Gentechnik-Seilschaften

MIA: KEIN FRIEDEN MIT DEUTSCHLAND

Was es ist? Neonationalistische Provokation! (andere Interpretation)


1. Was es ist? Neonationalistische Provokation! (andere Interpretation)
2. Liebe, Respekt, Toleranz und Mut
3. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen...
4. Rechtsextreme beißen an
5. Beitrag von A. (1.2.04 15:21)
6. Beitrag von C. (1.2.04 18:17)
7. Beitrag von D. (2.2.04 16:10)
8. Beitrag von A. (2.2.04 16:27)
9. Beitrag von C. (2.2.04 18:05)
10. Beitrag von E. (4.2.04 14:21)

Mit ihrem Liebeslied auf Deutschland wandeln MIA. ein Gedicht von Erich Fried ab, das dieser ganz gewiss nicht so verstanden sehen wollte, wie es hier dargebracht wird.

Traurig, aber wahr: viele Leute glauben, es handele sich hier um ein "normales" Liebeslied. Die Rezensionen zur Single von MIA. auf amazon.de können ein Lied davon singen. Tatsächlich verpacken MIA. in ihrer gut tanzbaren Musik Inhalte, die in der Alternativen Szene einmal keine Chance gehabt hätten.

Das Lied mit zwei recht harmlos klingenden Absätzen, die die Erwartung dass es sich um ein Liebeslied handele, zu bestätigen scheinen:

"ich dreh den kopf und bin noch müde / ich hatte eine kurze nacht / lass meine augen zu und frag mich / was hat mich um den schlaf gebracht
ich fühl dich bei mir und geniesse / deine hand in meiner hand / was ich jetzt weiß und noch nicht wußte / bin nicht mehr fremd in meinem land"

Gut, der letzte Vers könnte komisch klingen - tut es gewiss auch für Menschen, die sehr sensibel auf nationalistischen Kram reagieren. Aber es könnte sich ja auch nur um eine Metapher handeln, die nichts mit dem Land im Sinne von Nation zu tun hat. Angesichts des weiteren Textverlaufs ist das aber fraglich.

Aber schon geht es weiter: mit einem billigen schwarz-rot-gold-Verklatsch wird nun die Nationalfahne runtergebetet:

"ein schluck vom schwarzen kaffee macht mich wach / dein roter mund berührt mich sacht / in diesem augenblick es klickt / geht die gelbe sonne auf"

Ja, was soll mensch noch dazu sagen. Außer, dass im Diskolärm auch dies nicht unbedingt auffällt (eigene Erfahrungen). Auch muss mensch schon mitdenken und nicht nur mitsingen, um diesen eigentlich offensichtlichen Zusammenhang zu bemerken. Vielen MIA.-Fans fällt das aber nichtmal auf (wiederum Erfahrungswerte aus Unterhaltungen).

Und nun kommt der eingangs erwähnte Gedichtauszug von Erich Fried, der dann auch den Titel des Liedes ausmacht:

"es ist was es ist sagt die liebe / was es ist fragt der verstand / wohin es geht, das woll'n wir wissen / hmhmhmhmhmhmhmhmhmmmmm..."

