen, wenig Fortbildung, Wissensweitergabe und Trainings in politischen Zusammenhängen sowie eine eher anti-emanzipatorisch, weil bevormundend daherkommende Abwehrhaltung zentraler Apparate in vielen Organisationen. Dabei zeigt ein Blick auf die Ergebnisse verschiedener Verteidigungsstrategien, dass eine offensive Kultur der Auseinandersetzung mit Polizei und Justiz nicht nur politisch mehr vermitteln kann, sondern in vielen Fällen zu Einstellungen führt – vielfach sogar auf Staatskosten. Zwar gibt es bei keiner Strategie irgendwelche Garantien, aber die Tendenz ist eindeutig. So gab es bei mehreren Prozessen gegen GentechnikkritikerInnen in Sachsen-Anhalt Einstellungen auf Staatskosten. Andere Verfahren z.B. wegen Castorblockaden (z.B. zur Aktion in Dalle siehe linksunten.indymedia.org/en/node/82146), sog. „Schwarzfahren“ oder Containern konnten zum Abbruch gebracht oder zumindest für die Justiz sehr anstrengend gestaltet werden. Tipps und Beispiele unter www.prozesstipps.siehe.website!

„Deal“ im Strafprozess machen Strafen effizienter
Anfang März bestätigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der sog. „Deals“ zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, was die Frankfurter Rundschau zu der Feststellung veranlasste: "Der Niedergang des guten alten Strafprozesses ist nicht aufzuhalten – das Bundesverfassungsgericht sorgt nur dafür, dass sich der Abstieg in geordneten Bahnen vollzieht." Auch wenn die FR damit die sonstigen Probleme des Strafjustiz verharmloste – richtig bleibt, dass die nebenprozessoralen Absprachen der Willkür noch weiter die Tür öffnen. Vor allem bieten sie die Möglichkeit, mehr Menschen in kürzerer Zeit und mit geringerem Aufwand zu bestrafen. Letztlich ist das Angebot, eine mildere Strafe für ein Geständnis zu bekommen, formal schlicht Aussageerpressung (im Volksmund: Folter). Verbunden mit der Privatisierung von Gefängnissen steigt die Profitabilität der im durch Strafvollzug ermöglichten Zwangsarbeit. Längerer Text unter archive.ph/http://de.indymedia.org/2013/03/342735.shtml.

Passend dazu das Buch „Unrecht im Namen des Volkes“
Es gibt etliche Bücher über Justizskandale und –irrtümer. Viele davon sind gut, können aber oft nicht vermeiden, ihre Enthüllungen skandalträchtig zu überhöhen. Dann aber wird die Justiz im Allgemeinen reingewaschen, wenn Einzelfälle als Skandale beschrieben werden. Das hier vorliegende Buch von Sabine Rückert (2007, Hoffmann und Campe in Hamburg, 287 S., 19,95 €) toppt diese Qualitätseinbußen um Längen: Hier werden Fallbeispiele ausgewählt, um bestimmte TäterInnengruppen reinzuwaschen. Hauptfall sind Vergewaltigungen, die ausgedacht oder zumindest ohne ausreichende Beweise verurteilt wurden. In am Rande geschilderten weiteren Fällen werden KZ-Regime, Nazis usw. reingewaschen. Überall mag etwas dran sein, aber ist diese Auswahl Zufall? Der üble Verdacht rechter Propaganda durchzieht das ganze Werk. Zudem bietet die Autorin die gleiche Neigung zu vorschnellen Feststellung wie die von ihr kritisierten Gerichte – und wie es die Justiz als Kultur des Fließbandurteilens fast durchgängig macht. Eine grundlegende Kritik aber kommt in dem Buch gar nicht vor.

