Offener Raum

KURZNACHRICHTEN ZU REPRESSIONSTHEMEN

2024


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Verfasst im Mai - für Contraste im Juli 2024
Politische Aktionen und das Problem langandauernder Strafprozesse
Polizeimaßnahmen und strafrechtliche Verfolgung politisch Aktiver schüchtern oder überfordern die Betroffenen oft. Viele beenden dann ihre Aktivitäten – ein Effekt, der mit der Repression gewollt ist und deshalb dem Staat oder den von ihm geschützten Macht- bzw. Kapitalinteressen in die Hände spielt. Einen zusätzlich zermürbenden Effekt kann die lange Dauer von Ermittlungs- und Strafprozessen haben. Denn nur sehr wenig Menschen bleiben über viele Jahre aktiv. Wenn dann aber eine Gruppe zusammen eine Aktion macht und gemeinsam strafrechtlich verfolgt wird, kann es zu Interessengegensätzen kommen, wenn im Laufe der Zeit eine oder mehrere Beteiligte aus dem aktiven politischen Leben aussteigen, um beispielsweise eine Ausbildung zu durchlaufen oder eine Familie zu gründen. Sie wünschen sich dafür ein schnelles Ende der strafrechtlichen Verfolgung und sprechen sich gegen offensive Verteidigung vor Gericht aus, selbst wenn die Gruppe sich ursprünglich darüber einig war, die Gerichtsprozesse für weitere Aktionen und starke Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen. Vielen politische Strömungen neigen dazu, solch defensiven Wünschen Vorrang einzuräumen. Die Hoffnung der Verbleibenden, an den Absprachen festzuhalten, verfliegt. Viele leiden darunter, sich für die Vorteile anderer zurückzunehmen. Eine Patentlösung für dieses Problem gibt es nicht. Hilfreich wäre aber, diese immer wieder auftretende Entwicklung schon bei der Planung einer Aktion zu benennen und dafür Vereinbarungen zu treffen, zum Beispiel Strafverfahren, wenn möglich, aufzuteilen. Allerdings entsteht dann die zusätzliche Gefahr, dass eine früh verurteilte Person als Zeug*in geladen wird und somit zum einen nicht vom Stress der Strafverfahren befreit ist und zum anderen die ehemaligen Gefährt*innen auch noch belasten könnte.

Ablehnung von Beweisanträgen muss gut begründet werden
Das Stellen von Beweisanträgen ist das schärfste Schwert der Strafverteidigung in der Auseinandersetzung um die Sache (daneben gibt es noch wirkungsvolle Anträge zu den Verhandlungsabläufen). Grund dafür ist, dass das Gericht sie nur gut begründet ablehnen darf und sich bei einer begründeten Ablehnung vorzeitig festlegt. Das spätere Urteil darf dem Beschluss zum Beweisantrag nicht widersprechen. Schludriger Umgang mit Beweisanträgen kann zur Revision, also der Wiederholung des Verfahrens führen, sagt der Bundesgerichtshof im Beschluss vom 7. August 2023 (Az. StR 550/22 5 StR 39/23) : „Der Ablehnungsbeschluss nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO muss einerseits den Antragsteller über den Standpunkt des Gerichts informieren und ihm dadurch ermöglichen, sein weiteres Prozessverhalten auf die durch die Ablehnung seines Antrags entstandene Verfahrenslage einzustellen, und andererseits das Revisionsgericht in die Lage versetzen, die Ablehnungsentscheidung zu überprüfen. Im Falle der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit hat das Tatgericht deshalb mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum es aus der unter Beweis gestellten Tatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will.“

Wenn Richter*innen ihre eigene Befangenheit prüfen
Im gleichen Beschluss rügte der Bundesgerichtshof die Praxis, dass Richter*innen oftmals selbst darüber entscheiden, ob sie befangen sind. Das dürfe nur in Ausnahmefällen geschehen: „Die Wahl des Verfahrens nach § 26a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO als Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne die Mitwirkung des abgelehnten Richters darf nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und sich damit gleichsam zum „Richter in eigener Sache“ aufschwingt. Die Beteiligung eines Richters an der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch ist vielmehr auf Fälle echter Formalentscheidungen und die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt; sie setzt voraus, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und scheidet dementsprechend aus, wenn ein auch nur geringfügiges Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich ist.“