Davon ist allerdings nur der erste Vers Fried entnommen (wer sich das Ursprungsgedicht, das mit sowas nun wirklich nichts zu tun hatte, anschauen will, sei auf den Link weiter oben verwiesen). Was soll uns dies nun sagen? Denk ich an die Nation als eigentlichen Schwerpunkt des Liedes, so heißt es sinngemäß "Deutschland hinterfragen ist eine Verstandssache, aber das eigentliche, das "mein Land" ausmacht, lässt sich nicht mit dem Verstand ausmachen, sondern ist eine Gefühlssache". Da würd ich sogar mitgehen - mein Gefühl sagt mir, dass da nichts Gutes ist, was ich mit Deutschland verbinden möchte.
Doch hier wird die Liebe ins Spiel gebracht - es geht also um das Liebesempfinden, das mir sagt, was dieses Land wirklich ist; also ein ganz klar positiver Bezug auf diese Nation. Hier wird gewissermaßen ein Dogma aufgemacht, das besagt, "die Liebe zur Nation ist ein tiefergehendes Empfinden, das der Verstand nicht sinnvoll hinterfragen kann". Damit lässt sich dann jede Diskussion im Keim ersticken. Was auch tatsächlich (unabhängig vom Bezug auf diese Zeile) geschieht: im Forum von Angefangen kann mensch nicht nur einmal lesen, wie KünstlerInnen des Projekts nach kurzer Diskussion äußern, sie wollten nicht mehr über Deutschland diskutieren, sondern nun endlich über die guten Sachen, die mensch gesellschaftlich schaffen könnte. Nicht dass ich es nicht richtig fände strategisch über Verbesserungen nachzudenken oder auch anzugehen. Aber an dieser Stelle, wo MIA. mit nationalen Texten provoziert, kann nicht zur Tagesordnung übergegangen werden. Wenn MIA. nicht eine Nationalismus-Debatte, sondern ihre Werte "Liebe, Respekt, Toleranz und Mut" diskutieren wollte, hätten sie sich dieses eindeutig Deutschland-verehrende Stück sparen sollen. Denn das Lied ist ja nicht alles: das Cover und die Rückseite von CD und anderen Tonträgern (die nicht mal die selben Motive haben) sind mit den Deutschland-Farben versehen, MIA. trat zur Love-Parade in schwar-rot-goldner Kostümierung auf, in Interviews wurde dieser Aspekt klar in den Vordergrund gerückt.
Die letzte Zeile ersparen uns MIA. hier noch und summen stattdessen vor sich hin. Später muss mensch dann erfahren, das "neues deutsches land" betreten werden soll. Aber dazu später.

"es ist was es ist sagt die liebe / was es ist fragt der verstand / ich freu mich auf mein leben / mache frische spuren in den weißen strand"

Die Relativierung deutscher Geschichte wird durch die Metapher der "frische(n) spuren in den weißen strand" eingepackt. Mehr zu diesem Aspekt in der rechten Spalte ("Liebe, Respekt, Toleranz und Mut").

"luise schreibt mir aus amerika / man schätze dort ihre direkte art / und auf ibiza tanzt mathias im pacha / das ist unsere gegenwart"

Klingt da etwas Wehmut durch über die tollen Charaktereigenschaften "unserer" Nation, die mensch zu oft nicht wahrnimmt, im Gegensatz zu anderen Ländern, wo die Menschen sich trauen, ungehemmt zu ihrer Nation zu stehen?
Aber das lässt sich ja ändern; und das ist auch die Intention der Band:

"ich fühle wie sich alles wandelt / und wie ich selber ändern kann / was mich beengt in meinem leben / denn mit ändern fängt geschichte an"

Stimmt, der Diskurs, dass mensch endlich wieder ungehemmt zu ihrer/seiner Nation (=Deutschland) stehen können soll, läuft längst (beispielhaft sei hier ein Forums-Beitrag eines MIA.-Fans benannt). In dieser Hinsicht hat MIA. nichts neues angeregt - Mensch erinnere sich an Walser, diverse Bundestagsabgeordnete (siehe Martin Hohmann), neue "deutsche" Modetrends oder auch die Äußerungen selbst von Grünen und PDS-Oberhäuptern, keinen Grund zu sehen, nicht zur deutschen Herkunft stehen zu können (wobei dazu stehen hier weiter interpretiert werden sollte, als sie nur hinzunehmen - wer als "LinkE" sich auf Deutschland bezieht, sollte zumindest klar machen, wie sie/er zu den Taten dieser Nation steht).