März
Gentechnikmafia bestellte Polizeiaktionen gegen KritikerInnen
Der Autor dieser Zeilen ist abgehört worden, seine Emails sind gelesen worden. Ebenso weitere GentechnikkritikerInnen, Kontakte zu fünf AnwältInnen, Gespräche zwischen Angeklagten und ihren Verteidigern sowie mit fast zehn JournalistInnen. Anfang Februar teilte die Staatsanwaltschaft in Magdeburg mit, dass alle Telefonnummern der Projektwerkstatt in Saasen, eines weiteren Verdächtigen und weiterer Personen überwacht worden seien. Als Grund für die Ermittlungen war angegeben: Schwerer Raub, räuberische Erpressung usw. Inzwischen liegt die Akte vor – und die wirft ein etwas anderes Bild. Hintergrund des Ganzen sind Überfälle auf Genversuchsfelder im Juli 2011. Fraglos zeigten die eine bemerkenswerte Organisierung der unbekannten FeldbefreierInnen. Überwachungseinrichtungen wurden ausgeschaltet, die Wachschützer festgesetzt und jede Kommunikation nach außen unterbunden. Wie aber kommt der Tatverdacht? Der entstand nicht durch Ermittlungen, sondern auf Bitte der Gentechnikseilschaften selbst. Der ehemalige Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts und heutige Gentechniklobbyist Horst Rehberger hat das in mehreren Briefe an das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt so vorgeschlagen. Und in diesem Bundesland ist der Wunsch der Gentechniklobby seit Jahren Befehl. Die Folge: Gerichtliche Beschlüsse zur Telefon- und Emailüberwachung und Rund-um-die-Uhr-Observation. Einen anderen Gentechnikkritiker traf es kurz danach. Sein Vergehen: An einer Demo teilzunehmen und dabei ein paar Meter neben dem ersten Tatverdächtigen zu stehen. Ein drittes Telefon wurde abgehört, weil der Besitzer den DSL-Anschluss der Projektwerkstatt in Saasen bestellt hatte. Dass die Projektwerkstatt gar keinen DSL-Anschluss hat und das ganze Dorf noch immer DSL-frei ist, irritierte die Ermittler dabei nicht. Freizügig durften die mafiösen Gentechnikkader auch in der wachsenden Akte mitlesen – neben dem inzwischen wieder in Saarbrücken als FDP-Größe aktiven Rehberger sprangen noch Monsanto mit seinem Anwalt Hartwig Stiebler und die Uni Rostock der ganzen Geschichte bei. Genützt hat es allerdings wenig: Die ganze Sache wurde ergebnislos eingestellt. Keine Spuren, keine verwertbaren Materialien, aber allerlei mysteriöse Vorgänge füllen die Akte. Höhepunkt war im Frühjahr und Sommer 2012 ein angebliches Kartoffelversuchsfeld von BASF in Gatersleben. Laut Akte war es als Falle angelegt, um endlich diese überirdisch wirkenden FeldbefreierInnen zu fangen. Die wurden ihrer Rolle aber gerecht: Das Feld wurde zerstört, alle Fallen funktionierten nicht.
Der erste Bericht über die Überwachung erschien hier. Weitere Auswertungen und Berichte sind auf www.projektwerkstatt.de/abhoeren2011 zusammengestellt.

Pussy Riot auf Deutsch
Was in Russland passiert, füllt die Polit- und Klatschspalten. Schließlich inszeniert sich ein selbsternannter Vorzeigestaat am besten mit Hilfe von Schreckensnachrichten vermeintlich schlimmerer Länder. Und in der Tat: So dumm wäre die Justiz hier nicht, ein derartiges Spektaktel abzuziehen, um Menschen zu normierten Verhaltensweisen zu bringen. Strafen tut er hier aber auch: Einige aktivistInnen, die im Kölner Dom eine ähnliche Aktion durchführen, erhielten jetzt Verwarnungen mit Strafvorbehalt. Sie wollen dagegen Widerspruch einlegen. Dann kommt es zum Gerichtsprozess. Mensch darf gespannt sein …

Zwangsräumungen treffen auf Widerstand
Mehrere hundert Polizisten, gesperrte Straßen und U-Bahn, Hubschrauber, Polizistengruppen vor etlichen Hauseingängen, brutale Räumung der Sitzblockaden, Festnahmen, mehrere Verletzte durch Pfefferspray und Prügelattacken – so sah die Bilanz einer Wohnungs-Zwangsräumung in Berlin aus. Dort hat sich inzwischen ein regelmäßiger Protest gegen diese Form repressiver Sozialpolitik gebildet – Vorbild auch für andere Städte? Mehr ...