Grundgesetz nur abfeiern?
Im Mai wurde das Grundgesetz 75 Jahre alt – und umfangreich gefeiert. Dabei wäre Kritik und manche Veränderung nötig. Dana-Sophia Valentiner, Juniorprofessorin für Öffentliches Recht an der Universität Rostock, benannte in einem der wenigen kritischen Artikel (LTO am 18.5.2024) wichtige Punkte wie die Streichung des Sittengesetzes, des Begriffs der Rasse und eine Stärkung sozialer und ökologischer Ziele. Weitere Kritikpunkte wären die Beschränkung des Grundrechts auf Asyl durch Artikel 16a und die gewachsene Dominanz der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Artikel 2, der vom nachrangigen Auffangparagrafen zur Leitlinie für kapitalistische und andere rücksichtslose Verhaltensweisen mutiert ist, zum Beispiel im Straßenverkehr. Es ist also nicht alles gut, sondern vieles überarbeitungsbedürftig.

Verfasst im März - für Contraste im Mai 2024
Können Gerichte eine Hoffnung für Klimaschutz sein?
Die Klimapolitik der Regierungen und Institutionen auf der Erde ist ein Desaster. Allen Willenserklärungen, Beschlüssen und Verträgen zum Trotz werden jedes Jahr neue Rekorde an Energie- und Rohstoffverbrauch, Flächenversiegelung und CO2-Werte erzielt. Weder große Proteste wie unter dem Motto „Fridays for Future“ noch spektakuläre Blockaden per Abseilen oder Ankleben haben den Trott einer ausbeuterischen und zerstörerischen Art des Wirtschaftens stoppen können. Ein Teil der politischen Bewegung setzt daher auf Gerichte, und mit dem Green Legal Impact (GLI) hat sich sogar eine Organisation von Jurist*innen darauf spezialisiert, vor Gericht für den Klimaschutz einzutreten – sei es durch eigene Klagen oder durch die Verteidigung von Aktiven, denen Straftaten vorgeworfen werden. Sie setzen große Hoffnungen in die Justiz, doch Sätze von ihrer Internetseite wie „Deutschland ist eines der Länder, in denen das Gerichtssystem zuverlässig funktioniert“ oder „Gerichte sind ein objektiver Ort, an dem ohne Hürden und ohne Angst objektives Recht eingeklagt werden können muss“, zeigen ein naives Verständnis. GLI-Mitbegründerin Roda Verheyen, selbst Anwältin und ehrenamtliche Richterin, schreibt in ihrem Buch „Wir alle haben ein Recht auf Zukunft“ (2023, dtv in München, 296 S., 24 €): „Gerichte haben die Aufgabe, … Menschenrechte zu schützen – und damit letztlich den Planeten als Ganzes“. Sie zählt in den Hauptkapiteln eine Vielzahl von Beispielen vergangener und laufender Gerichtsauseinandersetzungen auf, die oft schön klingende Worte, aber wenig oder keine praktischen Folgen hervorbringen. Doch Verheyen glaubt an ihre Berufsgruppe. Ihrer Meinung nach arbeiten Gerichte „diskriminierungsfrei“, zudem „verhelfen Klimaklagen gerade den Machtlosen zu ihrem Recht“. Sie glaubt „an die positive, regulierende Kraft des Rechts“, denn „die Politik, gesetzgebende und vollziehende Gewalt müssen sich an die Entscheidungen der Gerichte halten.“ In der Praxis sieht das ziemlich anders aus, zudem ist die Justiz stark in politische Seilschaften eingebunden. Recht und Rechtsprechung sind stets Ausdruck der Machtverhältnisse in einer Gesellschaft. Gerade Gerichte haben in den vergangenen Jahren die Repressionsschraube gegen Klimaaktivist*innen deutlich angezogen und hohe Strafen verhängt, was in Verheyens Buch ebenso verschwiegen wird wie die vielen Verwaltungsgerichtsurteile gegen Fahrradstraßen und Tempo-30-Zonen. Einzelne Erfolge wie die Klimaklage vor dem Verfassungsgericht können über dieses Desaster nicht hinwegtäuschen, zumal gerade die Karlsruher Entscheidung deutlich macht, wie gering die praktische Wirkung einzelner Gerichtsbeschlüsse ist, solange die Machtverhältnisse so bleiben, wie sie sind. Schwächt es am Ende den Klimaschutz sogar, sich naiven Illusionen hinzugeben? Deutlich zurückhaltender hinsichtlich der Erfolgschancen und damit näher an den realen Verhältnissen fallen die Analysen von Helmut Satzger und Nicolai von Maltitz in „Klimastrafrecht“ (2024, Nomos in Baden-Baden, 568 S., Printausgabe 179 €, kostenfrei als Download). Sie durchleuchten Verfassungs-, Verwaltungs-, Straf- und Völkerrecht auf Möglichkeiten, die Verursacher des Klimawandels zur Änderung ihrer Produktionsweise bzw., bezogen auf den Staat, zum Erlass entsprechender Vorgaben zu zwingen. Dabei spielen auch die Vorgaben des Verfassungsgerichts und das Klimaschutzgesetz eine wesentliche Rolle, ohne dass dadurch tatsächliche, rechtliche Durchbrüche zu erwarten sind. Zwei abschließende Kapitel drehen sich um die Frage der Strafbarkeit von Protesthandlungen gegen die Ignoranz staatlichen oder Konzernhandelns, wenn auch nur lückenhaft. So werden dort immerhin verschiedene Fallbeispiele genannt, also nicht nur abgehoben argumentiert. Allerdings reduziert sich der Blickwinkel auf Rechtfertigungsgründe und lässt die Frage, ob die Handlungen nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind und dann gar keinen Straftatbestand erfüllen, weitgehend außen vor.
Fast alle juristischen Abhandlungen zum Klimaschutzrecht blenden die Eingebundenheit der Justiz aus. Rechtsprechungen scheint danach in einem sterilen Raum stattzufinden. Doch dass Richter*innen frei von politischen Verstrickungen und nicht die Seilschaften der Funktions- und Deutungseliten eingebunden sind, ist ebenso eine Illusion wie der Glaube, sie könnten unabhängig von der Wirkungskraft herrschender Diskurse denken und urteilen. Ganz im Gegenteil verteidigen Verwaltungsgerichte vehement Privilegien wie Eigentumsrecht und schufen mit Beschlüssen eine Art Grundrecht auf Autofahren in abwegiger Anwendung des Art. 2 Grundgesetz (Handlungsfreiheit). Die Strafjustiz gehört bei der Abwehr von Protesten und der Durchsetzung bestehender Privilegien einschließlich des Zugriffs auf Mensch und Natur sogar zu den aggressivsten Teilen der Macht. Immer höhere Strafen werden in den inzwischen mehreren tausend Verfahren gegen Klimaschützer*innen verhängt. Einige Hardliner befürworten inzwischen sogar Verurteilungen wegen Freiheitsberaubung, wenn Autofahrende durch Versammlungen zum Anhalten gezwungen werden, so unter anderem Christian Kaerkes in seinem Aufsatz "Freiheitsberaubung durch die absichtliche Blockade von Autobahnen und anderen Verkehrswegen?" (Quelle).