Was MIA. aber schafft, ist es diesen nationalen Gedankengang erfolgreich in der Alternativen Szene unterzubringen, die früher weniger anfällig für Deutschtümelei war. Aber ständige Aussagen von PolitikerInnen und Prominenten, die Geschichte endlich hinter sich zu lassen, bereiteten da gewiss ein gutes Vorfeld. Wenn nun eine coole "linke" und "revolutionär" auftretende Band kommt und es nochmal klarmacht, fallen schnell die letzten Hemmungen. Als wir Flugblätter zu MIA.s neonationalistischen Agieren verteilten, waren wir von mancher Reaktion vom Outfit her sich als "Linke" klassifizierender Menschen überrascht. Nicht dass die Aufklärung über die positive Darstellung einer deutschen Nation auf Verwunderung gestoßen wäre. Nein, was mancheR MIA.-Fan nicht verstand war, was denn so schlecht an Deutschland sein soll(!). Solches mangelnde Bewusstsein für die Kritik an Nationen überhaupt und die spezielle Bedeutung der BRD in den Verbrechen an Menschen in aller Welt in alternativen Kreisen ist bestürzend. Und MIA. darf Stolz sein, einen gewissen Anteil daran zu tragen.

MIA. fühlen sich also "beengt" in ihrem Leben dadurch dass sie sich nicht offen auf ihre deutsche Herkunft beziehen können (das ist eine Interpretation aus Liedtext, Äußerungen im Angefangen-Forum und Selbstdarstellungen in der Presse). Das ist schon schlimm, die ewige Kritik an der deutschen Heimat stört den harmonischen Alltag im schönen neuen, sicheren und wohlhabenden Deutschland. Ich für mich wünsche, dass es nie eine ungestörte Liebeserklärung an Deutschland geben kann!

Der letzte Vers unterstreicht die Äußerungen der Angefangen-KünstlerInnen auf ihrer WebSite, dass sie mit dieser Kampagne die Neuinterpretation von Werten, die sie an anderer Stelle der deutschen Nation zuordnen, initiieren - also die Geschichte verändern wollen.

"fragt man mich jetzt woher ich komme / tu ich mir nicht mehr selber leid / ich riskier was für die liebe / ich fühle mich bereit"

Ah, jetzt wird's deutlich: MIA. müssen sich nicht mehr leid tun, wenn sie nach ihrer deutschen Herkunft gefragt werden. Das ist wichtig, wirklich! Und das ist ihnen sogar sehr wichtig, denn für ihre Liebe zu dieser Nation wollen sie jetzt was riskieren, fühlen sich dazu bereit. Naja, das haben sie ja mit diesem Projekt und dem Lied wohl vollbracht.
Im nächsten Absatz wird die Fahne nochmal runtergeleiert, nur unwesentlich wird die erste Variante dabei abgewandelt:

"und die schwarze nacht hüllte uns ein / mein roter mund will bei dir sein / in diesem augenblick es klickt / leuchtet uns ein heller tag"

Und jetzt gleich lüften MIA. das Geheimnis, was sie anfangs mit einem Summen noch nicht vom Stapel lassen wollen:

"es ist was es ist sagt die liebe / was es ist fragt der verstand / wohin es geht das woll'n wir wissen / und betreten neues deutsches land"
es ist was es ist sagt die liebe / was es ist fragt der verstand / ich freu mich auf mein leben / mache frische spuren in den weißen strand...

Nun ist es raus: es geht ihnen um ein "neues deutsches land" - auf dem Weg dahin machen MIA. "frische spuren in den weißen strand". Nazivergangenheit, deutsche Verbrechen der Gegenwart und die ausschließende und sich über andere stellende Funktion von Nationen im allgemeinen werden einfach mal eben weggewischt (zu diesem Punkt ein paar Worte mehr in der rechten Spalte). Zu Nationalstolz & MIA. gibt es außerdem einen Diskussionsstrang auf ForenNews Board, der zumindest im ersten Teil recht interessant ist. Hier lassen u.a. einige MIA.-Fans durchblicken, in welchem Verhältnis sie zu Deutschland stehen.

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