Streit um angeblich mehr Straftaten gegen Polizisten
Ein Polizeiwissenschaftler bestreitet, was die Gewerkschaften der Polizei seit Jahrzehnten behaupten. Falsch sei, dass die Gewalt gegen Polizisten immer schlimmer werde. Erfunden sei ebenso eine wachsende finanzielle Not der Polizei. Aufgeregt reagierten die Polizeigewerkschaften, traditionell als Scharfmacher in der gesellschaftpolitischen Debatte unterwegs. Dokumentiert ist der Streit hier.

22 Monate für angebliche Mikrofondurchsage „Kommt nach vorne“
Tim H. wurde zu einer Haftstrafe von 22 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Der Grund: Mit einem Mikrofon soll er dazu aufgefordert haben, eine Blockade der Polizei zu durchbrechen. „Kommt nach vorne“ waren die Worte, die als schlimme Straftat gewertet wurden. Sie brachte dem Familienvater nun die hohe Strafe ein. Mehr ...

Werner Bräuner ist draußen, die meisten anderen bleiben drin
Nach vielen Jahren Konflikt erstach Werner den Arbeitsamtsdirektor in Verden. Nach vielen Jahren Haft bis zur Endstrafe ist er nun wieder draußen – herzlich willkommen in der relativen Freiheit der Republik. Drinnen sind noch die politisch aktiven Pit Scherzl und Hubertus Becker. Bei beiden verweigerten die zuständigen Stellen Entlassung bzw. Übergang in die Drogentherapie – erkennbar als Schikane und Rache an Gefangenen, die nicht das Maul halten angesichts von Unterdrückung und Gewalt durch die Obrigkeit. Ebenso weiter inhaftiert sind über 60.000 Andere, allein in Deutschland. Hinzu die Zwangspsychiatrisierten und sonst Eingeschlossenen. Wir bleiben dran, das Ende von alle diesen Einrichtungen zu fordern: www.welt-ohne-strafe.siehe.website.

Passend eine Beschreibung des Buches von Joe Bausch mit dem einfachen Titel „Knast“:
Es gibt viele Innenansichten von Gefängnissen – aus der Feder von Häftlingen, SozialarbeiterInnen … und nun also von einem Gefängnisarzt. Seine Erzählungen gehen ins Detail. Dank seiner Schweigepflicht, die auch ein Schweigerecht ist, wurde er offenbar von vielen Gefangenen als Vertrauensperson angesehen. So ist das Buch ein Blick in die Hinter- und Abgründe des Regimes sozialen Mordens hinter den Mauern, die der Welt draußen den Blick versperren. Das Lesen bedrückt, aber klärt auf – nur sollte niemand glauben, Gefängnisärzte seien tatsächlich so vertrauenswürdig. Mag sein, dass der Autor eine Ausnahme ist, tatsächlich ist das medizinische Personal aber regelmäßig wichtiger Teil der Unterdrückungsapparatur (erschienen 2012 bei Ullstein in Berlin, 284 S., 19,99 €)

Februar
Naziaufmarsch Dresden - Obrigkeit rechnet ab: Sei links, benutze ein Megafon … und ab hinter Gitter
Das Amtsgericht Dresden verurteilte den Antifaschisten Tim H. zu ein Jahr und 10 Monaten Haft – ohne Bewährung. Es sah als erwiesen an, dass er im Zuge der Gegendemonstrationen gegen einen Neonaziaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden folgende Straftaten begangen habe: Körperverletzung, besonders schwerer Landfriedensbruch und Beleidigung. Letztere soll er mit dem Wort "Nazi-Schwein" gegenüber einem Polizeibeamten selbst begangen habe. Die beiden anderen Straftaten habe er zwar nicht selbst begangen, aber so gut wie: Mittels eines Megafons habe er andere dazu "aufgeheizt", was den Richter zu dem Fazit führte: "Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen." Von dieser Überzeugung ließ sich das Gericht nicht abbringen - schon gar nicht durch Fakten: Weder der Hauptbelastungszeuge der Anklage - ein Anwohner, der den Vorfall von seinem Balkon aus beobachtet hatte - noch vier geladene Polizisten, die vor Ort waren, identifizierten Tim H. als jene Person, die vor einer Polizeisperre ein Megafon trug und je nach Erinnerungswillen gerufen haben soll: "Durchbrechen!" und/oder "Nicht abdrängen lassen!". Auf dem Polizeivideo ist einzig und alleine zu hören:"Kommt nach vorne!" Damit habe er sich der Mittäterschaft nach § 25, Absatz 2 StGB schuldig gemacht. Genauer ...
Der Staatsanwaltschaft ist das Urteil noch zu mild. Sie legte Revision ein und will mehr. Auch der Angeklagte ging in die nächste Instanz. Zudem sind Staatsanwaltschaft und Gerichte auf weiterer Jagd nach AntifaschistInnen. Im März muss sich der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen schweren Landfriedensbruchs und weiteren Delikten verantworten. So soll er bei den Protesten am 19. Februar 2011 in der Dresdner Südvorstadt eine Menschenmenge zur Gewalt aufgestachelt haben. Im Zuge ihrer Ermittlungen hatte die Dresdner Staatsanwaltschaft die Diensträume Königs durchsucht und anschließend den Lautsprecherwagen beschlagnahmt (Bericht).