Verfasst im Januar - für Contraste im März 2024
Richterbund: Schwarzfahren soll weder strafbar noch ordnungswidrig sein
Laut Redaktionsnetzwerk Deutschland stellt sich der Deutsche Richterbund (DRB) gegen die Pläne von Justizminister Marco Buschmann (FDP), Schwarzfahren zwar aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, es aber künftig als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. „Damit würden die Ordnungsbehörden als steuerfinanzierte Hilfstruppe für die Verkehrsunternehmen eingespannt“, wird Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn zitiert. In der Tat wäre nur wenig verändert, weil die Fälle zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft würden, dann aber nach Einsprüchen gegen die Bußgelder wieder Gerichtsverfahren nötig wären. „Auch Menschen mit niedrigen Einkommen, die Geldstrafen nicht bezahlen können und deshalb bislang ersatzweise eine Freiheitsstrafe verbüßen, wäre kaum geholfen“, sagte Rebehn und verwies auf die Erzwingungshaft, wenn ein Bußgeld nicht bezahlt würde. Der Richterbund plädiert deshalb dafür, die Verfolgung des Fahrens ohne Fahrschein auf Fälle zu beschränken, in denen die Täter Zugangskontrollen umgehen oder Zutrittsbarrieren überwinden. Infoseite: schwarzstrafen.siehe.website