Naziaufmarsch Dresden, die 2.: Immunität aufgehoben, Grünen-Politiker will offensiv agieren
Der Sächsische Landtag hat die Immunität des grünen Abgeordneten Johannes Lichdi aufgehoben. Die Mitglieder des Immunitätsausschusses folgten damit einer Forderung der Staatsanwaltschaft, die gegen den Politiker wegen seiner Teilnahme an den Blockaden vom 19. Februar 2011 Anklage erheben will und ihm die Störung einer angemeldeten Versammlung vorwirft. Lichdi soll sich gemeinsam mit hunderten Menschen an der Besetzung der Kreuzung Reichenbachstraße/Fritz-Löffler-Straße beteiligt und damit einen Aufmarsch von etwa 700 Nazis durch den Süden der Stadt verhindert haben. Das Gesetz sieht in solchen Fällen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vor. Der Politiker und Rechtsanwalt hatte zuvor das Angebot der Staatsanwaltschaft abgelehnt, das Verfahren durch die Zahlung einer Geldbuße einzustellen und verwies in einer Stellungnahme auf sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes. Außerdem erinnerte er daran, dass sich mehr als 350 engagierte Bürgerinnen und Bürger seit fast zwei Jahren dieser gerichtlichen Auseinandersetzung stellen müssen. Ein ähnliches Verfahren gegen den Linken-Politiker André Hahn war Anfang November letzten Jahres am Amtsgericht ohne Auflagen eingestellt worden. Mehr ...

Offensive Verteidigung vor Gericht: Richterin wirft Angeklagten raus!
Offenbar macht die unabhängige und offensive Form von Selbst- und Laienverteidigung vor Gericht den RobenträgerInnen immer mehr Probleme. Einige, die sich nicht zu helfen wissen, schmeißen Angeklagte aus dem Gerichtssaal und verhandeln ohne Betroffene weiter. Das ist zwar nicht zulässig, aber wer Robe trägt, hat – wortwörtlich – Recht. So erging es einem Tierrechtaktivisten in Celle. Es war bereits der zweite Verhandlungstag. Karl-C. stieg in die Verhandlung mit einem Befangenheitsantrag gegen die Richterin ein. Gründe dafür waren ihre Beschneidung der Öffentlichkeit durch diskriminierende Einlasskontrollen. Es folgten weitere Anträge, die, wie der Vertreter der Staatsanwalt in seiner Stellungnahme feststellte, die tiefgehende Verachtung des Angeklagten gegenüber der Justiz zeigten. Es ging weiter mit der Beweisaufnahme, in der Karl-C. einige Stunden Beweisanträge stellte, mit denen er ausführlich auf die Folgen und die Hintergründe der industriellen Tierhaltung und das Kapitalistische Wirtschaftssystem einging. Bis Richterin Precht ihn unterbrach, um die Thematisierung von institutionalisiertem Rassismus in EU und BRD zu verhindern. Das löste eine etwa dreistündige Antragsschlacht aus, die damit endete, dass Amtsgerichtsdirektor Busche das Verhalten der Richterin deckte, indem er sie für nicht befangen erklärte. Karl-C. kündigte weitere Beweisanträge an und verlas weiter den Antrag, bei dem er vorher unterbrochen wurde. Dieser Vorgang brachte Richterin Precht völlig aus der Fassung. Sie ordnete den Ausschluss des Angeklagten aus den Verfahren mit einem vorgefertigten Beschluss an, der die Begründung beinhaltete, „in dem Antrag gehe es lediglich um irgendwelche Migranten, die mit den Fall nichts zu tun hätten“. Daraufhin wurde der Angeklagte von 3 Justizwachmeister_innen gepackt und aus dem Saal geschleift. Richterin Precht, die nach ca. 9 Stunden endlich ihr Urteil sprechen wollte, beendete die Beweisaufnahme. Der Staatsanwalt plädierte für eine Verurteilung von 25 Tagessätzen a 15 €
Richterin Precht verurteilte Karl- C. schließlich zu 20 Tagessätzen á 12 €. Der gesamte Bericht ...

Passend dazu ein Buchtipp: Per Eirik Martiensen, „Die unzulässige Beschränkung der Verteidigung als Revisionsgrund (§ 338 Nr. 8 StPO)“ (2007, Lit in Berlin, 95 S.)
Die als Dissertation abgefasste Arbeit ergründet die bisherige Rechtssprechung zur als absoluter Revisionsgrund aufgeführten unzulässigen Einschränkung der Verteidigung im Strafverfahren. Dabei zeigt sich, dass die Gerichte recht unterschiedlich mit der Frage umgehen, ob eine unzulässige Verteidigung immer die Ungültigkeit des Verfahrens bewirkt oder ob das Urteil darauf beruhen muss. Eine abschließende Meinung bildet auch der Autor nicht, aber seine Ausführungen, welche anderen Rechtsvorschriften jeweils herangezogen werden, machen das Buch doch zu einem gut nutzbaren Kompendium, wie mensch sich in der Revision dagegen wehren kann, vor Gericht benachteiligt worden zu sein. Dass der Autor dabei immer davon ausgeht, dass ein Angeklagter mit Verteidiger im Gericht sitzt, mag eine gewisse Betriebsblindheit zeigen – aber die Hinweise sind einfach übertragbar.

Weitere neue Bücher
Hochschule der Polizei Hamburg (Hrsg.)
Die Polizei als 'Freiwild' der aggressiven Spaßgesellschaft?
(2011, Verlag für Polizeiwissenschaften in Wiesbaden, 103 S., 12,80 €)
In der Dokumentation einer Fachtagung in Hamburg geht es um die vermeintlichen Ursachen zunehmender Gewalt gegen PolizeibeamtInnen. Das Thema ist in Polizei- und Justizkreisen häufig diskutiert. Aus den vorgelegten Zahlen und Nachrichten folgt die Forderung nach mehr Kompetenzen für die Polizei und härteren Strafen. So auch hier, z.B. in den Thesen zum Schluss des Buches. Bemerkenswert ist, dass weder bei Statistiken noch bei den Ursachen eigenes Verschulden überhaupt als Gedanke aufgeführt wird. In polizeikritischen Kreisen wird immer wieder angemerkt, dass BeamtInnen, die selbst gewalttätig werden, zum Selbstschutz Strafanzeigen wegen Widerstand ausfüllen. Es ist daher bereits zweifelhaft, ob die steigenden Fallzahlen mehr Gewalt gegen oder eher durch Polizeibedienstete belegen. Dass diese Frage in der Tagung gar nicht vorkam, zeigt deren Einseitigkeit. Das Buch ist dennoch wertvoll, weil es genau diese Einseitigkeit belegt.

Susanne Feustel u.a.
Verfassungsfeinde?
(2012, VSA in Hamburg, 157 S., 12,80 €)
Untertitel: Wie die Hüter von Denk- und Gewaltmonopolen mit dem „Linksextremismus“ umgehen. Die Hüter – das sind Verfassungsschutz, Polizei, aber auch Schulen und Staatsanwaltschaften. Ihnen sind jeweils ein oder sogar mehrere Kapitel gewidmet, von unterschiedlichen AutorInnen zusammengetragen. So entsteht ein guter Überblick, mit welcher Intensität staatliche Stellen den Kampf gegen Rassismus und Faschismus, für Gleichberechtigung usw. führen.