UN-Komitee kritisiert Deutschland für psychiatrische Zwangsmaßnahmen
Wie schon seit 14 Jahre ist auch im 2. und 3. Staatenbericht des UN-Behindertenrechts-Komitees über die BRD „Selbst- oder Fremdgefährdung“ als Grund zum Einsperren nach PsychKG in aller Deutlichkeit ausgeschlossen worden. Diese Klarstellung erfolgte nach dem Ausdruck tiefster Besorgnis über alle Zwänge im Gesundheitswesen. Die UN-BRK empfiehlt der BRD unter anderem: „Verbot der unfreiwilligen Inhaftierung, Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung von Menschen mit Behinderungen aufgrund ihrer Beeinträchtigung“. Mehr Infos und der gesamte Empfehlungstext der UN-BRK auf zwangspsychiatrie.de/un-bestaetigen-unseren-standpunkt.

Rechtliche Kommentierungen zu Straßenblockaden
Die Aufregung um angemeldete und unangemeldete Aktionen auf großen Straßen nimmt zu. Seit rund um die Jahreswende viele Landwirt*innen mit Traktoren auch auf Autobahnen unterwegs waren, dort große Staus und schwere Unfälle, sogar mit mindestens einem Todesopfer, hervorriefen, lebt die Debatte allerdings von großen Widersprüchen. Von Gerichten über Medien bis zur Politik gibt es keine einheitliche Bewertung. Jedoch wird immer wieder vereinfachend in gute und böse Aktionsformen unterschieden. Die einen sollen dann legal sein, die anderen nicht, obwohl aus rechtlicher Sicht kaum Unterschiede bestehen. Eine Übersicht zu Kommentaren, Gerichtsurteilen und Rechtstexten gibt es unter provokante-aktionen.siehe.website. Dort finden sich zudem Links zu aktuellen Artikeln wie dem von Rechtsanwalt Dr. Sebastian Seel über „Grenzen des Widerstandleistens mit Gewalt bei § 113 StGB“, in dem die Entgrenzung des Tatbestands von § 113 StGB analysiert, kritisiert und zum Anlass genommen wird, den verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Interpretation des „Widerstandleistens mit Gewalt“ nachzugehen. Umfangreicher ist das Buch „Das neue Widerstandsstrafrecht“ von Yanik Bolender (2021, Nomos in Baden-Baden, 373 S., 98 €). In ihm werden Novellierungen des Paragraphen hinsichtlich der Fragen dargestellt, wie die Tatbestandsvoraussetzungen auszulegen sind und sich ihr Verhältnis untereinander sowie zu anderen Strafnormen darstellt. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber sein Ziel, eine vereinfachte, härtere und sichtbare Sanktionierung zu ermöglichen, erreicht hat.
Ein weiterer Link auf der genannten Internetseite führt zum Text „Die 'Letzte Generation' – Straftaten als PR-Strategie: Ausreichend für eine kriminelle Vereinigung?“ von Jakob Ebbinghaus. Dieser setzt sich mit der Frage auseinander, ob die bisherigen Aktionen der „Letzten Generation“ für die Bejahung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB ausreichen. Eine historische Einordnung von provokanten Aktionen einschließlich rechtlicher Fragen und Empfehlungen für kommende Aktionen enthält das Buch „Provoziert! Provokante Aktionen und ihre Bedeutung für den politischen Protest“ (Büchner-Verlag, Marburg).

Adbusting kein Grund für Hausdurchsuchungen
Wer Bundeswehrwerbung öffentlich umgestaltet, darf deswegen keine Hausdurchsuchung kassieren, beschloss das Bundesverfassungsgericht am 5.12.2023 (Aktenzeichen 2 BvR 1749/20, bverfg.de/e/rk20231205_2bvr174920.html). Das Gericht erklärte die vom LKA Berlin 2019 wegen antimilitaristisch verbesserter Bundeswehrwerbung durchgeführten Hausdurchsuchungen für illegal. Die Berliner Polizei begründete die Hausdurchsuchungen bei einer Adbusting-Aktivist*in und ihrer Freundin damit, dass die Bundeswehr durch politisch veränderte Werbung (Adbusting) „gar lächerlich“ gemacht werde. Dieses Vorgehen entspreche „nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, formulierte demgegenüber das Bundesverfassungsgericht: „Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht“ (mehr Infos: de.indymedia.org/node/328508).

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