Martin H.W. Möllers/Robert van Ooyen
Migration: Polizei und Integration
(2012, Verlag für Polizeiwissenschaften in Wiesbaden, 123 S., 16,80 €)
Vier Bände beschäftigen sich mit der Frage von Polizeihandeln und Nicht-Deutschen. In hier vorliegenden, letzten Band geht es vor allem um die Binnenverhältnisse in den BeamtInnenstrukturen: Wieweit spiegeln sich in der Personalauswahl und der Personalpolitik die zunehmende „multikulturelle“ Ausprägung der Gesellschaft wider? Bleiben ausländerfeindliche oder typisierende Muster im Denken der BeamtInnen zurück? Ein Spezialkapitel am Schluss setzt sich mit der Frage des Kopftuchverbots auseinander.
Die anderen Bände, ebenfalls beim Verlag erhältlich, beschäftigen sich nach einer Einführung (Band 1) mit dem europäischen Grenzregime FRONTEX (Band 2) sowie mit Integration und Ausgrenzung (Band 3).

Januar
Land muss Umweltaktivistin Schmerzensgeld zahlen
Am 15. Juli 2009 wurde die Kletteraktivistin Cécile Lecomte in Gießen verhaftet und bis zum nächsten Tag festgehalten - zur „Verhinderung politisch motivierter Aktionen“, wie es in einem Polizeibericht zur Begründung hieß. Ihr Vergehen war ein Kreidespruch gegen die Gentechnik an der Fassade das Landgerichtes Gießen in vier Meter Höhe (Prozess gegen Feldbefreier von 2006). Die Polizeimaßnahme wurde sowohl durch das Frankfurter Oberlandesgericht als auch das Gießener Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt, die beteiligten Polizeibeamten jedoch nie belangt. Das Verfahren gegen sie wegen Freiheitsberaubung wurde von der Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt – was für Empörung sorgte. Cécile Lecomte gab sich mit der Entscheidung ohne Folgen für die Polizei nicht zufrieden und verklagte das Land Hessen zivilrechtlich auf 1500 Euro Schmerzensgeld. Jetzt setzte sie sich durch (Az. 4 O 298/12, Landgericht Gießen, Quelle: Internet und Gießener Allgemeine, 17.12.2012).

Lange Leitungen: Genfelder-Verfahren aus 2008
Das Strafurteil gegen drei der sechs FeldbefreierInnen von Gatersleben (21.4.2008) wird in Kürze in letzter Instanz entschieden. Sollte die Revision Erfolg haben, dürfte eine Wiederholung der Beweisaufnahme und damit der Klärung folgen, ob ein rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) bestand. Wegen der Genversuchsfeldbesetzung im Jahr 2008 in Groß Gerau hingegen wird es kein Verfahren mehr geben. Es wurde mit Verweis auf höhere Verurteilungen der Angeklagten in anderen Fällen eingestellt. Viereinhalb Jahre brauchten das Gericht für diesen bemerkenswerten Schritt …

Dokumentation der Urteile zu Pit Scherzl
In der vorletzten Ausgabe berichteten wir über den politisch aktiven Gefangenen Pit Scherzl, der zum zweiten Mal nicht die sonst übliche vorzeitige Entlassung auf Bewährung erhielt – unter anderem, weil er andere politisch aktive Menschen kennt, die Vorstrafen haben. Die Dokumente (Gerichtsbeschlüsse usw.) sind nun alle auch als Original einsehbar.

Flüchtlingsprotest in Berlin
Im Oktober 2012 erreichte der „Refugee Protest March“ Berlin. Die Aktivist_innen wollten dort solange bleiben, bis die BRD ihre Forderungen nach besseren Lebensbedingungen erfüllt: „Wir, Asylsuchende, Flüchtlinge, Migranten und Aktivisten sind Teil der Protestbewegung, die sich aus den Lagerunterkünften über ganz Deutschland ausbreitet. Wir werden auf der Straße kämpfen bis unsere Rechte und Forderungen erfüllt sind. Wir gehen nicht zurück ins Lager!“ Seitdem ist es in der Hauptstadt zu etlichen Aktionen und Protestcamps gekommen. Mehr ...

„Konzept“ für Lagerhaltung von AsylbewerberInnen
Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) hat dem Rat der BezirksbürgermeisterInnen ein 5-seitiges "Konzept zur Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Berlin" vorgelegt, nach einem Jahr Wartezeit. Dabei geht es vornehmlich um eine gleichmäßige Verteilung (nach Bevölkerungszahl) von Gemeinschaftsunterkünften (derzeit 27) in der Stadt und die Koordinierung durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) bzw. die dort angesiedelte Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL). Grund für eine Neukonzeptionierung seien die veränderten Rahmenbedingungen (z.B. Verweildauer in Gemeinschaftsunterkünften aufgrund der Wohnungsknappheit). Dabei beschränkt sich Czaja auf die Asylsuchenden für die das Land zuständig ist und lässt Flüchtlinge, für die die Bezirke allein sorgen müssen (z.B. Flüchtlinge mit Duldung), außer Acht. Kritische Anmerkungen und mehr Infos ...

Polizeiregime an den EU-Grenzen
Am 19. und 20.Februar treffen sich die Strategen der autoritären Politik in Berlin zum 16. Internationalen Polizeikongress. Hier findet sich eine Liste von Dokumenten zum Thema mit vielen Ansätzen für Widerstand gegen die todbringenden Einsätze europäischer Polizeikräfte. Mehr Infos ...

Zwei Buchvorstellungen zur Sache
Karl-Ludwig Kunz/ Martino Mona: „Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie“
(2006, Haupt Verlag in Bern, 308 S., 19,90 €)
Schon die Paragraphen der unzähligen Gesetze können einem den Kopf verdrehen. Wer sich dann noch in die philosophischen und theoretischen Hintergründe der Rechtsbegründungen vertieft, mag endgültig aufgeben, in Recht und Gesetz etwas Festes und Verlässliches zu sehen. Dabei zeigt das vorliegende Buch, dass genau das seit Jahrhunderten als zentrales Ziel behauptet wird: Recht und Gesetz würden auf unangreifbaren Fundamenten ruhen – sei es das Naturrecht, eine göttliche Ordnung oder die aufgeklärte Vernunft. Doch schon der Kampf zwischen den verschiedenen Erklärungsmodellen zeigt reine Willkür. Denn tatsächlich ist der Versuch, Recht auf etwas Unantastbares zu gründen, der Gegenspieler emanzipatorischer Ideen. Genauer betrachtet ist nämlich alles, was gilt, Ergebnis eines Vereinbarungs- und Aushandlungsprozesses. Nichts Gesellschaftliches existiert von sich aus. Das vorliegende Buch gibt Auskunft über die vermeintlich objektiven Quellen des Rechts, zeigt aber auch die Widersprüche einschließlich aktueller Streitereien darum, ob Recht wirklich so absolut ist, wie es – auch Machtgründen – hingestellt wird.

Marianna Schwandter: Das Opfer im Strafrecht (5. Auflage 2011, Haupt Verlag in Bern, 305 S., 37,90 €)
Entlang der Gesetzestexte stellt die Autorin minutiös die Lage des Opfers nach dem (Schweizer) Recht vor. Es steckt in widersprüchlichen Situationen – einerseits der Hoffnung auf Wiedergutmachung oder gar Rachegelüste, andererseits dem Problem, in gerichtlichen Auseinandersetzungen noch einmal bedrängt oder an die Geschehnisse erinnert zu werden. Die Beschränkung auf die gesetzliche Lage gibt dem Buch gleichzeitig eine Präzision als auch deutliche Scheuklappen. Denn grundlegende Bedenken gegen die Organisierung zwischenmenschlichen Miteinanders durch eine autoritäre Gewalt finden keinen Raum in den Erörterungen. Angesichts der eher wie eine Behinderung von Kommunikation wirkenden Gerichtsverfahren und des geringen Vorteils, den das Prozedere für die Opfer selbst im günstigsten Fall bringt, wäre eher eine Neuorientierung mit Verzicht auf Formalisierung und Sanktionierung nötig.

In eigener Sache: Die Projektwerkstatt hat einen neuen PGP ... zu finden hier.

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